Schon vom Anfang dieses Briefes an setzt der Apostel bezüglich des Ursprungs und des Charakters seines Dienstes den Menschen ganz beiseite. Er war ein Apostel Christi und hat diesen Dienst nicht von Menschen empfangen, weder hinsichtlich der Autorität, in der er ausgeübt wurde, noch bezüglich des Inhaltes und des Charakters seiner Aufgabe. Sein Apostelamt war «durch Jesus Christus und Gott, den Vater.» Der Mensch hatte keinen Platz in seinen Mitteilungen. Sein Gegenstand war, die Person und das Werk Christi zu verherrlichen und gleichzeitig zu zeigen, wie der Mensch durch dieses Werk des Kreuzes so völlig verurteilt worden ist.
Paulus betont diesen Charakter seines Dienstes gegenüber den Werkzeugen, deren der Feind sich bei den Galatern bediente, um das Evangelium zu verkehren: «Es sind einige da, die euch verwirren» (Vers 7). Beachten wir diesen Ausdruck. Die falschen Lehrer, die die Wahrheit verkehrten, indem sie ein anderes Evangelium verkündigten – obwohl es kein anderes gibt – werden als Feinde Christi bezeichnet. Ihre Lehre hatte zum Ziel, die Seelen unter das Joch des Gesetzes zurückzuführen, indem sie die glückseligen Ergebnisse des Werkes Christi für die Glaubenden zunichtemachten. Man begreift daher die Entrüstung des Apostels gegenüber jenen, die die Seelen unter den Fluch des Gesetzes zurückführten und ihnen so die unermesslichen Segnungen raubten, die ihnen durch das ihm anvertraute Evangelium zuteilgeworden waren.
Er stellt vor den Herzen und Gewissen der Galater die Wahrheit wieder her, indem er ihnen die herrlichen Resultate des Werkes Christi in Erinnerung ruft, zur Befreiung und zum Segen derer, die es im Glauben aufnehmen. Das Teil der Gläubigen wird uns in diesem Brief unter vier Gesichtspunkten vorgestellt:
- Christus hat uns von unseren Sünden befreit, indem Er sich selbst für sie hingegeben hat (Gal 1,4). Befreit von der schweren Last unserer Schuld und der ewigen Verdammnis, haben wir Frieden mit Gott.
- Durch sein Werk am Kreuz hat Er uns «herausgenommen aus der gegenwärtigen bösen Welt» (Gal 1,4). Diesem Schauplatz der Knechtschaft, der Finsternis und des Todes entrissen, gehören wir nun einer neuen Schöpfung an, in der alles Friede, Licht, Freiheit und Heiligkeit ist.
- Das Kreuz Christi befreit uns von der Knechtschaft des Gesetzes (Gal 2,19-21). Statt unter dem Fluch eines übertretenen Gesetzes zu sein, geniessen wir nun die Freiheit, Gott in Neuheit des Lebens zu dienen.
- Das Kreuz befreit uns von uns selbst (Gal 5,16-18). Von der Herrschaft des Fleisches und seinen Begierden frei gemacht, besitzen wir jetzt den Heiligen Geist, die Kraft des göttlichen Lebens, der zur Verherrlichung Gottes Frucht hervorbringt und uns in einem Weg der Freude, der Liebe, der Heiligkeit und der Gemeinschaft mit Gott voranführt.
So haben wir also
- statt der Welt den Vater (Gal 1,4);
- statt des Gesetzes den Herrn Jesus Christus (Gal 2,20);
- und um vom Fleisch befreit zu sein, haben wir den Heiligen Geist (Gal 5,16-18).
Wie sollte der gottselige Apostel nicht entrüstet gewesen sein gegenüber denen, die den Seelen ein solches Evangelium zu rauben suchten?
Betrachten wir nun die vier wichtigen Wahrheiten, die wir soeben aufgezählt haben und die den Kern dieses Briefes bilden, etwas näher!
1. Befreit von der Sünde
Wie kostbar für uns, die Liebe dessen anzuschauen, der sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat! Ja, Er hat sich selbst für die Versammlung hingegeben (Eph 5,25)! Es begann damit, dass Er sich selbst zu nichts machte …, indem Er gehorsam wurde bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz (Phil 2,7-8). «Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden» (Jesaja 53,5). Damit der Segen auch zu den Nationen käme, die ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt waren, ist Er «ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: ‹Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!›)» (Gal 3,13). Dieses herrliche Teil:
- Der Friede,
- die Gunst Gottes,
- das Heil,
- das ewige Leben,
ist uns zum ungeheuren Preis seiner Leiden am Kreuz erworben worden. Lasst uns das heilige Opfer, das auf dem Fluchholz die Strafe unserer Sünden trug, viel betrachten! Dies ist das beste Mittel, um in unseren Seelen Buße und Selbstgericht hervorzubringen und uns von jedem Vertrauen in das Fleisch zu befreien, das die Galater verleitete, sich wieder unter ein Joch der Verordnungen zu beugen. Am Kreuz lernen wir die Liebe erkennen, die uns einen solchen Heiland gegeben hat. Da sehen wir auch die unendliche Heiligkeit, die Ihm die Schrecken des Gerichts nicht ersparen konnte, als Er den Platz der Schuldigen einnahm.
2. Aus der Welt herausgenommen
Es ist wichtig, auch über den zweiten Teil unserer Befreiung nachzusinnen: «Damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt». Der Ausdruck bedeutet: «Mit Kraft herausreissen». Zur Ehre Gottes und zu unserer ewigen Segnung war es wichtig, dass uns Jesus Christus aus der Welt, deren Fürst Satan ist, herausgenommen hat. Das war ebenso nötig wie die Sühnung unserer Sünden am Kreuz. Wir sind in Gefahr, diese Befreiung nicht in ihrem vollen Wert einzuschätzen und das Werk der Erlösung auf die Sühnung unserer Sünden zu beschränken. Aber sowohl im einen wie im anderen Fall war göttliche Macht nötig, um dies zu bewirken.
Der Ausdruck «gegenwärtige böse Welt» bezeichnet die Welt in ihrem sittlichen Wesen, als Schauplatz der Tätigkeit und der Macht des grossen Feindes, der «der Fürst der Welt» (Joh 12,31; 14,30) und «der Gott dieser Welt» (2. Kor 4,4) genannt wird. Ihm gehorchen alle jene, die ihm angehören, also «die Söhne des Ungehorsams, unter denen auch wir einst unseren Verkehr hatten» (Eph 2,1-3). In seiner Macht betrachtet, «ist er der Fürst der Gewalt der Luft» und im sittlichen Einfluss, den er über die gottfernen Menschen ausübt, ist er «der Gott dieser Welt». Die armen Sklaven Satans wandeln auf dem Weg, auf dem der Lügner und Menschenmörder sie führt, indem er ihnen alles das gewährt, was ihre Leidenschaften befriedigen kann, in einer durch «die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und den Hochmut des Lebens» (1. Joh 2,16) gekennzeichneten Welt. Durch die Wirksamkeit der göttlichen Macht in uns, wie auch aufgrund des Werkes Christi für uns, sind wir Gläubigen aber von dieser schrecklichen Knechtschaft befreit und in die neue Schöpfung eingeführt. In diesem Schauplatz des Lebens, des Lichts, der Freiheit und des Friedens spricht alles von Christus. Da ist alles in Harmonie mit den Gedanken Gottes und seinem Wesen. Der Mensch rühmt sich der Fortschritte der Wissenschaft und der Zivilisation, aber alle seine Tätigkeit entfaltet sich auf dem finsteren Schauplatz dieses gegenwärtigen Zeitlaufs, der Welt, «die in dem Bösen liegt» (1. Joh 5,19). Das Urteil Gottes über eine Welt, die seinen Sohn umgebracht hat, hat sich nicht geändert. Der Glaube stimmt mit Ihm überein und freut sich an der durch die Macht Gottes erwirkten Befreiung, in der Er uns aus der Finsternis herausgerissen und uns «versetzt hat in das Reich des Sohnes seiner Liebe» (Kol 1,13). Die Menschen sagen: «Friede und Sicherheit», und rühmen sich dabei der Zunahme ihrer Stärke, der Entwicklung der Wissenschaft und aller Zweige ihrer Tätigkeit. Aber wir wissen, dass, wenn sie sich am Gipfel ihrer Macht wähnen, «ein plötzliches Verderben über sie kommt» (1. Thes 5,3).
3. Befreit von der Knechtschaft des Gesetzes
Betrachten wir jetzt die dritte Seite unserer Befreiung, die sich auf die Autorität des Gesetzes und auf die Verdammnis bezieht, die es über den Übertreter ausspricht. Das Gesetz wendet den Urteilsspruch des göttlichen Gerichts auf die Seele an. «Als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf; ich aber starb» (Röm 7,9), d.h. das Gesetz hat offenbart, dass ich sittlich tot bin. Wie werde ich von diesem Tod befreit? Durch den Tod Christi, der unter dem Fluch des Gesetzes meinen Platz eingenommen hat. Das durch meinen Stellvertreter am Kreuz erduldete Gericht hat meiner Existenz als Mensch im Fleisch vor Gott ein Ende gemacht. Christi Tod hat mich auch von der Herrschaft des Gesetzes, die es über den im Fleisch lebenden Menschen ausübt, losgelöst. Diese Herrschaft hat für mich aufgehört, weil ich gestorben bin. Darum sagt Paulus: «Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe.» (Gal 2,19). Durch den Glauben bin ich mit Christus lebendig gemacht. Ich nehme an seinem Leben der Auferstehung teil, das mich in eine neue Beziehung zu Gott einführt, mir neue Herzensgegenstände, neue Zuneigungen und ein neues Ziel gibt. Dieses Leben hat seine Quelle und seinen Gegenstand in dem auferweckten Christus, den der Glaube in der Herrlichkeit des Himmels erblickt.
Wir können also sagen, dass uns das Kreuz von der Knechtschaft eines Gesetzes befreit, das, obwohl heilig, gerecht und gut (Röm 7,12) nur den Tod über uns aussprechen konnte, weil das Fleisch völlig unfähig war, seine Forderungen zu erfüllen. An seiner statt besitzen wir jetzt die gesegnete Freiheit eines Lebens, das den Sohn Gottes zur Quelle und zum Gegenstand hat (Gal 2,20) und seine Wonne darin findet, den Willen Gottes zu tun. Die Kraft dieses Lebens besteht in der Betrachtung der Person Christi, der es anzieht und bildet, so dass die Seele, die Ihn kennt, in Ihm ihr Vorbild und ihr Ziel findet.
4. Befreit von Herrschaft des Fleisches
Den vierten Gesichtspunkt unserer Befreiung finden wir in Kapitel 5: «Wandelt im Geist, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen» (V 16). Durch den Glauben an den für uns gestorbenen und auferstandenen Herrn haben wir den Heiligen Geist, die Kraft des göttlichen Lebens in uns. Statt von den Begierden des Fleisches geleitet zu werden, werden wir nun durch diesen göttlichen Bewohner geführt, der seine Wonne darin findet, uns mit Christus zu beschäftigen und uns die Herrlichkeiten seiner Person zu enthüllen. Das Fleisch ist immer in uns, aber wenn es gerichtet und praktisch an seinem Platz, also im Tod, gehalten wird, so kann der Geist in freier Weise seine Gegenwart in uns bezeugen und seine köstliche Frucht hervorbringen. Im Gegensatz zu den unfruchtbaren Werken der Finsternis, die sich aus der Tätigkeit des Fleisches ergeben, ist das Kind Gottes fortan gekennzeichnet durch «Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit» (Gal 5,22).
Die Welt, das Gesetz und das Fleisch, die den natürlichen Menschen beherrschen, haben also für den Gläubigen am Kreuz Christi ein Ende gefunden. Er hat uns in den herrlichen Bereich des Lebens, der Freiheit und des Lichts eingeführt, in dem wir
- den Vater statt der Welt,
- Christus statt des Gesetzes und
- den Heiligen Geist statt des Fleisches
besitzen. Lasst uns nun in dieser herrlichen Freiheit der Kinder Gottes feststehen und in der Kraft der Vorrechte wandeln, die in Christus Jesus unser Teil sind!