Die durchbohrten Hände und Füsse des Herrn Jesus

Psalm 22,17

Sie haben meine Hände und meine Füsse durchgraben (Psalm 22,17).

Mit gebührendem Respekt und angemessenen Empfindungen möchten wir über die Tatsache nachdenken, dass die Hände und Füsse des Herrn Jesus durchgraben wurden. Das geschah, als Er am Kreuz hing, um das Werk zu vollbringen, das die Grundlage zur Ausführung der göttlichen Pläne und das Fundament unserer ewigen Errettung bildet.

Prophetische Aussagen in den Psalmen

Das Buch der Psalmen schildert uns die meisten Einzelheiten über die inneren Empfindungen des Herrn Jesus in seinen Leiden. Die Evangelien sind in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend. Sie beschreiben mehr die äusseren, sichtbaren Leiden, die Jesus während seines Lebens auf der Erde vonseiten der Menschen erduldet hat.

Psalm 22 ist einzigartig in der Beschreibung dessen, was der Mann der Schmerzen in seiner Seele und in seinem Geist während den Stunden am Kreuz empfunden hat. Der Schreiber David hat das, was er in diesem Psalm ausdrückt, nicht direkt und persönlich erlebt und empfunden. Unter der Leitung des Heiligen Geistes weist er im Voraus auf die «Leiden, die auf Christus kommen sollten» und auf die «Herrlichkeiten danach» hin (1. Pet 1,11).

Die Verse 2 bis 16 nehmen vor allem auf die Leiden des Erlösers Bezug, die Er von der sechsten bis zur neunten Stunde erduldete, als eine Finsternis über das ganze Land kam, als Er unsere Sünden sühnte und zur Sünde gemacht wurde (Mk 15,33.34). Die Verse 17 bis 22 betreffen besonders die Zeit von der dritten bis zur sechsten Stunde, als Er von den römischen Soldaten gekreuzigt und von der Volksmenge sowie den Führern des jüdischen Volkes verhöhnt wurde (Mk 15,25-32).

In Vers 17 lesen wir: «Sie haben meine Hände und meine Füsse durchgraben.» Dieser Satz bezieht sich direkt auf die Qual der Kreuzigung, die unserem Herrn vonseiten sündiger, gefallener Menschen zugefügt wurde. Ihr Hass erreichte damit ihren Höhenpunkt. Bei dieser Aussage handelt es sich nicht um ein Wort, das Jesus am Kreuz mit lauter Stimme öffentlich aussprach, wie die sieben Worte, die uns in den Evangelien mitgeteilt werden. Dieser Satz offenbart vielmehr, wie schmerzlich der Heiland es empfand, dass durch diese Qualen die Würde seines Körpers angetastet wurde.

Der Sohn Gottes musste Mensch werden

In Johannes 1,1 heisst es: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.» Der Sohn war von Ewigkeit her Gott wie der Vater und eine eigene Person in der Gottheit. Als Gott, der ein Geist ist, hätte Er die Kreuzigung nicht erleben können.

Damit seine Hände und seine Füsse durchgraben werden konnten, war es notwendig, dass Er durch Geburt wirklicher Mensch wurde und dass seinen Kennzeichen und Herrlichkeiten als Sohn Gottes die Kennzeichen und Herrlichkeiten des Sohnes des Menschen hinzugefügt wurden.

Die Offenbarung Gottes durch die Menschwerdung des Sohnes ist das grosse Geheimnis der Gottseligkeit (1. Tim 3,16). Gott kündigte es unmittelbar nach dem Sündenfall von Adam und Eva an, als Er das Urteil über die Schlange fällte und bezeugte, dass der Nachkomme der Frau der Schlange den Kopf zermalmen würde (1. Mo 3,15). Er sagte klar: «der Same der Frau.» Diese Ausdrucksweise deutet das an, was erst im Neuen Testament offenbart werden konnte: Christus ist von einer Frau geboren, aber vom Heiligen Geist gezeugt worden (Gal 4,4; Lk 1,35).

Der Sohn Gottes kam als Mensch auf die Erde und machte sich selbst zu nichts (Phil 2,7.8):

  • Er hat Knechtsgestalt angenommen, d.h. die menschliche Stellung in seiner niedrigsten Form.
  • Er ist in Gleichheit der Menschen geworden, d.h. Er hat eine menschliche Natur angenommen, um Mensch unter Menschen zu sein, jedoch ohne die sündige Natur zu haben.
  • Er ist in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden worden, d.h. Er hat an der menschlichen Begrenzung von Zeit und Raum teilgenommen.
  • Dieser Erniedrigung hat Er noch seinen Gehorsam hinzugefügt, der Ihn zum Tod am Kreuz führte, dorthin, wo seine Hände und seine Füsse durchgraben wurden.

An das Kreuz genagelt

Mit der Kreuzigung hat der natürliche, sündige Mensch Dem eine Qual zugefügt, der von Gott zu ihm gekommen war, um ihm die Gnade und die Wahrheit zu bringen. Diese Tat besiegelt, dass der Mensch, der im Fleisch ist und unter der Macht Satans steht, den Retter vollständig ablehnt.

Die Kreuzigung des Herrn Jesus wird von allen vier Evangelien beschrieben (Mt 27,35; Mk 15,24.25; Lk 23,33; Joh 19,17.18). Die Hohenpriester und die Führer der Juden wiegelten das jüdische Volk auf. Zusammen forderten sie ausdrücklich dieses schreckliche Todesurteil von Pilatus, und die römischen Soldaten führten es aus. Bei diesem Verbrechen, das in der ganzen Menschheitsgeschichte nichts Gleichwertiges findet, vereinten sich Herodes und Pontius Pilatus mit den Nationen und dem Volk Israel gegen den heiligen Knecht Gottes (Apg 4,27).

Nach dem Gesetz vom Sinai sollte jeder, der eine Sünde begangen hatte, die mit dem Tod bestraft wurde, gesteinigt werden (3. Mo 24,14-16). Jesus wurde jedoch gemäss der römischen Praxis gekreuzigt. Das war eine Todesstrafe, die in jener Zeit allgemein an Sklaven und Mördern vollzogen wurde. Sie bestand darin, dass man den Verurteilten an Händen und Füssen an ein senkrecht stehendes Holz mit einem Querbalken nagelte. Die Kreuzesqual sollte nach Stunden entsetzlichster Schmerzen zum Tod des Verurteilten führen. Doch beim Herrn Jesus führte nicht die Kreuzigung zu seinem Tod, denn Er gab sein Leben nach dem Erdulden der Kreuzesleiden selbst in den Tod (Mt 27,50; Mk 15,37; Lk 23,46; Joh 10,18; 19,30).

Gleichzeitig mit den körperlichen Leiden, die der Herr erduldete, als Er am Kreuz hing, musste Er auch einer überaus schrecklichen Wirklichkeit begegnen: Er wurde ein Fluch Gottes, denn es heisst: «Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!» (Gal 3,13). Uns fehlen die Worte, wenn uns bewusst wird, dass Er ein Fluch werden musste, damit wir durch den Glauben den Heiligen Geist empfangen und in Christus mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet werden konnten (Gal 3,14; Eph 1,3).

Nach seiner Auferstehung

Der Herr Jesus wurde am dritten Tag durch die Herrlichkeit des Vaters aus den Toten auferweckt (Röm 6,4) und mit einem Auferstehungsleib bekleidet. Jetzt trägt Er für ewig den Leib der Herrlichkeit, mit dem Er zur Rechten Gottes sitzt. Es handelt sich um einen Leib, der nicht mehr den zeitlichen Begrenzungen unterstellt ist, für den eine Mauer kein physisches Hindernis darstellt und der nicht nötig hat zu essen, um überleben zu können. Dieser verherrlichte Leib trägt und bewahrt indessen die unfehlbaren Zeichen seiner Leiden und seines Todes: die durchbohrten Hände und Füsse sowie die durchstochene Seite.

Als Er sich seinen Jüngern als der auferstandene Sohn des Menschen offenbarte, spielten seine Hände und Füsse eine entscheidende Rolle. Er erschien am Abend nach seiner Auferstehung in der Mitte seiner zehn Jünger – Judas hatte sich erhängt und Thomas war aus einem Grund abwesend, über den die Bibel schweigt. Da zeigte Er ihnen als unwiderlegbares Zeichen seiner Kreuzigung seine Hände und seine Seite. Er tat es, um jede Furcht auszuräumen und sie trotz ihrer Unwissenheit und ihres Unglaubens davon zu überzeugen, dass Er selbst, ihr Herr, vor ihnen stand (Lk 24,38-40; Joh 20,19.20). Ein derartiger Beweis erzeugte in den Jüngern eine vollständige Änderung der Empfindungen: Die Furcht machte dem Frieden Platz und ihre Traurigkeit verwandelte sich in Freude.

Thomas, der bei dieser Gelegenheit fehlte, glaubte nicht, als ihm die Jünger erzählten: «Wir haben den Herrn gesehen.» Er bestimmte selbst den einzigen Beweis, der ihn von der Auferstehung seines Meisters überzeugen sollte: «Wenn ich nicht in seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meinen Finger in das Mal der Nägel lege und meine Hand in seine Seite lege, so werde ich nicht glauben» (Joh 20,25). Das Verhalten des Herrn Jesus angesichts einer solchen Einstellung ist bewundernswert. In seiner Güte ging Er auf die Forderungen seines Jüngers ein. Acht Tage später, als Er sich erneut den versammelten Jüngern offenbarte, forderte Er Thomas auf: «Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite!» (Joh 20,27). Wir wissen nicht, ob Thomas dies wirklich getan hat. Was wir aber mit Bestimmtheit wissen, ist seine volle Überzeugung, die er ohne Zurückhaltung äusserte: «Mein Herr und mein Gott!» (Joh 20,28).

Diese beiden Szenen erinnern uns daran, dass auch wir oft ungläubig reagieren. Der Glaube ist nicht ein Sprung ins Ungewisse, sondern ein Sprung zu einer gekannten und geliebten Person, auch wenn sie unsichtbar ist. Der Glaube verbindet uns mit Dem, der sich für uns hat kreuzigen lassen, der für uns gestorben und auferstanden ist.

Bei seiner Erscheinung in Herrlichkeit

In einer zukünftigen Zeit – nach der Entrückung der Versammlung, und zwar am Ende der Drangsalszeit – werden die Nationen Jerusalem belagern und Krieg gegen den treuen Überrest aus Israel führen. Dann wird der Herr mit seinen himmlischen Kriegsheeren in Macht und Herrlichkeit auf der Erde erscheinen. Er wird die feindlichen Heere vertilgen und die bedrängten Gläubigen in Jerusalem befreien. Bei dieser Erscheinung wird Christus von allen gesehen werden. Was jedoch die Aufmerksamkeit der Menschen aus Israel auf sich ziehen wird, werden gerade die Wunden in seinen Händen sein, womit Er geschlagen worden ist im Haus derer, die Ihn lieben (Off 1,7; Sach 12,10; 13,6).

Die durchbohrten Hände des Herrn Jesus werden dem gläubigen Überrest ins Bewusstsein bringen, was für ein schreckliches Verbrechen die jüdische Nation begangen hat, als sie ihren Messias gekreuzigt hat. Diese Erkenntnis wird bei jedem von ihnen tiefe Betrübnis hervorrufen, die sie zur persönlichen Buße und zum Bekenntnis leiten wird. Sie werden endlich den Erben des Thrones Davids erkennen, dessen Kreuz einst die Aufschrift trug: «Jesus, der Nazaräer, der König der Juden» (Joh 19,19).

Es ist auffällig, wie die Wehklage beschrieben wird, die der Geist der Gnade in den Gläubigen des Überrests auslösen wird: «Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen gleich der Wehklage über den einzigen Sohn und bitterlich über ihn Leid tragen, wie man bitterlich über den Erstgeborenen Leid trägt» (Sach 12,10). Daraus entnehmen wir, dass sie in Christus, den sie einst gekreuzigt haben, den geliebten Sohn des Vaters und den Erstgeborenen der ganzen Schöpfung erkennen werden.

Im Haus des Vaters

Das Wort Gottes teilt uns nur wenig über das mit, was uns in der ewigen und himmlischen Herrlichkeit erwartet, in die uns der Herr nach seinem Wiederkommen einführen wird. Es ist eine Herrlichkeit, die im ewigen Zustand ihre Fortsetzung findet, wenn es neue Himmel und eine neue Erde geben wird.

Doch wir wissen, dass dann unsere Aufmerksamkeit und unsere Zuneigung vollständig auf unseren Herrn Jesus ausgerichtet sein werden. Wir werden einen verherrlichten Körper haben, der dem Leib der Herrlichkeit unseres Herrn gleichförmig sein wird (Phil 3,21). Wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist (1. Joh 3,2). Daraus können wir schliessen, dass wir seine durchbohrten Hände und Füsse sehen werden – ein ewig gültiger Beweis seiner Leiden, die Er für uns erduldet hat. Diese Wundmale werden uns immer daran erinnern, dass Er uns geliebt und am Kreuz sein Leben für uns gegeben hat, um uns ewiges Leben zu erwerben.

  • Mitten in dem Throne
    sehn die Deinen Dich.
    Deine Siegerkrone
    schmückt Dich ewiglich.
    Die durchgrabnen Hände
    künden Kreuzesnot:
    Liebe ohne Ende
    trieb Dich in den Tod.