Ein vortrefflicher Weg

1. Korinther 13

Der Apostel Paulus schreibt den Korinthern einen langen Brief. Darin beantwortet er ihre Fragen und korrigiert mehrere Abweichungen, die es in dieser Versammlung gab. Er tut es auf eine gnädige Weise, ohne jedoch einen Kompromiss einzugehen. In den Kapiteln 12 bis 14 befasst er sich besonders mit den Wirkungen des Heiligen Geistes durch die Gnadengaben. Die Christen in Korinth wünschten sich sehnlichst geistliche Gaben. Doch sie massen einigen Gaben zu viel Bedeutung zu, während sie andere herabsetzten.

Man könnte nur die Kapitel 12 und 14 hintereinander lesen, ohne zu merken, dass etwas in der Entwicklung des Themas fehlt. Aber dann würde die Aussage in Kapitel 12,31 rätselhaft bleiben: «Einen noch weit vortrefflicheren Weg zeige ich euch.» In Kapitel 13 öffnet Gott vor den Augen der Korinther einen Weg, an den sie nicht dachten und der ihnen eine unerwartete Lösung für ihre Schwierigkeiten gab. Damit es in der Versammlung zur Erbauung kommt und unsere Anwesenheit dort dem Guten dient, ist es unerlässlich, dass wir von der Liebe motiviert und geleitet werden.

Wenn ich nicht Liebe habe, bin ich nichts (V. 1-3)

Der Apostel stellt zuerst eine wichtige Tatsache vor: Wenn die geistlichen Gaben ohne Liebe ausgeübt werden, kann das zwar sehr spektakulär und eindrucksvoll sein, aber es wird keine Frucht hervorgebracht. Das Ergebnis ist nur Lärm und Wind.

Die Weissagung ist eine Gabe, nach der wir vor allem streben sollen, weil sie Erbauung, Ermahnung und Tröstung bewirkt (1. Kor 14,3). Dennoch gilt: Diese Gabe kann sich noch so aussergewöhnlich äussern, wenn sie nicht mit Liebe ausgeübt wird, ist sie wertlos.

Wenn meine Hingabe an den Herrn und die Seinen grenzenlos wäre, wenn ich in meinem Eifer bereit wäre, auf den Scheiterhaufen zu steigen, aber mein Motiv nicht die Liebe ist, wäre es bedeutungslos. Es würde keinen Nutzen bringen.

Unsere Handlungen und die sichtbaren Ergebnisse davon sind nicht das Wichtigste. Es kommt vor allem auf das an, was mich antreibt, etwas zu tun. Wenn es nicht die Liebe ist, ist alles nutzlos.

Was die Liebe ist und was sie nicht ist (V. 4-8)

Die Beschreibung der tätigen Liebe wird in Vers 5 zusammengefasst: Sie sucht nicht das Ihre. Das Fleisch in uns sucht immer den eigenen Vorteil, auch bei der Ausübung der Gaben, die Gott uns anvertraut hat. Die Liebe, die hier beschrieben wird, lässt sich also nicht durch fleischliche Anstrengungen erreichen. Der Herr Jesus allein hat alle diese herrlichen Merkmale der Liebe vollkommen ausgelebt. Nur sein Leben in uns kann sie hervorbringen: «Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist» (Röm 5,5).

Die Liebe ist langmütig und gütig

Die Liebe zeigt in allen Situationen viel Geduld und ist anderen gegenüber gütig. Diese beiden positiven Merkmale der Liebe sind Eigenschaften Gottes. Wie oft handelt Er uns gegenüber nicht nach dem, was wir verdienen, sondern vergibt uns und zeigt uns seine Güte. Er ist auch mit den Menschen langmütig, die Ihn ablehnen (2. Pet 3,9). Besonders in der Gnadenzeit, in der wir leben, möchte Gott, dass diese Wesenszüge bei seinen Kindern gesehen werden. Langmut und Güte sollen wir auch denen erweisen, die ihrer nicht würdig sind und uns Leiden zufügen. Ein solches Verhalten ist nur möglich, weil die Liebe handelt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Sie ist nicht eine menschliche, sondern eine göttliche Liebe. Sie hat ihre Quelle in der göttlichen Natur, die in uns ist.

Die Liebe neidet nicht

Die nun folgenden Eigenschaften werden in negativer Form ausgedrückt, weil die Früchte der Liebe im Gegensatz zu dem stehen, was der natürliche Mensch so häufig hervorbringt. Der Neidische begehrt das, was der andere besitzt und er selbst nicht hat. Das kann sein Geld, sein Erfolg, seine Begabung in dem einen oder anderen Bereich und sogar seine geistliche Gnadengabe sein (1. Kor 12,15.16). Die Liebe ist nicht neidisch. Sie freut sich über das, was andere besitzen, ohne es für sich selbst zu wünschen. Sie ist zufrieden mit dem, was sie hat. Sie dankt Gott für die eigene Situation und wünscht sich keine andere.

Die Liebe tut nicht gross

Gross tun oder prahlen bedeutet, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Zuerst ich, dann die anderen. Das ist das genaue Gegenteil von der Liebe, die sagt: zuerst die anderen, dann ich. Der Neidische versucht, sich auf die Höhe des anderen zu erheben, während der Prahler sich überlegen findet und versucht, seine eigene Bedeutung zu steigern. Die Liebe prahlt nicht, sondern ist demütig. Sie schätzt den Bruder oder die Schwester höher ein als sich selbst und hat kein Problem damit.

Der Herr legte von Johannes dem Täufer das Zeugnis ab: «Er ist Elia» (Mt 11,14). Doch als die Juden Johannes fragten: «Bist du Elia?», antwortete er ihnen: «Ich bin es nicht» (Joh 1,21).

Die Liebe bläht sich nicht auf

Prahlerei zeigt sich in der Öffentlichkeit, Stolz kann auch verborgen sein. Hochmut ist die Quelle aller Sünden. Als Satan Eva zur Sünde verleiten wollte, sagte er: «Ihr werdet sein wie Gott.» Zuvor hatte der Teufel selbst seinen Platz verlassen und sich stolz gegen Gott erhoben (Hes 28,2.6.17). Der Apostel sagte den Christen in Korinth: «Ihr seid aufgebläht» (1. Kor 5,2). Sie mussten die Lektion der Liebe noch lernen. In der Versammlung äussert sich Stolz und Hochmut oft in Streit und Zank (Spr 13,10). Die Liebe des Herrn Jesus zeigte sich insbesondere in der Demut. Er war sanftmütig und von Herzen demütig.

Die Liebe gebärdet sich nicht unanständig

Unanständig sein bedeutet, dass man sich ungeniert, unpassend, frech oder sogar anstössig verhält. Wer sich unanständig benimmt, erweckt dabei den Anschein, von allen lästigen Zwängen befreit zu sein. Doch in Wirklichkeit fehlt es ihm an Rücksichtnahme auf andere. Er kümmert sich nicht darum, wie andere sich fühlen. Ein unanständiges Benehmen zeugt auch vom Wunsch, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Die innere Nähe zwischen Gläubigen und die Tatsache, dass wir zur gleichen Familie gehören, gibt uns kein Recht, uns unanständig zu verhalten. Die Liebe handelt nicht so.

Die Liebe sucht nicht das Ihre

Der Mensch, der ohne Gott lebt, macht sich selbst zum Mittelpunkt seiner Existenz und seiner Gedanken. Er gibt sich hemmungslos seinen Wünschen hin und sucht den eigenen Vorteil. Er liebt sich selbst. Der Gläubige hingegen findet für sein Interesse einen Mittelpunkt ausserhalb von sich selbst – zunächst in Gott, dann in seinen Brüdern und Schwestern. Schliesslich liebt er als Nachahmer Gottes auch jene, die die Gnade und die Errettung noch nicht kennen. Er ist selbstlos und sieht nicht auf das Seine, sondern auch auf das der anderen.

Der Herr Jesus achtete es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist (Phil 2,5-7). Er suchte nicht seinen eigenen Vorteil, als Er den Kelch der Leiden und des Sühnungstodes vor sich hatte, den der Vater Ihm geben wollte. Darum sagte Er: «Wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille» (Mt 26,42).

Auch vor den Feinden, die Ihn festnehmen wollten, dachte Er nicht an sich: «Wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen!» (Joh 18,8). «Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben hingegeben hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben» (1. Joh 3,16).

Die Liebe lässt sich nicht erbittern

Wir werden bitter oder ärgerlich, wenn unsere Rechte nicht respektiert werden oder unsere Ehre verletzt wird. Manchmal bilden wir uns nur ein, dass es so ist. Eine Erbitterung kann zum Zorn führen. Verärgerung oder Zorn ist eine grosse Gefahr im Volk Gottes und muss schnell abgelegt werden (Eph 4,26; Kol 3,8), sonst führt es zu einem Zustand der Entfremdung und des Grolls. Die Liebe wird nicht bitter oder zornig, sie zeigt die Sanftmut des Herrn Jesus, der nicht auf seinen Rechten beharrte. In einem Fall wurde Er zornig (Mk 3,5). Aber da ging es nicht um seine Rechte, sondern um die Rechte Gottes, die missachtet wurden; darum war es ein heiliger Zorn. Zugleich war Er der sanftmütige Mensch, «der, gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte» (1. Pet 2,23).

Die Liebe rechnet das Böse nicht zu

Die Liebe vermutet nicht etwas Böses, wo es sich nicht offenbart. Sie unterstellt den Handlungen der Brüder und Schwestern keine bösen Absichten. Die Liebe befreit von der menschlichen Neigung, immer das Böse anzunehmen. Sie ist im Blick auf das Böse einfältig (Röm 16,19). Das Verb «zurechnen» bezieht sich auf die Führung einer Buchhaltung. Der Gläubige führt nicht Buch über all das Unrecht, das ihm angetan worden ist. Er handelt nicht wie der böse Knecht, dem eine riesige Schuld erlassen worden war und der seinen Mitknecht würgte, der ihm eine vergleichsweise kleine Summe schuldete. Am Kreuz, als die Schuld seines Volkes erwiesen war, betete der Herr: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!» (Lk 23,34). Stephanus bat einige Zeit später: «Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!» (Apg 7,60). Auch der Apostel Paulus, der ein Nachahmer seines Herrn war, erklärte: «Es werde ihnen nicht zugerechnet» (2. Tim 4,16).

Die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sondern mit der Wahrheit

Die Liebe findet keine boshafte Freude am Negativen, an den Sünden und an den Fehlern der anderen. Stattdessen freut sie sich mit dem, was wahr und rein ist. Davon sollen unsere Gedanken genährt werden. Fast in allen seinen Briefen freut sich der Apostel Paulus am Guten, das Gott in den Gläubigen hervorgebracht hat. Das hebt er lobend hervor. Sind wir eher geneigt, über die Fehler und Versäumnisse unserer Glaubensgeschwister zu sprechen? Oder heben wir das Gute hervor, das der Herr in ihrem Leben bewirkt? Die Antwort auf diese Fragen offenbart, in welchem Mass die göttliche Liebe in uns wirksam ist. Allerdings geht die Liebe keine Kompromisse mit der Wahrheit ein. Wir handeln in Liebe, wenn wir uns mit einer demütigen und gnädigen Gesinnung gegenseitig auf das aufmerksam machen, was korrigiert werden muss. Die Liebe freut sich mit der Wahrheit.

Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles

Die Liebe verschliesst ihre Augen nicht vor dem Bösen und unterschätzt nicht, wie schlimm das Böse für Gott ist. Aber sie erträgt alles oder deckt alles zu, und zwar in dem Sinn, dass sie die Verfehlungen anderer nicht unnötig offenlegt. Die Liebe glaubt an das Gute, auch wenn sie es nicht sieht. Zugleich erträgt sie das Böse, selbst wenn sie es sieht.

Die Liebe glaubt alles. Sie ist nicht argwöhnisch, sondern zeigt Vertrauen. Sie zweifelt nicht an den Aussagen derer, die sie liebt. In diesem Punkt haben Hiobs Freunde sehr wenig Liebe gezeigt. Dieses Vertrauen kann auch in der Versammlung fehlen, sogar unter denen, die sich dort schon lange kennen.

Die Liebe hofft alles. Sie blickt vertrauensvoll vorwärts und rechnet mit der Gnade im Blick auf die Situationen derer, die sie umgeben. Selbst in den schwierigsten Umständen hofft die Liebe, dass Gott am Ende Gutes hervorbringen wird. Solange seine Gnade wirkt, ist die Verirrung eines Menschen oder eines Gläubigen nie endgültig (Lk 15).

Die Liebe erduldet alles. Sie geht durch mühsame und schwierige Situationen hindurch, und zwar mit Ausdauer und ohne lockerzulassen. Der Herr hat aus Liebe zu uns das Kreuz «erduldet» (Heb 12,2). Der Apostel Paulus sagte: «Ich erdulde alles um der Auserwählten willen» (2. Tim 2,10).

Die Liebe vergeht niemals

Die Liebe vergeht nie, weil sie das Wesen Gottes ist: «Gott ist Liebe» (1. Joh 4,8). Der Gläubige ist «aus Gott geboren» und besitzt deshalb das göttliche Leben. Durch die Liebe kann er auf greifbare Weise etwas von Gottes Wesen zeigen. Die geistlichen Gaben werden ein Ende finden, der Glaube und die Hoffnung auch, aber die Liebe wird ewig bestehen bleiben.

Einen vortrefflicheren Weg zeige ich euch

Zu Beginn dieses Briefs stellt der Apostel fest, dass die Christen in Korinth noch fleischlich gesinnt waren. Deshalb gab es unter ihnen Parteiungen, Streitigkeiten und eine menschliche Weisheit, die den Menschen in den Vordergrund stellt. In ihren Zusammenkünften hatten sie keinen geistlichen Nutzen (1. Kor 11,17). Sie strebten nach Gnadengaben – aber eher, um sich selbst zu erhöhen, als um andere zu erbauen.

Gott zeigt ihnen und uns den viel vorzüglicheren Weg der Liebe. Wenn wir diesen Weg persönlich und gemeinsam beschreiten, lösen sich viele Probleme. Das Fleisch wird beiseitegeschoben und das göttliche Leben zeigt sich durch die Merkmale der Liebe des Herrn Jesus. Man ist nicht mehr auf den eigenen Vorteil bedacht, sondern auf den Nutzen der anderen. Dann kommt es zur Erbauung und zum Segen in der Versammlung.

Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat (Eph 5,1.2).