Das Geheimnis der Kraft

Der Weg des Glaubens war noch nie einfach. Sowohl in früheren als auch in der gegenwärtigen Heilszeit hat es Mut und Energie erfordert, um glaubensvoll vorwärtszugehen. Natürliche Kraft nützt nichts, denn «Jünglinge ermüden und ermatten, und junge Männer fallen hin; aber die auf den HERRN harren, gewinnen neue Kraft»(Jes 40,30.31).

Ein Wettlauf

Wenn wir über das Thema Kraft und Energie nachdenken, wollen wir vor allem auf den Herrn Jesus blicken. Er ist uns auch darin ein Vorbild. In Hebräer 12,1-3 ist von einem «Wettlauf» die Rede. Es ist der christliche Wettlauf. Doch das Wort «Wettlauf» drückt den wahren Charakter der Sache zu wenig aus. An anderen Stellen wird dieses Wort mit «Kampf» übersetzt. In 2. Timotheus 4,7 sagt Paulus: «Ich habe den guten Kampf gekämpft.» In Thessalonich hat er das Evangelium «unter grossem Kampf» zu den Menschen geredet (1. Thes 2,2). Als der Herr Jesus im Garten Gethsemane betete, war Er «in ringendem Kampf» (Lk 22,44). Von Epaphras lesen wir, dass er «allezeit für euch ringt in den Gebeten» (Kol 4,12). Es ist daher verständlich, dass jeder, der sich auf diesen «Wettlauf» oder «Kampf» einlässt, sich darauf vorbereiten muss. Zuerst gilt es, jede Bürde abzulegen. Es geht nicht darum, den Trainingsanzug anzuziehen, sondern sich auf ein geistliches Training einzulassen. Wir sollen uns mit dem Sinn wappnen, lieber zu leiden als zu sündigen (1. Pet 4,1).

Auf Jesus blicken

Die Sünde im Hebräer-Brief ist in erster Linie der Unglaube. Leider müssen wir feststellen, dass uns allzu oft der Unglaube kennzeichnet, anstatt die «volle Gewissheit des Glaubens» (Heb 10,22). Lasst uns vor allem «auf Jesus» hinschauen. Wie wichtig ist das für unser tägliches Leben! Es bedeutet, dass wir mit bestimmter Absicht und festem Willen unsere Augen von allem und von jedem anderen abwenden und voll auf «Jesus» richten.

Auch hier ist Sorgfalt geboten. Der Geist Gottes ist bemerkenswert genau, bis ins kleinste Detail. Das Wort «Jesus» kommt im Neuen Testament etwa 900 Mal vor. In den Evangelien wird dieser Name etwa 550 Mal erwähnt. Aber ganz selten kommt dort der vollständige Titel «Herr Jesus» vor. Ein Beispiel dafür ist Lukas 24,3: «Als sie hineingingen, fanden sie den Leib des Herrn Jesus nicht.» Wenn wir uns der Apostelgeschichte und den Briefen zuwenden, finden wir den Namen «Jesus» etwa 350 Mal, wobei er nur an wenigen Stellen allein dasteht. «Jesus» ist der Name, der unseren Herrn als einfachen und demütigen Menschen zeigt. Im Hebräer-Brief kommt «Jesus» ohne Zusatz etwa zehnmal vor. Dazu gehört auch Kapitel 12,2.

Der Anfänger und Vollender

Wir blicken hier also auf den Menschen Jesus, der der Anfänger (oder Urheber) und Vollender des Glaubens ist. Doch der Heilige Geist achtet darauf, dass die einzigartige, unverwechselbare Herrlichkeit unseres Herrn aufrechterhalten wird. Im Griechischen kommt der Begriff «Urheber» nur viermal vor (Apg 3,15; 5,31; Heb 2,10; 12,2). Dieses Wort kann auch mit «Führer» oder «Anfänger» übersetzt werden. In unserer Stelle ist Jesus der Urheber, weil Er die Sache in Gang gesetzt hat. Aber Er ist auch der Vollender, was nur auf Ihn zutrifft. Er ist der Einzige, der bis jetzt den Glaubenslauf vollendet und das Ziel erreicht hat!

Das stellt für uns, die Glaubenden, keine Schwierigkeit dar. So wunderbar es auch ist, «abzuscheiden und bei Christus zu sein» (Phil 1,23) oder «ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei dem Herrn zu sein»(2. Kor 5,8) – die entschlafenen Heiligen sind immer noch in einem entkleideten Zustand (2. Kor 5,4). Der Herr Jesus ist der Einzige, der bereits den Leib der Herrlichkeit hat. Aber Er selbst ist die Sicherheit, dass auch unser Körper seinem Leib der Herrlichkeit gleichförmig gemacht werden wird – sei es durch Auferstehung oder durch Verwandlung (1. Kor 15,51-53). Jesus ist der Anfänger und der Vollender des Glaubens, der «sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes». Als solcher ist Er unser Vorbild, denn wir werden seine Herrlichkeit teilen.

Freude als Kraftquelle

Vielleicht fragen wir uns, woher wir die Kraft für den Wettlauf bekommen. Da hilft uns ein kleiner Hinweis aus dem Alten Testament. Die Philisterin Delila hätte gern gewusst, warum der Richter Simson so stark war. Um dieses Geheimnis zu erfahren, fragte sie ihn: «Tu mir doch kund, worin deine grosse Stärke besteht» (Ri 16,6). Die gleiche Frage dürfen wir unserem Herrn stellen: Worin liegt das Geheimnis deiner Kraft? Die Antwort ist schnell gegeben: Er ging seinen Weg immer im Bewusstsein, dass die Freude am HERRN seine Stärke war (Neh 8,10). Wenn wir uns fragen, worin diese Freude bestand, erkennen wir mindestens drei Elemente:

  1. Der Herr Jesus freute sich darauf, dorthin zurückzukehren, von woher Er gekommen war. Auf wunderbare Weise gibt Er dies den Seinen zu verstehen: «Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe»(Joh 14,28).
  2. Jesus Christus kannte die Freude, das Werk zu vollbringen, das der Vater Ihm aufgetragen hatte. Es bildet die Grundlage für allen Segen, bis hin zum neuen Himmel und zur neuen Erde (Off 21,1).
  3. Der Herr besass die Freude, die Versammlung für sein eigenes Herz zu gewinnen. Sie ist die eine sehr kostbare Perle, für die Er alles verkaufte, ja, sich selbst hingab, um sie für sich zu erwerben (Mt 13,45.46; Eph 5,25).

Diese Freude ist das erste Geheimnis der Kraft, die der Herr Jesus auf seinem Weg hatte. In dieser Kraft konnte Er

  • den Widerspruch der Sünder gegen sich ertragen,
  • die Schande des Kreuzes erdulden,
  • dem Teufel, dem Feind unserer Seelen, entgegentreten und ihn überwinden sowie
  • das volle Gewicht des heiligen Gerichts Gottes über die Sünde tragen.

Den Lebensweg von Gott annehmen

Das zweite Geheimnis seiner Kraft lag darin, dass der Herr Jesus seinen Weg als Mensch von Gott annahm. Er liess sich einen Leib bereiten (Heb 10,5), denn Er musste leiden und die Schriften mussten erfüllt werden. Jesus Christus wurde geboren, um zu sterben. Das war der Plan seines Gottes und Vaters, den Er von Anfang an kannte. So erklärte Er seinen Eltern Joseph und Maria: «Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?» (Lk 2,49). Später erklärte Er im Blick auf die Jünger, dass «der Bräutigam von ihnen weggenommen» werden wird (Lk 5,35). Mit den Worten «Lasst uns von hier weggehen!» machte Er sich auf den Weg zum Kreuz (Joh 14,31).

Empfand der Heiland, wie schwer dies für Ihn war? Zweifellos! «Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen» (Joh 12,27.28). Wunderbare Worte! In Gethsemane betete Jesus: «Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!» (Lk 22,42).

Das gibt Kraft und führt immer zum Sieg – wenn wir bereitwillig den Weg annehmen, den Gott in seiner ewigen Liebe und Weisheit für uns bestimmt hat. Der Herr Jesus hat es uns in seinem Leben gezeigt.

Das Beispiel von Abraham

Nun wollen wir zwei Zeugen betrachten, einen aus dem Alten und einen aus dem Neuen Testament, die uns genau die gleiche Geschichte erzählen. Der erste ist Abraham, der Vater der Glaubenden. Ihm ist der Gott der Herrlichkeit erschienen (Apg 7,2). Wir können nicht genau sagen, wie Gott sich ihm zeigte. Aber Abraham erhielt bedingungslose Verheissungen, die an seine Person geknüpft waren. Gott wollte ihm eine Nachkommenschaft geben, die wie die Sterne des Himmels – die himmlischen Gläubigen – und wie der Sand am Ufer des Meeres – die irdischen Gläubigen – sein würde. In Hebräer 11,10 lesen wir von Abraham: «Er erwartete die Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.» Das war die Freude, die vor ihm lag.

Welchen Weg hatte Gott für Abraham bestimmt? «Er zog aus, ohne zu wissen, wohin er komme» (Heb 11,8). Das ist der Weg des Glaubens, den Abraham für sich annahm und dann ging. Sein Pfad war durch dreierlei gekennzeichnet:

  1. Abraham wohnte in Zelten, denn er war ein Fremder und ein Pilger auf der Erde.
  2. Abraham hatte einen Altar, denn er war ein Anbeter, der Gott Opfer darbrachte.
  3. Abraham grub Brunnen, um auf seinem Weg die Erfrischung des Wassers zu geniessen.

Als Gläubige sind wir wahre Kinder Abrahams und kennen im übertragenen Sinn ebenfalls diese drei Elemente auf dem Glaubensweg. Gott kann uns die Gnade schenken, in die Fussstapfen Abrahams zu treten und seinen Glauben nachzuahmen.

Das Beispiel von Paulus

Das Beispiel aus dem Neuen Testament ist Paulus, obwohl es noch andere Zeugen gibt. Die Freude, die vor ihm lag, beschreibt er als «Kampfpreis» am Ende seines Laufs (Phil 3,14). Diesen Preis gibt es nicht nur für ihn als Apostel zu gewinnen. Er steht auch für uns alle bereit, die wir die Erscheinung des Herrn lieben. Dieser Kampfpreis beinhaltet, dass wir unserem geliebten Herrn völlig gleich sein werden. Das erkennen wir im vollen Licht des christlichen Glaubens, den uns der Herr gebracht und durch den Dienst der Apostel Paulus, Petrus und Johannes im Einzelnen dargelegt hat. Es ist die freudige Aussicht, in der kommenden Herrlichkeit Jesus Christus gleichförmig zu sein.

Welchen Weg bestimmte der Herr für Paulus? «Ich werde ihm zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muss» (Apg 9,16). Er sagte nicht im Voraus, was sein Diener alles erdulden würde – das wäre zu schwer gewesen! Aber Paulus nahm an, was der Herr Jesus für ihn geplant hatte. Als er zum ersten Mal seinem Retter begegnete, betrachtete er alles, was ihn vor den Menschen auszeichnete, für Verlust. Auch später, als sein Lebensweg auf der Erde dem Ende zuging, achtete er alles, was er für Christus eingebüßt hatte, für Dreck und suchte die Gemeinschaft seiner Leiden (Phil 3,7-11). Er nahm die Leiden an und rühmte sich des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus (Gal 6,14). So konnte er sagen: «Seid meine Nachahmer!» (1. Kor 4,16). Paulus, das ist genau das, was wir sein wollen!

Schluss

Es gibt nur Einen, der uns auffordern kann: «Folgt mir nach!» Dem Herrn Jesus nachzufolgen, ist unser aufrichtiger Wunsch, auch wenn wir oft weit hinter seinem Beispiel zurückbleiben. In Hebräer 12,3 werden wir auf die Gefahr hingewiesen, auf dem Weg zu ermüden und in unseren Seelen zu ermatten. Genau dort greift der Feind uns an. Wollen wir nicht manchmal alles hinschmeissen und den Kampf aufgeben? Doch anstatt mutlos zu werden, wollen wir Gottes Hilfe in Anspruch nehmen.

Der Vater unseres Herrn Jesus Christus wird unsere Bitte erhören und uns durch seinen Geist am inneren Menschen stärken, und zwar nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit (Eph 3,16). Der Herr im Himmel rüstet uns mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit aus, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden (Kol 1,11). Wenn der Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt (Eph 3,17), wird Er dafür sorgen, dass wir zu der ganzen Fülle Gottes erfüllt werden. Das wird zu Gottes Ehre und Verherrlichung sein, während wir auf das sichere und nahe Kommen unseres Herrn warten.

Worüber wir nachgedacht haben, ist eine ständige und sich wiederholende Lektion für uns. Wenn wir das Geheimnis der Kraft für unser Glaubensleben kennen wollen, müssen wir unsere Augen auf die Person am Ziel richten und auf dem Weg dorthin bereitwillig alles annehmen, was Gott uns zugeteilt hat.