Gedanken zum Mahl des Herrn

In seinem zweiten Brief erinnert Petrus die Empfänger an Wahrheiten, die ihnen bekannt waren. Er schreibt: «Deshalb will ich Sorge tragen, euch immer an diese Dinge zu erinnern, obwohl ihr sie wisst und in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt seid.» (2. Pet 1,12).

In diesem Sinn sind die hier niedergeschriebenen Gedanken, die uns noch einmal an einige Wahrheiten bezüglich des Mahls des Herrn erinnern sollen, zu verstehen. Der Herr selbst möge uns durch diese Erinnerung – um mit Petrus zu sprechen – «aufwecken».

Die Einsetzung des Abendmahls

Es war am Donnerstag der letzten Woche vor dem Tod am Kreuz, als zwei Jünger mit der Frage an den Herrn herantraten: «Wo willst du, dass wir hingehen und bereiten, damit du das Passah essen kannst?» (Mk 14,12). Der Herr bestimmte darauf selbst den Ort, wo Er das letzte Passahmahl essen wollte. Am Abend dieses Tages war Er mit den Jüngern im Obersaal versammelt. Im Anschluss an das Passah setzte Er dann das Abendmahl ein, das die Jünger – und auch uns – ständig an Ihn erinnern sollte.

Der Heilige Geist benutzte vier Männer, um die Einsetzung des Mahls des Herrn zu schildern: Matthäus, Markus, Lukas und Paulus. Nur einer von ihnen war Augenzeuge dieser Handlung, nämlich Matthäus. Paulus empfing erst viele Jahre später eine Offenbarung vom verherrlichten Herrn über das, was in jener Nacht geschah: «Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, dass der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert wurde, Brot nahm, und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis. Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis.»(1. Kor 11,23-25). Der Herr dachte an die Gläubigen aus den Nationen. Er wollte, dass dieses Mahl nicht nur den Gläubigen aus den Juden gegeben sei, sondern auch denen aus den Heiden. Es sollte während der Zeit seiner Abwesenheit ein Vorrecht für alle Kinder Gottes sein.

Wenn wir die Berichte der verschiedenen Schreiber vergleichen, fällt uns auf, dass jeder eine Einzelheit mitteilt, die der andere nicht erwähnt. Wie so oft in der Heiligen Schrift, wird auch dieses Ereignis von mehreren Personen geschildert, wobei jeder Schreiber mit der Ihm gegebenen Eigenart schreibt. Es waren ganz verschiedene Männer mit unterschiedlichen Gaben, aber doch der eine Geist, der alle leitete. Deshalb ergänzen sich alle Berichte zusammen zu einem schönen Ganzen.

Der Bericht des Lukas (Kap. 22,14-23)

Lukas, bei dessen Bericht wir heute kurz verweilen wollen, hatte von den drei Schreibern der Evangelien einen ganz besonderen Dienst. Er war ein Gläubiger aus den Heiden und wurde später ein Begleiter des Apostels der Nationen. Man kann das mit ziemlicher Sicherheit annehmen, denn sein Name ist heidnischen Ursprungs, und in Kolosser 4,14 wird er von den Brüdern aus der Beschneidung unterschieden. Als der «geliebte Arzt» schrieb er sein Evangelium mit einer gewissen menschlichen Wärme. Treffend hat jemand gesagt, dass Lukas den Herrn Jesus vorstellt, wie Er sich als der Sohn des Menschen mit dem Menschen beschäftigt.

Keiner der Schreiber der ersten drei Evangelien lässt uns in seinem Bericht so tiefe Einblicke in das Herz des Herrn Jesus tun wie Lukas. Das kommt auch in seiner Schilderung über das Zusammensein im Obersaal zum Ausdruck. Voller Schönheit und Tiefe sind die hier mitgeteilten Worte des Herrn Jesus: «Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide.» Der Herr hatte sich danach gesehnt, Tröster zu finden und solche, die Mitleid empfanden. Die Psalmen schildern dieses Verlangen des Herrn in ergreifender Weise. Anderseits sehnte Er sich auch nach der Freude, seinen Jüngern das «Neue» zu geben, denn für Ihn war das Geben immer seliger als das Nehmen. Der Herr hatte einmal gesagt, dass Er beengt sei, bis seine Taufe vollbracht wäre (Lk 12,50). Die «Einengung seiner Liebe» konnte jetzt ein Ende finden, und der Herr dachte an die Fülle der Segnungen, die aus seinem Tod hervorkommen würden. Es war sein Wunsch, den Seinen nun das «Bleibende» und das «Bessere» zu schenken. Er liebte sie «bis ans Ende», ja, über alle Massen.

Der Kelch des Passahmahls

«Und er nahm einen Kelch, dankte und sprach: Nehmt diesen und teilt ihn unter euch» (Vers 17). (Wörtlich heisst es: Er empfing oder nahm auf, d.h. der Kelch wurde Ihm gereicht. Es ist ein anderes Wort als «er nahm» in Vers 19.) Es entsprach den damaligen Gebräuchen, beim Passahessen Wein zu trinken. Mehrere mit Wein gefüllte Becher standen auf dem Tisch und wurden nach einem genau festgelegten Zeremoniell getrunken. Wir können gut verstehen, dass der Herr aus diesem Kelch nicht trinken wollte, da diese Sitte ein Hinzufügen des Menschen zu den Anordnungen Gottes war. Dabei verurteilte Er aber die Jünger nicht. Er liess sie gewähren. Im Übrigen wollte Er nun auch nicht vom Gewächs des Weinstocks trinken, bis das Reich kommen würde. Die Freude des Reiches blieb für Ihn eine zukünftige. Damit fand das Passah sein Ende und wurde durch das Mahl des Herrn ersetzt. Dieses sollte die Jünger und auch die Gläubigen der späteren Zeit hier auf der Erde nicht wie beim Passah an eine Errettung, sondern an einen Erretter, an eine geliebte Person, erinnern.

Brot und Kelch des Abendmahls

«Und er nahm Brot, dankte, brach und gab es ihnen» (Vers 19). Hier beginnt jetzt die Einsetzung des Mahls, und Lukas macht eine deutliche Trennung zwischen dem Passahmahl und dem Mahl des Herrn. Der Herr war jetzt nicht mehr einer, der «mit ihnen ass», sondern Er wurde nun der Gastgeber. Er gab ihnen das Brot mit den Worten: «Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird.» Durch das Brechen des Brotes wollte Er auf seinen Tod hinweisen. Unfassbare Liebe drücken diese Worte aus: für euch! Ja, auch für uns gab Er sein Leben!

Sicher hätten wir wohl gern gewusst, welche Worte der Herr bei seiner Danksagung gesprochen hat. Der Heilige Geist hat uns nichts darüber mitgeteilt, und das ist sicher gut so. Wie schade wäre es gewesen, wenn man die Worte dieses Gebets in späteren Tagen zu einem «formellen Gebet» herabgewürdigt hätte. Der Heilige Geist wollte frei bleiben in seiner Wirksamkeit bei den Kindern Gottes. Unter seiner Leitung sollten sie den Dank ihrer Herzen in Worte kleiden. Die Tatsache, dass der Herr beim Brechen des Brotes dankte, ist uns Hinweis genug, dass dieses Mahl unbedingt mit Dank und Anbetung verbunden sein muss. Könnte da unser Herz unberührt und unser Mund stumm bleiben, wenn wir an die Leiden und den Tod des Herrn erinnert werden? Unmöglich! Unser Mund wird kundtun, was das Herz empfindet, zur Freude unseres himmlischen Vaters.

Nach dem Brechen des Brotes nahm der Herr «den Kelch», nicht mehr einen Kelch. Paulus nannte ihn später den Kelch der Segnung. Das will einfach sagen, dass alle Segnungen nur durch das vergossene Blut unseres Heilandes hervorgekommen sind. «Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.» Die Jünger fühlten wohl, wie der Herr sie zu trösten suchte, war es doch in Israel eine liebliche Gewohnheit, dem Trauernden das Brot zu brechen und ihn mit dem «Becher des Trostes» zu trösten (Jer 16,7). Er, der selbst auf Tröster gewartet hatte (Ps 69,21), tröstet nun die Jünger. Er tut es auf seine Weise: mit der Ankündigung seines Todes. Sicher verstanden sie noch nicht, dass der Tod des Herrn nicht Verlust bedeutete, sondern Gewinn. Sein Tod sollte ihnen ungeahnte Segnungen bringen.

Judas Iskariot

Es bleibt noch übrig, uns kurz mit Judas zu beschäftigen, weil Lukas ihn am Ende seines Berichtes über die Einsetzung des Mahls noch einmal erwähnt. Er berichtet die Worte des Herrn:

«Doch siehe, die Hand dessen, der mich überliefert, ist mit mir auf dem Tisch.» (Vers 21). Es könnte der Eindruck entstehen, dass Judas beim Mahl noch zugegen war. Er war es auf keinen Fall! Wir müssen bedenken, dass Lukas nicht chronologisch berichtet, sondern die Ereignisse nach sittlichen Gesichtspunkten zusammenstellt. Lukas wollte auch an dieser Stelle auf die Empfindungen des Herrn aufmerksam machen, nicht aber den zeitlichen Ablauf schildern. Er weist hier auf einen schroffen Gegensatz hin: auf der einen Seite die Liebe des Herrn Jesus, auf der anderen das böse Herz des Judas. Wir dürfen überzeugt sein, dass niemand so wie der Herr die schreckliche Tat des Judas im Herzen empfunden hat. Er allein konnte ermessen, was das Handeln Judas, für Ihn selbst, aber auch für den Verräter bedeutete. Dieser war bereits in die dunkle Nacht hinausgegangen, um den Herrn zu verraten. Aber noch vor Beginn der nächsten Nacht würde er seinem Leben ein Ende setzen und in die ewige Nacht hineingehen!

Wollen wir den genauen Ablauf der Ereignisse erkennen, so müssen wir uns den Schreibern zuwenden, die die zeitliche Reihenfolge in ihren Schilderungen einhalten, nämlich Markus und Johannes. Wenn wir dem Bericht des Johannes aufmerksam folgen, so wird völlig klar, dass Judas hinausging, nachdem er den Bissen genommen hatte. Es war ein Bissen vom Passahmahl und nicht vom Abendmahl. Somit ist es absolut sicher, dass Judas das Mahl des Herrn nicht genommen hat. Diese Einrichtung kann nur für die bestimmt sein, die an Ihn glauben und Ihn lieben.

Das Mahl seiner Liebe – ein Zeichen für diese Erde

Durch die Einsetzung des Mahls gab der Herr ein eindrucksvolles Zeugnis seiner grossen Liebe. Es ist eine Erinnerung an den gestorbenen Herrn. Für uns ist diese Gedächtnisfeier eine der schönsten Gelegenheiten, uns gemeinsam mit Ihm und seinen Leiden zu beschäftigen. Wie lieb hat der Herr uns gehabt, dass Er uns diese Möglichkeit schenkte, gemeinsam an Ihn zu denken. Wir werden dieses Mahl feiern, solang wir noch auf der Erde leben. Im Himmel haben wir diese Zeichen nicht mehr nötig und auch keine Möglichkeit mehr, diesem seinem Wunsch zu folgen: «Dies tut zu meinem Gedächtnis!»