Jedem Bibelleser muss es auffallen, dass im Wort Gottes so viel von den Ohren und vom Hören die Rede ist. Gott ruft einer Menschheit, die sich von Ihm abgewendet hat, immer wieder zu: Hört doch auf das, was Ich euch zu sagen habe! – Wohl wird jedes Menschen Auge «des Sehens nicht satt» und sein Ohr «nicht voll vom Hören». Aber seit Adam und Eva im Garten Eden auf die Schlange gehört haben, sind ihre Nachkommen für die Stimme Gottes taub geworden. Und aus dieser Taubheit gegenüber dem Himmel ist auf dieser Erde ein riesengrosses Unheil entstanden, das die schreckliche Vergeltung des «Richters der ganzen Erde» herausfordert.
Doch hat es je und je Menschen gegeben, die sich vom Herrn das Herz öffnen liessen und auf die Worte seiner Propheten und Knechte achtgaben. Sie gleichen der «guten Erde». Sie hören das Wort, nehmen es mit Verständnis auf und bringen Frucht, hundert-, sechzig- oder dreissigfach.
Ja, welch herrliche Früchte bringt das Wort Gottes in einem Menschen hervor! Es vermag die Seelen zu erretten (Jak 1,21). Es ist der Same der Neugeburt (1. Pet 1,23). «Wer mein Wort hört», sagt der Herr, «und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben» (Joh 5,24). Wer Gott, das heisst seinem Wort gehorcht, empfängt die Gabe des Heiligen Geistes (Apg 5,32). Das Wort seiner Gnade vermag aufzuerbauen und ein Erbe zu geben unter allen Geheiligten (Apg 20,32).
Jeder kann diese Liste verlängern. Wie entspricht doch das Wort des HERRN an Israel: «Oh, dass du geachtet hättest auf meine Gebote! Dann wäre dein Frieden gewesen wie ein Strom und deine Gerechtigkeit wie Meereswogen!» (Jes 48,18) der Erfahrung aller, die es verwirklichen.
Können wir uns vorstellen, was es für das Herz Gottes sein muss, wenn Menschen als Hörende vor Ihn treten? Oder was es dem Herrn bedeutete, als bußfertige Zöllner und Sünder kamen, um Ihn zu hören? (Lk 15,1). Wenn auch nur einer der Verlorenen Gottes Wort aufnimmt und Buße tut, so wird Freude sein vor den Engeln Gottes.
Christen sind Hörende
Bekehrte Menschen könnte man demnach als Hörende bezeichnen. Der Herr charakterisiert sie mit den Worten: «Glückselig, die das Wort hören und bewahren!» (Lk 11,28). Die «das Wort hören und tun» nennt Er seine Brüder (Lk 8,21), denn sie folgen seinem vollkommenen Beispiel. Sagte Er doch, als Mensch und Knecht Gottes auf diese Erde gekommen: «Ohren hast du mir bereitet … Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens» (Ps 40,7 und 9). Er, der im Himmel über allem war, erniedrigte sich freiwillig um zu hören und zu gehorchen!
Schnell zum Hören, langsam zum Reden
Doch begegnet man recht oft Christen, die den Bibelvers: «Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden» (Jak 1,19) nicht beachten. Sie könnten von sich sagen: Einen Mund hast du mir bereitet! Sie sind so voller guter Gedanken über alles und jedes, über unser Verhalten zur Welt, über das praktische Leben der Erlösten, über das Zusammengehen mit den Gläubigen allen, und so fort, dass ihnen das Reden über diese Dinge näherliegt, als die Frage: Was sagt Gottes Wort darüber?
Gott will unsere Selbstsicherheit und eigene Weisheit zusammenstauchen, bis wir mit Hiob sagen: «Ich lege meine Hand auf meinen Mund» (Hiob 40,4). «Ich will dich fragen und du belehre mich (Hiob 42,4).
Diesen Ausgangspunkt des christlichen Lebens, den manche erst nach vielen Jahren des Irrens erreichen, nahm der Mensch Jesus Christus von allem Anfang an ein. Als Zwölfjähriger schon blieb Er bei den Lehrern des Gesetzes Gottes zurück. Er hörte ihnen zu und befragte sie. Schon als junger Knabe war das seine Haltung dem Wort Gottes gegenüber. Was Wunder also, dass seine Lehrer ausser sich gerieten «über sein Verständnis und seine Antworten»? Sind wir auch nur «gewöhnliche» Menschen und dazu vielleicht ganz junge Gläubige, so können wir doch zu einem guten «Verständnis» der Gedanken Gottes gelangen, wenn dieselbe Bereitschaft zum Hören des Wortes bei uns gefunden wird.
Und wie könnten wir Gott wohlgefällig dienen, bevor «das Bild gesunder Worte» in uns Gestalt gewonnen hat? Schon ganz am Anfang seines Dienstes wurde es offenbar, dass Jesus das Wort verwirklichte: «Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht» (Mt 4,4). Jedes von ihnen war in seinem Herzen, und zwar an seinem rechten Platz und im richtigen Zusammenhang. Erst wenn die Aussprüche Gottes unsere Speise gewesen sind, wenn wir sie verdaut und verstanden haben, vermögen wir zu reden «als Aussprüche Gottes», so dass in allem Gott verherrlicht wird durch Jesus Christus (1. Pet 4,11).
Träge zum Hören
Die gläubigen Hebräer waren im Hören träge geworden (Heb 5,11). Es gab eine Zeit, da sie durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus das Judentum verlassen hatten, – eine Zeit, da seine Herrlichkeit, die jeden andern Glanz überstrahlt, sie erleuchtete. Christus war für sie «des Gesetzes Ende» geworden, «jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit». Sie hatten um seines Namens willen mit Freude viel Kampf der Leiden erduldet.
Aber die Frische ihrer ersten Eindrücke hatte sich verloren. Es war dem Feind gelungen, sie von der Betrachtung eines himmlischen Christus, dem «Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks» abzulenken. Der Apostel hatte jetzt Mühe, Dinge zu erklären, die seine Person betrafen.
Ist diese Trägheit zum Hören heutzutage unter den Gläubigen nicht auch sehr verbreitet? Und ist ihre tiefinnerste Ursache nicht die gleiche wie bei den Hebräern?
Wir könnten das Wort Gottes mit einem Haus vergleichen. Lebt mein Herz in Gemeinschaft mit dem Herrn, so ist dieses Haus für mich mit der Herrlichkeit seiner Person und der Wärme seiner Liebe erfüllt. Immer wieder, jeden Augenblick zieht es mich in seine Räume. Überall sehe ich Ihn. Ich höre Ihn zu mir reden und lerne dabei Ihn selbst wie auch die Gedanken und den Willen Gottes immer besser kennen. Mein Herz wird brennend, wenn Er mir die Schriften öffnet. Wie glücklich sind solche Tage!
Wenn ich aber nicht wachsam bin, wenn das Fleisch in mir wirksam ist und nach der Welt hin Brücken schlägt, wenn dieser Zustand andauert und nicht gerichtet wird, – dann ändert sich alles. Die Mauern des Hauses, die Räume, alle Einzelheiten des ganzen Baues sind noch dieselben, aber es erscheint mir nun leer. Seine mächtige Anziehungskraft ist weg. Das Wort Gottes ist für mich dann nur noch eine Zusammenfassung trockener Vorschriften, Grundsätze und Formen. Ich bin im Hören träge geworden.
Wie gut, dass ein solcher Zustand nicht andauern muss und wir durch Demütigung, Bekenntnis und Buße jederzeit zum Herrn und seinem Wort zurückkehren können!