Tränen abwischen

Wie bei einem Kind

An zwei Stellen lesen wir, Gott werde «jede Träne von ihren Augen abwischen». Zuerst wird es im Blick auf die unzähligen Scharen gesagt, die aus der grossen Drangsal kommen (Off 7,17), und später hinsichtlich derer, die die neue Erde bewohnen werden, wo weder Tod noch Trauer, weder Geschrei noch Schmerz sein wird (Off 21,4). In beiden Fällen ist es eine Erfüllung der Prophezeiung: «Den Tod verschlingt er für immer; und der Herr, HERR, wird die Tränen von jedem Angesicht abwischen» (Jesaja 25,8).

Diesem Vers gehen die Worte voraus: «Er wird … den Schleier vernichten, der alle Völker verschleiert, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist.» Zuerst wird der Schleier – das, was hindert, den Gedanken Gottes zu erkennen – weggenommen, und danach werden die Tränen vom Angesicht abgewischt.

Natürlich handelt es sich um eine Bildersprache, denn im Himmel gibt es keine Tränenspuren mehr. Aber um zu erfassen, was Gott uns hier sagen will, benötigen wir ein solches Bild.

Wie trocknet Er die Tränen? So, wie die Mutter. Sie nimmt ihr weinendes Kind auf den Schoss und tröstet es, bis sein Lächeln durch die Tränen hervorbricht. Wenn sie das erreicht hat sagt sie zu ihm: «So, nun wollen wir auch noch die Tränen trocknen.» Auf diese Weise verschwindet jede Spur des kindlichen Kummers, und es kann frohen Herzens sein Spiel fortsetzen. Kinder bedecken mitunter auch ihr Gesicht mit den Händen, beugen ihren Kopf vornüber und geben sich ihrem Schmerz hin, als ob sie nie mehr fröhlich sein könnten. Aber die Mutter weiss das nasse Gesichtchen schon zu finden und frei zu machen.

Gott beugt sich herab

Du sagst: Kindertränen sind eben schnell getrocknet und vergessen. Dem ist auch so. Aber der Kummer im Leben der Erwachsenen ist vor Gott nicht viel anders als Kindertränen. Kommt ein solcher Ausspruch nicht einer Geringschätzung der Trübsal gleich, die in den Schwierigkeiten des Lebens so sehr an unseren Seelen zu nagen vermag? Gehen wir in dieser Bildersprache nicht allzu leichtfertig über die Trauer hinweg, die zum Beispiel der Tod verursacht? – Eine Mutter, die die Tränen ihres Kindes trocknet, achtet seinen kindlichen Kummer gewiss nicht gering. Sonst würde sie nicht alles andere stehen lassen, um sich um ihr Kind zu kümmern. Sie weiss, dass es vom Schmerz überwältigt ist und das ist ihr Beweggrund genug, um sich mit ihm zu beschäftigen.

Hilflos, wie ein Kind seinem Kummer gegenüber steht, stehst auch du vielleicht vor deinem Schmerz. Du bist nicht imstande, dich selbst zu trösten. Deine Betrübnis verzehrt dein Leben und nimmt dich ganz in Beschlag.

Aber nun kommt dein starker, allmächtiger Gott der hoch erhaben ist über deine Trübsal und deinen Schmerz, und beugt sich zu dir nieder. Er befasst sich mit deinem Leiden und deiner Trauer und tröstet wie eine Mutter (Jes 66,13). Er nimmt den Schleier von deinem Angesicht weg und zieht dich an sich, um deine tränenerfüllten Augen auf sich selbst zu richten. Er lässt dich Dinge sehen, die deinen Schmerz lindern und wegnehmen können. Er ist entschlossen, nicht zu ruhen, bis die Spuren deines Kummers weggenommen sind. Er wischt die Tränen ab.

Seine volle Erfüllung findet dieses Wort aber erst nach diesem Leben. Die obigen, aus der Offenbarung angeführten Stellen bezeugen, dass dies in der Herrlichkeit geschehen wird. Dort ist alle Trauer in Freude, alles Weinen in Jauchzen verwandelt. Alle Spuren der Trübsal sind dann weggewischt. Dort ist kein Tod und keine Trauer mehr. Hier hinterlässt der Tod manche schmerzliche Leere, dort aber ist alles wieder hergestellt zu einem neuen geschlossenen und lückenlosen Ganzen. Das Erste ist dann vergangen … Gott ist dann alles in allem. Er macht alles gut und stillt jedes Verlangen.

Ein anderer Tröster

Der Heilige Geist wird auch «Tröster» genannt, der bei uns bleibt bis in Ewigkeit. Er ist es, der die Herzen für die Tröstungen Gottes empfänglich macht. Er bringt in den Herzen die grosse Wandlung von Betrübnis in Freude zustande. Das kann nicht ohne das Wort Gottes geschehen, und der Heilige Geist bedient sich seiner, um in den Herzen zu wirken, die so lange durch Traurigkeit beschwert waren.

Das Trocknen von Tränen in Kinderaugen ist nicht nur eine Handbewegung; das Kind spürt dabei auch die Ausstrahlung der Liebe aus dem Mutterherzen. So besteht auch das Tun Gottes nicht nur im Wegnehmen äusserlicher Ursachen des Kummers; Er erfüllt das Herz auch mit Frieden und Freude.

Der Heilige Geist ist in allen Umständen des Lebens gegenwärtig. Er tröstet nicht nur, sondern belehrt und nährt uns auch, um uns so in den Schwierigkeiten Kraft zu geben. Seine Tröstungen begleiten uns bis zum glückseligen Ziel unserer Laufbahn.