Es geht im Folgenden nicht um die Entstehung der Versammlung auf der Erde, die bekanntlich am Pfingsttag, wie in Apostelgeschichte 2 beschrieben, durch das Herabkommen des Heiligen Geistes gebildet wurde. Wir wollen am Beispiel von Ephesus vielmehr sehen, wie eine örtliche Versammlung praktisch entsteht. Die Begebenheit in Apostelgeschichte 19 zeigt uns verschiedene Voraussetzungen und Ergebnisse, die die Entstehung einer örtlichen Versammlung begleiten. Betrachten wir sieben solcher Kennzeichen etwas genauer.
1. «Es geschah aber …, dass Paulus … nach Ephesus kam» (V 1). Der erhöhte Herr hat seiner Versammlung Gaben gegeben – Evangelisten, Hirten und Lehrer. Da, wo die Gaben ihren Dienst unter Leitung des Geistes nicht frei ausüben können, weil sie durch menschliche Verordnungen und Einrichtungen eingeschränkt sind, kann eine Versammlung nach den Gedanken Gottes nicht entstehen. Dies war jedoch in Ephesus nicht der Fall. So wurde der Apostel unter der Leitung des Heiligen Geistes als das Werkzeug Gottes benutzt, um in jener Stadt zum Segen zu wirken, so dass durch seine Arbeit dort eine Versammlung entstehen konnte. – Wenn Gott in seiner Gnade heute in ähnlicher Weise wirkt, sollten wir in aller Bescheidenheit vom Entstehen eines örtlichen Zeugnisses der Versammlung reden.
2. «Und er fand einige Jünger» (V 1). Eine weitere Voraussetzung für das Entstehen eines solchen Zeugnisses ist das Vorhandensein von echten Jüngern. Solche Jünger waren hier in Ephesus vorhanden, obwohl sie, wie die folgenden Verse zeigen, noch Belehrung nötig hatten.
In Apostelgeschichte 22 berichtet Paulus über seine Bekehrung. Dort finden wir einige Kennzeichen wahrer Jüngerschaft:
- «Und ich fiel zu Boden.» Jeder, der ein Jünger des Herrn Jesus sein will, muss einen Augenblick in seinem Leben gehabt haben, wo er vor dem Herrn «zu Boden fiel», wo er das Urteil Gottes über sich anerkannt und Buße getan hat.
- Dann hören wir in Vers 8 die erste Frage des Paulus: «Wer bist du, Herr?» Nicht nur die Annahme des Herrn Jesus als Heiland kennzeichnet einen Jünger, sondern auch dessen Anerkennung als seinen persönlichen Herrn.
- Die zweite Frage des Paulus (V. 10) «Was soll ich tun, Herr?» führt uns einen Schritt weiter. Indem der bekehrte Saulus den Herrn Jesus als seinen Herrn anerkannte, führte ihn dies zu persönlicher Abhängigkeit und praktischem Gehorsam im täglichen Leben als Jünger.
- «Denn du wirst ihm an alle Menschen ein Zeuge sein» (V. 15). Ein Jünger ist immer auch ein Zeuge seines Herrn, und das hat ganz praktische Konsequenzen für unser Glaubensleben. Wenn wir in unserem persönlichen Lebensraum in Nachbarschaft, Schule und Beruf ein Zeugnis für unseren Herrn ablegen, werden wir zweierlei erfahren: eine tiefe innere Freude in unserem Herzen, aber auch die Verachtung der Welt.
3. «Indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte» (Apg 19,8). Als nächstes Kennzeichen stellen wir fest, dass Paulus ihnen das Reich Gottes verkündigte. Auch heute ist es von grosser Wichtigkeit, den Unterschied zwischen dem Reich Gottes und der Versammlung zu verstehen. Leider besteht in der Christenheit darüber weitgehend Unkenntnis. Wie wäre es sonst zu erklären, dass man Petrus, dem der Herr die Schlüssel des Reiches gab, in der Christenheit die «Schlüsselgewalt der Kirche» zugesprochen hat?
Das Reich Gottes bezieht sich auf diese Erde. Es nahm seinen Anfang mit dem Kommen des Herrn auf diese Erde und wird am Ende des Tausendjährigen Reiches seinen Abschluss finden. Dieses Reich hat jedoch zwei verschiedene Erscheinungsformen. In der ersten sind der Herr und seine Jünger verworfen. Dies war der Fall, als Er mit seinen Jüngern hier über diese Erde schritt. Heute, in der christlichen Heilszeit, ist dies immer noch der Fall, und es wird auch nach der Entrückung, während der Drangsalszeit des Überrestes aus Israel, noch so sein. In der Zeit des Tausendjährigen Reiches wird das Reich eine zweite, die eigentliche Form annehmen: Der König und seine Jünger werden nicht mehr verachtet, sondern verherrlicht sein.
Während also das Reich Gottes für den Bereich und die Zeit der Erde bestimmt ist, ist die Versammlung Gottes ihrem Wesen und ihrer Bestimmung nach himmlisch und ewig, auch wenn sie im irdischen Raum und in dieser Zeit gebildet wird.
4. In der Schilderung der Verse 9 und 10 können wir im Bild sehen, wie die Jünger in Ephesus den Boden der Versammlung einnahmen. Die Vertreter der irdischen Religion verhärteten sich, sie gehorchten nicht (siehe Fussnote Vers 9) und redeten in der Öffentlichkeit schlecht von dem Weg, d.h. von dem christlichen Bekenntnis. Diese überaus ernste Verhaltensweise findet sich auch heute nicht selten bei solchen, die einer menschlichen Religion anhangen. Wir wollen uns aber auch persönlich fragen: Gibt es vielleicht Bibelverse, bei denen wir unsere Herzen verhärten und nicht bereit sind zu gehorchen? Das wäre sehr ernst.
In dieser Lage sondert Paulus die Gläubigen ab. Um eine örtliche Darstellung der Versammlung Gottes zu sein, ist die Absonderung von jeder Art irdischer Religion unabdingbare Voraussetzung. Denn nur so sind wir fähig, geistlichen Gottesdienst auszuüben.
Der damalige irdische Gottesdienst des Volkes Israel war zu seiner Zeit von Gott selbst angeordnet worden. Aber nun war die Zeit gekommen, wo der Vater «in Geist und Wahrheit», d.h. auf eine geistliche Weise und der offenbarten Wahrheit gemäss angebetet wird. In der Christenheit finden wir leider wenig Verständnis für die wahre christliche Stellung. Da hat man fast alle Kennzeichen des irdischen Gottesdienstes nachgeahmt. Wir wollen die Hauptkennzeichen eines irdischen Gottesdienstes denen des geistlichen Gottesdienstes gegenüberstellen:
In dem von Gott angeordneten irdischen Gottesdienst des Volkes Israel gab es eine spezielle Gruppe von Priestern, die vom übrigen Volk abgesondert wurden. Der geistliche Gottesdienst in der christlichen Heilszeit jedoch wird durch eine heilige Priesterschaft ausgeübt, die alle Gläubigen umfasst (1. Pet 2,5). Während der irdische Gottesdienst mit Musikinstrumenten begleitet wurde und in mehrheitlich tierischen Opfern bestand, geschieht der geistliche Gottesdienst in Geist und Wahrheit durch geistliche Schlachtopfer, d.h. durch Opfer des Lobes. Das Haus Gottes inmitten des Volkes Israel war ein Gebäude aus Holz, Stein und Gold. In der christlichen Heilszeit jedoch wird das Haus Gottes aus lebendigen Steinen aufgebaut; es ist ein geistliches Haus (1. Pet 2,5). Zudem war der irdische Gottesdienst durch das Einhalten von besonderen Tagen gekennzeichnet. Wie beschämend ist es, dass die, die sich nach dem Namen von Christus nennen, nahezu kein Verständnis für den wahren christlichen Gottesdienst haben. Wie wäre es sonst möglich, dass fast die ganze Christenheit gekennzeichnet ist durch besondere Klassen von Geistlichen, mehr oder weniger prachtvolle «Gotteshäuser», einen von Instrumenten begleiteten Gottesdienst sowie das Halten kirchlicher Feiertage?
5. «So dass alle … das Wort des Herrn hörten» (V 10). Ein weiterer, äusserst wichtiger Punkt, der jedes örtliche Zeugnis auszeichnen muss, ist die Tatsache, dass dort das Wort des Herrn verkündigt wird. Der Herr redet mittels seiner Werkzeuge durch sein Wort zu jeder örtlichen Versammlung.
6. «Und aussergewöhnliche Wunderwerke tat Gott» (V 11). In Verbindung mit der Entstehung der Versammlung in Ephesus berichtet die Schrift davon, dass aussergewöhnliche Wunder geschahen. Da handelt es sich um das Mitwirken des Herrn in der Anfangszeit. Damit bestätigte Er die Autorität und den Dienst der Apostel in einer Zeit, in der das Wort Gottes noch nicht vollendet war. «Sie aber gingen aus und predigten überall, wobei der Herr mitwirkte und das Wort bestätigte durch die darauf folgenden Zeichen» (Mk 16,20); «wobei Gott ausserdem mitzeugte, sowohl durch Zeichen als durch Wunder und mancherlei Wunderwerke und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen» (Heb 2,4). Mit zunehmender Vollendung des Wortes Gottes liessen diese Wunder nach und hörten schliesslich in dieser Form ganz auf.
Aber dürfen wir in gewissem Sinn nicht auch heute noch in Bezug auf die örtliche Versammlung sagen: «Und aussergewöhnliche Wunderwerke tat Gott.»? Ist nicht das Entstehen und Fortbestehen jedes örtlichen Zeugnisses der Versammlung ein Wunder Gottes? Ein Zusammenkommen von Menschen ohne menschliche Leitung und Organisation, das trotzdem in nüchterner und geistlicher Weise abläuft, ist immer wieder ein Wunder der Gnade Gottes. Lasst uns das nicht vergessen! Wir wollen uns nicht daran gewöhnen und dies alles nicht für selbstverständlich halten.
7. «Und Furcht fiel auf sie alle, und der Name des Herrn Jesus wurde erhoben» (V 17). Das letzte Kennzeichen, das wir erwähnen wollen, ist die Gottesfurcht. Wie wichtig ist das Vorhandensein praktischer Gottesfurcht in einer örtlichen Versammlung! Die Gottesfurcht bringt immer gesegnete Folgen hervor. Zwei solcher Folgen zeigt unser Abschnitt:
Der Name des Herrn Jesus wurde erhoben. Die örtliche Versammlung ist der Ort, wo dem Herrn Jesus und auch dem Vater Lob und Anbetung dargebracht wird.
Weiterhin finden wir in den Versen 18 und 19 die Trennung vom Bösen. Der Herr kann eine Versammlung nur dann segnen, wenn im Leben der einzelnen und im Leben der Versammlung immer wieder die Bereitschaft vorhanden ist, das zu bekennen und wegzutun, was dem Herrn nicht gefällt und worauf Er den Finger legt. Dies kann uns manchmal durchaus «etwas kosten», wie Vers 19 zeigt.
Wenn alle diese Dinge, die wir hier in der Versammlung in Ephesus gefunden haben, bei uns in den einzelnen örtlichen Zeugnissen der Versammlung gefunden werden, dann wird auch – dessen dürfen wir gewiss sein – das Ergebnis bei uns dasselbe sein wie bei den Ephesern: geistliches Wachstum. – «So wuchs das Wort des Herrn mit Macht und nahm überhand (oder: erwies sich kräftig)» (V. 20).