Das Gebet des Jabez

1. Chronika 4,9-10

Das erste Buch der Chronika beginnt mit einem langen Geschlechtsregister. Man denkt vielleicht, das sei langweilig zu lesen. Dennoch liegen auch in diesen Kapiteln Schätze verborgen.

Ein Geschlecht geht, und ein anderes kommt (Pred 1,4). Jedes scheint die Zeit, die vergeht, irgendwie zu markieren. Es ist beeindruckend, diese Aufzählung von Menschen zu betrachten. Sie alle haben gelebt und dabei ihre Ziele verfolgt und ihre Freuden und Leiden erfahren. Bei den meisten von ihnen hat es Gott für gut befunden, nichts über sie zu erwähnen. Dennoch musste es unter ihnen aussergewöhnliche Menschen gegeben haben, deren Leben voll von Taten war, die die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen auf sich gezogen haben. Aber die Frage, die sich jedem stellt, ist folgende: Was bleibt von ihrem Leben im Blick auf die Ewigkeit? Und von unserem Leben, was wird bleiben (1. Kor 3,1-15)? Diese Aufzählung zeigt auch, dass Gott uns mit Namen kennt. Von den Milliarden von Menschen, die auf der Erde gelebt haben, gibt es keinen einzigen, der von den Augen Gottes nicht beachtet worden wäre.

In der Mitte dieser Liste enthüllt uns der Heilige Geist den Namen eines Mannes: Jabez. Wodurch zeichnete er sich besonders aus, dass Gott bei ihm verweilt? War er ein grosser Mann? Ist sein Leben von den Geschichtsschreibern erzählt worden? Hat er eine greifbare Erinnerung an sich in dieser Welt zurückgelassen? etwa ein Denkmal, ein grosses menschenfreundliches Werk …? Nein, aber dieser Mann hat gebetet, und Gott hat diese Tat in seinem Buch festgehalten. Und jetzt, nachdem die Zeit alles ausgelöscht hat, was jene Menschen an Herrlichem aufgebaut haben, ist dieses Gebet bis zu uns gelangt. Welch eine Ermunterung für uns, die zuweilen müde werden im Gebet (Heb 12,12)! Das Beispiel von Jabez, steht hier, um uns den Wert eines einzigen Gebets vor Gott zu zeigen. Es ist das erste, was der Herr im Blick auf Saulus von Tarsus hervorhebt, nachdem Er sich ihm zu erkennen gegeben hatte: «Siehe, er betet» (Apg 9,11). Gab es über diesen hervorragenden Juden, diesen aussergewöhnlichen Diener, nichts Wichtigeres zu sagen? Das, was in unserem Leben den grössten Wert hat, was über unseren natürlichen Fähigkeiten steht und sogar über dem Dienst, den der Herr uns anvertrauen konnte, das sind die Beziehungen der Gemeinschaft, die wir mit Ihm unterhalten.

«Und Jabez rief zu dem Gott Israels» (V. 10). Gott hebt diese Haltung im Verborgenen, die in den Augen der Welt so unbedeutend ist, hervor. Bei einer anderen Gelegenheit erschien das, was Maria getan hat, sogar in den Augen der Jünger überflüssig und nutzlos. Doch der Herr, der die Dinge anders beurteilt als die Menschen, erklärte, dass diese Frau ein gutes Werk getan habe. Und diese Tat ist wie das Gebet von Jabez im Wort Gottes festgehalten worden, und «wo irgend dieses Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch von dem geredet werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis» (Mt 26,6-13).

Aber kommen wir auf Jabez zurück. Für diesen Mann schien alles schlecht anzufangen. Durch eine schmerzvolle Geburt kam er zur Welt. Seine Mutter gab ihm den Namen «Er macht Schmerz». Von Anfang an schien dieses Kind benachteiligt gewesen zu sein. Die Menschen klagen leicht über Ungerechtigkeit, wenn sie an die Unterschiede denken, die unter Menschen herrschen. Ist Gott wirklich gerecht, wenn der eine kränklich und der andere völlig gesund geboren wird? Hat Gott den Gesunden nicht viel besser behandelt als den Schwächlichen? Das ist eine sehr menschliche Betrachtungsweise, und das Beispiel von Jabez steht hier, um uns zu belehren. Dieser Mann stützte sich auf den Gott Israels und rief seinen Namen an. Liegt nicht hier das Wesentliche? Hätte er dies auch getan, wenn die Umstände günstig für ihn gewesen wären, wenn sein Leben nicht durch das Wort «Schmerz» geprägt worden wäre? Wir lernen Gott tatsächlich durch unsere Bedürfnisse kennen.

Jabez war geehrter als seine Brüder. Das Geheimnis dieses Mannes war sein Gottvertrauen. Seine Geschichte bestätigt diese Wahrheit beständig: Der Glaube ehrt Gott, und Gott ehrt den Glauben (siehe 1. Sam 2,30).

Hören wir nun die vier konkreten Bitten, die sein Gebet enthielt:

Wenn du mich reichlich segnest

Jabez suchte den Segen, wo er zu finden ist (Spr 10,22). Reichlich: Sein Glaube ist kühn. Jabez bat um einen reichen Segen, weil er wusste, dass die Hilfsquellen Gottes unerschöpflich sind. «Nimm nicht wenige», sagte der Prophet Elisa zu einer Witwe. Und in jener Geschichte in 2. Könige 4,1-7 war es nicht das Öl, das versiegte, sondern es gab schliesslich keine von der Witwe bereitgestellten Gefässe mehr. Es ist unser Glaube, der begrenzt ist, niemals die Hilfsquellen Gottes. Das zeigt sich auch im Beispiel von Petrus in Lukas 5,6.7. Die Reichtümer der Gnade, die der Herr entfaltet, übersteigen das Mass der armseligen Mittel der Menschen: Die Netze begann zu reissen und die beiden Schiffe drohten zu sinken (Ps 61,3; siehe auch Mal 3,10).

Bitten wir Gott, dass Er uns von unserem Unglauben befreie, und dass Er uns einen kühneren Glauben schenke (Jak 1,6.7).

Wenn du meine Grenze erweiterst

Wir haben nötig, dass der Herr in uns immer mehr den Wunsch weckt, Fortschritte zu machen. Möge Er es uns schenken, dass wir uns die geistlichen Segnungen, die unser Teil in Christus sind, in immer vollerem Ausmass aneignen; denn «vom Land ist sehr viel übrig, in Besitz zu nehmen» (Jos 13,1). Bei Aksa findet man die gleiche Eigenschaft des Glaubens: «Gib mir einen Segen; denn ein Mittagsland hast du mir gegeben, so gib mir auch Wasserquellen» (Ri 1,12-15)! Sie verkannte das nicht, was Kaleb ihr gegeben hatte, aber sie bat um mehr. Ist das auch unser Wunsch? Wie sehr hatte Aksa den Glauben ihres Vaters nachgeahmt (Heb 13,7), der bei einer anderen Gelegenheit Josua bat: «Gib mir dieses Gebirge» (Jos 14,12). Und dies ungeachtet der Enakim, dieser Riesen, die dort wohnten!

Wenn deine Hand mit mir ist

Welch ein Beispiel von Abhängigkeit! Nichts ohne Ihn. Im Bewusstsein unserer Unzulänglichkeit verstehen wir, wie unentbehrlich uns der Herr ist. Indem Mose dieses begriff, sagte er: «Wenn dein Angesicht nicht mitgeht, so führe uns nicht von hier hinauf» (2. Mo 33,15). Die Unabhängigkeit ist eine verfeinerte Form unseres Stolzes, die Wurzel all unserer Niederlagen. Wenn wir uns weniger auf den Herrn stützen, ist es immer deshalb, weil wir zunehmendes Vertrauen zu uns selbst haben (2. Chr 26,15.16).

Wenn du das Übel fern hältst, dass kein Schmerz mich trifft

«Die Furcht des HERRN ist: das Böse hassen» (Spr 8,13). Wir, die wir uns in einer Welt befinden, die ganz im Bösen liegt (1. Joh 5,19), haben nötig, dass der Herr eine solche Furcht in uns bewirkt. Wir sind unfähig, uns vor der Sünde, die uns so leicht umstrickt, zu schützen (Heb 12,1). Nur der Herr vermag uns auf einem Weg der Heiligkeit und der praktischen Heiligung zu führen (Ps 23,3).

Und nun haben wir diesen Mann mit Namen «Schmerz» vor uns, wie er Gott bittet, ihn ohne Schmerz leben zu lassen. Er hatte verstanden, dass der Schmerz eine Folge des Bösen ist. Aber er erkannte, dass Gott in der Lage war, das von ihm wegzunehmen, was seit seiner Geburt an ihm haftete.

Es ist uns sicher nicht entgangen, dass alle diese Bitten mit dem Wörtchen «wenn» begonnen haben. Nun erwarten wir vielleicht einen Satz mit folgendem Aufbau: Wenn du …, dann werde ich … Aber nichts dergleichen kommt aus dem Mund von Jabez. Er hat gar kein Argument, das er geltend machen, gar keine Gegenleistung, die er vorweisen könnte. Er stellt sich ganz auf den Boden der Gnade Gottes, und dies gibt seinem Gebet einen solchen Wohlgeruch. Möchten wir uns stets auf diesem Boden aufhalten; denn nur aufgrund der Gnade können wir Gott im Gebet nahen und nur auf dieser Basis kann Er uns erhören.

Welch ein Gegensatz zu Jakob in 1. Mose 28,20! Auch er beginnt sein Anliegen mit einem «wenn». Auch er bittet Gott, ihn zu segnen. Aber er masst sich an, dem HERRN eine Gegenleistung entgegenzubringen: «So soll der HERR mein Gott sein … und von allem, was du mir geben wirst, werde ich dir gewiss den Zehnten geben» (V. 21,22). Armer Jakob, das war eher ein Vertrag, den er mit Gott abschliessen wollte: den Zehnten als Gegenleistung für den Segen (1. Mose 28,20-22). Hatte er vergessen, woher der Zehnte kam? (1. Chr 29,14).

Aber in der Geschichte von Jabez ist das Ende des 10. Verses bewundernswürdig, ja, grossartig: «Und Gott liess kommen, was er erbeten hatte.» Ohne Verdienst, ohne Beteuerungen und ohne Gegenleistung vonseiten von Jabez leuchtet die Gnade in ihrem vollen Glanz. Obwohl wir uns hier im Alten Testament befinden, betätigt sich die Gnade doch gegenüber einer der seltenen Personen, die sich auch auf diesen gesegneten Boden stellte.

Möge der Herr es uns schenken, uns auch wie ein Jabez auf die überströmende Gnade Gottes zu stützen (2. Kor 9,14). Dann wird Er uns erfahren lassen, dass diese Gnade, in welcher wir stehen, die wahre Gnade Gottes ist (1. Pet 5,12).