Nikodemus

Johannes 3,1-9; Johannes 7,50-52; Johannes 19,39-42

Im Johannes-Evangelium wird Nikodemus dreimal erwähnt. Diese drei Begebenheiten zeigen, wie dieser Mann innerlich Fortschritte machte, die nach aussen sichtbar wurden.

Das erste Mal lesen wir in Johannes 3 von ihm. Da er sich vermutlich vor den Menschen und ihrem Urteil fürchtete, kam er bei Nacht zum Herrn Jesus. Anerkennend bezeugte er: «Wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen.» Die Antwort des Herrn aber zielte direkt auf das Wesentliche: «Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.» Es ging nicht um die Frage, einem Lehrer nachzufolgen oder Wunder anzuerkennen, sondern um die Natur des Menschen.

Der Mensch muss von neuem geboren werden, wenn er das Reich Gottes sehen oder darin eingehen will. Dieses Muss ist unabhängig davon, ob es sich um den irdischen oder um den himmlischen Bereich des Reiches handelt. Wie hilflos ist der Mensch in sich selbst angesichts dieser absoluten Notwendigkeit! Doch es ist die unendliche Gnade des Herrn, die neben diese Notwendigkeit die grosse Tatsache des Kreuzes stellt. Er zeigt, dass die Liebe Gottes ewiges Leben durch den Glauben an Ihn, den Gekreuzigten, anbietet. Johannes 3,16 ist das passende und göttliche Gegenstück zu Johannes 3,3.

Nikodemus verliess also den Herrn einerseits mit dem klaren Zeugnis über das, was er dringend brauchte, und anderseits mit dem, was Gott für ihn bereitstellen würde. Wir wissen nicht, ob das Gespräch des Herrn Jesus mit ihm eine unmittelbare Auswirkung hatte. Doch wir können sicher annehmen, dass es bei ihm eine tiefe Herzensübung hervorrief.

Das zweite Mal lesen wir in Johannes 7,50-52 von Nikodemus. Da sehen wir ihn als einen, der zum Synedrium, dem Rat der Juden, gehörte. Dort waren viele Pharisäer bemüht, den Herrn zu beseitigen. Der Widerstand und die Feindschaft hatte ständig zugenommen. Jeder Beweis der Macht Gottes, jedes Wort der Gnade und der Wahrheit aus dem Mund des Herrn Jesus hatten, anstatt ihre Herzen weicher zu machen, sie nur noch entschlossener gemacht, Ihn umzubringen. Auf dem Fest der Laubhütten, wo seine Worte der Gnade so klar und sein Zeugnis so eindeutig waren, sandten sie Diener, um Ihn zu verhaften (Joh 7,32). Doch diese kehrten ohne Ihn zurück und wurden gefragt: «Warum habt ihr ihn nicht gebracht?» Ihre Antwort lautete einfach: «Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch.»

Doch die Pharisäer versuchten sofort, Ihn herabzuwürdigen: «Hat wohl jemand von den Obersten an ihn geglaubt?» Sozusagen als Antwort auf ihre Frage, äusserte sich nun einer von ihnen und plädierte wenigstens für eine gerechte Behandlung des Herrn. Wenn sie bereit gewesen wären, eine faire, unparteiische Untersuchung seiner Taten und Worte zuzulassen, wäre das Resultat eindeutig gewesen.

Hier trat Nikodemus öffentlich auf und forderte die Fairness, die das Gesetz Gottes im Fall eines Angeklagten verlangte. Er weigerte sich, in die Verurteilung eines Menschen einzustimmen, dessen Schuld gar nicht bewiesen war. Vielleicht dürfen wir sogar annehmen, dass Nikodemus weitergegangen wäre und gesagt hätte, dieser Mensch sei unschuldig.

Doch der menschliche und satanische Hass liess sich nicht zurückhalten. So gingen diese Leute weiter, bis sie das schreckliche Ziel ihres Hasses erreicht hatten. Weil der Herr den Willen seines Vaters ausführen wollte, gebrauchte Er seine göttliche Macht nicht, um diese Bosheit zu durchkreuzen. Er war ja in die Welt gekommen, um durch seinen Opfertod eine Erlösung zu bewirken. So ging Er ohne Murren zum Kreuz. Wunderbarer Herr! Wie wahr sind die Worte: «Da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende.» Nachdem das letzte prophetische Wort erfüllt war, konnte Er sagen: «Es ist vollbracht!» Alle Voraussagen auf seinen Tod, alle Vorausbilder und Schatten, alle Forderungen eines heiligen Gesetzes, das wir gebrochen hatten, alles, was die Herrlichkeit Gottes gerechterweise forderte, um seine Liebe und Gnade zu verlorenen, schuldigen Menschen ausfliessen zu lassen – alles war vollbracht.

Mit seinem Tod meinten die Feinde, ihr Ziel erreicht und Den beseitigt zu haben, den sie als Betrüger und Übeltäter betrachteten. Es war die Stunde des scheinbaren Triumphs für Satan und die von ihm Betrogenen. Die Welt hatte ihr Ziel erreicht.

Aber gerade da, in der Stunde grösster moralischer Dunkelheit, leuchtet der Glaube von Nikodemus am hellsten. Zusammen mit Joseph von Arimathia machte er sich eins mit dem gekreuzigten und nun gestorbenen Christus. Mit ihrer Tat bezeugten die beiden Ratsherren ihren Glauben an Ihn und dokumentierten ihre Trennung von denen, die Ihn verworfen hatten.

Und was zeigen die hundert Pfund Gewürzsalben aus Myrrhe und Aloe, die die beiden brachten? Wie bei Maria von Bethanien waren diese Salben ein Ausdruck von Liebe und Hingabe an den Herrn. Aber nicht nur das. Sie waren auch ein Zeugnis des Glaubens von Nikodemus an Ihn – eines Glaubens, der nun jede Menschenfurcht abgeschüttelt hatte. Gleichzeitig bezeugte dieser Glaube in dunkelster Stunde, als alles wie eine Niederlage des Herrn aussah, dass Er der Sieger war. Der Wohlgeruch galt seinem Sieg und wurde Ihm als Anbetung und Dankopfer dargebracht.