Die Psalmen 137 – 145 geben uns in ihrer prophetischen Sichtweise kurz vor dem Tausendjährigen Reich einen Rückblick auf die Erfahrungen des gläubigen Überrests aus Israel. Bis auf einen Psalm stammen sie alle von David. Er hat sie vermutlich in der Zeit gedichtet, als er von Saul verfolgt wurde (Ps 142,1). Neben dieser prophetischen Bedeutung enthalten sie praktische Hinweise und Belehrungen für uns, denn die Erfahrungen des Überrests können wir – mit der gebotenen Vorsicht – auf uns übertragen.
Psalm 143 hat zwei klar erkennbare Teile. In den ersten sechs Versen wendet sich David an Gott, um vor seinen Feinden bewahrt und gerettet zu werden. Seine Zuflucht ist sein Gott. Zu Ihm allein will er seine Hände ausbreiten. Vers 6 endet mit einer Pause – angedeutet durch das Wort «Sela».
Im zweiten Teil des Psalms (V. 7-12) bringt David sieben konkrete Bitten vor seinen Gott, die wir einmal praktisch auf uns anwenden wollen. Sie sind dazu angetan, unser eigenes Gebetsleben zu überprüfen und zu bereichern.
Erste Bitte: Erhöre mich!
David sagt in Vers 7: «Eilends erhöre mich, HERR! … Verbirg dein Angesicht nicht vor mir!» Immer wieder finden wir diese Bitte um Erhörung der Gebete in den Psalmen. David hatte in seiner Not manches auf dem Herzen und wünschte, dass Gott ihn nicht nur hören, sondern auch erhören möge. Die Not drängte ihn so, dass er Gott um Eile bat. Vor allem aber empfand er, wie wichtig es war, dass Gott ihn in seinen Umständen sah.
Das Neue Testament gibt uns Christen die feste Zusage, dass wir mit allem, was uns auf dem Herzen liegt – sei es Leid und Not oder Freude und Glück – zu unserem Herrn kommen dürfen. Er hat immer ein offenes Ohr für uns. Er hört unsere Gebete. Er sieht uns in unserer Lebenssituation. Ob Er unsere Bitten immer erhört, überlassen wir seiner göttlichen Weisheit. Wenn wir nach seinem Willen bitten, haben wir die Garantie der Erhörung. Oft aber wissen wir nicht recht, was wir bitten und wie wir beten sollen. Aber eins ist sicher: Mit allem, was uns auf dem Herzen liegt, können wir zum Herrn kommen und Ihn bitten, dass Er uns hilft. Wir wissen, dass Er uns sieht und uns keinen einzigen Augenblick aus den Augen verliert. Das Gebet zu Ihm bewahrt uns den inneren Frieden.
Zweite Bitte: Lass mich früh hören!
In Vers 8 schliesst sich die zweite Bitte an: «Lass mich früh hören deine Güte, denn auf dich vertraue ich.» David hatte trotz der Bedrängnis den Wunsch nach einem tiefen Empfinden der Güte Gottes in seinem Leben. Güte ist unverdiente Zuwendung des Guten an einen Menschen. David hatte sie erfahren, und er wollte selbst in grosser Not offene Ohren und Augen für die Güte Gottes haben. Am frühen Morgen sollte sie ihn bereits beschäftigen.
Schwierigkeiten können uns leicht vergessen lassen, dass wir jeden Tag von der Güte Gottes leben. Sie ist tatsächlich gross, und wir haben nötig, ständig daran erinnert zu werden. Der frühe Morgen – wenn der Tag mit all dem, was er bringen mag, noch vor uns liegt – ist ein guter Moment, um im Gebet an die Güte Gottes zu denken. Mit David können wir deshalb zu Gott beten, dass Er uns die Empfindungen für seine Güte in unserem Leben öffnet und erhält. Es gibt so viel Gutes, das Gott an seinen Kindern tut! Der Gedanke daran lässt uns ganz anders in den Tag hinein gehen, als wenn wir direkt beginnen, uns mit den Herausforderungen und Sorgen des Tages auseinanderzusetzen.
Dritte Bitte: Tu mir kund den Weg!
Wir können uns gut vorstellen, dass David diese dritte Bitte in Vers 8 ebenfalls am Morgen an seinen Gott richtete: «Tu mir kund den Weg, den ich wandeln soll!» David wusste seinen Weg oft nicht. Inmitten der Gefahren, in denen er sich befand, konnte er seinen Tagesablauf kaum sicher planen. Oft war es nötig, von einem Augenblick zum anderen zu entscheiden, wohin er sich wenden sollte. Deshalb war diese Bitte sehr verständlich.
Wie David sollen wir ebenfalls unseren Weg dem Herrn anbefehlen. Viele von uns planen ihre Aktivitäten im Voraus – und oft geht das gar nicht anders. Dennoch ist es wichtig, dass wir für die Wegweisungen unseres Herrn offen sind. Er hat versprochen, dass Er uns den Weg lehren will, den wir gehen sollen. Er hat versprochen, seine Augen auf uns zu richten, um uns zu raten. Diese Zusage war David nicht unbekannt (vgl. Ps 32,8). Trotzdem ist es wichtig, dass wir unseren Gott immer wieder bitten, uns seinen Weg zu zeigen. Jeder Tag bringt – allen Planungen zum Trotz – viele Situationen mit sich, wo wir entscheiden müssen. Nicht immer sind es grundlegende Entscheidungen, aber doch Situationen, in denen wir den Weg des Herrn erkennen müssen – sei es im Berufsleben, im Familienleben, im Versammlungsleben oder zu anderen Gegebenheiten. Deshalb wollen wir die Bitte Davids zu der unseren machen: «Tu mir kund den Weg, den ich wandeln soll!»
Vierte Bitte: Errette mich!
David wusste um die Feinde, die ihn bedrohten. Deshalb betete er in Vers 9: «Errette mich, HERR, von meinen Feinden! Zu dir nehme ich meine Zuflucht.» Wörtlich übersetzt bedeutet der zweite Satz: «Bei dir decke ich mich zu.» In diesen Worten liegt einerseits seine Sorge vor einem feindlichen Angriff und anderseits seine Zuversicht, bei seinem Gott geschützt zu sein.
Wir haben heute in unseren Ländern andere Feinde als David damals. Es sind keine Feinde, die uns unmittelbar nach dem Leben trachten. Dafür sind wir dankbar. Dennoch gibt es im Leben des Christen ebenfalls Feinde, vor denen wir täglich gerettet werden müssen:
- Der Teufel ist der grosse Widersacher Gottes und ein Feind der Gläubigen. Täglich greift er uns an.
- Die Welt ist ein Feind um uns herum, die jeden Tag ihre Hand gegen uns ausstreckt. Sie lockt uns und möchte uns in ihren Bann ziehen.
- Schliesslich haben wir einen Feind in uns selbst, der uns immer wieder zur Sünde verleiten möchte. Es ist das Fleisch, die alte Natur.
Deshalb muss es täglich unsere Bitte sein, vor diesen Feinden gerettet und bewahrt zu werden. Wir sollten sie nicht unterschätzen. Sie sind sehr gefährlich. Wenn wir nicht die Nähe und den Schutz unseres Herrn suchen, werden wir schnell eine Niederlage einstecken.
Fünfte Bitte: Lehre mich dein Wohlgefallen tun!
In Vers 10 betete David darum, dass Gott ihn lehren sollte, sein Wohlgefallen zu tun. In der täglichen Gefahr, in der er sich befand, konnte er das leicht aus den Augen verlieren. Die ständig wechselnden Situationen konnten schnell dazu führen, dass er aus eigenem Antrieb handelte und den Willen und das Wohlgefallen Gottes in den Hintergrund schob.
Das vollkommene Vorbild für uns ist der Herr Jesus. Er kam auf die Erde und konnte trotz seiner widrigen Umstände sagen: «Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust (mein Gefallen)» (Ps 40,9). Er wusste genau, was seinem himmlischen Vater Freude machte. Er kannte dessen Willen und hat ihn in allen Einzelheiten getan. Wir haben nötig, darum zu bitten, den Willen Gottes für unser Leben zu erkennen, damit wir sein Wohlgefallen tun können. Wir müssen gelehrt werden, um zur Freude unseres Herrn unser Leben zu führen – und das nicht nur am Sonntag, sondern gerade im Alltag. Gott hat einen Willen für unser Leben. Er möchte durch uns verherrlicht werden. Das geschieht nicht von selbst. Deshalb ist die Bitte angebracht: «Lehre mich dein Wohlgefallen tun!» Der Herr Jesus ist der beste Lehrmeister, und sein Leben liefert uns das perfekte Beispiel dafür, was es heisst, nach Gottes Wohlgefallen zu leben.
Sechste Bitte: Leite mich!
David schliesst in Vers 10 eine weitere Bitte an: «Dein guter Geist leite mich in ebenem Land!» Andere übersetzen diese Bitte so: «Dein Geist ist gut. Leite mich in ebenem Land!» (siehe englische Übersetzung von J.N. Darby). David wusste vom guten Geist Gottes und es war sein Wunsch, dass dieser Geist ihn in einem ebenen Land leiten sollte.
Wir wissen mehr als David. Wir kennen den Geist Gottes nicht nur, Er wohnt sogar in uns. Unser Körper ist die Wohnstätte des Heiligen Geistes. Dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass wir uns im täglichen Leben von diesem Geist leiten lassen. Das Neue Testament spricht mehrfach von der Leitung durch den Heiligen Geist (z. B. Röm 8,14, Gal 5,18). Kinder Gottes werden aber nicht «automatisch» durch den Geist geleitet. Wir müssen es jeden Tag neu Wirklichkeit werden lassen, dass der Geist Gottes uns leitet und wir nicht selbst die Regie übernehmen. David verbindet die Führung durch den Geist mit einem ebenen Land. Selbst wenn unsere Wege oft durch Hindernisse verstellt werden, die sich wie Berge auftürmen, führt der Geist Gottes uns dennoch in einem «ebenen» Land. Unter seiner Leitung werden wir in einem «weiten Raum» wandeln (Ps 119,45).
Siebte Bitte: Belebe mich!
Eine letzte Bitte schliesst sich in Vers 11 an: «Um deines Namens willen, HERR, belebe mich!» Das bedeutete für David konkret, dass er zu Gott betete: HERR, erhalte mich am Leben (siehe Fussnote). David befand sich ständig in Lebensgefahr, so dass wir diese Bitte gut verstehen können. In lebensbedrohenden Situationen ist es nur natürlich, dass dieser Wunsch an Gott gerichtet wird.
Die Bitte um «Belebung» finden wir häufig im Alten Testament. Auch als Christen haben wir es nötig, so zu beten. Selbst wenn die Umstände für unser natürliches Leben in der Regel nicht «lebensbedrohlich» sind, stehen wir trotzdem in der Gefahr, dass unser Glaubensleben einschläft und wir geistlich nicht mehr «hellwach» sind. Deshalb fordert uns das Neue Testament auf, nicht zu schlafen (z. B. 1. Thes 5,6; Eph 5,14). Gott möchte, dass wir wache Christen sind:
- Wachsam, um auf unseren Herrn zu warten
- wachsam, um die Gefahren unserer Zeit zu erkennen
- wachsam, um Ihm zu dienen, solange Er uns auf der Erde lässt
Schläfrige Christen sind Christen, mit denen der Herr nicht viel anfangen kann. Im Gegenzug sagt Er selbst: «Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird!» (Lk 12,37).
Wir wollen uns von den Bitten Davids – geäussert in einer ganz anderen Zeit und unter ganz anderen Umständen – motivieren lassen, unser Gebetsleben zu überprüfen und – wenn erforderlich – anzupassen.