Das Alte Testament redet an verschiedenen Stellen von der Furcht des HERRN. Diese sittliche Tugend darf und soll auch den Christen kennzeichnen. Das hebräische Substantiv «yireh» kommt im Alten Testament 38 mal vor, während das entsprechende Verb öfter gebraucht wird.
Auffallend ist, dass allein das Buch der Sprüche vierzehnmal von der Furcht des HERRN spricht. Diese vierzehn Stellen im Zusammenhang und Überblick zu besehen, ist lehrreich und nützlich. Doch zunächst: Was ist unter der Furcht des HERRN (Gottesfurcht) zu verstehen?
Gottesfurcht ist nicht Angst
Um es gleich vorweg zu nehmen: Gottesfurcht ist nicht Angst im eigentlichen Sinn des Wortes. Der hebräische Bibeltext gebraucht verschiedene Worte, die im Deutschen mit «Furcht» oder «Angst» wiedergegeben werden. Das für Furcht des HERRN gebrauchte Wort kann auch mit «Ehrfurcht» oder «Verehrung» übersetzt werden. Es handelt sich also um die innere Haltung des Menschen zu Gott – um eine Herzenshaltung, die von Ehrfurcht und Verehrung geprägt ist.
Dabei dürfen wir in zwei Richtungen denken: Der gottesfürchtige Christ wird erstens in der richtigen Art und Weise von Gott denken (und reden). Zweitens wird er auch sich selbst im Licht Gottes so erkennen, wie Gott ihn sieht. Beides ist von grosser praktischer Bedeutung. Beides scheint heute aber eine Mangelerscheinung zu sein.
- Richtig über Gott denken: Gott hat sich – und dafür wollen wir Ihm ewig dankbar sein – im Herrn Jesus als Vater offenbart. Jeder, der in der Zeit der Gnade aus Gott geboren ist, darf Ihn Vater nennen. Er darf sich von diesem Vater geliebt wissen. Mit allem, was uns auf dem Herzen liegt, dürfen wir zu Ihm kommen. Dabei bleibt es wahr, dass dieser himmlische Vater gleichzeitig der grosse Gott ist. Er ist heilig. Er ist Licht. Er kann Sünde nicht sehen. Der Hebräer-Brief greift ein Zitat aus 5. Mose 4 auf und sagt: «Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer» (Heb 12,29). Ein gottesfürchtiger Christ wird das nie vergessen. Die Klischeevorstellung vieler Christen, dass Gott ein gütiger alter Mann mit weissem Bart sei, hat nichts mit der Gottesoffenbarung der Bibel zu tun. Sie ist schlichtweg falsch, unbiblisch, ja, lästerlich. Nein, Gott ist ein heiliger Gott. Deshalb werden wir auch zur Heiligkeit aufgefordert: «Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel» (1. Pet 1,15). So drückt sich Gottesfurcht praktisch aus.
- Richtig über sich selbst denken: Wer ein biblisch geprägtes Gottesbild hat, wird auch in der richtigen Weise über sich selbst denken. Grosse Männer Gottes des Alten und Neuen Testaments sind uns da Beispiel: Als Gott in seinen Erziehungswegen mit Hiob am Ziel war und Er sich ihm offenbart hatte, hören wir dessen Worte: «Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche» (Hiob 42,6). Als Salomo von Gott den Auftrag bekam, Ihm ein Haus zu bauen, sagte dieser hoch begabte und begnadete König: «Aber wer vermag ihm ein Haus zu bauen? Denn die Himmel und der Himmel Himmel können ihn nicht fassen. Und wer bin ich, dass ich ihm ein Haus bauen sollte?» (2. Chr 2,5). Auch der Apostel Paulus ist uns in seiner Demut ein Beispiel. Er nennt sich den «ersten» der Sünder (1. Tim 1,15). Das ist echte Demut, und auch darin drückt sich Gottesfurcht aus.
Und nun zum Buch der Sprüche. Wir wollen die verschiedenen Aussagen über die Furcht des HERRN ein wenig einteilen. Wir erkennen Aussagen über die Voraussetzungen, über den Wert, über die Bedeutung und über die Folgen der Furcht des HERRN.
Voraussetzung zur Furcht des HERRN
Gottesfurcht stellt sich nicht von selbst ein. Sie ist weder ein unbewusster Ablauf noch etwas, das von selbst funktioniert. Eine sehr wesentliche Voraussetzung dafür liegt im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes.
- Sprüche 2,1-5: «Mein Sohn, wenn du meine Reden annimmst und meine Gebote bei dir verwahrst, so dass du dein Ohr aufmerksam auf Weisheit hören lässt, dein Herz neigst zum Verständnis; ja, wenn du dem Verstand rufst, deine Stimme erhebst zum Verständnis; wenn du ihn suchst wie Silber und wie nach verborgenen Schätzen ihm nachspürst: Dann wirst du die Furcht des HERRN verstehen und die Erkenntnis Gottes finden.»
Ein mutmachendes Beispiel dazu finden wir im Propheten Haggai. Als Gott seinem Volk vorwerfen musste, dass sie sich nur für ihre eigenen Häuser interessierten, während sein Haus wüst lag, hörten die Menschen auf die Stimme ihres Gottes. Und was war die Folge? «Das Volk fürchtete sich vor dem HERRN» (Hag 1,12). Nur wenn Gottes Wort einen Platz im Herzen hat und wir bereit sind, sein Wort zu tun, kann sich Gottesfurcht einstellen.
Darüber hinaus ist Gottesfurcht etwas, das wir immer wieder neu unter Beweis zu stellen haben. Es ist eine tägliche Übung des gläubigen Christen:
- Sprüche 23,17: «Dein Herz beneide nicht die Sünder, sondern beeifere sich jeden Tag um die Furcht des HERRN.»
Wollen wir das tun? Es kostet sicher etwas Mühe, aber es lohnt sich immer.
Der Wert der Furcht des HERRN
Wenn auch Gottesfurcht in den Augen vieler Menschen – und leider auch vieler Christen – einen geringen Stellenwert haben mag, so denkt Gott doch anders darüber:
- Sprüche 15,16: «Besser wenig mit der Furcht des HERRN, als ein grosser Schatz und Unruhe dabei.»
Wir erkennen deutlich: Die Wertmassstäbe Gottes sind keine menschlichen Massstäbe. Wir müssen manchmal lernen, dass seine Wertmassstäbe anders – aber immer besser – sind.
Die Bedeutung der Furcht des HERRN
Salomo spricht mehrfach über die Bedeutung und den Wert der Furcht des HERRN. Er bringt sie vor allem mit Erkenntnis, Weisheit und Unterweisung in Verbindung.
- Sprüche 1,7: «Die Furcht des HERRN ist der Anfang der Erkenntnis; die Narren verachten Weisheit und Unterweisung.»
- Sprüche 9,10: «Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang; und die Erkenntnis des Heiligen ist Verstand.»
- Sprüche 15,33: «Die Furcht des HERRN ist Unterweisung zur Weisheit, und der Ehre geht Demut voraus.»
Wirkliche Erkenntnis der Gedanken Gottes ist keine Frage von Intelligenz und Intellekt, sondern eine Frage der inneren Haltung des Christen zu Gott. Ohne echte Gottesfurcht gibt es keine wirkliche Erkenntnis seiner Gedanken. Gott offenbart sich dem, der Ihn fürchtet. Gerade junge Geschwister, die anfangen, sich mit der Wahrheit der Bibel intensiv zu beschäftigen, dürfen diesen Gedanken tief ins Herz fassen: Der Anfang aller Erkenntnis und Weisheit ist Gottesfurcht. Dazu wird der Herr sich immer bekennen.
Positive Folgen der Gottesfurcht
Unser Gott ist ein guter Gott. Wenn Er Gottesfurcht im Herzen findet, wird Er das nicht ohne Lohn lassen. Er kommt mit seinen Zusagen zu uns. Sie lauten in den Sprüchen so:
- Sprüche 14,26: «In der Furcht des HERRN ist ein starkes Vertrauen, und seine Kinder haben eine Zuflucht.»
- Sprüche 22,4: «Die Folge der Demut und der Furcht des HERRN ist Reichtum und Ehre und Leben.»
- Sprüche 19,23: «Die Furcht des HERRN ist zum Leben; und gesättigt verbringt man die Nacht, wird nicht heimgesucht vom Unglück.»
- Sprüche 14,27: «Die Furcht des HERRN ist eine Quelle des Lebens, um den Fallstricken des Todes zu entgehen.»
- Sprüche 10,27: «Die Furcht des HERRN mehrt die Tage, aber die Jahre der Gottlosen werden verkürzt.»
Beim Lesen und Überdenken dieser Versprechen wollen wir nicht vergessen, dass wir uns auf dem Boden des Alten Testaments befinden. Deshalb können wir die zugesagten Segnungen nicht immer eins zu eins übertragen, sondern müssen die geistliche Anwendung im Auge behalten. Was aber deutlich wird, ist die Tatsache, dass Gott gelebte Gottesfurcht bei seinen Kindern nie ohne Antwort lässt. Er wird Segen geben.
Darüber hinaus ist die Gottesfurcht ein Mittel zur Bewahrung. Dafür ist uns Joseph ein schönes Beispiel. Als die Versuchung in Form einer Frau an ihn herantrat, hören wir ihn sagen: «Wie sollte ich dieses grosse Übel tun und gegen Gott sündigen?» (1. Mo 39,9). Joseph hatte erstens ein Empfinden dafür, was böse war, und zweitens war ihm klar, dass Sünde in erster Linie ein Vergehen gegen Gott ist. So drückt sich Gottesfurcht ganz praktisch aus. Dazu die Worte Salomos aus den Sprüchen:
- Sprüche 8,13: «Die Furcht des HERRN ist: das Böse hassen.»
- Sprüche 16,6: «Durch Güte und Wahrheit wird die Ungerechtigkeit gesühnt, und durch die Furcht des HERRN weicht man vom Bösen.»
Keine Gottesfurcht
Gott schweigt nicht darüber, was mit denen passiert, die sich wider besseres Wissen weigern, Ihn zu fürchten und zu ehren. Der Mensch hat einen verdorbenen Willen. Er entscheidet sich immer wieder gegen Gott, gehorcht Ihm nicht, fürchtet Ihn nicht und tut, was ihm selbst gefällt. Allerdings wird er dann auch für die Folgen verantwortlich gemacht. Das ist das Handeln Gottes in seiner Regierung – auch im Leben eines Christen:
- Sprüche 1,24-30: «Weil ich gerufen habe und ihr euch geweigert habt, meine Hand ausgestreckt habe und niemand zugehört hat, und ihr all meinen Rat verworfen und meine Zucht nicht gewollt habt: So werde auch ich bei eurem Unglück lachen, werde spotten, wenn der Schrecken über euch kommt; wenn der Schrecken über euch kommt wie ein Unwetter, und euer Unglück hereinbricht wie ein Sturm, wenn Bedrängnis und Angst über euch kommen. Dann werden sie zu mir rufen, und ich werde nicht antworten; sie werden mich eifrig suchen und mich nicht finden, weil sie Erkenntnis gehasst und die Furcht des HERRN nicht erwählt, nicht eingewilligt haben in meinen Rat, verschmäht haben all meine Zucht.»
Gottesfurcht in unserer Zeit
Wir brauchen wohl nur wenig Einsicht, um festzustellen, dass Gottesfurcht in unserer Zeit wenig gefragt ist. Dabei wollen wir nicht in erster Linie mit unseren Fingern auf die anderen zeigen (Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kirche usw.), sondern wir dürfen und müssen bei uns selbst anfangen. Wie ist es in meinem persönlichen Leben? Wie ist es im Leben der christlichen Familien? Wie steht es im Leben der Familie Gottes? Wir wollen diesen Fragen nicht ausweichen. Vielleicht schenkt es der Herr, dass wir im Licht der vierzehn Aussagen im Buch der Sprüche neu über den Stellenwert der Gottesfurcht in unserem Leben nachdenken. Gott wird sich ganz sicher dazu bekennen.