Wie reagierte Mose auf Sünde und Versagen im Volk Gottes?

2. Mose 32,12; 4. Mose 14,19; 4. Mose 17,11; 4. Mose 25,5

Wir befassen uns in diesem Artikel mit vier verschiedenen Begebenheiten aus dem Leben von Mose, in denen er in einer erstaunlichen Weise auf Versagen im Volk Gottes reagierte. Drei Mal trat er in Fürsprache für Israel ein, obwohl er offensichtlich allen Grund hatte, entrüstet zu sein. Seine Selbstverleugnung und die «Gegenvorschläge», die er Gott machte, sind bemerkenswert. Wenn uns jedoch die Motivation dieses Mannes Gottes in diesen drei Begebenheiten klar wird, erstaunt es uns sehr, dass er sich beim vierten Mal überhaupt nicht für das Volk einsetzte.

Bibelstelle Sünde des Volkes Reaktion
2. Mo 32,12
4. Mo 14,19
4. Mo 17,11
4. Mo 25,5
Aberglaube
Unglaube
Identifikation mit den gerichteten Aufrührern
Andauernde Hurerei und Götzendienst
Fürsprache
Fürsprache
Fürsprache
Gericht

Ein kurzer Vergleich der vier Vorfälle kann uns eine Antwort auf das scheinbare Rätsel geben:

1) Aberglaube in 2. Mose 32

«Kehre um von der Glut deines Zorns und lass dich des Übels gegen dein Volk gereuen» (V. 12).

Die erste Begebenheit ereignete sich, unmittelbar nachdem Gott das Gesetz gegeben hatte. Die Israeliten waren «schnell von dem Weg abgewichen» (V. 8) und hatten sich ein gegossenes Kalb gemacht: «Auf, mache uns Götter!» (V. 1). Sie opferten Brandopfer und brachten Friedensopfer dar (V. 6). Sie verehrten das goldene Kalb als den Gott, der sie aus dem Land Ägypten heraufgeführt habe (V. 4). Das Volk, das kurz vorher erklärt hatte: «Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun!», hatte sich nun auf Götzendienst eingelassen.

Gott nahm davon Notiz, sogar von jedem Detail. Er berichtete Mose diese Einzelheiten (V. 7-9) und schloss mit den Worten: «Es ist ein hartnäckiges Volk; und nun lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrenne und ich sie vernichte» (V. 9.10). Gleichzeitig versprach Er Mose, dass Er ihn vor diesem Gericht verschonen und ihn «zu einer grossen Nation» machen werde.

Wir wollen hier einen Moment stehen bleiben und uns fragen: Wie hätten wir reagiert, wenn wir an der Stelle von Mose gewesen wären? Er war nicht im Geringsten an der Sünde des Volkes beteiligt. Wir würden nun erwarten,

  • dass er zum Ausdruck bringt, wie er den gerechten Zorn Gottes über die Sünde teilt.
  • dass er die Gelegenheit, sich einen Ehrenplatz zu sichern, ergreift; denn Gott hat ihm angeboten: «Ich will dich zu einer grossen Nation machen» (V. 10).

Stattdessen lesen wir: «Mose flehte zum HERRN, seinem Gott, und sprach: Warum, HERR, sollte dein Zorn entbrennen gegen dein Volk, das du aus dem Land Ägypten herausgeführt hast?» (V. 11). Anstatt das hartnäckige Volk zu verdammen, legte er Fürsprache für Israel ein. Diese Reaktion muss für jeden bemerkenswert sein, der weiss, wie leicht wir unsere Mitchristen verurteilen.

Mose nahm hier die Haltung eines Fürsprechers ein und wird dadurch ein eindrückliches Bild von Christus, der sich für sein Volk verwendet (Heb 7,25). Es gab nur wenig Positives, das Mose zugunsten des Volkes aufzählen konnte. Aber er fand Gründe, Gott zu bitten, «sich des Übels gegen sein Volk gereuen zu lassen», d.h. seine Meinung über das angekündigte Gericht zu ändern:

  • «Warum, HERR, sollte dein Zorn entbrennen gegen dein Volk, das du aus dem Land Ägypten herausgeführt hast mit grosser Kraft und mit starker Hand?» (V. 11). Es war Gott (nicht Mose; V. 7), der sein Volk aus Ägypten geführt hatte.
  • «Warum sollten die Ägypter so sprechen: Zum Unglück hat er sie herausgeführt, um sie im Gebirge zu töten?» (V. 12). Sollten die Feinde des Volkes spotten und lästern?
  • «Gedenke Abrahams, Isaaks und Israels, deiner Knechte, denen du bei dir selbst geschworen hast» (V. 13). Gott hatte doch bei sich selbst, nicht bei der Treue des Volkes geschworen!

Kurz gesagt: Es ging Mose um die Herrlichkeit Gottes, nicht um seine Ehre oder seine Interessen. Er handelte auch nicht in fleischlicher Entrüstung gegen das Volk Gottes. Obwohl die Situation den göttlichen Zorn rechtfertigte, überlegte Mose anders und dachte zuerst an die Herrlichkeit Gottes.

Das bemerkenswerte Resultat war: «Es reute den HERRN das Übel, wovon er geredet hatte, dass er es seinem Volk tun werde» (V. 14). Das Volk wurde verschont. Es blieb ein Zeugnis für Gott bestehen, als das Volk seine Reise durch die Wüste zum verheissenen Land weiterführte. Das war das Ergebnis der Fürsprache eines Mannes Gottes, dem es nicht um seine eigene, sondern um Gottes Ehre ging und der sich deshalb für das Volk einsetzte.

Als Mose später vom Berg herabkam, folgte eine Reihe anderer Handlungen: Er zerbrach die beiden Gesetzestafeln (V. 19), er forderte zu einer Entscheidung für Gott auf (V. 26) und liess das Gericht ausführen (V. 27). Die Schwere der Sünde (Götzendienst) erforderte sowohl eine Entscheidung der Gottesfürchtigen als auch ein Gericht über solche, die nicht «für den HERRN» sein wollten.

Doch wir halten fest: Mose trat zuerst in Fürbitte für das Volk ein.

2) Unglaube in 4. Mose 14

«Vergib doch die Ungerechtigkeit dieses Volkes nach der Grösse deiner Güte» (V. 19).

Zwölf Spione hatten das Land Kanaan ausgekundschaftet. Aber nur zwei von ihnen brachten gute Nachrichten. Die zehn anderen verbreiteten «ein böses Gerücht», indem sie sagten: «Das Land, das wir durchzogen haben, um es auszukundschaften, ist ein Land, das seine Bewohner frisst; und alles Volk, das wir darin gesehen haben, sind Leute von hohem Wuchs; auch haben wir dort die Riesen gesehen» (4. Mo 13,32.33).

Als Ergebnis dieser Nachricht des Unglaubens «erhob die ganze Gemeinde ihre Stimme und schrie» (V. 1). Sie murrten gegen Mose, wünschten, sie wären in Ägypten gestorben, und beschuldigten Gott (V. 2.3). Ihr Vorschlag ist schockierend: «Lasst uns ein Haupt über uns setzen und nach Ägypten zurückkehren!» (V. 4). Als Josua und Kaleb einen guten Bericht über das Land abgaben (V. 6-9), «sagte die ganze Gemeinde, dass man sie steinigen solle» (V. 10).

«Ein hoffnungsloser Fall!», würden wir sagen. Tatsächlich lautet der Kommentar Gottes über dieses Verhalten: «Wie lange will mich dieses Volk verachten, und wie lange wollen sie mir nicht glauben bei all den Zeichen, die ich in ihrer Mitte getan habe? Ich will es mit der Pest schlagen und es vertilgen» (V. 11.12). Der berechtigte Vorwurf gegen das Volk war Unglaube. Gott hatte ihnen doch zugesagt, dass Er ihnen dieses gute Land geben wollte. Da war es überhaupt nicht nötig, Spione auszusenden. Auch nach dem Reisebericht der Gesandten hätten die Israeliten Gott vertrauen sollen, dass Er sie befähigen würde, das Land zu erobern, wie Er ihnen verheissen hatte.

In Ergänzung zu diesem gerechtfertigten Vorwurf machte der HERR Mose wieder einen Vorschlag: «Ich will dich zu einer Nation machen, grösser und stärker als sie» (V. 12). Auch diesmal trat Mose in Fürbitte für das Volk ein. Er vergass sich selbst und legte bei Gott zugunsten des Volkes Berufung ein. Seine Fürsprache gründete sich:

  • auf die Auswirkungen, die der Vorschlag des HERRN auf die Ehre Gottes haben würde (V. 14-16),
  • auf die Eigenschaften Gottes, der langsam zum Zorn und gross an Güte ist (V. 18), sowie
  • auf sein gnädiges Handeln mit dem Volk bei früheren Gelegenheiten (V. 19).

Die Folgen dieses Ereignisses waren zweifach:

  • Als Antwort auf die Fürbitte von Mose vergab der HERR die Ungerechtigkeit des Volkes (V. 20).
  • Gleichzeitig kündete Er sein regierungsmässiges Handeln mit dem Volk an: Alle, die 20 Jahre oder älter waren, mussten in der Wüste sterben, anstatt ins Land Kanaan einzugehen. Und die Reisezeit wurde auf 40 Jahre verlängert (V. 34).

3) Identifikation mit den gerichteten Aufrührern in 4. Mose 17

«Mose sprach zu Aaron: Nimm die Räucherpfanne und tu Feuer vom Altar darauf und lege Räucherwerk auf, und bring es schnell zu der Gemeinde und tu Sühnung für sie; denn der Zorn ist von dem HERRN ausgegangen, die Plage hat begonnen» (V. 11).

Ohne auf Einzelheiten einzugehen, wollen wir kurz den Zusammenhang dieses Verses aufzeigen. Korah hatte mit 250 Männern, Fürsten der Gemeinde, einen Aufstand gegen Mose und Aaron inszeniert. Er trachtete nach dem Priestertum, das Aaron und seinen Söhnen gehörte (Kap. 16,1.2.10). Gott antwortete darauf mit Gericht: «Die Erde öffnete ihren Mund und verschlang sie und ihre Familien und alle Menschen, die Korah angehörten, und die ganze Habe» (Kap. 16,32).

Man sollte meinen, dieses schreckliche Gericht hätte beim Volk einen tiefen Eindruck hinterlassen. Doch am Morgen des nächsten Tages murrten die Israeliten gegen Mose und gegen Aaron und sprachen: «Ihr habt das Volk des HERRN getötet!» (V. 6).

Weil sie sich so mit Korah und seinen Anhängern eins machten, verdienten sie das gleiche Gericht. Gott forderte Mose auf: «Erhebt euch weg aus der Mitte dieser Gemeinde, und ich will sie in einem Augenblick vernichten!» (V. 10). Dieser Auftrag glich der Anweisung, die Gott gegeben hatte, bevor die Erde sich öffnete und Korah und seine Gefährten verschlang: «Weicht doch von den Zelten dieser gottlosen Männer!» (Kap. 16,26). Daher wäre die einzig verständliche Reaktion von Mose gewesen, dass er sich vom Volk distanziert und auf das hereinbrechende Gericht gewartet hätte.

Doch Mose handelte anders. Er gab Aaron den Auftrag, Sühnung für das Volk zu tun (V. 11). Dank dieses priesterlichen Eingreifens wurde die Plage, die schon begonnen hatte, gestoppt. Das Volk wurde ein weiteres Mal verschont, obwohl 14’700 Menschen starben. Die Antwort auf das Rätsel ist dieselbe. In diesem Fall äusserster Dringlichkeit war es wieder die Sorge um die Herrlichkeit Gottes und um das Wohl seines Volkes, die Mose veranlasste, umgehend Fürbitte für Israel zu tun.

Statt das Volk Gottes leichtfertig zu kritisieren (oder sogar darauf zu warten, dass es gerichtet wird), sollen wir die «Räucherpfannen mit dem Räucherwerk» herzubringen. Was heisst das für uns? Es bedeutet, dass wir vor Gott den Wert und die Vorzüge des Herrn Jesus und seines Werks erwähnen und Ihn auf dieser Grundlage um Erbarmen für sein Volk bitten.

4) Hurerei und Götzendienst in 4. Mose 25

«Mose sprach zu den Richtern Israels: Erschlagt jeder seine Leute, die sich an Baal-Peor gehängt haben!» (V. 5).

Die ersten drei Begebenheiten erscheinen uns auf den ersten Blick rätselhaft: Die Reaktion von Mose – seine Fürsprache – ist angesichts des Versagens des Volkes schwer verständlich.

Aber nachdem wir den sanftmütigen Mann Gottes dreimal beobachtet haben, wie er sich in Fürbitte für das Volk verwendet hatte, ist uns der vierte Fall noch rätselhafter: Hier setzte Mose sich überhaupt nicht für Israel ein. Warum nicht?

Beging Mose bei dieser Gelegenheit einen Fehler? Nein, der Text in diesem Kapitel gibt uns nicht den kleinsten Hinweis darauf. Es gibt wohl nur eine Antwort: Die Art des Versagens in den ersten drei Fällen war ernst (Aberglaube, Unglaube und Einsmachung mit Aufrührern). Aber hier in 4. Mose 25 war die Sünde des Volkes in den Augen Gottes viel schwerwiegender.

Was war geschehen? «Israel blieb in Sittim. Und das Volk fing an zu huren mit den Töchtern Moabs; und diese luden das Volk zu den Opfern ihrer Götter ein, und das Volk ass und beugte sich nieder vor ihren Göttern. Und Israel hängte sich an Baal-Peor; und der Zorn des HERRN entbrannte gegen Israel» (V. 1-3).

Einen ersten Schlüssel finden wir im Ausdruck «blieb». Er deutet auf eine feste Absicht hin im Gegensatz zu einem vorübergehenden Zustand. In 4. Mose 22,1 hiess es noch: Sie «lagerten» sich in den Ebenen Moabs, d.h. sie «zelteten». Hier in Kapitel 25 steht: Israel «blieb» in Sittim. Bleiben hat hier den Sinn von «wohnen». Darüber hinaus waren die Sünden der Hurerei (unerlaubte sexuelle Verbindungen) und des Götzendienstes zu einer gängigen Praxis geworden. Die Sünde hatte ein grösseres und schwerwiegenderes Mass erreicht: Israel hängte sich an Baal-Peor und befand sich dadurch in einem etablierten Zustand des Götzendienstes.

Als Resultat davon entbrannte der Zorn des HERRN gegen Israel (V. 3). Dieses Mal wandte sich die Glut des göttlichen Zorns nicht durch Fürbitte ab, sondern durch Gericht (V. 4.8). Insgesamt starben 24'000 Menschen.

Schlussfolgerungen

Wenn wir diese vier Fälle zusammennehmen und uns fragen, was wir aus ihnen lernen können, so denken wir an folgende Punkte:

  • Bei Versagen und Sünde im Volk Gottes ist die normale Reaktion des Dieners des Herrn die Fürsprache für das Volk.
  • Ein Knecht des Herrn ist nicht auf seine eigene Ehre, sondern auf die Herrlichkeit Gottes bedacht.
  • Wenn der Glaubende die Ehre Gottes anstrebt, wird er richtig handeln. Dabei handelt er nicht immer gleich, aber so, wie es in den Augen Gottes recht ist.
  • Es gibt Situationen, in der die Zucht der einzig richtige Weg ist, um in der Angelegenheit Gott gemäss zu handeln.

Wir wollen uns durch diese Gedanken über die vier Begebenheiten in der Wüste ermutigen lassen,

  • für das Volk Gottes zu beten, wann immer es den geringsten Grund zur Fürbitte gibt, und
  • Zucht auszuüben, wenn Gottes Ehre es verlangt.