Timotheus hatte einen ungeheuchelten Glauben. Schon seine Grossmutter und seine Mutter hatten einen solchen Glauben gehabt. Doch Timotheus hatte ihn nicht geerbt, sondern eine persönliche Entscheidung getroffen. Und so kennzeichnete auch ihn dieser echte Glaube an Gott. Darüber freute sich der Apostel Paulus.
Doch er blieb dabei nicht stehen. Er forderte seinen Mitarbeiter auf, die Gnadengabe in ihm anzufachen, damit sie heller leuchten möge. So sollen auch wir nicht damit zufrieden sein, durch den Glauben an den Herrn Jesus gerettet zu sein.
Die Sicherheit, die wir im Werk des Herrn Jesus gefunden haben, gibt uns Ruhe. Doch wir sollten sie nicht als Vorwand zum Ausruhen nehmen. Die Dankbarkeit für das, was der Herr Jesus für uns getan hat, soll in uns den Wunsch wecken, auch etwas für Ihn zu tun. Dazu wird auch Timotheus aufgefordert. Es ist eine dreifache Aufforderung, die Paulus in den Versen 6-14 an ihn richtet.
Die Gnadengabe anfachen (V. 6.7)
Timotheus besass eine besondere Gnadengabe. Durch das Auflegen der Hände von Paulus hatte er sie bekommen. Das bedeutet nicht, dass Paulus Gnadengaben verteilen konnte. Jede Gnadengabe wird vom Herrn Jesus, dem verherrlichten Menschen im Himmel gegeben. Doch Paulus war das Werkzeug, wodurch Timotheus dieses Geschenk empfangen hatte.
Obwohl Timotheus etwas Besonderes besass, so hat doch jedes Kind Gottes Gnade vom Herrn Jesus bekommen. Er, der den Teufel besiegt hat und jetzt im Himmel ist, gibt von dort aus jedem einzelnen die Gnade «nach dem Mass der Gabe des Christus» (Eph 4,7). Er möchte gerne jeden Glaubenden gebrauchen, und dazu gibt Er Gnade.
So dürfen wir die Aufforderung an Timotheus ganz persönlich nehmen. Er sollte die Gnadengabe, die ihm verliehen war, durch ständigen und ausdauernden Gebrauch anfachen, damit sie nicht ausgelöscht wurde (d.h. in ihrer Ausübung nicht mehr erkennbar sein würde). Genauso möchte der Herr, dass wir an dem Platz, an den Gott uns gestellt hat, für Ihn tätig sind. Er selbst hat uns Gnade dazu gegeben. An uns liegt es, eifrig im Dienst für Ihn zu sein.
Und wenn Widerstand die Folge dieses Dienstes ist? Gerade dieser Widerstand kann dazu führen, dass der Dienst für den Herrn aufhört. Dann gilt es, im Bewusstsein der zur Verfügung stehenden Gnade umso mehr Energie aufzuwenden und die Gnadengabe anzufachen. Der Widerstand muss uns nicht erschrecken, denn wir haben nicht einen Geist der Furchtsamkeit, d.h. wir sollen nicht zur Furchtsamkeit neigen, sondern in einem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit vorangehen. Der Heilige Geist, der in uns wohnt, möchte unseren Geist formen und prägen, sodass wir in Kraft, in Liebe und in Besonnenheit im Dienst für den Herrn fortfahren und ein Leben zur Ehre Gottes und als ein Licht in unserer Umgebung führen.
Trübsal leiden und sich nicht schämen (V. 8-12)
Die zweite Aufforderung an Timotheus lautet, sich nicht zu schämen, sondern stattdessen Trübsal zu leiden.
Timotheus hatte sich zu einer Zeit bekehrt, in der sich das Christentum ständig weiter ausbreitete. Gott wirkte in Macht, und sein Werk war deutlich sichtbar. Es gab manche Erfolge, über die sich die Diener des Herrn freuen konnten.
Doch zur Zeit der Abfassung des zweiten Timotheus-Briefes sah es ganz anders aus. Der grosse Apostel – Paulus – sass im Gefängnis. Die meisten Christen wandten sich von ihm ab. Es war eine Zeit, in der es mit dem Christentum abwärts ging. Zugleich erfuhren treue Glaubende Widerstand, und daher war die Gefahr umso grösser, dass man sich des Zeugnisses des Herrn Jesus schämte. (Ein Zeugnis sagt etwas darüber aus, wer oder was eine Person ist. So beinhaltet das Zeugnis des Herrn Jesus Christus das, was Er ist.)
Dieses Zeugnis war keine Sache mehr, die sich durch besondere Wunder oder durch eine grosse Zahl von Bekehrungen bestätigte. Wer sich jetzt noch zu diesem Zeugnis bekannte, gehörte zu einer Minderheit und musste Spott erwarten. Wer sich jetzt noch auf die Seite von Paulus stellte, wurde sogar von den meisten Christen verachtet.
In dieser Situation fordert Paulus den jüngeren Timotheus auf, sich nicht zu schämen, sondern stattdessen Trübsal zu leiden. Er sollte sich des Zeugnisses des Herrn Jesus nicht schämen, so wie Paulus sich dieses Zeugnisses nicht geschämt hatte, auch wenn er dafür ins Gefängnis gehen musste. Er sollte sich des gefangenen Apostels nicht schämen, wie Onesiphorus sich nicht geschämt hatte, Paulus zu besuchen (2. Tim 1,12.16).
So sollen auch wir uns heute weder des Herrn Jesus noch anderer Christen, die treu sein möchten, schämen. Doch wie ist das möglich? Kann das aus eigener Kraft gelingen? Nein – aus uns selbst sind wir nicht in der Lage, uns auf die Seite des Herrn Jesus und auf die Seite von «gefangenen» Dienern Gottes zu stellen. Doch Paulus stellt Timotheus vor, wie es möglich ist, auch in schwierigen Zeiten entschieden am Zeugnis des Herrn Jesus festzuhalten.
Dabei nennt er fünf Mut machende Punkte:
- die Kraft Gottes (V. 8);
- das Werk Gottes, der uns errettet und nach seinem Vorsatz und in seiner Gnade berufen und dazu seinen Sohn gegeben hat (V. 9.10);
- die sichere Bestätigung des Evangeliums durch die Diener und Apostel (V. 11);
- das Vorbild des Apostels, der trotz der Leiden für das Evangelium ausgehalten hat (V. 12a);
- die Macht des Herrn Jesus, der alles bewahren und sicher zum Ziel bringen wird (V. 12b).
Das, was auf unserer Seite steht, ist weit grösser als das, was uns entgegensteht. Gott ist mächtiger als jeder Widersacher. Deshalb ist es bis heute möglich, einerseits der Aufforderung, uns nicht zu schämen, nachzukommen, und anderseits sich nicht entmutigen zu lassen, wenn wir zu leiden haben, weil wir wegen unseres Glaubens angefeindet werden.
Festhalten und bewahren (V. 13.14)
Drittens wird Timotheus aufgefordert, etwas festzuhalten und zu bewahren. Doch bevor der Geist Gottes diese Aufforderung gibt, stellt Er den Herrn Jesus vor, der mächtig ist, alles, was Ihm anvertraut ist, sicher zu bewahren. In diesem Bewusstsein konnte Paulus sagen: «Ich bin überzeugt, dass er mächtig ist, das ihm von mir anvertraute Gut auf jenen Tag zu bewahren.» Alles – sein eigenes Heil, seinen Dienst, seine Anliegen – hatte er seinem Herrn anvertraut. In seiner Treue würde Er ihn nicht beschämen.
Nach dieser Ermunterung wird Timotheus angespornt, das Bild gesunder Worte festzuhalten. Es handelt sich dabei um die Summe der Mitteilungen Gottes, die Er gegeben hat. Paulus hatte die Aufgabe, das geschriebene Wort Gottes dem Inhalt nach zu vollenden. Heute besitzen wir die Summe der Mitteilungen Gottes in Form der Bibel. Diese Mitteilungen Gottes werden als «gesunde Worte» bezeichnet.
Bei einem gesunden Menschen arbeiten und funktionieren alle Gliedmassen und Organe ausgewogen und störungsfrei miteinander. Sobald ein Organ eine Über- oder Unterfunktion aufweist, ist die Gesundheit beeinträchtigt. Das Wort «gesund» meint also auch Ausgewogenheit.
So ist auch Gottes Wort ausgewogen. Gott ist Licht, und Er ist Liebe. In all seinem Tun und in all seinen Worten stehen Licht und Liebe in völligem Einklang miteinander. Das sollen wir insofern bewahren, als wir in unserem Denken, Reden und Handeln die gleiche Ausgewogenheit zeigen und so den Willen Gottes auf eine Ihm wohlgefällige Art und Weise ausführen.
Die Bibel wird aber auch mit einem Bild oder einem Muster verglichen. Dieses Bild oder Muster ist schön und harmonisch. Das, was Gott uns in seinem Wort mitgeteilt hat, ist nicht einfach eine Fülle einzelner Gedanken, sondern ein schönes Gesamtbild. Die einzelnen Teile der Wahrheit, die verschiedenen Bilder und Begebenheiten, die in der Bibel enthalten sind, geben zusammen ein schönes Bild, ein harmonisches Muster. So wie bei einem Gemälde ein kleiner Fehler oder ein Fremdkörper sofort ins Auge fallen, weil sie die Harmonie des Bildes stören, so können «fremde» Lehren schnell entlarvt werden, weil sie nicht in das Bild gesunder Worte passen.
Um dieses Bild oder Muster bewahren zu können, müssen wir es zunächst kennen lernen. Das geht nur, wenn wir es eingehend betrachten, d.h. die Bibel lesen und studieren. So werden wir die Gedanken und Pläne mehr und mehr verstehen. Beim Nachdenken über all die Gedanken Gottes wird unser eigenes Denken und Wollen beeinflusst und geprägt. Wir beginnen, die Dinge zu sehen und zu beurteilen, wie Gott sie sieht und beurteilt. Unser praktisches Leben wird dann unseren Gedanken und Empfindungen folgen. So werden wir mehr und mehr zur Ehre Gottes leben. Auf diese Weise können wir das Bild gesunder Worte in Lehre und Praxis bewahren.
Schliesslich wird Timotheus aufgefordert, das schöne anvertraute Gut zu bewahren. Gott hat den Seinen ein schönes Gut anvertraut. Er hat sie in eine wunderbare Stellung gebracht, aus der sie niemals herausgerissen werden können. Nun gilt es, das Anvertraute auch in der Praxis zu bewahren. So dürfen wir die Wahrheit, wie Er sie uns in seinem Wort mitgeteilt hat, in allen ihren Teilen kennen und verwirklichen. Ob es um die Stellung des Kindes Gottes, um seinen Wandel oder um das Miteinander der Glaubenden als Glieder des Leibes Christi geht: Wir sind aufgerufen, das zu bewahren, was Gott uns anvertraut hat. Es ist ein schönes Gut, und es wird ein glücklicher Weg sein, wenn wir es bewahren.
So machen uns diese Verse Mut, auch in schwieriger werdenden Zeiten in Glaubensangelegenheiten zuzunehmen – immer heller zu leuchten –, indem wir die Gnadengabe in uns anfachen. Gott wird diesen Wunsch und seine Umsetzung ins praktische Leben in uns wirken.
«Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu seinem Wohlgefallen» (Phil 2,13).