Zerstreut und abgesondert

Esther 3,8

«Haman sprach zum König Ahasveros: Da ist ein Volk, zerstreut und abgesondert unter den Völkern in allen Landschaften deines Königreiches; und ihre Gesetze sind von denen jedes anderen Volkes verschieden, und die Gesetze des Königs tun sie nicht; und es ist für den König nicht geziemend, sie gewähren zu lassen» (Est 3,8).

Das Buch Esther ist ein merkwürdiges Buch. Es unterscheidet sich auffällig von den übrigen Büchern in der Bibel. Trotzdem gilt auch für diesen Teil der Heiligen Schrift, dass «alles, was zuvor geschrieben worden ist, zu unserer Belehrung geschrieben ist, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben» (Röm 15,4).

Auffälligkeiten im Buch Esther

Nicht erwähnt, auch nicht angedeutet werden in diesem Buch zum Beispiel:

  • Gott, mit keinem seiner Namen
  • die Priester
  • die Leviten
  • die Propheten
  • der Sabbat (wie z.B. Neh 9,14)
  • das Passah (wie z.B. Esra 6,19)
  • das Gesetz und die Gebote Gottes (Esra 3,2; Neh 9,14)
  • der Opferdienst
  • die Urim und Tummim (Esra 2,63; Neh 7,65)
  • irgendwelche Gebete (Esra 8,21; Neh 1,11; 11,17)
  • der Lobgesang (Neh 11,17)

Da der Name Gottes im Buch Esther kein einziges Mal genannt wird, müssen wir an 5. Mose 31,17.18 denken: «Mein Zorn wird an jenem Tag gegen es entbrennen, und ich werde sie verlassen und mein Angesicht vor ihnen verbergen; und es wird verzehrt werden, und viele Übel und Drangsale werden es treffen. Und es wird an jenem Tag sagen: Haben nicht darum diese Übel mich getroffen, weil mein Gott nicht in meiner Mitte ist? Ich aber, ich werde an jenem Tag mein Angesicht ganz verbergen wegen all des Bösen, das es getan hat, weil es sich anderen Göttern zugewandt hat.» Vergleiche auch Jesaja 54,8.

Trotz Gottes Verborgenheit lässt sich beim aufmerksamen Lesen dieses Buches sein unsichtbares Wirken im Hintergrund herauslesen. Er, der ewige, gütige Gott ist auch im Verborgenen der Lenkende und Bestimmende. Möge dieser Gedanke uns in allen Nöten immer wieder ermuntern.

Zerstreut

Nach der Flut waren es die Familien der Kanaaniter, von denen es zum ersten Mal heisst, dass sie sich zerstreuten (1. Mo 10,18.19). Durch den Turmbau von Babel wollte der hochmütige Mensch der Zerstreuung entgegenwirken und sich gleichzeitig ein Denkmal setzen (1. Mo 11,4-9).

Da griff Gott mit Gericht ein, indem Er die Sprache der Menschen verwirrte und sie über die ganze Erde zerstreute. Im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte nahm die Zerstreuung ihren Fortgang. In Psalm 44,12 klagen die Söhne Korahs: «Du gabst uns hin wie Schlachtschafe, und unter die Nationen hast du uns zerstreut.» Auch der Prophet Jeremia klagt: «Das Angesicht des HERRN hat sie zerstreut, er schaut sie nicht mehr an» (Klgl 4,16). Der ungläubige Hohepriester Kajaphas musste jedoch, hindeutend auf den Tod des Herrn Jesus, weissagen, «dass Jesus für die Nation sterben sollte; und nicht für die Nation allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte» (Joh 11,51.52).

Genau das ist bis heute die Absicht des Herrn Jesus, denn Er betete zu seinem Vater: «Heiliger Vater! Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir. – Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind» (Joh 17,11.22).

Auf der Grundlage des auf Golgatha vollbrachten Erlösungswerks des Herrn Jesus und durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes, der in jedem Glaubenden und in der Gesamtheit der Erlösten wohnt, hat Gott alle seine Kinder zu einer Einheit verbunden. Auch wenn wir diese Einheit nicht mehr sehen, Gott sieht sie noch immer. An uns aber liegt es, uns zu befleissigen, «die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens» (Eph 4,3).

Jeden Sonntag dürfen wir an die Einheit des Leibes Christi denken und am Tisch des Herrn beim Brotbrechen zum Ausdruck bringen: «Da ist ein Leib und ein Geist» (Eph 4,4). Zu diesem Leib gehören alle durch das Blut des Herrn Jesus erkauften Glaubenden. «Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot» (1. Kor 10,17).

Abgesondert

Im Hebräer-Brief wird der Herr Jesus dem alttestamentlichen Priestertum, das schwach und unvollkommen war, gegenübergestellt. Dabei ist Er im Gedanken an die Absonderung ein besonderes Vorbild: «Denn ein solcher Hoherpriester geziemte uns auch: heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als die Himmel geworden» (Heb 7,26).

Auch Joseph war in versuchungsreichen Tagen ein Abgesonderter: «Die Segnungen deines Vaters überragen die Segnungen meiner Voreltern bis zur Grenze der ewigen Hügel. Sie werden sein auf dem Haupt Josephs und auf dem Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern» (1. Mo 49,26).

Gott selbst hatte sein irdisches Volk für sich abgesondert: «Ich bin der HERR, euer Gott, der ich euch von den Völkern abgesondert habe» (3. Mo 20,24). Trotz aller Schwachheit und allem Versagen unter dem damaligen Volk musste Bileam, als er es aus der Höhe betrachtete, bezeugen: «Vom Gipfel der Felsen sehe ich es, und von den Höhen herab schaue ich es: Siehe, ein Volk, das abgesondert wohnt und sich nicht zu den Nationen rechnet!» (4. Mo 23,9). «Erkennt doch, dass der HERR den Frommen für sich abgesondert (oder ausgezeichnet) hat» (Ps 4,4).

In diesen wenigen angeführten Stellen sehen wir, welchen Stellenwert die Absonderung für Gott in seinen Augen hat. Wenn wir dies verwirklichen, wird sich der Herr zu uns bekennen, und wir sind glückliche Kinder Gottes.

Haman, der Widersacher der Juden, lässt uns an den Antichristen denken. Unter seiner Macht werden die Juden in zukünftigen Tagen, nachdem die Entrückung stattgefunden hat und wir beim Herrn sind, qualvoll leiden müssen.

Diesem gottlosen Mann war es ein Ärgernis, dass es im persischen Weltreich ein unter die Nationen zerstreutes Volk gab, das trotzdem abgesondert lebte. Dieses Volk hatte auch eine eigene Schrift und eine eigene Sprache (Est 8,9). Zum Propheten Hesekiel sagte der HERR: «Denn nicht zu einem Volk von unverständlicher Sprache und schwieriger Rede bist du gesandt, sondern zum Haus Israel» (Hes 3,5).

Zudem wusste Haman durch das Verhalten Mordokais und der Juden, dass ihre Gesetze sich von denen jedes anderen Volkes unterschieden (Est 3,8). Jene Menschen unterschieden sich auch in notvollen Tagen von den Heiden, unter denen sie lebten.

Fragen wir uns nun persönlich:

  • Lebe ich wirklich für den Herrn abgesondert?
  • Ist meine Verhaltensweise anders als die der Welt?
  • Spreche ich eine Gott gewollte Sprache?
  • Oder übernehme ich die Denkweise und die Wortwahl der Welt, die mich umgibt?
  • Ist meine «Handschrift» ein Ausdruck des Wesens Christi? (2. Kor 3,2)

Gottes Wirken in dunkler Zeit

Obwohl der Name Gottes in diesem merkwürdigen Buch nicht erscheint, bekennt sich der HERR unsichtbar zum treuen Mordokai, zum gehorsamen Verhalten der Königin Esther und zu den unglücklichen Juden. Diese Juden, die nicht mit denen im Buch Nehemia genannten nach Juda und Jerusalem zurückgekehrt waren, erfuhren durch Gottes Güte eine wunderbare Wende und Befreiung.

Haman wollte den treuen Mordokai erhängen und liess dafür einen 50 Ellen hohen Galgen errichten. Aber durch Gottes Fügung fand er selbst sein Ende daran (Est 7,9.10). Müssen wir da nicht an Hebräer 2,14.15 denken? Der Herr hat «durch den Tod den zunichtegemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und befreite alle die, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren».

Durch Esthers Fürsprache wurde die Tötungsabsicht an den Juden nicht vollzogen. Sie durften sich – gemäss den Grundsätzen unter dem Gesetz von Mose – gegen ihre Bedränger wehren und sich an ihnen rächen.

Als dieser Befehl erlassen wurde, heisst es: «Viele aus den Völkern des Landes wurden Juden, denn die Furcht vor den Juden war auf sie gefallen» (Est 8,17). Das lässt uns an Römer 2,28.29 und Offenbarung 3,9 denken: «Denn nicht der ist ein Jude, der es äusserlich ist, … sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist.» – «Siehe, ich gebe aus der Synagoge des Satans von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern lügen; siehe, ich werde sie zwingen, dass sie kommen und sich niederwerfen werden vor deinen Füssen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.»

Wir leben am Ende der Gnadenzeit und sehen, dass es heute viele Christen gibt, die es nur «äusserlich» sind. Sie haben nur ein christliches Bekenntnis, aber kein Leben aus Gott. Leben wir nicht inmitten einer christuslosen Christenheit? Die Gottlosigkeit nimmt weiter zu. Wir befinden uns in einer Gott feindlichen Zeit und Umgebung. Umso mehr wird der Herr unseren Gehorsam und unsere Absonderung zu Ihm hin belohnen: «Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist» (Off 22,12).

Lasst uns nicht vergessen, dass auch unsere Leiden und Übungen einmal ein Ende haben werden. Ewige Freude wird unser Teil sein. Wir werden den Herrn sehen, der uns mit ewiger Liebe geliebt hat. Er hat dich und mich so geliebt, dass Er sich selbst für dich und für mich hingegeben hat (Gal 2,20).