Du aber, o Mensch Gottes

1. Timotheus 6,11

Im Alten Testament begegnen uns verschiedene «Männer Gottes». Der erste, der so genannt wird, ist Mose (5. Mo 33,1). Später werden David, Elia, Elisa und andere von Gott so bezeichnet. Petrus erinnert seine Briefempfänger daran, dass im Alten Testament «heilige Menschen Gottes» redeten, «getrieben vom Heiligen Geist» (2. Pet 1,21).

Im Neuen Testament finden wir den Begriff «Mensch Gottes» in der Einzahl nur an zwei Stellen. In 2. Timotheus 3,17 wird eher allgemein davon gesprochen, dass der «Mensch Gottes» vollkommen sein soll, zu jedem guten Werk völlig geschickt. In 1. Timotheus 6,11 wird Timotheus ganz konkret «Mensch Gottes» genannt – die einzige Person im Neuen Testament, die diesen Ehrentitel trägt.

In Verbindung mit dieser Bezeichnung wird Timotheus Folgendes gesagt: «Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge; strebe aber nach Gerechtigkeit, Gottseligkeit, Glauben, Liebe, Ausharren, Sanftmut des Geistes.» Diese Aufforderung gilt auch uns. Sollten nicht auch wir «Menschen Gottes» sein?

Du aber

Die Anrede «du aber» betont die persönliche Verantwortung von Timotheus. In den vorherigen Versen hatte der Apostel von solchen gesprochen, die keine Menschen Gottes waren. Sie gingen ihrem eigenen Vorteil nach und dachten, die Gottseligkeit sei ein Mittel zum Gewinn. Im Gegensatz dazu ist der Mensch Gottes jemand, dem die Interessen Gottes am Herzen liegen. Er kennt etwas vom Haus Gottes, in dem er sich bewegt und dessen Charakter er im persönlichen Leben entsprechen möchte. Sind wir uns der persönlichen Verantwortung bewusst, die wir haben? Wissen wir, wie wir uns als «Menschen Gottes» im «Haus Gottes» zu verhalten haben?

Mensch Gottes

Wenn wir uns an jene erinnern, die im Alten Testament als «Mann Gottes» bezeichnet werden, dann waren das in der Regel Personen, die einen konkreten Auftrag von Gott bekamen. Sie hatten eine göttliche Botschaft an andere weiterzugeben. Sie sollten Gott repräsentieren. Eine solche Aufgabe hatte auch Timotheus. Er sollte das Wort predigen, die Glaubenden belehren und ermahnen.

Auch uns möchte Gott in seinem Dienst gebrauchen. Er will jedem von uns konkrete Aufgaben anvertrauen. Nicht jeder hat die Befähigung zum öffentlichen Predigtdienst – aber für Gott tätig zu sein, bedeutet nicht notwendiger Weise, das Wort öffentlich zu verkündigen. Es gibt viele Möglichkeiten mehr, sich von Gott gebrauchen zu lassen, also ein «Mensch Gottes» zu sein. Das gilt sowohl für Brüder als auch für Schwestern.

Wer sich von Gott gebrauchen lässt, darf den Ehrentitel «Mensch Gottes» tragen. Er hat eine Botschaft, und er gibt diese an seine Umgebung weiter. Er steht aber auch vor der Herausforderung, sich entsprechend zu betragen. Was das bedeutet, macht Paulus seinem Kind Timotheus im Folgenden klar.

Fliehen und Streben

Der Mensch Gottes wird zu zwei Tätigkeiten aufgefordert. Er soll «fliehen», und er soll «streben». Beide Aufforderungen stehen in der Gegenwartsform und sind miteinander verbunden. Die benutzte Zeitform im Grundtext betont den dauerhaften Charakter dieser Aktivität. Es geht auch nicht darum, dies einmal getan zu haben und dann zu vergessen. Es geht auch nicht darum, dass wir es ab und zu tun, sondern wir sollen stets daran denken, dass wir «fliehen» und dass wir «streben» müssen. Es sind permanente Handlungen, die den Menschen Gottes kennzeichnen.

Auch in 2. Timotheus 2,22 werden diese beiden geistlichen Tugenden miteinander verbunden: «Die jugendlichen Begierden aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.» Flucht bedeutet wegzulaufen. Flucht bedeutet Trennung. Das allein macht nicht glücklich. Wer etwas meidet, muss auch wissen, was er stattdessen tun kann. Deshalb gehört das «Streben» untrennbar dazu. Ein Christ, der nur flieht, wird einsam sein. Er isoliert sich von anderen. Anderseits dürfen wir bei allem Streben nach den im weiteren Verlauf genannten christlichen Tugenden nicht vergessen, wachsam zu sein, und müssen das meiden, was uns schaden könnte.

Fliehe diese Dinge

Ist Flucht ein Zeichen von Schwäche? Nehemia stellte zu Recht die Frage: «Ein Mann wie ich sollte fliehen?» (Neh 6,11). Kann ein Mensch Gottes, der den Kampf des Glaubens kämpft, die Flucht ergreifen? Er kann es! Er soll es! Flucht ist – im richtigen Augenblick – kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Immer dann, wenn die Versuchung an uns herantritt, ist Flucht das einzige Mittel zum Sieg. Das Beispiel Josephs im Haus Potiphars macht das deutlich. Flucht ist die Antwort auf Gefahren für das geistliche Leben.

  • «Flieht die Hurerei» (1. Kor 6,18).
  • «Flieht den Götzendienst» (1. Kor 10,14).
  • «Die jugendlichen Begierden aber fliehe» (2. Tim 2,22).

In unserem Vers geht es um «diese Dinge» – das also, was im Abschnitt vorher behandelt wurde, wo Paulus von Menschen sprach, die von Geldliebe und Egoismus geprägt sind. Auch da ist Flucht angesagt.

Wenn es hingegen um die Ehre Gottes geht, wenn es darum geht, dass die Glaubenswahrheit angegriffen wird, dann sollen wir standhaft bleiben und kämpfen. Leider machen wir es oft umgekehrt. Wir laufen weg, wenn wir widerstehen sollten, und wir bleiben, wenn wir fliehen sollten.

Strebe aber

In Philipper 3,12 und Hebräer 12,14 wird das hier gebrauchte Wort mit «jagen» wiedergegeben. Das deutet die Intensität, die Anstrengung und Konzentration an, zu der wir aufgefordert werden. Man kann es mit der entschlossenen Haltung eines Läufers vergleichen, der alles daran setzt, den vor ihm Laufenden zu überholen. Wir sollen uns als «Menschen Gottes» keine Ruhe gönnen, sondern danach streben, dass die aufgeführten Tugenden bei uns gefunden werden.

Es sind Tugenden, die Gott verherrlichen. Wenn wir danach streben, wird in unserem Verhalten etwas von dem gesehen, was beim Herrn Jesus vollkommen gefunden wurde. Er ist auch hier unser einzigartiges Vorbild.

Wonach soll der Mensch Gottes streben?

  • Nach Gerechtigkeit: Diese praktische Gerechtigkeit ist die Folge der richterlichen Gerechtigkeit. Anders ausgedrückt: Die Praxis unseres Christenlebens soll unserer Stellung entsprechen. Wir leben nicht gerecht, um uns eine Stellung vor Gott zu erwerben, sondern wir leben deshalb in praktischer Gerechtigkeit, weil Gott uns gerechtfertigt hat. Praktische Gerechtigkeit bedeutet dabei konkret, dass wir im Alltag dem Wesen und dem Willen Gottes gerecht werden, dass wir seinem «Standard» entsprechen.
  • Nach Gottseligkeit: Auch das hat mit der Praxis des Lebens zu tun, zeigt aber im Gegensatz zur Gerechtigkeit mehr die innere Seite. Es ist ein Leben in praktischer Abhängigkeit. Wir nehmen Gott gegenüber die richtige Haltung der Achtung und Ehrfurcht ein. Jemand hat einmal treffend gesagt: «Gottseligkeit ist die Ausrichtung der Seele des Menschen zu Gott hin, die sich darin offenbart, dass er Ihn verehrt und Ihm dient.» Allein im ersten Timotheus-Brief wird die Gottseligkeit achtmal erwähnt. Es lohnt sich, diese Stellen in Ruhe zu überdenken.
  • Nach Glauben: Glauben und Liebe werden im Neuen Testament des Öftern miteinander genannt. Hier ist nicht der rettende Glaube gemeint, sondern das Vertrauen des Glaubenden in seinen Gott. Der Glaube verbindet uns mit der unsichtbaren Welt. Er gleicht dem Arm, der in die unsichtbare Welt hineingreift und die Verheissungen des unsichtbaren Gottes zum gegenwärtigen Besitz macht. Der Glaube verbindet uns im täglichen Leben mit unserem Gott. Wir leben nicht durch Schauen, sondern durch Glauben.
  • Nach Liebe: Die Liebe ist hier das Ergebnis des Wirkens Gottes im Herzen des Glaubenden. Seine Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen (Röm 5,5). Jetzt sind wir in der Lage, diese Liebe zu anderen ausfliessen zu lassen und somit etwas vom Wesen Gottes zu offenbaren. Es ist die Liebe zu Gott, zu unseren Glaubensgeschwistern, aber auch zu Mitmenschen. Der Mensch Gottes ist fähig, auch dann zu lieben, wenn seine Liebe nicht beantwortet wird. Der Glaube verbindet uns mit Gott, die Liebe verbindet auch mit anderen.
  • Nach Ausharren: Ausharren und Sanftmut gehören zusammen. Sie kennzeichnen das Verhalten des Menschen Gottes in schwierigen Umständen. Ausharren ist Geduld, eine Tugend, die den meisten Menschen von Natur aus abgeht. Sie ist jedoch erforderlich, damit wir in Prüfungszeiten geistlich nicht einknicken und in der Prüfung erliegen. Wir brauchen Ausharren, um standhaft im Glauben zu sein und das Böse zu meiden. Der Mensch Gottes soll Standfestigkeit beweisen. Er soll auch dann durchhalten, wenn der Wind ihm entgegenbläst.
  • Nach Sanftmut des Geistes: Sanftmut des Geistes beinhaltet Züge wie Güte, Freundlichkeit und Demut. Der Mensch Gottes, der diese Tugenden offenbart, nimmt einerseits das Handeln Gottes mit ihm ohne Widerstand und Zweifel hin. Anderseits offenbart er diese Eigenschaften auch seinen Mitmenschen gegenüber. Wir bestehen dann nicht auf unseren Rechten, sondern sind bereit, den unteren Weg zu gehen. Sanftmut ist keine Schwäche, sondern bedeutet, wie jemand formuliert hat: «Kraftentfaltung unter geistlicher Kontrolle.»

Zum Schluss unserer kurzen Überlegungen über den Menschen Gottes ein Wort des weisen Salomo: «Der Weg des Gottlosen ist dem HERRN ein Gräuel; wer aber der Gerechtigkeit nachjagt, den liebt er» (Spr 15,9). Wem wollen wir gleichen?