Simeon und sein glückliches Teil

Lukas 2,25-35

Das Umfeld von Simeon

Simeon lebte in einer Endzeit wie wir. Es sah unter dem damaligen irdischen Volk Gottes düster aus. Dass sie unter Fremdherrschaft lebten, empfanden die meisten von ihnen. Dementsprechend beschränkte sich die Hoffnung auf Befreiung hauptsächlich auf ihre äusseren Umstände – eine grosse Gefahr auch für uns. Vor diesem Hintergrund richtet der Geist Gottes unsere Aufmerksamkeit auf Simeon: «Und siehe, in Jerusalem war ein Mensch, mit Namen Simeon.»

Es ist immer mit Segen verbunden, wenn wir acht geben, sobald Gott unsere Blicke auf etwas Bestimmtes hinrichten will. Jerusalem war einst der Ort, wo Gott unter seinem Volk gegenwärtig war und wo Er Gottesdienst von ihm entgegennahm. Doch die Herrlichkeit Gottes hatte sich längst von diesem Ort zurückgezogen (Hes 10,4.18.19; 11,23). Der Tempel, der ein Bethaus für alle Nationen hätte sein sollen, war zu einer Räuberhöhle geworden. Simeon hatte zusammen mit einigen wenigen Gleichgesinnten diesen geistlichen Tiefstand sehr empfunden. Es ist ein demütigendes Merkmal für die Treuen zu allen Zeiten, dass es immer wenige sind. Doch es lohnt sich und ist lehrreich, über das nachzudenken, was von Simeon gesagt wird.

Ein Mensch wie wir

Zuerst heisst es: Da war ein Mensch. Wir können sagen: Simeon war ein Mensch wie wir. Er hat vermutlich nie viel von sich reden gemacht. Er lebte nach dem Urteil der Menschen ein ganz gewöhnliches Leben, und es scheint, dass das für ihn so auch ganz in Ordnung war. Sind wir auch damit zufrieden, ein unscheinbares Leben zu führen, nicht zu denen zu gehören, die von sich reden machen?

Und doch lebte Simeon nicht einfach in den Tag hinein. In den Augen Gottes war sein Leben etwas Besonderes. Der Geist Gottes richtet unsere Aufmerksamkeit auf einige seiner Merkmale: «Dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels.»

Gottes Zeugnis über

a) seinen Wandel

Das Leben von Simeon hatte eine klare Ausrichtung, und zwar in seinem Herzen mit den entsprechenden Folgen in seinem praktischen Verhalten. Er trachtete danach, so zu leben, wie es vor Gott recht ist. Wenn in unserem Leben etwas nicht mit Gottes offenbartem Willen übereinstimmt, dann hat das seine Ursache zuerst in unserem Herzen und nicht etwa in den ungünstigen Umständen. Wie oft muss unsere Umgebung oder Situation dafür herhalten, dass wir nicht das tun, was vor Gott recht ist. Simeon hat auch in dieser Hinsicht seine Verantwortung wahrgenommen, und Gott konnte ihm das Zeugnis ausstellen, dass er gerecht war. Damit ist sein Gott wohlgefälliges Leben gemeint und nicht ein Tun, um den Himmel zu verdienen. Simeon war allein durch Glauben vor Gott gerechtfertigt.

b) seine Gesinnung

Die Gesinnung seines Herzens wird mit dem Begriff gottesfürchtig umschrieben. Dieser Ausdruck wird nur von Lukas verwendet und kommt im Neuen Testament gerade viermal vor. Er kann auch wiedergegeben werden mit: gewissenhaft oder fromm. Das, wozu der Heilige Geist uns in Epheser 5,15 ermahnt: «Gebt nun acht, wie ihr sorgfältig wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise», kennzeichnete damals Simeon.

Die Ehrfurcht vor Gott prägte seine Gesinnung und dementsprechend war sein ganzes Verhalten. Wenn wir uns nicht einfach mit frommen Worten zufrieden geben wollen, dann muss unser Leben notwendigerweise den Beweis für eine gottesfürchtige Gesinnung erbringen. Ist es uns eine Herzensübung, unser ganzes Verhalten im Licht des Wortes zu beurteilen und mit der Hilfe des Herrn immer wieder die nötigen Korrekturen vorzunehmen? Normalerweise erkennen wir Menschen den Splitter im Auge unseres Nächsten viel einfacher als den Balken im eigenen Auge. Der geistlich gesinnte Christ vermag jedoch mit ernsthafter Selbstprüfung im Licht des Wortes Gottes den Splitter oder den Balken im eigenen Auge zu erkennen. Das ist der einzige Weg, auf dem wir Einsicht und Licht empfangen können: indem wir dem Licht folgen. Wir bitten den Herrn vielleicht um Klarheit in einer Sache und kommen doch nicht weiter. Das kann damit zu tun haben, dass unser Leben in gewissen Punkten dem offenbarten Willen Gottes entgegen ist. Nur auf dem Weg der Buße und des Bekenntnisses kann dieses Hindernis beseitigt werden. Dann klärt sich der Blick auf einmal und wir erkennen, was uns bisher verborgen war. Bei Simeon war diese Selbstprüfung oder Gewissenhaftigkeit Realität.

c) seine Hoffnung

Die lebendige Hoffnung im Herzen ergänzte das Leben und die Gesinnung von Simeon. Er wartete auf den Trost Israels, d.h. auf den Messias. Auf Ihn freute er sich. Er wollte nicht im Leben gut dastehen oder sich durch seine Frömmigkeit, Gewissenhaftigkeit oder Rechtschaffenheit für jetzt oder die Zukunft etwas verdienen. Er erwartete den vollen Segen allein von Christus, der durch seine Macht und Liebe Rettung zu bringen vermochte.

Die gesegneten Folgen praktischer Übereinstimmung

Als gesegnete Folge dieser Kennzeichen heisst es dann: «Und der Heilige Geist war auf ihm.» Es ist klar, dass Simeon nicht den Heiligen Geist in sich wohnen hatte, wie das seit Pfingsten bei jedem Gläubigen der Fall ist. Aber es wird hier doch auf eindrückliche Weise deutlich, dass der Heilige Geist sich dort als gegenwärtig erweist, wo Übereinstimmung mit seinem Wesen gefunden wird (vgl. Amos 3,3). Die Gnade und das Vorrecht, den Heiligen Geist in sich wohnen zu haben, ist unermesslich gross. Diese Tatsache selbst aber sagt noch nichts darüber aus, inwiefern der Heilige Geist auch Raum hat zu wirken und Frucht für Gott hervorzubringen. Es ist einleuchtend, dass das nichts mit «fromm tun und reden» zu tun hat, sondern mit einer entsprechenden inneren Haltung und dem daraus resultierenden praktischen Verhalten.

Der vertraute Umgang mit Gott

Wie einst bei Abraham in 1. Mose 18,17 macht Gott hier Simeon zum Vertrauten seiner Absichten und Gedanken, und zwar aufgrund seiner Gesinnung. So heisst es in Psalm 25,14: «Das Geheimnis (oder der vertraute Umgang) des HERRN ist für die, die ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzutun.» So bekam Simeon einen göttlichen Ausspruch, dass er den Tod nicht sehen würde, ehe er den Christus des HERRN gesehen habe. Auf dieses unverbrüchliche Wort des Herrn hat sich Simeon voll und ganz gestützt. Wir haben das Wort Gottes in seinem vollendeten Umfang und dürfen uns voll Vertrauen in allem daran orientieren.

Wie Gott führt

Zur gegebenen Zeit konnte ihn der Heilige Geist in den Tempel führen, damit er diese überwältigende Begegnung mit dem Christus des HERRN in wahrer Knechtsgestalt erleben konnte. Der Geist Gottes war auf ihm und derselbe Geist konnte ihn auch in seinem Glaubensleben leiten. Diese praktische Seite des christlichen Lebens finden wir in Römer 8,14: «Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes.» Dass wir doch alle den Wunsch haben möchten, Einsicht zu haben in die Gedanken Gottes, vor allem in die des Vaters über den Sohn seiner Liebe. Das ist wirkliche Gemeinschaft. Simeon zeigt uns, wie das Wirklichkeit werden kann.

Welch ein erhabener Moment für Simeon, als er in diesem kleinen Kind seinen Heiland auf die Arme nehmen konnte! Vermittelt uns diese Szene nicht etwas von der Vertrautheit eines Glaubenden mit seinem Gott? So schlicht und natürlich, ja, beinahe unbedeutend für das natürliche Auge mag die Begebenheit geschienen haben, und doch wie einmalig war das, was hier geschehen ist. Das Lob aus dem Herzen von Simeon strömte ungehindert hervor. Es war die Auswirkung über das, was sich hier ereignet hatte. Das ganze Verhalten Simeons ist von Einsicht und Vertrautheit gekennzeichnet.

Einsicht in die Gedanken Gottes

Trotz der Freimütigkeit, die uns diese Szene vermittelt, empfinden wir, wie allen hier der richtige Platz zukommt. Simeon wendet sich an Gott als den Herrn oder Gebieter. Er selbst ist glücklich, ein Knecht dieses einzig wahren Gottes zu sein. Ohne weiteres erkennt Simeon in diesem Kind das Heil (oder Rettungsmittel) von Gott für verlorene Menschen. In Übereinstimmung mit dem Propheten Jesaja spricht er vom Heil für alle Völker (Jes 49,6), und in Bezug auf Israel würde der Gesalbte des Herrn diesem Volk zur Stellung verhelfen, zu der Gott sie ursprünglich gesetzt hatte. Sie sollten der Kanal sein, durch den der Segen von Gott zu allen Nationen hinkommen soll (z.B. 5. Mose 26,18.19). Das war ihre hohe Berufung, und das wird einmal auf der Grundlage des Werks des Herrn Jesus die Herrlichkeit dieses Volkes sein, wenn Gott sich aus Israel einen Überrest gesammelt haben wird.

Mochten Maria und Joseph sich auch verwundern über das, was Simeon über das Kind redete, der Glaube sah in Ihm die Erfüllung der Gedanken und aller Absichten Gottes für diese Schöpfung. Simeon segnete nicht das Kind auf seinen Armen, sondern die Mutter – allenfalls die Eltern – des Kindes. Wie einfach und selbstverständlich ist es doch, das Rechte zu tun, wenn diese Vertrautheit und Nähe zu Gott das Leben des Gläubigen kennzeichnen.

Christus – der Prüfstein für alle Menschen

Die Worte, die Simeon besonders an Maria richtete, betrafen primär die Person des Herrn Jesus selbst, aber auch die Folgen für Maria als Mutter des Herrn, die mit seiner Person und seinem Weg in Beziehung stand. Die Stellung, die der Sohn Gottes hier als demütiger Knecht einnehmen würde, musste notwendigerweise den Widerspruch der Sünder und die völlige Verwerfung vonseiten der Welt hervorrufen. Das bedeutet auch Leiden für all jene, die Ihm nachfolgen würden und dadurch ihre Beziehung zum Herrn Jesus bezeugen. Für die einen, die an dem von Gott gesandten Retter Anstoss nehmen würden und somit die Gnade Gottes ablehnten, würde das der endgültige Fall bedeuten, d.h. das ewige Verderben. Es gibt nur einen Weg zum Vater, und dieser Weg heisst Jesus Christus. Die Tatsache, dass dieser Stein von den Bauleuten verworfen wurde, ändert nichts daran, dass Er von Gott zum Eckstein gesetzt worden ist (Lk 20,17.18).

All jene aber, die ihr Vertrauen auf Ihn setzen würden, sollten an seiner Auferstehung teilhaben. Er war damals der Prüfstein für das Volk Israel. Heute ist Er der Prüfstein für jeden, der durch die Botschaft vom Kreuz ins Licht Gottes kommt und vor die Entscheidung gestellt wird: entweder sich unter das Urteil Gottes zu beugen und zum einzigen Rettungsmittel Zuflucht zu nehmen, oder dem Licht auszuweichen und dafür auf dem Weg ins ewige Verderben weiterzugehen.

Es ist nicht immer angenehm, wenn Überlegungen der Herzen offenbar werden. Aber es ist oft der Weg und die Gelegenheit, sich in Bezug auf das Offengelegte zu prüfen und sowohl die eigene Ausrichtung als auch die Echtheit und den Charakter der Beziehung zum Herrn Jesus, dem Sohn Gottes, ernsthaft zu überdenken.

Der Weitblick von Simeon mag uns Ansporn sein, alle Halbheiten aufzugeben und unsere Herzen mit allen Konsequenzen hundertprozentig auf den Herrn auszurichten, um zielgerichtet mit dem Frieden Gottes und der Freude des Heiligen Geistes den Weg des Glaubens zu gehen.