Zu aller Zeit betend

Epheser 6,18-19

Mit dieser Aufforderung schliesst der Apostel Paulus seine Belehrung über die Waffenrüstung Gottes in Epheser 6 ab und leitet gleichzeitig das Ende seines Briefes ein. Damit wird deutlich gemacht, dass wir die Waffenrüstung Gottes, die wir im Kampf gegen den Feind brauchen, nur dann richtig anwenden können, wenn wir dies in Abhängigkeit von Gott tun. Das Gebet ist der Ausdruck dieser Abhängigkeit. Wenn wir gegen den Feind und seine Listen bestehen wollen, dann finden wir in uns selbst weder Kraft noch Weisheit dazu. Wir vermögen das nur im Aufblick und in Abhängigkeit von unserem Herrn.

Die Aufforderung des Apostels Paulus an die Epheser lässt sich auch in einem allgemeinen Sinn anwenden:

«Zu aller Zeit betend mit allem Gebet und Flehen in dem Geist, und hierzu wachend in allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen und für mich» (Eph 6,18.19).

Gebet und Flehen

Durch das Wort redet Gott zu uns. Im Gebet dürfen wir zu Ihm reden. Es ist – wie bereits bemerkt – der Ausdruck unserer Abhängigkeit. Das Gebet des Gläubigen gründet sich auf die Tatsache, dass wir gemeinsame Interessen mit Gott über etwas haben. Das gilt für das Danken und für das Bitten. Das höchste gemeinsame Thema ist die Person unseres Herrn. Wenn wir Gott Anbetung bringen, dann reden wir mit Ihm über seinen geliebten Sohn. Doch hier geht es um die Lebensumstände, in denen sich die Gläubigen befinden mögen. Wir haben also sowohl bezüglich der Umstände des Lebens, als auch bezüglich unserer Mitgeschwister Gemeinschaft mit Gott. Dieses gemeinsame Teil drücken wir im Gebet aus.

Flehen ist ein gesteigertes Rufen zu Gott. Wenn besondere Umstände eintreten, dann beten wir intensiver. Wir flehen zu unserem Gott, ohne Ihm dabei etwas «abringen» zu wollen. Unser Gott freut sich, wenn wir mit Intensität zu Ihm beten. Wir finden in der Bibel Beispiele von Menschen, die zu Gott gefleht haben. Mose z.B. tat es für das Volk, aber auch für sich selbst (4. Mo 21,7; 5. Mo 3,23). Bei Jakob und bei Hanna erfahren wir nebst dem Flehen auch von Tränen (Hos 12,5; 1. Sam 1,10). Auch Paulus hat wegen des Dorns im Fleisch dreimal zum Herrn gefleht (2. Kor 12,8). Wir erkennen daraus, dass es besondere Notzeiten geben kann, wo das Gebet zu einem Flehen wird. Es ist etwas, das aus dem Innern des Herzens, aber auch aus der Not des Gläubigen kommt.

Zu aller Zeit

Wie sollen wir das verstehen? Meint Paulus, dass wir den ganzen Tag und die ganze Nacht nichts anderes tun sollen, als auf unseren Knien zu liegen und zu Gott zu beten? Es gibt Situationen, wo Menschen tatsächlich eine Nacht lang zu Gott gebetet haben. Denken wir nur an unseren Herrn, der als vollkommener Mensch vermutlich mehr als einmal eine Nacht im Gebet zu Gott verharrte (Lukas 6,12). Das kann aber nicht die allgemein gültige Aufforderung an dieser Stelle sein. Das tägliche Leben fordert auf die eine oder andere Weise uns alle. Kinder gehen zur Schule. Jugendliche machen eine Ausbildung. Erwachsene gehen ihrer Berufstätigkeit nach oder kümmern sich um den Haushalt. Auch die Beschäftigung im Werk des Herrn nimmt uns in Beschlag. Nein, der Gedanke ist nicht, dass wir nichts anderes tun sollen als zu beten.

«Zu aller Zeit beten» meint, dass wir uns bei allem, was wir tun, bewusst sind, von unserem Herrn abhängig zu sein. Diese Abhängigkeit haben wir alle nötig, in der Ehe, in der Familie, im Beruf, im geschwisterlichen Zusammenleben und wo immer wir gerade sind. Der Student, der eine Klausur schreibt, kann während der Klausur nicht ständig beten, aber er kann wohl in einer inneren Haltung der Abhängigkeit sein. Der Evangelist, der Ungläubigen das Wort predigt, muss sich auf das konzentrieren, was er sagt, aber auch er darf dabei nicht auf sich selbst vertrauen, sondern seinen Dienst im ständigen Aufblick nach oben tun. Man hat das Beten mit dem Atmen der Seele verglichen. Im Allgemeinen nehmen wir gar nicht wahr, dass wir atmen. Wenn wir aber damit aufhören, werden wir es sehr schnell merken.

Mit allem Gebet

Wieder wird das Wort «alle» gebraucht. Es heisst nicht nur «zu aller Zeit», sondern auch «mit allem Gebet». Was meint das? Es bedeutet, dass es keine Situation, keine Gelegenheit und keinen Lebensumstand gibt, in dem wir nicht beten könnten. Wie immer die Lage auch ist, in der wir uns befinden – ob Freude oder Leid, einfache oder schwierige Umstände – wir können und sollen immer im Gebet und in Abhängigkeit gefunden werden. Oft mag es nur ein kurzes Stossgebet sein: «Herr, hilf!» Es gibt keine Situation, in der Gott uns nicht die wunderbare Frucht des Gebets – seinen Frieden – schenken möchte (Phil 4,7).

In dem Geist

Gemeint ist nicht der menschliche Geist, sondern der Heilige Geist. Natürlich können wir auch in unserem Geist, d.h. nicht in akustisch hörbar formulierten Worten, beten. Hier geht es aber um den Heiligen Geist.

Wir dürfen dabei in zwei Richtungen denken. «In dem Geist» zu beten bedeutet erstens, dass wir in Übereinstimmung mit dem Heiligen Geist beten. Judas fordert seine Briefempfänger dazu auf: «betend im Heiligen Geist» (Judas 20). Der Heilige Geist leitet uns im Gebet. Er legt Gebetsgegenstände auf unser Herz.

«In dem Geist» zu beten, bedeutet aber zweitens auch, in der Kraft des Heiligen Geistes zu beten. Wir können nur dann wirklich beten, wenn der Geist Gottes uns die Kraft dazu gibt. Aus uns selbst sind wir dazu nicht in der Lage. Er ist die eigentliche Motivation für das Gebet. Paulus schreibt an die Römer: «Ebenso nimmt auch der Geist sich unserer Schwachheit an; denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie es sich gebührt, aber der Geist selbst verwendet sich für uns in unaussprechlichen Seufzern» (Röm 8,26).

Weil der Geist die Kraft zum Gebet gibt, beten wir auch nicht zum Heiligen Geist. Wir beten nicht zu der Kraft, die uns zum Beten bringt. Darüber hinaus macht das Neue Testament klar, dass es das Ziel des Geistes Gottes ist, den Herrn Jesus zu verherrlichen (Joh 16,14.15). Der Geist Gottes – auch wenn Er eine göttliche Person wie der Vater und der Sohn ist – zieht die Blicke des Gläubigen nicht auf sich selbst, sondern Er beschäftigt uns mit der Herrlichkeit des Herrn Jesus. Es gibt deshalb in der Bibel weder eine Aufforderung noch ein praktisches Beispiel, die uns veranlassen könnten, zum Heiligen Geist zu beten. Beten im Geist bedeutet nicht zum Geist beten.

Wachen in allem Anhalten

Gebet und Schläfrigkeit passen nicht zusammen. Zum Gebet müssen wir wach sein. Das Beispiel der Jünger in Gethsemane dient uns als Warnung. Als der Herr Jesus kommt und sie schlafend findet, kann Er dem Petrus den Vorwurf nicht ersparen: «Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt.» Wir verurteilen die Jünger nicht, sehen wir in ihnen doch so oft unser eigenes Bild. Aber wir wollen uns doch warnen lassen. Nicht umsonst werden Gebet und Wachsamkeit auch an anderen Stellen zusammen genannt (z.B. Kol 4,2).

«In allem Anhalten» zeigt uns die Beharrlichkeit im Gebet. Es ist das Ziel des Herrn mit uns, dass wir in ständiger Abhängigkeit von Ihm bleiben. Wir sind manchmal geneigt, dem Herrn ein Anliegen einige Male vorzutragen (vielleicht auch intensiv), aber wenn wir keine kurzfristige Erhörung erfahren, dann lassen wir im Gebet nach. Das gilt sowohl für das persönliche Gebet wie auch für das der örtlichen Versammlung. In Apostelgeschichte 4 finden wir das gemeinsame Gebet der Geschwister in Jerusalem. Es war anhaltend (Apg 12,5). Als Elia in 1. Könige 18 seinen Knaben schickt, um nach der langen Zeit der Dürre nach einer Wolke zu sehen, muss dieser insgesamt 7-mal gehen, bevor er endlich eine kleine Wolke am Himmel sieht (1. Kön 18,44). Beim Lesen des Abschnitts gewinnt man den Eindruck, dass Elia in der Zwischenzeit nicht nachgelassen hat zu beten. Von diesem Beispiel können wir lernen.

Für alle Heiligen und für mich

Das macht deutlich, dass der Blickwinkel der Epheser im Gebet einerseits ein sehr weiter sein sollte – nämlich «alle Heiligen», auf der anderen Seite sollten sie aber auch ganz konkret beten – nämlich für den Apostel Paulus.

«Für alle Heiligen» – das entspricht durchaus dem Charakter des Epheser-Briefes. In Kapitel 1,15 hatte Paulus von ihrer Liebe «zu allen Heiligen» gesprochen, und in Kapitel 3,18 hatte er ihnen gezeigt, dass sie «mit allen Heiligen» erfassen sollen, was die Breite, Länge, Höhe und Tiefe des wunderbaren Ratschlusses Gottes ist. Jetzt schliesst sich das Gebet für «alle Heiligen» an. In 1. Timotheus 2,1 heisst es, dass wir für «alle Menschen» beten sollen. Das steht wieder in Übereinstimmung mit der Belehrung dieses Briefes, der uns Gott als Heiland-Gott zeigt, der will, dass alle Menschen errettet werden. Hier im Epheser-Brief – wo uns der Ratschluss Gottes gezeigt wird – geht es um «alle Heiligen».

Wir wollen uns vom Herrn diesen weiten Horizont schenken lassen. Wir beten nicht nur für die Geschwister, die wir kennen. Wir beten auch nicht nur für die Geschwister, mit denen wir einen gemeinsamen Weg gehen. Wir dürfen «alle Heiligen» in unser Gebet einschliessen.

«Und für mich.» Dieser Nachsatz zeigt, wie konkret unser Gebet sein soll. Wir beten nicht einfach pauschal für die Bedürfnisse der Gläubigen, sondern wir bringen ganz bestimmte Bitten vor unseren Gott. Der weitere Verlauf des Textes zeigt einen spezifischen Gebetsgegenstand. Paulus wünschte Freimütigkeit zu haben, um das Geheimnis des Evangeliums kundzutun. So dürfen auch wir, wenn wir im Gebet vor unseren Gott treten, nicht nur unsere eigene Not vor Ihn bringen, sondern auch konkret für die Bedürfnisse unserer Geschwister beten.

Wir wollen die Belehrung dieses Verses nicht nur einfach mit unserem Verstand aufnehmen, sondern uns bemühen, die Aufforderung «zu aller Zeit betend» in unserem täglichen Leben vermehrt umzusetzen. Von Martin Luther stammt der Satz: «Heute habe ich viel zu tun, deswegen muss ich viel beten.» Gerade bei der Hektik unserer Zeit haben wir dies ebenso nötig.