Mein echtes Kind im Glauben

1. Timotheus 1,2; Titus 1,4

Unter den Mitarbeitern des Apostels Paulus werden Timotheus und Titus besonders hervorgehoben. Er bezeichnet beide als «mein echtes Kind». An den ersteren schreibt er: «Timotheus, meinem echten Kind im Glauben: Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn!» (1. Tim 1,2). In seinem Brief an Titus redet er diesen wie folgt an: «Titus, meinem echten Kind nach unserem gemeinschaftlichen Glauben: Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Heiland!» (Tit 1,4).

Es ist bekannt, dass besonders Timotheus ein enges Verhältnis zu Paulus hatte. Wir wollen deshalb an seinem Beispiel der Frage nachgehen, was der Ausdruck «mein echtes Kind im Glauben» bedeutet und was wir davon lernen können.

1) Durch Paulus zum Glauben gekommen

Eine erste Bedeutung dieses Ausdrucks kann beinhalten, dass Timotheus durch Paulus zum Glauben gekommen war. Die Bekehrungsgeschichte von Timotheus – wie auch die von Titus – ist uns nicht überliefert. Er wird zum ersten Mal in Apostelgeschichte 16,1 erwähnt. Paulus war zum zweiten Mal nach Derbe und Lystra gekommen. «Und siehe, dort war ein gewisser Jünger, mit Namen Timotheus – der Sohn einer gläubigen jüdischen Frau, aber eines griechischen Vaters.» Da Paulus früher schon in Lystra und Derbe gewesen war (Apg 14,6), gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Timotheus durch den Dienst von Paulus zum Glauben gekommen war und dass er ihn deshalb sein echtes Kind im Glauben nannte.

In Philemon Vers 10 erwähnt Paulus den Sklaven Onesimus. Auch er wird vom Apostel «mein Kind» genannt. Er schreibt dort an den Gutsherrn Philemon: «Ich bitte dich für mein Kind, das ich gezeugt habe in den Fesseln, Onesimus.» Aus dieser Stelle wird deutlich, dass Onesimus durch den Apostel zum Glauben gekommen war und von ihm deshalb als «sein Kind» bezeichnet wurde. Er war sein geistliches Kind.

Natürlich konnte Paulus niemand zur neuen Geburt bringen. Diese ist «von oben». Sie ist und bleibt «aus Gott» (Joh 1,13). Aber Paulus war gewissermassen der «Geburtshelfer» für Onesimus geworden. Ähnlich mag es auch mit Timotheus gewesen sein, so dass er durch den Dienst von Paulus den Herrn Jesus als seinen Heiland gefunden hat.

Wenn dem so ist, dann bleibt für uns in der praktischen Anwendung die Frage, ob wir solche sind, die dazu beitragen, dass Menschen zum Herrn Jesus finden. Sind wir in diesem Sinn «Geburtshelfer»? Sind wir in diesem Sinn geistliche Väter und Mütter, die geistliche Kinder haben? Dazu brauchen wir nicht die Gabe eines Evangelisten, wohl aber ein Herz für den Herrn, für das Evangelium und für die Verlorenen. Der Herr kann uns helfen, mehr in dieser Weise für Ihn tätig zu werden. Wir denken dabei zunächst an unsere leiblichen Kinder und unsere Enkelkinder, die wir gern zum Heiland führen möchten. Lasst uns dabei aber nicht stehen bleiben. Auch darüber hinaus möchte der Herr uns als «Menschenfischer» gebrauchen, die andere zu Ihm führen.

2) Mit Paulus im Glauben verbunden

Gerade in Bezug auf Timotheus liegt noch eine zweite Bedeutung des Begriffs «Kind» nahe. Wenn wir die Briefe des Apostels an ihn aufmerksam lesen, stellen wir fest, dass Timotheus in einer gläubigen Umgebung aufgewachsen war. Paulus spricht vom ungeheuchelten Glauben, der zuerst in seiner Grossmutter Lois und dann in seiner Mutter Eunike wohnte (2. Tim 1,5). Zweitens kannte Timotheus von Kind auf die heiligen Schriften des Alten Testaments (2. Tim 3,15). Es ist also durchaus möglich, dass Timotheus durch seine Grossmutter und Mutter den Heiland gefunden hatte.

Auch wenn wir diesem Gedanken folgen, macht der Ausdruck «meinem echten Kind im Glauben» in Bezug auf Paulus und Timotheus Sinn. Kindschaft hat – ganz allgemein – im Neuen Testament nicht nur den Gedanken von «geboren werden», sondern auch den Gedanken, dass ein Kind die Charakterzüge seines Vaters widerspiegelt.

Wenn wir an unser Kindschaftsverhältnis zu Gott, dem Vater, denken, ist das genauso. Wir sind seine Kinder, weil wir aus Ihm geboren sind. Wir sind aber auch deshalb seine Kinder, weil Er in uns seine eigenen Wesenszüge wiederfindet. Das wird aus Epheser 1,4 deutlich, wo es heisst, dass wir «heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe». Die beiden grossen Wesenszüge Gottes – Licht und Liebe – finden sich in uns, seinen Kindern, wieder.

An diesen Aspekt mag Paulus auch gedacht haben, als er Timotheus «mein echtes Kind im Glauben» nannte. Dieser junge Mann war jemand, in dem Paulus etwas von seinen eigenen geistlichen Qualitäten wiederfinden konnte. Er war im Glauben mit ihm verbunden.

Paulus arbeitete mit vielen zusammen. Aber mit niemand war er so im Glauben verbunden wie mit Timotheus. Niemand war so sehr vom ihm geprägt worden wie gerade Timotheus. Niemand hatte so viel von ihm gelernt wie er. Er hatte den Apostel auf vielen Reisen begleitet. Er hatte ihn beobachtet und ihm zugehört. Sicher hatte er manche Unterredung mit ihm gehabt. So war Paulus ihm ein geistlicher Vater und er für diesen ein geistliches Kind geworden. Der Apostel hatte Timotheus beobachtet, seine geistlichen Fortschritte im Glauben sehen können und seine Freude daran gehabt.

Ein solches Verhältnis zwischen einem älteren Lehrer und einem jüngeren Schüler war zu jener Zeit nicht unbekannt. Meistens ging es aber nicht über die Beziehung eines Lehrers zu seinem Schüler (oder Jünger) hinaus. Es blieb in gewissem Sinn ein formelles Verhältnis.

Bei Paulus und Timotheus war das anders. Timotheus war nicht nur ein eifriger Schüler und brauchbarer Mitarbeiter, sondern er war für Paulus ein «echtes Kind im Glauben». In ihm konnte man etwas von den Wesenszügen von Paulus entdecken. Dieser war ihm ein gutes Vorbild gewesen und Timotheus war diesem Beispiel gefolgt.

Der Apostel spricht an mehreren Stellen von diesem guten Verhältnis, das er zu Timotheus hatte. Eine besondere Stelle finden wir in Philipper 2,19-22, aus der deutlich wird, wie sehr Timotheus geistlich von Paulus geprägt worden war. Es heisst dort: «Ich hoffe aber im Herrn Jesus, Timotheus bald zu euch zu senden, damit auch ich guten Mutes sei, wenn ich eure Umstände kenne. Denn ich habe keinen Gleichgesinnten, der von Herzen für das Eure besorgt sein wird; denn alle suchen das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist. Ihr kennt aber seine Bewährung, dass er, wie ein Kind dem Vater, mit mir gedient hat an dem Evangelium.» Auch hier gebraucht Paulus die Beziehung Vater – Kind, um sein Verhältnis zu Timotheus zu beschreiben. Dieser hatte die gleiche Gesinnung, die auch der Apostel hatte – die Gesinnung des Herrn Jesus. Das zeichnete ihn aus.

Wenn wir an diese Seite der «geistlichen Kindschaft» von Timotheus denken, dann stellt sich für uns in der praktischen Anwendung die Frage, ob wir – je nach Alter – geistliche Väter bzw. geistliche Kinder sind. Gibt es, wenn wir älter geworden sind, solche, die wir in diesem Sinn unsere geistlichen Kinder nennen können? Gibt es jüngere Glaubensgeschwister, deren geistliches Leben wir – unter dem Segen und mit der Hilfe des Herrn – prägen konnten und mit denen wir gemeinsam einen glücklichen Weg gehen können? Sind wir – indem wir Christus folgen – gute Vorbilder für unsere jungen Leute?

Diese Frage richtet sich zuerst an uns als natürliche Eltern im Blick auf unsere Kinder. Sie geht aber darüber hinaus und hat eine allgemeine Bedeutung in der Familie Gottes. Wie gut, wenn eine örtliche Versammlung geistliche Väter und Mütter hat, durch die nachfolgende Generationen ihre geistliche Prägung bekommen. Wir denken dankbar an Brüder und Schwestern zurück, die unser eigenes geistliches Leben positiv beeinflusst haben. Jetzt sollen wir – wenn wir älter geworden sind – selbst solche sein. Und kennen wir – wenn wir noch jünger sind – ältere Glaubensgeschwister, die uns geholfen haben, im geistlichen Leben voranzukommen? Sind wir dankbar für sie?

Der Herr hat uns ganz verschieden zusammengestellt. Wenn wir als ältere und jüngere Geschwister so miteinander den Weg gehen, wie Paulus und Timotheus es taten, dann steht es gut um uns. Das Beispiel dieser beiden will uns Mut machen.