Das grosse Thema des ersten Briefs an Timotheus ist das Verhalten im Haus Gottes. Paulus schreibt in Kapitel 3,15: «Damit du weisst, wie man sich verhalten soll im Haus Gottes, das die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.» Diese Aussage ist vielen Kindern Gottes bekannt. Doch es stellt sich die Frage, ob uns auch klar ist, was wir darunter zu verstehen haben. Das soll das Thema dieser Ausführungen sein, die zugleich eine kleine Einführung in diesen Brief sind.
Das Haus Gottes
Die Versammlung wird im Neuen Testament an verschiedenen Stellen mit einem Haus verglichen. Der Hauptgedanke beim Bild des Hauses ist das Wohnen Gottes in der Mitte seines Volkes. Das war im Alten Testament schon so. Das ist auch im Neuen so. Im Alten Testament war es ein materielles Haus (die Stiftshütte, der Tempel). Im Neuen Testament ist es ein geistliches Haus (die Versammlung). Dennoch bedeutet der Ausdruck «Haus Gottes» im Neuen Testament – vor allem in den Briefen – nicht an allen Stellen genau das Gleiche. Wir können drei Aspekte unterscheiden – ohne sie aber zu trennen.
Erstens wird uns gezeigt, dass die Gläubigen selbst das Haus Gottes bilden. Sie sind lebendige Steine, aus denen dieses Haus aufgebaut wird. Als der Herr Jesus vom Bauen seiner Versammlung sprach, hatte Er diesen Aspekt vor Augen (Mt 16,18). – Petrus greift diesen Gedanken in seinem ersten Brief auf, wenn er die Gläubigen als ein geistliches Haus (und eine heilige Priesterschaft) beschreibt (Kap. 2,5). Unter diesem Blickwinkel betrachtet, besteht das Haus Gottes aus allen Erlösten der Zeit der Gnade.
Zweitens wird uns gezeigt, dass wir an diesem Haus bauen. Das spricht von unserer Verantwortung. Es ist unsere Aufgabe, zur Auferbauung der Versammlung beizutragen. Das kann dadurch geschehen, dass wir Menschen herbeibringen, die an den Herrn Jesus glauben und mit den Gedanken Gottes über seine Versammlung (Haus Gottes) vertraut gemacht worden sind. Im Weiteren besteht unsere Aufgabe des Bauens am Haus Gottes in der Auferbauung derer, die bereits dazugekommen sind (1. Kor 3,1-10). Gleichzeitig sollen wir die Grundsätze des Hauses Gottes in unserem praktischen (Versammlungs-)Leben verwirklichen.
Drittens aber – und das bringt uns zu unserem Verhalten in diesem Haus – wird uns gezeigt, dass wir uns ständig in diesem Haus bewegen. Wir bilden nicht nur das Haus Gottes, wir bauen nicht nur daran, wir leben auch darin. Erneut ist unsere Verantwortung angesprochen. Das Haus gehört Gott. Er ist der Hausherr, Er legt somit die Regeln fest, nach denen wir uns zu verhalten haben. Das Verhalten ist nicht uns überlassen, sondern es muss der Heiligkeit und Würde Dessen entsprechen, dem das Haus gehört. Es gibt in diesem Haus eine «Hausordnung», der wir verpflichtet sind.
Was nicht gemeint ist
Es dürfte uns erstens klar sein, dass es nicht einfach um das Verhalten in einem Gebäude geht. In vielen Religionen wird den sogenannten «Gotteshäusern» grosse Bedeutung beigemessen. Oft gibt es klare Regeln, die man beim Betreten dieser Bauten beachten muss. Darum geht es in 1. Timotheus 3,15 nicht. Die Räume, in denen sich die Gläubigen zum Namen des Herrn hin versammeln, sind keine «heiligen Stätten», sondern ganz gewöhnliche Räumlichkeiten. Dass wir uns, wenn wir in die Gegenwart des Herrn treten, angemessen kleiden und benehmen, sollte selbstverständlich sein, ist aber nicht der eigentliche Gedanke in unserem Vers.
Zweitens wollen wir bedenken, dass es im ersten Timotheus-Brief nicht primär um das Zusammenkommen der örtlichen Versammlung geht. Dieses ist wohl eingeschlossen, aber die Gedanken sind weiter gefasst.
Der erste Korinther-Brief zeigt uns mehr die innere Ordnung im Haus Gottes. In einigen Passagen jenes Briefes geht es ausdrücklich um das Zusammenkommen als Versammlung (z.B. in den Kapiteln 10; 11; 14).
Das ist im ersten Timotheus-Brief anders. In diesem Brief wird uns mehr die äussere Ordnung im Haus Gottes vorgestellt. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, sind wir immer im Haus Gottes, also 24 Stunden am Tag. Zu jeder Gelegenheit – ob zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Freizeit – befinden wir uns im Haus Gottes, und sollen uns entsprechend verhalten.
Was wohl gemeint ist
1) Der persönliche Aspekt
Das Verhalten im Haus Gottes ist zunächst eine überwiegend persönliche Sache. Paulus schrieb einen persönlichen Brief an sein geistliches Kind Timotheus, der zugleich sein Mitarbeiter war. Daher finden wir immer wieder die Worte «du», «dich» und «dir». Es geht aber nicht nur um Timotheus.
In unserem Leitvers (3,15) ist zunächst Timotheus persönlich angesprochen: «Damit du weisst.» Doch dann weitet sich der Gesichtskreis, indem es nicht mehr heisst: «wie du dich verhalten sollst», sondern: «wie man sich verhalten soll.» Das schliesst jeden Leser des Briefes ein.
Die Grundsätze über das Verhalten im Haus Gottes ändern sich nicht. Sie gelten heute, wie sie damals galten, und zwar jedem von uns ganz persönlich. Sie zu beachten, ist zunächst eine individuelle Verantwortung. Wir sollen nicht zuerst von unseren Mitgeschwistern erwarten, dass sie dieser Aufforderung nachkommen, sondern wir wollen zuerst an uns selbst denken.
2) Der gemeinschaftliche und öffentliche Aspekt
Obwohl das Verhalten im Haus Gottes vorwiegend persönlicher Natur ist, ist der gemeinschaftliche und öffentliche Gedanke nicht auszuschliessen. Wir werden hier zwar persönlich, aber doch nicht in unserem Charakter als Kinder Gottes angesprochen. Kindschaft ist eine persönliche Segnung, die mit einer persönlichen Verantwortung verbunden ist.
Wenn es jedoch um das Haus Gottes geht, ist der gemeinschaftliche (kollektive) und öffentliche Aspekt nicht zu übersehen. Das hilft uns, den ganzen ersten Timotheus-Brief gut zu verstehen. Dieser Brief gibt uns persönliche Hinweise für das gemeinsame Leben im Haus Gottes. Es gibt – neben den Zusammenkünften als Versammlung – viele Gelegenheiten, bei denen wir mit unseren Glaubensgeschwistern zu tun haben und zusammen sind. Welchen Einfluss hat mein persönliches Verhalten auf die anderen?
Es geht also nicht so sehr um das «Privatleben» des Christen, z.B. wie Mann und Frau in der Ehe miteinander umgehen. Nehmen wir als Beispiel das Gebet. Der erste Timotheus-Brief gibt uns dazu wichtige Belehrungen, aber nicht etwa, um uns zu zeigen, wie wir als Ehepaar zusammen beten sollen. Es geht um das öffentliche Gebet. Das ist der Charakter, den wir in diesem Brief vor uns haben.
3) Das praktische Verhalten
Es geht in diesem Brief im Kern um das Verhalten. Dabei ist es wichtig zu sehen, dass die Aufforderung, uns im Haus Gottes angemessen zu verhalten, eine ganz praktische Seite hat. Die Art und Weise, wie wir uns als Christen benehmen, spielt eine grosse Rolle.
Es gibt Gläubige, die die innere Glaubensbeziehung betonen, die wir als Christen zu unserem Gott haben. Sie haben Recht. Andere betonen das praktische Verhalten des Christen im Alltag. Auch sie haben Recht. Beide Aspekte gehören zusammen. Sie widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Gefährlich wird es, wenn wir den einen Aspekt gegen den anderen ausspielen.
Die innere Glaubensbeziehung – das verborgene Leben des Christen mit Gott – muss intakt sein, sonst kann das, was nach aussen hin sichtbar wird, auch nicht intakt sein. Wenn aber die innere Glaubensverbindung äusserlich nicht sichtbar wird, dann stimmt im Inneren etwas nicht.
Beide Seiten sind vorhanden. Beide Seiten sind wichtig. Der erste Timotheus-Brief zeigt uns aber mehr das, was nach aussen hin sichtbar wird. Er beschäftigt sich mit der Praxis des täglichen Lebens. Sie ist wichtig, und unser Verhalten kann nicht von der Lehre getrennt werden. Deshalb erwähnt Paulus gerade in diesem Brief immer wieder die gute und gesunde Lehre. Sie ist die Voraussetzung für ein gutes und gesundes Verhalten.
4) Das Ziel unseres Verhaltens
Die Aufforderung, uns im Haus Gottes angemessen zu verhalten, wird uns nicht ohne Grund gegeben. Unser Verhalten im Haus Gottes hat ein doppeltes Ziel.
Erstens möchte Gott durch unser Verhalten verherrlicht werden. Es ist sein Haus. Er sieht uns, und Er möchte durch unser Benehmen geehrt werden und Freude an uns haben. Er hat ein Recht darauf.
Zweitens hat Gott uns zu einem Zeugnis für die Welt zurückgelassen. Die Versammlung ist der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit. Gerade der erste Timotheus-Brief spricht von der Wahrheit, dass Gott ein Heiland-Gott ist. Er hat uns gerettet. Aber Er will auch, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Woran können die Menschen dies erkennen? An unserem Verhalten. Sie beobachten uns. Sie hören und sehen uns. Sie registrieren, wie wir uns im täglichen Leben verhalten.
Paulus schreibt: «Damit du weisst, wie man sich verhalten soll.» Wir sollen also etwas «wissen». Doch es geht dabei nicht um ein theoretisches Wissen, sondern darum, dieses «Wissen» in der täglichen Praxis unseres Alltags umzusetzen. Dazu möchte der Herr uns helfen.