Wenn Männer weinen

Wir denken vielleicht, Weinen sei eher eine Sache der Frauen und Kinder. Doch wir finden in der Bibel eine ganze Anzahl Männer, die weinten. Es ist keine Schande, wenn Männer weinen.

Im Folgenden wollen wir sehen, aus welchen Gründen Männer geweint haben, und dabei möglichst alle in Betracht kommenden Bibelstellen erfassen. Wir möchten auch an den Herrn Jesus denken (auch als HERR im Alten Testament). Von Ihm lesen wir siebenmal, dass Er weinte oder Tränen vergoss. Wir werden auch versuchen, Folgerungen für uns Glaubende zu ziehen.

Verlust eines geliebten Angehörigen

Abraham weinte, nachdem seine Frau Sara in Hebron gestorben war (1. Mo 23,2). Wie vieles hatten sie miteinander und mit Gott erlebt, besonders im Hinblick auf den verheissenen Erben!

Wenn die engste irdische Bindung gelöst wird, ist es natürlich, dass Trauer einkehrt. Doch ein Gläubiger braucht sich in seiner Trauer nicht zu vergraben. «Abraham erhob sich weg von seiner Toten» (V. 3).

Tief war die Trauer Josephs über den Tod seines Vaters (1. Mo 49,33; 50,1). Wie hatte doch zwischen ihnen eine harmonische Vater-Sohn-Beziehung bestanden! Israel, wie Jakob auch genannt wird, «liebte Joseph mehr als alle seine Söhne». Und wie hatte Jakob ihn beweint, als seine Söhne ihm den Tod Josephs vortäuschten (1. Mo 37,3.31-35)!

Nach dem Wiedersehen mit seinen Brüdern erkundigte sich Joseph wiederholt nach seinem Vater: «Lebt er noch?» – «Lebt mein Vater noch?» (1. Mo 43,27; 45,3). Welch eine Freude war die Wiedervereinigung mit seinem Vater: «Als er ihn sah, fiel er ihm um den Hals und weinte lange an seinem Hals» (1. Mo 46,29)! – Nun war der Vater nicht mehr. Diese innige Beziehung war zu Ende gegangen.

Auch der Verlust eines Elternteils gibt Anlass zur Trauer, denn damit geht ein Teil der Bindung an die vorangegangene Generation verloren. Nun müssen wir – ohne ihr Vorbild und ihren Rat – an ihre Stelle treten.

Im Weiteren wird auch der Verlust eines Kindes schmerzlich empfunden. Als David den Tod des Kindes von Bathseba vor sich sah, fastete und weinte er in der Hoffnung, dass Gott ihm das Kind lassen würde. Nachdem aber das Kind gestorben war, beugte er sich unter die darin zum Ausdruck gekommene Züchtigung des HERRN und betete sogar an. Seine Hoffnung war: Ich gehe zu ihm (2. Sam 12,15.20-23). Diese Hoffnung vermag auch uns zu trösten, wenn wir den Heimgang eines lieben Angehörigen erleben.

Eine besondere Beziehung hatte David zu seinem Sohn Absalom. Wie hatte er mit seinen Söhnen geweint, nachdem Absalom seinen Bruder Amnon, der sich an seiner Schwester Tamar vergangen hatte, erschlagen liess! – Und wie weinte er, als Absalom das Königtum an sich gerissen und ihn, den Vater, aus Jerusalem vertrieben hatte! – Doch sein Schmerz war fast unvergleichlich gross, als er später vom Tod seines Sohnes erfuhr (2. Sam 13,36; 15,30; 19,1).

Gibt es nicht auch heute den tiefen Schmerz von Eltern um Söhne und Töchter, die sich von ihnen und vom Herrn Jesus entfernt haben und in die Irre gegangen sind? Gerade solchen sollte unsere ernste Fürbitte gelten.

Der Herr Jesus litt mit anderen, die trauerten und weinten. Das sehen wir besonders bei Maria, deren Bruder Lazarus gestorben war. «Als nun Jesus sie weinen sah …, seufzte er tief im Geist und erschütterte sich. … Jesus vergoss Tränen» (Joh 11,33.35). Er weinte nicht wegen Lazarus, den Er ja auferwecken würde, sondern Er war «voll innigen Mitgefühls» mit Maria, die in ihrer Trauer bei Ihm und nicht am Grab ihres Bruders Zuflucht gesucht hatte.

Das Weinen freudiger Bewegung in familiären Beziehungen

Das finden wir schon bei der Anbahnung der Verbindung zwischen Jakob und Rahel. Jakob hatte gemeint, er müsse den Segen seines Vaters Isaak, der ihm ohnehin zugedacht war, erschleichen. Dadurch zog er sich die Feindschaft seines Bruders Esau zu. Dieser hatte den Segen erhofft und über dessen Verlust geweint, ja, ihn mit Tränen eifrig gesucht, aber keine Buße gezeigt (1. Mo 27,38; Heb 12,17).

So wurde Jakob – auch in den Wegen Gottes mit ihm – genötigt, die Heimat zu verlassen. Er kam schliesslich nach Haran, wo er an einem Brunnen auf dem Feld Rahel, seine spätere Frau traf. «Jakob küsste Rahel und erhob seine Stimme und weinte» (1. Mo 29,2.11).

Ungefähr 20 Jahre später kam es doch zu einer von Jakob gefürchteten Begegnung mit Esau. Jakob, der «Überlister», traf viele Vorkehrungen, um allen negativen Eventualitäten zu begegnen. Doch nachdem Jakob in Pniel unter Weinen und Flehen mit Gott gerungen und dessen Segen erbeten hatte, schenkte es Gott ihm in seiner Gnade, dass Esau ihm entgegenlief, ihn umarmte, ihm um den Hals fiel und ihn küsste. Das löste eine so freudige Bewegung aus, dass «sie weinten» (1. Mo 32,4-9.25-27; Hos 12,5; 1. Mo 33,4).

Wenn es heute um gestörte Beziehungen zwischen Familiengliedern geht, strengen wir uns meistens vergeblich an, die daraus erwachsenden Komplikationen zu lösen. Nur die Gnade Gottes kann da helfen und wieder versöhnen.

Besonders ergreifend ist die Geschichte Josephs mit seinen Brüdern, die ihn in jungen Jahren nach Ägypten verkauft hatten. Nachdem er nach schweren Erprobungen schliesslich zum zweithöchsten Mann in Ägypten erhöht worden war, sah er seine Brüder wieder (1. Mo 37,28; 39; 40; 41,43; 42,6).

Doch er musste zunächst hart mit ihnen handeln, um sie zur Anerkennung ihrer grossen Schuld zu bringen. Aber schon als erste Anzeichen dafür vorhanden waren, «wandte er sich von ihnen ab und weinte». Als seine Brüder ein zweites Mal nach Ägypten kamen und sie auf seinen Befehl auch Benjamin mitgebracht hatten, «wurde sein Innerstes erregt wegen seines Bruders, und Joseph suchte einen Ort, um zu weinen; und er ging in das innere Gemach und weinte dort» (1. Mo 42,24; 43,30).

Nachdem sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen gegeben hatte, «erhob er seine Stimme mit Weinen». Seine Liebe zu Benjamin bewegte ihn so sehr, dass er ihm «um den Hals fiel und weinte». Hier steht auch: «Benjamin weinte an seinem Hals.» Dann küsste er «alle seine Brüder und weinte an ihnen» (1. Mo 45,2.14.15). Welch bewegende Szene!

Wie war aber Joseph nach dem Tod seines Vaters wegen des Misstrauens seiner Brüder in seine Liebe betrübt! «Joseph weinte, als sie zu ihm redeten» (1. Mo 50,15-17). – Lasst uns der Liebe unseres Herrn, die Er so reichlich offenbart hat, nie misstrauen!

Schwere äussere Schicksalsschläge

Wir denken dabei besonders an Hiob. Es ist wohl niemand so von Schicksalsschlägen heimgesucht worden wie er. Das empfanden auch seine Freunde: «Sie erhoben ihre Augen von fern und erkannten ihn nicht; da erhoben sie ihre Stimme und weinten, und sie zerrissen jeder sein Gewand und streuten Staub auf ihre Häupter himmelwärts» (Hiob 2,12). Sie hatten danach aber nicht geziemend vom HERRN geredet wie Hiob. Das schmerzte den geprüften Mann noch zusätzlich: «Meine Freunde sind meine Spötter: Zu Gott tränt mein Auge», während er selbst sagen konnte: «Weinte ich denn nicht über den, der harte Tage hatte? War meine Seele nicht um den Armen bekümmert?» (Hiob 16,20; 30,25).

Dann sehen wir David auf seiner Flucht vor Saul. Jonathan, dessen Seele sich mit der Seele Davids verbunden hatte, sah sich eines Tages genötigt, seinem Freund durch ein Zeichen deutlich zu machen, dass Saul ihm weiterhin nachstellte. «Und sie küssten einander und weinten miteinander, bis David über die Massen weinte» (1. Sam 20,41). – Zwar weinte auch Saul, als er erkannte, wie nachsichtig David mit ihm gehandelt hatte (1. Sam 24,17). Aber dieses Weinen war nur eine vorübergehende Gefühlswallung. In Wirklichkeit setzte Saul die Verfolgung Davids fort.

Auf seiner Flucht war David schliesslich zu Achis, dem König von Gat, gekommen, wo die Philister ihn aufgriffen (1. Sam 21,11; Ps 56,1). Da klagte er: «Mein Umherirren zählst du. Lege in deinen Schlauch meine Tränen; sind sie nicht in deinem Buch?» (Ps 56,9).

Zu einem späteren Zeitpunkt floh David nochmals ins Land der Philister. Da gab ihm Achis, der König von Gat, bei dem er Zuflucht gefunden hatte, auf seinen Wunsch hin die Stadt Ziklag als Wohnort. Doch als David und seine Männer einmal länger abwesend waren – er meinte, mit Achis zusammen in den Krieg gegen Israel ziehen zu müssen –, fanden sie bei ihrer Rückkehr Ziklag zerstört. Die Amalekiter hatten sie überfallen und ihre Bewohner weggeführt. «Da erhoben David und das Volk, das bei ihm war, ihre Stimme, und sie weinten, bis keine Kraft mehr in ihnen war zu weinen» (1. Sam 30,4). Doch dann gab Gott David den Sieg über die Amalekiter, und alle Weggeführten wurden befreit.

David trauerte auch beim Begräbnis Abners, den Joab heimtückisch ermordet hatte. «Der König erhob seine Stimme und weinte am Grab Abners, und das ganze Volk weinte» (2. Sam 3,32).

Elisa sah voraus, dass Hasael, der Nachfolger Ben-Hadads auf dem syrischen Thron, den Israeliten Böses tun würde, «und der Mann Gottes weinte» (2. Kön 8,11.12; 10,32.33). Wie sehr fühlte Elisa mit dem Volk Gottes! – Obwohl Joas, der König von Israel, tat, was böse war in den Augen des HERRN, empfand er beim Tod des Propheten Elisa den Verlust, den dies für Israel bedeutete. Er «weinte über seinem Angesicht und sprach: Mein Vater, mein Vater! Wagen Israels und seine Reiter!» (2. Kön 13,14).

Der Prophet Jesaja musste Hiskia, dem König von Juda ankündigen: «Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht genesen.» Das kam für Hiskia sehr unerwartet. Wir können verstehen, dass es heisst: «Hiskia weinte sehr.» Doch der HERR erbarmte sich über ihn und versicherte ihm: «Ich habe dein Gebet gehört, ich habe deine Tränen gesehen … Ich will zu deinen Tagen 15 Jahre hinzufügen» (2. Kön 20,3.5.6). Göttliches Mitempfinden!

Der Zustand des irdischen Volkes Gottes

Beim Propheten Micha finden wir, wenn er über Samaria und Jerusalem nachdenkt: «Darum will ich klagen und heulen …; ich will eine Wehklage halten wie die Schakale und eine Trauer wie die Strausse» (Micha 1,8).

König Josia weinte, als er hörte, was für ein Gericht der HERR über Jerusalem bringen wollte. Gott übersah diese Tränen nicht: «Weil dein Herz weich geworden ist und du dich vor dem HERRN gedemütigt hast … und vor mir geweint hast, so habe ich es auch gehört, spricht der HERR» (2. Kön 22,19).

Besonders ergreifend ist die Not, die der Prophet Jeremia angesichts des moralischen Zustands von Jerusalem und Juda litt: «O dass mein Haupt Wasser wäre und mein Auge ein Tränenquell, so wollte ich die Erschlagenen der Tochter meines Volkes Tag und Nacht beweinen», und: «Über die Berge will ich ein Weinen und eine Wehklage erheben und über die Weideplätze der Steppe ein Klagelied» (Jer 8,23; 9,9).

Im Blick auf die Wegführung des Volkes in die Gefangenschaft klagte er: «Wenn ihr aber nicht hört, so wird meine Seele im Verborgenen weinen wegen eures Hochmuts; und tränen wird mein Auge und von Tränen rinnen, weil die Herde des HERRN gefangen weggeführt ist.» Oder: «Durch Tränen vergehen meine Augen, meine Eingeweide wallen, meine Leber hat sich zur Erde ergossen: wegen der Zertrümmerung der Tochter meines Volkes» (Jer 13,17; Klgl 2,11).

Abgesehen von Jesaja 22,4 finden wir bei keinem der anderen Propheten eine derartige Trauer über das Volk Gottes wie bei Jeremia.

Esra weinte später über die treulose Vermischung des Volkes mit den Nationen. Von ihm heisst es: «Als Esra betete und als er bekannte, weinend und vor dem Haus Gottes hingestreckt, versammelte sich zu ihm aus Israel eine sehr grosse Versammlung von Männern und Frauen und Kindern; denn das Volk weinte sehr» (Esra 10,1).

Nehemia klagte wenig später, als er den Bericht vom trostlosen Zustand der von der Gefangenschaft Übriggebliebenen und von der zerstörten Stadt Jerusalem hörte: «Als ich diese Worte hörte, setzte ich mich hin und weinte und trug Leid tagelang; und ich fastete und betete vor dem Gott des Himmels» (Neh 1,4).

Auch der Herr Jesus hatte über den traurigen Zustand Jerusalems tiefe Empfindungen – sowohl als HERR des Alten Testaments als auch auf seinem Erdenweg:

Im Ausspruch über das Tal der Gesichte (Jerusalem) sagt Er: «Schaut von mir weg, dass ich bitterlich weine; dringt nicht in mich, um mich zu trösten über die Zerstörung der Tochter meines Volkes» (Jes 22,4). – Allerdings finden wir auch im Ausspruch über Moab, dass der HERR sagt: «Darum weine ich mit dem Weinen Jasers über den Weinstock von Sibma, ich überströme dich mit meinen Tränen, Hesbon und Elale» (Jes 16,9; vgl. Jer 48,32).

In Jeremia 14,17 finden wir: «Du sollst dieses Wort zu ihnen sprechen: Nacht und Tag rinnen meine Augen von Tränen und hören nicht auf; denn die Jungfrau, die Tochter meines Volkes, ist mit grosser Zerschmetterung, mit einem sehr schmerzhaften Schlag zerschmettert.»

Wie sehr schmerzte es den Herrn, dass Er von der Stadt, die Er einst erwählt hatte, um seinen Namen dort wohnen zu lassen, abgelehnt wurde! «Als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn du doch erkannt hättest – und wenigstens an diesem deinem Tag –, was zu deinem Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen» (Lk 19,41.42).

Welches Empfinden haben wir, wenn wir über den Niedergang im himmlischen Volk Gottes nachdenken? Haben wir schon einmal darüber geweint?

Innere Not

Als David «dahingewelkt» war, klagte er: «Müde bin ich durch mein Seufzen; jede Nacht schwemme ich mein Bett; lasse durch meine Tränen mein Lager zerfliessen» (Ps 6,3.7). – Wenn er an seine Ungerechtigkeit dachte, sagte er sogar: «Ich bin ermattet und über die Massen zerschlagen, ich heule vor Gestöhn meines Herzens» (Ps 38,5.9). – Im Bewusstsein seiner Vergänglichkeit betete er: «Höre mein Gebet, HERR, und nimm zu Ohren mein Schreien; schweige nicht zu meinen Tränen!» (Ps 39,5.6.13). – Der Dichter des 119. Psalms klagt über sein mangelndes Verständnis der Gedanken Gottes: «Vor Traurigkeit zerfliesst in Tränen meine Seele; richte mich auf nach deinem Wort!» (V. 28).

Petrus weinte, als ihm bewusst wurde, wie sehr er seinen Herrn durch sein dreimaliges Verleugnen vor Menschen verletzt hatte. «Petrus erinnerte sich an das Wort Jesu, der gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich» (Mt 26,75; vgl. Mk 14,72; Lk 22,62). Er erfuhr nach der Auferstehung des Herrn durch dessen Gnade eine vollständige Wiederherstellung (Lk 24,34; Joh 21,15-19).

Der Apostel Paulus kannte innere Not besonders im Blick auf seinen Dienst. Er hatte in Ephesus dem Herrn mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen gedient. In jener Stadt hatte er drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört, einen jeden mit Tränen zu ermahnen (Apg 20,19.31).

Es war ihm auch nicht gleichgültig, wie die Korinther seinen ersten Brief aufgefasst hatten, denn er schreibt in seinem zweiten Brief an sie: «Aus vieler Bedrängnis und Herzensangst schrieb ich euch mit vielen Tränen, nicht um euch traurig zu machen, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich überreichlicher zu euch habe» (Kap. 2,4).

In seinem Brief aus der römischen Gefangenschaft an die Philipper musste er klagen: «Viele wandeln, von denen ich euch oft gesagt habe, nun aber auch mit Weinen sage, dass sie die Feinde des Kreuzes des Christus sind» (Kap. 3,18).

Dass Timotheus sich nach ihm sehnte, ermunterte den Apostel in seiner schweren zweiten Gefangenschaft. Er empfand ganz ähnlich: «Voll Verlangen, dich zu sehen, indem ich mich an deine Tränen erinnere, damit ich mit Freude erfüllt sein möge» (2. Tim 1,4).

Ein besonderes Weinen finden wir beim Apostel Johannes auf der Insel Patmos, als niemand würdig war, das mit sieben Siegeln versiegelte Buch in der Rechten Dessen, der auf dem Thron sass, zu öffnen. «Ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen noch es anzublicken.» Doch einer von den Ältesten tröstete ihn: «Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist, die Wurzel Davids, das Buch zu öffnen und seine sieben Siegel» (Off 5,1-5).

Beim Herrn Jesus sehen wir besonders, was innere Not ist und wie schmerzlich Er sie empfand. Es sind vorwiegend die Psalmen, die uns dies zeigen.

Er litt unter den Schmähungen derer, die Ihm feindlich gesinnt waren: «Meine Tränen sind mir zur Speise geworden Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: Wo ist dein Gott?» (Ps 42,4). – Er empfand die Schmähungen gegen Gott als seine eigenen: «Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen. Als ich weinte und meine Seele fastete, da wurde es mir zu Schmähungen» (Ps 69,10.11). – Angesichts des Hohns seiner Feinde musste Er sagen: «Asche esse ich wie Brot, und meinen Trank vermische ich mit Tränen» (Ps 102,10). – Bei solchen Worten können wir ein wenig nachempfinden, dass Er sagte: «Der Hohn hat mein Herz gebrochen, und ich bin ganz elend; und ich habe auf Mitleid gewartet, und da war keins, und auf Tröster, und ich habe keine gefunden» (Ps 69,21).

Mit ehrfurchtsvollem Abstand betrachten wir schliesslich unseren Herrn und Heiland in der Mühsal seiner Seele. Er wusste, dass Ihn der Zorn Gottes über die Sünde treffen würde. Wie schwer stand das alles vor Ihm. «Er geht hin unter Weinen und trägt den Samen zur Aussaat» (Ps 126,6).

Hebräer 5,7 lässt uns an Gethsemane denken: «Der in den Tagen seines Fleisches, da er sowohl Bitten als Flehen dem, der ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Schreien und Tränen dargebracht hat …» Es ist der stärkste Ausdruck tiefsten Schmerzes, den wir dort erkennen. Zu seinen Jüngern sagte Er: «Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tod» (Mt 26,38; Mk 14,34). Da stand die ganze Schwere des Kreuzes vor Ihm, der allezeit das Gott Wohlgefällige getan hatte (Joh 8,29). Er, «der keine Sünde tat», «der Sünde nicht kannte», ja, «Sünde war nicht in Ihm», sollte für uns zur Sünde gemacht werden und unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz tragen (1. Pet 2,22; 2. Kor 5,21; 1. Joh 3,5; 1. Pet 2,24). Anbetungswürdiger Herr!

Schluss

Lasst uns nun darüber nachdenken, was wirklich Grund zum Weinen ist. Wir dürfen dann an den Herrn Jesus denken, der selbst geweint hat und darum auch mit unseren Schwachheiten Mitleid zu haben vermag. Wurde Er nicht in gleicher Weise versucht wie wir, ausgenommen die Sünde? So versteht Er unser aufrichtiges Weinen aus rechten Motiven besser als jeder andere. Und keiner kann so trösten wie Er.

Prüfen wir uns aber, ob wir nicht manchmal egoistisch geweint haben, weil uns jemand zu nahe getreten ist, oder auch aus Selbstmitleid. Solches Weinen und solche Tränen können dem Herrn nicht gefallen. – Weinen wir lieber mit den Weinenden in der Gesinnung des Herrn Jesus! Das ist dann wohltuend für unsere Mitgeschwister.