Manchmal begegnet man Gläubigen, die davon überzeugt sind, dass das, was sie tun oder vorhaben, hundertprozentig dem Willen Gottes entspricht oder dass ihre Sicht der Dinge die Sicht Gottes ist. Doch die Tatsache, dass wir alle oft straucheln (Jak 3,2), sollte uns mit solchen Gewissheiten zurückhaltender machen. Als Saulus die Christen verfolgte, tat er dies mit gutem Gewissen und war völlig überzeugt, Gott zu dienen (2. Tim 1,3). Doch wie sehr irrte er sich! Es ist beschämend, wenn Gott uns erst demütigen muss, damit wir erkennen, dass wir mit unserer felsenfesten Überzeugung daneben liegen (Ps 119,67). Es ist bezeichnend, dass selbst ein Mann Gottes wie Paulus das Wort «vielleicht» kannte. Nachfolgend zwei Begebenheiten, bei denen er dieses Wort benutzte.
«Ich werde aber zu euch kommen, wenn ich Mazedonien durchzogen habe, denn ich ziehe durch Mazedonien. Vielleicht aber werde ich bei euch bleiben oder auch überwintern, damit ihr mich geleitet, wohin irgend ich reise; denn ich will euch jetzt nicht auf der Durchreise sehen, denn ich hoffe, einige Zeit bei euch zu bleiben, wenn der Herr es erlaubt» (1. Kor 16,5-7).
Zunächst machte Paulus deutlich, was er nicht im Sinn hatte. Er wollte die Korinther nicht jetzt auf der Durchreise sehen. Einen eigenen Willen zu haben, ist nicht dasselbe wie eigenwillig zu sein. Auch der Herr Jesus hatte einen eigenen Willen. Aber Er unterordnete ihn dem Willen des Vaters (Mt 26,39).
Zur Entscheidung, jetzt nicht zu kommen, war Paulus durch nüchterne Überlegung gelangt. Würde er sie jetzt besucht haben, hätte er nicht, wie es sein Wunsch war, länger bei ihnen bleiben können. Auch wir dürfen bei Entscheidungen, die wir zu treffen haben, das Für und Wider im Licht des Wortes Gottes abwägen und dann unsere Überlegungen Gott im Gebet vorstellen.
In Bezug auf einen späteren Zeitpunkt plante Paulus zweierlei: Er wollte durch Mazedonien ziehen und anschliessend zu ihnen kommen. Dann bestand die Möglichkeit, bei ihnen zu bleiben. Ob dieser Wunsch jedoch in Erfüllung ging, hing von der Erlaubnis des Herrn ab. Ein Gläubiger darf Wünsche haben, nur sollten sie nicht fleischlicher Natur, sondern ein Ergebnis der Gemeinschaft mit dem Herrn sein. Als der HERR, begleitet von zwei Engeln, Abraham besuchte, wünschte dieser seine Gäste zu bewirten, was er auch tun durfte (1. Mo 18,3-5). Kennen wir einen solch vertrauten Umgang mit Gott? Für Paulus stand die Erlaubnis Gottes bezüglich seines Wunsches noch aus. Darum sagte er «vielleicht».
Auch sein nachfolgendes Reiseziel schien noch nicht festzustehen, weil er sagte: «Wohin irgend ich reise.» Gott führt uns Schritt für Schritt. Dies sehen wir auch bei Abraham. Gott forderte ihn zwar auf, sein Land zu verlassen, aber Er gab ihm noch nicht das eigentliche Ziel seiner Reise an. So zog Abraham aus, ohne zu wissen, wohin er kommen würde (Heb 11,8).
Eine andere Begebenheit, in der Paulus das Wort «vielleicht» gebrauchte:
«Vielleicht ist er deswegen für eine Zeit von dir getrennt gewesen, damit du ihn für immer besitzen mögest, nicht länger als einen Sklaven, sondern – mehr als einen Sklaven – als einen geliebten Bruder, besonders für mich, wie viel mehr aber für dich, sowohl im Fleisch als auch im Herrn» (Phlm 15.16).
Wenn Paulus im ersten betrachteten Fall zu seinen eigenen zukünftigen Plänen «vielleicht» sagte, so benutzt er das Wort in diesem Fall im Blick auf seine Gedanken über das, was Philemon erlebt hatte.
Schmerzliche Erfahrungen wie Krankheit, der Tod einer nahestehenden Person, der Verlust des Arbeitsplatzes, eine nicht bestandene Prüfung oder Ähnliches, lassen oft die Frage nach dem «Warum» oder «Wozu» aufkommen. Wir suchen eine Antwort, weil wir einen Sinn hinter dem Geschehen erkennen möchten, um das Ganze leichter annehmen zu können.
Im Allgemeinen ist es besser, nach dem «Wozu» statt nach dem «Warum» zu fragen. Dies zeigt uns die Frage der Jünger und die Antwort des Herrn bezüglich des Blindgeborenen. Die Jünger wollten die Ursache der Blindheit wissen und stellten dazu ihre eigenen Vermutungen an. Der Herr musste ihnen zuerst sagen, dass ihre Annahmen falsch waren, um dann zu zeigen, welchen Zweck diese Not hatte (Joh 9,1-3).
Die Frage nach dem «Warum» oder «Wozu» kann man sich selbst stellen und zu beantworten suchen. Doch dies ist meistens eine mühevolle Arbeit, die oft, wie bei Asaph, zu keinem Ziel führt (Ps 73,16). Man kann auch Menschen um Rat fragen, erhält aber fast immer, wie Rehabeam, verschiedene Antworten (1. Kön 12,6-11). Nein, besser ist es, Gott zu fragen.
Wir lesen nicht, dass Philemon Paulus nach dem Sinn des Verlusts seines Sklaven gefragt hatte. Doch Paulus vermutete, dass sich Philemon diese Frage selbst gestellt hatte, und wollte ihm helfen, eine Antwort zu finden.
Wenn uns Schweres trifft, gibt es zwei falsche Reaktionen darauf. Wir können entweder unter der Last müde werden oder die Züchtigung gering achten (Heb 12,5). Im zweiten Fall sagt man dann zum Beispiel: «Es ist halb so schlimm» oder: «Das kann jedem passieren.» Dabei vergisst man, dass jedes Unglück von Gott bewirkt wird und Er einen Zweck damit verfolgt (Amos 3,6). Die Frage nach dem «Wozu» ist die richtige Reaktion.
Der Deutungsversuch von Paulus macht zudem klar, dass er wusste, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken (Röm 8,28). Das gilt auch für eine Züchtigung (Heb 12,11). So suchte er eine positive Erklärung für die Zeit, in der Philemon seinen Sklaven vermisste. Das hat nichts mit der Methode des positiven Denkens zu tun, mit der manche ungläubigen Menschen versuchen, ihr Leben zu bewältigen. Diesem Zweckoptimismus fehlt jegliche Basis. Kinder Gottes dürfen sich jedoch darauf stützen, dass Gott für sie ist. Welch eine wunderbare Tatsache! Bedenken wir aber, dass Paulus seine Erklärung mit einem «Vielleicht» einleitet.
Wenn wir überzeugt sind, der Herr habe uns in Bezug auf unser Leben etwas klar gemacht, und wir irren, so haben wir die Folgen davon zu tragen und vielleicht auch Mitmenschen, die von uns abhängig sind. Welche Verantwortung laden wir aber auf uns, wenn jemand nach unserem Rat handelt, weil wir ihn wie einen Ausspruch Gottes gegeben haben! Lasst uns von Paulus lernen und vorsichtig sein.