«Ich ermahne nun vor allen Dingen, dass Flehen, Gebete, Fürbitten, Danksagungen getan werden für alle Menschen, für Könige und alle, die in Hoheit sind, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst. Denn dies ist gut und angenehm vor unserem Heiland-Gott» (1. Tim 2,1-3).
Ein wichtiger Hinweis
Dieser Vers macht die herausragende Bedeutung des Gebets klar. Das betrifft nicht nur das Gebet für alle Menschen, das hier im Fokus steht, sondern generell das Beten. Das Reden mit Gott ist ein grundsätzliches und wesentliches Element des christlichen Lebens. Es ist das Atmen der Seele und eins der ersten Kennzeichen geistlichen Lebens. Als Saulus von Tarsus zum Glauben an den Herrn Jesus gekommen war, konnte von ihm gesagt werden: «Siehe, er betet» (Apg 9,11). Immer wieder fordert Paulus in seinen Briefen die Gläubigen zum Gebet auf, weil ihm eine besondere Bedeutung zukommt.
Das Wort «Ermahnung» trägt hier nicht – wie an anderen Stellen – den Charakter einer Zurechtweisung, sondern vielmehr den Charakter einer Ermutigung. Es geht darum, dass wir angehalten und motiviert werden, der Aufforderung dieses Verses zu folgen.
Für alle Menschen
Konkret geht es nun um das Gebet für «alle Menschen». Gemeint ist, dass wir im Blick auf alle Menschen beten. Wir sollen lernen, nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse und die des Volkes Gottes im Auge zu haben, sondern auch die Bedürfnisse aller Menschen. Gottes Haus ist ein Bethaus für alle Nationen (Jes 56,7; Mt 21,13). Hier ist die Reichweite des Gebets universal. Alle Menschen sind eingeschlossen – unabhängig von welcher Rasse, Nationalität, sozialer Stellung oder Herkunft sie sind.
Gott möchte nicht, dass wir unser Gebet einschränken. Die Gnade Gottes, die in der Person des Herrn Jesus erschienen ist, kann nicht auf bestimmte Menschen beschränkt sein (Tit 2,11). Sie richtet sich an alle. Wir dürfen darüber hinaus nicht vergessen, dass Gott ein Interesse an allen Menschen hat, weil sie seine Geschöpfe sind. Er kümmert sich um sie und möchte sie zu sich ziehen.
Für «alle Menschen» zu beten bedeutet nicht einfach, dass wir in unseren Gebeten die Formulierung «wir beten für alle Menschen» gebrauchen, sondern dass wir es konkret tun. Wir dürfen in unseren Gebeten keine Schicht von Menschen ausklammern. Wir sollen nicht nur für die Männer einstehen, sondern auch für die Frauen. Wir sollen nicht nur für die Gläubigen, sondern auch für die Ungläubigen beten. Eltern und Kinder, Ältere und Jüngere, Verheiratete und Unverheiratete, Kranke und Gesunde sind in unsere Gebete einzuschliessen.
Paulus selbst war darin ein Vorbild. Immer wieder erinnert er seine Briefempfänger daran, wie er ein Mann des Gebets war. Und nicht nur das: Er betete mit Freuden für andere (Phil 1,3.4).
Flehen, Gebete, Fürbitten und Danksagungen
Paulus gebraucht vier verschiedene Ausdrücke für das Gebet:
- Flehen: Das ist ein bittendes Gebet und hat mit speziellen Nöten zu tun. Es ist das inständige Rufen zu Gott in einer konkreten Notsituation. Es ist eine gesteigerte Form des Bittens. Wir tun es nicht nur persönlich, sondern auch gemeinsam. Das kann in der regulären Gebetsstunde der örtlichen Versammlung der Fall sein. Es kann ebenso verwirklicht werden, wenn wir als Geschwister zum Zweck zusammenkommen, eine vorhandene Notlage dem Herrn im Gebet vorzulegen. Das gilt z.B. für besondere Nöte im Volk Gottes und darüber hinaus oder bei besonderen Diensten, die getan werden.
- Gebete: Damit wird im Allgemeinen das Reden des Menschen mit Gott bezeichnet. Das Wort bedeutet, dass wir mit unseren Bitten vor Gott hintreten und sie Ihm vorlegen. Gebet und Flehen sind eng miteinander verbunden. In Epheser 6,18 spricht Paulus von «allem Gebet und Flehen in dem Geist». In Philipper 4,6 fordert er die Gläubigen auf, durch «Gebet und Flehen» ihre Anliegen vor Gott kundwerden zu lassen. Was immer auf unserem Herzen liegt, können wir vor Gott ausbreiten.
- Fürbitten: Das griechische Wort, das hier mit Fürbitte übersetzt ist, meint nicht in erster Linie – wie das deutsche Wort anzudeuten scheint – das Beten für andere. Es geht vielmehr um den freien Umgang mit Gott. Dazu sind wir durch die Gnade Gottes fähig. Wir reden ganz natürlich mit Gott – für uns selbst und für andere. Dazu braucht es keine gewählte und besondere Ausdrucksweise. Dennoch tun wir es immer in Ehrerbietung, Würde und Ehrfurcht.
Das nimmt natürlich nichts davon weg, dass wir im Gebet nicht nur an uns, sondern gerade an andere denken sollten: Wir bitten für andere. Leider konzentrieren wir uns oft so sehr auf unsere eigenen Interessen, dass wir die Not anderer im Gebet hintenanstellen. - Danksagungen: Das bezeichnet Dankbarkeit, die vor Gott ausgesprochen wird. Dankbarkeit ist die innere Haltung eines Gläubigen, der seinem himmlischen Vater vertraut, dass Er ihm alles geben wird, was er braucht. Danksagung sollte in keinem Gebet fehlen. Im Allgemeinen sind die Menschen undankbar. Der Christ hingegen sollte durch Dankbarkeit gekennzeichnet sein, und sie im Gebet auch aussprechen.
Eine Überprüfung unseres Gebetslebens würde vermutlich aufzeigen, dass wir häufig wesentlich intensiver bitten als danken. Oftmals danken wir gar nicht oder vielleicht einmal, wenn Gott uns erhört hat. Aber immer wenn wir beten, können wir auch danken. Wir danken Gott z.B. für seine Güte, die Er als Schöpfer allen Menschen zuteilwerden lässt.
Für Könige und alle, die in Hoheit sind
Der eigentliche Gebetsinhalt wird von Paulus nicht genannt. Es geht in diesen Versen nicht primär darum, was wir beten, sondern wie wir es tun, für wen wir es tun und warum wir es tun. Neben «allen Menschen» kommt eine ganz besondere Zielgruppe vor uns. Es geht um Könige und alle, die in Hoheit sind.
Könige und Menschen in Hoheit sind von Gott gegeben und in politische Ämter eingesetzt worden. «Könige» bezieht sich auf jeden souveränen Herrscher. «Menschen in Hoheit» meint solche, die in hoher Stellung sind oder ein hohes Amt bekleiden. Es geht um Menschen, die Autorität ausüben und somit in ihrem Rang über anderen stehen. Der Zusammenhang macht klar, dass hier in erster Linie politische Autoritäten angesprochen sind. Es geht um die Personen, die die Regierung eines Landes bilden. Sie haben einen Einfluss darauf, wie sich vieles auf dieser Erde entwickelt, weil Gott die Regierung in ihre Hände gelegt hat.
Gott gibt diese Machtordnungen auf der Erde. Was sie selbst betrifft, sind sie Gott für ihr Tun und Lassen verantwortlich. Diese Seite wird hier jedoch nicht berührt. Was uns angeht, so beugen wir uns ihrer Autorität und beten für sie. Letzteres steht hier im Vordergrund.
Wir beten konkret für die Männer und Frauen, die Gott in solche Positionen eingesetzt hat. Es wird hier nicht gesagt, dass wir für die Obrigkeit an sich, d.h. für das von Gott gegebene Prinzip der Regierung oder für eine bestimmte Regierungsform beten sollen. Es geht vielmehr um die Personen, die politische Führungspositionen einnehmen.
Bis heute sind in das Gebet für diese Menschen nicht nur die demokratisch gewählten Volksvertreter eingeschlossen, sondern ebenso die Gewaltherrscher dieser Welt. Gott heisst das, was sie tun, durchaus nicht immer gut. Im Gegenteil! Aber das ist nicht unsere Sache. Wir anerkennen die Regierung, wie Gott sie gegeben hat, und wir beten für die Männer und Frauen, die sie bilden.
Das Gebet für diese Menschen ist heute umso nötiger, weil wir erstens merken, wie die Regenten dieser Welt die Grundsätze der Bibel und damit die Gedanken Gottes immer mehr missachten bzw. sich direkt dagegenstellen. Auch das gehört zum verdrehten und verkehrten Geschlecht, in dem wir leben (Phil 2,15). Darüber hinaus erkennen wir zweitens, wie die Menschen in den Regierungen immer ratloser werden und oft kaum wissen, wie sie die anstehenden Probleme lösen sollen.
Es ist durchaus nicht so, dass wir die Fürbitte der «Grossen» dieser Welt nötig hätten. Es ist gerade umgekehrt. Die politischen Führer dieser Welt brauchen die Gebete der Gläubigen. Als der Patriarch Jakob vor dem Pharao stand, war es nicht Pharao, der Jakob segnete, sondern Jakob war es, der den mächtigsten Herrscher seiner Zeit segnete (1. Mo 47,10). Hebräer 7,7 erklärt uns, dass ohne allen Widerspruch das Geringere von dem Besseren gesegnet wird. Der «Bessere» war in diesem Fall Jakob. Die Würde eines Christen, der für die Regierenden betet, ist grösser als die Würde dieser Männer und Frauen.
Ein ruhiges und stilles Leben
Abschliessend erwähnt Paulus die Folgen, die unser Gebet für diese Menschen haben wird. Es wird helfen, dass sie durch Gottes Gnade Entscheidungen treffen, die dazu beitragen, dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen – und zwar in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst. Auf diese Weise kann sich das Evangelium auf dieser Erde besser entfalten und verbreiten. Politiker können ihre Macht sehr leicht missbrauchen, so dass ein «normales» christliches Leben und eine öffentliche Verkündigung der Botschaft vom Kreuz nur noch schwer möglich sind.
Jeder Mensch «führt» sein Leben, solange er auf dieser Erde ist. In Titus 3,3 erinnert Paulus mit dem gleichen Wort an das frühere Leben. Jenes Leben führten wir in «Bosheit und Neid, verhasst und einander hassend». Jetzt soll unser Leben ganze andere Merkmale tragen.
Das «ruhige und stille» Leben dürfen wir nicht missverstehen. Dieser Ausdruck meint bestimmt nicht, dass wir als Christen ein bequemes und inaktives Leben führen. Es geht vielmehr darum, dass wir uns in äusserlich ruhigen Umständen bewegen können, die es uns ermöglichen, unseren Glauben zu leben und das Evangelium ungehindert zu verbreiten. Ein ruhiges und stilles Leben ist ein Leben, das frei von Störungen ist. Äussere Umstände – wie z.B. Kriege, soziale Unruhen, Revolution, wirtschaftliche Krisenzeiten – können durchaus ein Hindernis für die Ausbreitung des Evangeliums sein. Insofern kann es nur unser Interesse sein, dass die Regierungen in dieser Weise einen starken Arm haben.
In aller Gottseligkeit und würdigem Ernst
Das ruhige und stille Leben des Christen bedeutet indes nicht, dass von diesem Leben nichts nach aussen sichtbar wird. Im Gegenteil! Es wird einerseits von Gottseligkeit und anderseits von würdigem Ernst begleitet. Daran soll man uns erkennen. Beide Wesensmerkmale sind durch das Wort «alle» miteinander verbunden. Beide sollen im Leben des Christen zu einem Vollmass kommen.
Gottseligkeit ist ein Ausdruck, der im ersten Brief an Timotheus häufig vorkommt. Sie hat nichts damit zu tun, dass man «selig» oder «glücklich» in Gott ist. Es geht nicht so sehr um den verborgenen Umgang des Christen mit Gott, sondern um etwas, was davon nach aussen hin sichtbar wird. Gottseligkeit hat mit unserer Lebensführung und unserem Verhalten zu tun.
Gottseligkeit (oder Frömmigkeit) ist wahre Ehrfurcht und Respekt vor Gott. Es ist die nach aussen sichtbare Orientierung des Christen zu Gott hin. Man sieht uns an, dass wir Gott durch das, was wir tun und reden, verehren möchten. In Gottseligkeit zu leben bedeutet, dass wir hier auf der Erde zum Wohlgefallen Gottes leben. Eine gottselige Lebensführung bleibt vor den Augen der Menschen nicht verborgen. An uns sollen sie sehen, was Gottes Wille ist.
Das Vorbild für ein solches Leben ist der Herr Jesus selbst. Bei Ihm lernen wir, was echte Gottseligkeit ist. 1. Timotheus 3,16 erklärt uns, dass das Geheimnis der Gottseligkeit niemand anders als Christus selbst ist. Er ist die Kraftquelle für ein solches Leben. Gottselig können wir folglich nur in «Christus Jesus» leben (2. Tim 3,12).
Würdiger Ernst ist Ehrerbietung und Achtung. Es ist die Würde eines Lebens, in dem das innere Denken mit den äusseren Handlungen übereinstimmt. Das schliesst nicht aus, dass wir fröhliche Christen sind. Doch die Freude, die wir zeigen, soll in Harmonie mit unserem inneren Glück stehen. In allem wollen wir uns bemühen, dass wir uns unserer Stellung entsprechend verhalten. Auch auf diese Weise wird der Name Gottes verherrlicht und geehrt.
Gut und angenehm vor unserem Heiland-Gott
Paulus fügt eine schöne Begründung an. Unser Gebet für alle Menschen ist gut und angenehm vor unserem Heiland-Gott. Der Heiland-Gott ist der Gott, der in seiner Güte und Menschenliebe an alle Menschenkinder denkt. Er ist an ihnen interessiert, Er liebt sie und sein Wille ist es, sie zu retten.
«Gut» bezieht sich an dieser Stelle nicht so sehr auf die Auswirkung einer Sache. Es geht vielmehr darum, dass etwas an sich gut, schön oder kostbar ist. «Angenehm» bedeutet, dass es willkommen geheissen wird. Es ist der Annahme wert.
Unsere Gebete gleichen einem Opfer, das Gott wohlgefällig ist. Der Psalmdichter sagt schon im Alten Testament: «Lass als Räucherwerk vor dir bestehen mein Gebet, die Erhebung meiner Hände als Abendopfer!» (Ps 141,2). So sieht Gott unsere Gebete als wertvoll und angenehm. Er freut sich, wenn wir uns in dieser Weise für alle Menschen verwenden. Dazu wollen wir uns neu motivieren lassen.