Das elfte Kapitel des Johannes-Evangeliums berichtet von der Auferweckung des Lazarus. Es ist eine beeindruckende Begebenheit, weil sie uns die Liebe des Herrn Jesus zu den Seinen zeigt, aber auch sein vollkommenes Mitgefühl mit ihren Nöten und seine göttliche Macht zu helfen. Beeindruckend ist sie aber auch deshalb, weil wir darin sehen, wie es Gott, dem Vater, gefiel, den Herrn Jesus kurz vor seinem Tod als Sohn Gottes gross zu machen. Die Macht des Herrn über den Tod offenbarte seine göttliche Herrlichkeit und machte deutlich, dass Er «die Auferstehung und das Leben» ist (V. 4.25).
Wenn wir das Handeln des Herrn in der Auferweckung von Lazarus anwenden, können wir verschiedene Linien unterscheiden, die seine Herrlichkeit und Macht zeigen:
- sein Handeln mit dem Volk Israel in der Zukunft,
- das Werk der Neugeburt bei der Bekehrung eines Menschen und
- das Geschehen beim Kommen des Herrn zur Entrückung der Gläubigen.
Die geistliche Auferweckung des Volkes Israel
Israel als ganze Nation gesehen ist heute zum grössten Teil unter den Völkern der Welt zerstreut. Es ist in geistlicher und nationaler Weise tot und begraben. Doch das wird nicht immer so bleiben! In Hesekiel 37 wird der Prophet im Geist in ein Tal voll verdorrter Totengebeine geführt – ein Bild des Zustands von Israel heute. Dort fragt der HERR den Propheten: «Werden diese Gebeine lebendig werden?», und Hesekiel antwortet: «HERR, du weisst es» (Hes 37,3.4). Ähnlich wie die beiden Schwestern in Johannes 11 ist sich Hesekiel bewusst, dass es für Menschen unmöglich ist, an diesem Zustand etwas zu ändern, und dass allein der Herr hier ein Wunder wirken kann.
In den folgenden Versen spricht Hesekiel dann eine Weissagung aus, die verdeutlicht, wie die Macht des HERRN in der geistlichen Auferweckung seines Volkes Israel ausgeübt werden wird. Die Erklärung dieser Weissagung in den Versen 11 bis 14 lautet unter anderem: «Siehe, ich werde eure Gräber öffnen und euch aus euren Gräbern heraufkommen lassen, mein Volk, und werde euch in das Land Israel bringen … Ich werde meinen Geist in euch geben, dass ihr lebt, und werde euch in euer Land setzen.»
Und so wie das Schweisstuch vom Gesicht des Lazarus genommen wurde, wird dann auch die «Decke» von den Herzen der Israeliten weggenommen werden (2. Kor 3,14-16), und sie werden «von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Grössten» den HERRN erkennen (Jer 31,34).
Auch der Prophet Daniel gebraucht das Bild der Auferweckung, um zu beschreiben, dass es für die in tiefster Erniedrigung unter die Nationen zerstreuten Israeliten ein nationales Erwachen geben wird: «Viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden erwachen: diese (die Gläubigen unter ihnen) zu ewigem Leben und jene (die Gottlosen) zur Schande, zu ewigem Abscheu» (Dan 12,2).
So gibt die Auferweckung des Lazarus uns eine Vorausschau auf die Herrlichkeit und Macht des Herrn, die sich in der Zukunft in seinem Handeln mit Israel offenbaren wird.
Neben diesen Hinweisen auf das Geschehen mit dem Volk Israel lässt uns diese Begebenheit auch einige Parallelen zur Neugeburt eines Menschen und zur Entrückung der Gläubigen erkennen.
Der Ruf des Herrn
Um Lazarus aufzuerwecken, rief der Herr mit lauter Stimme: «Lazarus, komm heraus!» (V. 43). Nur auf diese Worte hin wurde der Gestorbene wieder lebendig. Auch die Neugeburt eines Menschen wird durch das Wort Gottes bewirkt. Das wird deutlich aus Stellen wie 1. Petrus 1,23: «Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes», und Jakobus 1,18: «Nach seinem eigenen Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt.»
Ebenso wird es auch bei der Entrückung sein. Dann wird der Herr «mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen» (1. Thes 4,16).
Der Herr rief Lazarus ganz persönlich bei seinem Namen. So ist auch die Neugeburt eine ganz persönliche Sache zwischen Gott und einem Menschen, der in Buße und Glauben den Herrn Jesus und sein auf Golgatha vollbrachtes Erlösungswerk annimmt.
Auf den persönlichen Ruf des Herrn hin kam nur Lazarus aus dem Grab heraus. Alle anderen Toten blieben in den Gräbern. So war die Auferweckung von Lazarus eine Aus-Auferstehung. – Wenn der Herr Jesus kommt, um die Seinen zu sich zu nehmen, werden auch nur die «Toten in Christus» auferstehen. Aus-Auferstehung bedeutet, dass einige aus den Toten heraus auferstehen werden, während die übrigen Toten im Tod bleiben werden. Alle entschlafenen Gläubigen aus der Zeit des Alten Testaments und der Gnadenzeit – aber nur sie – werden zu diesem Zeitpunkt auferstehen, um zugleich mit uns, den Lebenden, in Wolken dem Herrn entgegen entrückt zu werden.
«Macht ihn los und lasst ihn gehen!»
Als Lazarus aus dem Grab herauskam, war er «an Füssen und Händen mit Grabtüchern gebunden, und sein Gesicht war mit einem Schweisstuch umbunden» (V. 44). Davon musste er befreit werden, um ungehindert gehen und sehen zu können. Auch das ist bedeutungsvoll.
Mit der Bekehrung ist das Werk Gottes an einer Seele noch nicht abgeschlossen. Wenn ein Mensch aus der Welt heraus zum Glauben kommt, gibt es oft Bindungen aus seinem früheren Leben in der Welt und in der Sünde, die noch gelöst werden müssen, damit er wirklich «in Neuheit des Lebens» (Röm 6,4) und als Befreiter gehen kann.
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der Herr die Dabeistehenden auffordert, Lazarus von den Tüchern zu lösen. Auch den Stein mussten sie von der Gruft wegnehmen (V. 39.41). Nur der Herr kann Leben geben. Aber in seiner Gnade verbindet Er sich in seinem Werk mit uns und erlaubt uns, in der Vor- und Nacharbeit mitzuhelfen. Es ist ein grosses Vorrecht, aber auch unsere Verantwortung, Menschen die Botschaft des Evangeliums zu bringen, ihre Fragen zu beantworten und ihnen den Weg zum Herrn Jesus zu weisen.
Wo der Herr neues Leben gewirkt hat, da gibt Er uns eine Aufgabe in der Befestigung und Unterweisung solcher Seelen. Wir wollen um offene Augen bitten, damit wir solche erkennen, die das Heil suchen oder jung im Glauben sind, und da mithelfen, wo der Herr uns eine Aufgabe zeigt!
Bei der Entrückung und der damit verbundenen Auferweckung der Entschlafenen wird es anders als bei Lazarus sein. In jenem Moment ist der Herr allein der Handelnde. Dann wird «unser Leib der Niedrigkeit umgestaltet zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit» (Phil 3,21). Dann werden wir «in einem Nu, in einem Augenblick» (1. Kor 15,52) von unserem Körper, der durch die Spuren der Sünde, durch Begrenztheit und Sterblichkeit, gekennzeichnet ist, befreit werden. «Denn dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: Verschlungen ist der Tod in Sieg» (1. Kor 15,53.54). Dann werden wir auch nicht länger undeutlich und stückweise, sondern «von Angesicht zu Angesicht» erkennen (1. Kor 13,12). Und wir werden «entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft», um allezeit bei Ihm zu sein (1. Thes 4,17)!
Lazarus in Gemeinschaft mit dem Herrn
Das Letzte, was uns in der Heiligen Schrift von Lazarus nach seiner Auferweckung berichtet wird, finden wir in Johannes 12,2. Da lag er mit dem Herrn Jesus zu Tisch und genoss die Gemeinschaft mit Ihm.
Als solche, die neues Leben empfangen haben, besitzen wir dieses grosse Vorrecht auch. «Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus», schreibt der Apostel Johannes (1. Joh 1,3). Gemeinschaft mit dem Vater über seinen Sohn und Gemeinschaft mit dem Sohn über den Vater zu haben ist eine ganz grosse Segnung. Sie ist nur möglich geworden, weil der Herr Jesus das Sühnungswerk am Kreuz vollbracht hat und unser Leben geworden ist.
Lasst uns diese Gemeinschaft häufiger praktisch verwirklichen und uns zugleich auf den Augenblick freuen, wenn der Herr kommt, um uns in die Herrlichkeit zu holen, wo wir diese Gemeinschaft vollkommen geniessen werden!