Der eigenwillige Gottesdienst von Jerobeam
Sobald Jerobeam König über das Zehnstämme-Reich geworden war, führte er einen eigenen Gottesdienst ein. Er stellte zwei goldene Kälber auf, machte Priester aus allem Volk und setzte neue Festtage ein. – Doch Gott schaute dem bösen Treiben Jerobeams im Nordreich Israel nicht tatenlos zu. Er sandte einen Mann Gottes aus Juda nach Bethel, wo eines der goldenen Kälber stand. Diese Sendung geschah «durch das Wort des HERRN», ein Ausdruck, dem wir in diesem Kapitel wiederholt begegnen. Es ist, als ob der Geist Gottes die Herkunft der Botschaft dieses Mannes unterstreichen und ihr besonderes Gewicht verleihen wollte.
Der Mann Gottes aus Juda
Wer war dieser Mann Gottes? Wir wissen nicht sehr viel über ihn. Er war ein Diener des HERRN, den Er in der Stille zubereitete und dann mit einem Auftrag sozusagen in die Höhle des Löwen sandte. Dieser Mann lebte nicht in Israel, wo der herrschende König eigenhändig den Götzendienst eingeführt hatte, sondern in Juda, wo der Tempel Gottes stand und wo der biblische Gottesdienst noch festgehalten wurde. Sicher trauerte er auch über das Abweichen der zehn Stämme von ihrem Gott und über die Verunehrung des Namens des HERRN durch das Einführen eines eigenwilligen Gottesdienstes.
Konfrontation mit Jerobeam
Als der Mann Gottes in Bethel eintraf, stand Jerobeam im Begriff, auf dem Altar zu räuchern. Furchtlos rief der Knecht des HERRN sein Wort gegen den Altar aus. Er drohte nicht in fleischlicher Erregung, sondern rief «durch das Wort des HERRN» das Gericht über den Altar aus.
Jerobeam wollte diese unbequeme Stimme so schnell wie möglich zum Schweigen bringen. Er streckte vom Altar herab seine Hand gegen ihn aus und rief: «Greift ihn!» Da griff Gott ein und bekannte sich zu seinem Diener: Die Hand des Königs verdorrte auf der Stelle, und das über den Altar ausgesprochene Wort traf ein.
Nun war der Zorn des Königs vorbei. Er merkte, dass er einem Mächtigeren gegenüberstand. Wie einst der Pharao Mose bat, für ihn zu Gott zu flehen, als die Plagen über Ägypten kamen, so sagte Jerobeam zum Mann Gottes: «Flehe doch den HERRN, deinen Gott, an und bete für mich, dass meine Hand mir wiedergegeben werde.»
Der Mann Gottes stand im Dienst Dessen, der kein Gefallen am Tod des Gottlosen hat, sondern dass der Gottlose von seinem Weg umkehrt und lebt (Hes 33,11). Er flehte den HERRN an. Da zeigte sich, dass Gott nicht nur Richter, sondern ungläubigen Menschen gegenüber auch barmherzig ist.
Daraufhin wollte sich Jerobeam erkenntlich zeigen. Er lud den Propheten zu sich ein und bot ihm ein Geschenk an. Doch auch in dieser Situation erwies dieser sich als ein Mann Gottes. Er lehnte das Angebot entschieden ab. Für ihn war allein das Wort des HERRN ausschlaggebend. Er wollte im Tun und im Lassen Gott gehorsam sein.
Das Verhalten dieses Mannes Gottes lehrt uns, wie wir als Gläubige unseren Weg durch eine Gott feindliche Welt gehen sollen: in konsequenter Absonderung von ihr, indem wir ihr wohl das kommende Gericht, aber auch das Angebot der Gnade vorstellen, uns jedoch in keiner Weise mit ihr verbinden.
Der alte Prophet in Bethel
Die Welt hat verschiedene Schattierungen. Neben der Gott feindlichen Welt, verkörpert in König Jerobeam, gibt es auch die religiöse Welt. Sie wird uns in dem alten Propheten in Bethel vorgestellt. Dieser Mann war kein falscher Prophet wie Bileam, aber er befand sich am verkehrten Platz.
Bethel war durch den vom König eingerichteten Götzendienst ein verunreinigter Ort geworden. Dadurch, dass dieser Prophet dort blieb, konnte Gott ihn nicht mehr in seinem Dienst gebrauchen. Unmöglich hätte er Jerobeam das Gericht ankündigen können. Er lebte ja in gewisser Koexistenz mit dem Götzendienst.
Seine Anwesenheit in Bethel blieb sicher nicht ohne negative Auswirkung auf die dort wohnenden Israeliten. Wenn ein Prophet des HERRN zu den Taten Jerobeams schwieg, dann konnte das Ganze ja nicht so schlimm sein. Auch heute sind doppelherzige Christen, die sich mit der Welt arrangieren, eine grosse Gefahr für entschiedene Gläubige. Zudem gebraucht der Feind sie als Hemmschuh im Blick auf die Sache des Herrn.
Dieser alte Prophet bedeutete für den Mann Gottes aus Juda die grössere Gefahr als Jerobeam. Welch eine Warnung auch an uns! Wir müssen uns vor den Verführungen der religiösen Welt besonders in Acht nehmen.
Was veranlasste den alten Propheten, den Mann aus Juda zurückzuholen und ihn zu sich zum Essen einzuladen? Das Wort Gottes schweigt darüber. Doch die Erfahrung zeigt, dass weltlich oder irdisch gesinnte Christen sich von der Entschiedenheit, mit der andere dem Herrn nachfolgen und Ihm dienen möchten, angeklagt fühlen. Oft bemühen sie sich dann, die Entschiedenen von ihrer Entschiedenheit abzubringen, sie «milder» zu stimmen, ihre «Engherzigkeit» zu bekämpfen, ihre «Ecken» abzuschleifen. Auf diese Weise versuchen sie, ein Miteinander möglich zu machen, ohne dass sie ihren eigenen traurigen Platz aufgeben müssen. Ob der alte Prophet wohl in dieser Richtung auf den Mann Gottes einwirken wollte?
Die Stunde der Prüfung
So zog der Alte dem Mann Gottes nach und traf ihn unter einer Terebinthe. Nun kam die Stunde der Versuchung und Erprobung für den bis dahin treuen Knecht des HERRN. Wachte und betete er, um nicht zu Fall zu kommen?
Die erste Reaktion auf die Einladung des alten Propheten war unzweideutig: Er antwortete ihm einfach, was Gott ihm geboten hatte.
Nun fing der andere ihn mit einer Lüge. Das hätte den Mann Gottes stutzig machen sollen. Gott nimmt nie eines seiner Worte zurück. Er widerspricht sich nie. Unmöglich konnte Gott dem anderen das Gegenteil von dem mitteilen, was ihm «durch das Wort des HERRN» gesagt worden war. Daran dachte der Knecht des HERRN offenbar nicht. Jedenfalls kehrte er mit dem alten Propheten zurück «und ass Brot in seinem Haus und trank Wasser».
Für uns wollen wir festhalten: Wenn Gott in seinem Wort etwas niedergelegt hat, dann gilt dies für alle Zeiten, für alle Länder und Kulturen. Gottes Wort veraltet nie und wird auch nie durch etwas Neues ersetzt oder erweitert. Wenn uns jemand etwas als Wahrheit anpreisen will, das im Widerspruch zum geschriebenen Wort Gottes steht, dann müssen wir dies als Lüge und Irrtum abweisen.
Gottes Regierungswege
Durch seinen Ungehorsam gegenüber dem Wort des HERRN verband der Mann Gottes aus Juda sich mit dem alten Propheten und dem falschen Platz, den dieser einnahm. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben.
Während sie zu Tisch sassen, bekam der alte Prophet ein Wort vom HERRN. «Der Herr, HERR, hat geredet, wer sollte nicht weissagen?» (Amos 3,8). So wurde der Verführer zum Ankündiger des Gerichts. Die Folgen des Ungehorsams des Mannes Gottes waren sehr bitter. Wir hören jedoch nicht, dass er irgendetwas erwidert hätte. Er wusste: Der HERR hat Recht. Er scheint sich unter die Regierungswege Gottes gebeugt zu haben.
Auf dem Rückweg nach Juda traf das angekündigte Gericht ein. Der Knecht des HERRN wurde von einem Löwen getötet. Doch der Löwe frass weder den Leichnam des Mannes noch tötete er den Esel, der neben dem Toten stehenblieb und nicht floh. Um zu zeigen, dass Er diesen Tod herbeigeführt hatte, änderte Gott das natürliche Verhalten von Löwe und Esel.
Ein trauriger Nachruf
Als der alte Prophet das Geschehene vernahm, sagte er: «Das ist der Mann Gottes, der gegen den Befehl des HERRN widerspenstig gewesen ist; und so hat der HERR ihn dem Löwen preisgegeben, der ihn zerrissen und getötet hat, nach dem Wort des HERRN, das er zu ihm geredet hat.» Welch ein trauriger Nachruf! Kein Wort vom Mann Gottes, der einige Stunden vorher furchtlos vor dem Götzenaltar und dem gottlosen König für Gott eingestanden war und sein Gericht angekündigt hatte. Der Ungehorsam des Mannes Gottes hatte alles verdorben. Am Schluss des Kapitels heisst es, dass Jerobeam nach dieser Begebenheit nicht von seinem bösen Weg umkehrte. Hatte wohl der Ungehorsam des Mannes Gottes dazu beigetragen, die erste ernste Wirkung in seinem Herzen und Gewissen abzuschwächen?
Und noch etwas lernen wir aus diesem Nachruf. Die Züchtigung Gottes wird immer der Grösse der Verantwortung entsprechen, die jemand hat. Oder anders gesagt: Je besser einer die Bibel kennt, umso schwerer wiegt sein Ungehorsam gegenüber dem Wort Gottes. – Jerobeam erfuhr trotz seiner Sünde Gottes Hilfe. Der alte Prophet blieb am Leben, aber der mutige, ernste Prediger aus Juda musste seinen Ungehorsam mit dem Leben bezahlen. In diesem Fall hatte der Mann Gottes aus Juda die grössere Verantwortung vor Gott als der alte Prophet in Bethel.
Der Tod des Mannes Gottes aus der Sicht des Neuen Testaments
Die Züchtigung Gottes bedeutete wohl den Tod seines Dieners. Doch Hebräer 12,6.7 lehrt uns, dass jede Züchtigung, die Gott über die Seinen bringen muss, seinem liebenden Herzen entspringt. Den Korinthern, bei denen Gott in ähnlich ernster Weise züchtigend eingreifen musste wie hier, schrieb der Apostel Paulus: «Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden» (1. Kor 11,32). Auch wenn Gott uns manchmal züchtigen muss, steht doch seine Gnade hinter seinem Handeln.
So war es auch bei dem Mann Gottes aus Juda. Obwohl Gott züchtigend eingreifen musste, nahm Er ihn dadurch doch zu sich. – Bei Jerobeam aber liegen die Dinge ganz anders: Er erfuhr eine zeitliche Gnade. Doch er kehrte nicht um von seinen bösen Wegen und ging deshalb ewig verloren.