In Apostelgeschichte 27 finden wir den göttlich inspirierten Bericht über die Schiffsreise des gefangenen Apostels Paulus nach Rom. Es war eine gefährliche Reise, in der es durch manche Stürme ging, in denen Paulus die Bewahrung seines Herrn erfuhr. Diese Fahrt können wir in der geistlichen Nutzanwendung auf unser persönliches Leben beziehen. Wir können sie aber auch auf die gesamte Zeit der christlichen Zeitperiode anwenden, in der es mancherlei Gefahren gibt.
In Vers 29 weist der Schreiber Lukas auf ein Hilfsmittel hin, das die Matrosen anwandten, um nicht auf ein Riff zu laufen. Der genaue Text lautet: «Da sie fürchteten, wir könnten auf felsige Stellen verschlagen werden, warfen sie vom Hinterschiff vier Anker aus und wünschten, dass es Tag würde.» Ich möchte diese vier Anker einmal praktisch auf uns anwenden und dabei eine Parallele zu zwei Versen aus dem Judas-Brief ziehen. Dieser Brief malt uns ein dunkles Bild von der Christenheit unserer Tage. Menschen, die verkehrte Dinge reden und andere verführen wollen, haben sich eingeschlichen. Auch für uns gibt es manche Gefahren, «auf felsige Stellen verschlagen zu werden». Aber auch auf unserem persönlichen Lebensweg lauern Gefahren, die uns zu einem Fallstrick werden können. Damit wir keinen Schaden nehmen, hat Gott uns Hilfsmittel in die Hand gegeben.
Die Verse aus dem Judas-Brief lauten:
«Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben» (Judas 20.21).
Zuerst dieses: Die Anker auszuwerfen, war Aufgabe der Matrosen. Die Anker nur an Bord zu haben, hätte ihnen wenig genützt. Sie mussten sie auch tatsächlich einsetzen. So ist es auch bei uns. Gott gibt uns Hilfsmittel in die Hand, aber es ist unsere Verantwortung, diese auch im täglichen Leben zu benutzen. Selbstverständlich dürfen wir mit der bewahrenden Gnade unseres Herrn rechnen – und ohne diese Gnade könnten wir überhaupt nichts erreichen –, aber in unserem zitierten Bibelwort geht es nicht um die Gnade Gottes, sondern um unsere Verantwortung. Gott gibt uns in diesen Versen vier Anker, die wir in dunkler Nacht – in schwierigen Umständen – auswerfen dürfen, um so bewahrt zu bleiben. Sie lauten:
- das Wort Gottes
- das Gebet
- die Liebe Gottes
- die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus
Der erste Anker: das Wort Gottes
«Euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben.» Mit dem Glauben ist hier nicht die geistliche Aktivität gemeint, die das in Anspruch nimmt, was Gott uns gibt, sondern das Glaubensgut, die Glaubenswahrheit, also das, was Gott uns in seinem Wort gibt. Es ist das gleiche Glaubensgut, für das wir kämpfen sollen (Judas 3). In unserem Vers aber geht es nicht um Kampf und Verteidigung, sondern um Erbauung, was mit geistlichem Wachstum zu tun hat. Dieses Wachstum geschieht auf dem Fundament des Wortes Gottes.
Wir leben in einer Zeit, in der zahllose Menschen das Wort Gottes auf die Seite setzen oder zumindest infrage stellen und relativieren. Auch in vielen christlichen Kreisen hat die Bibelkritik leider erfolgreich Einzug gehalten. Was Gott uns in seinem Wort sagt, ist für die meisten Menschen – auch für solche, die sich Christen nennen – eben nicht mehr der Massstab für das Verhalten. Auch wir werden von solchen Tendenzen beeinflusst, ob wir es wahr haben wollen oder nicht. Deshalb haben wir es nötig, diesen ersten Anker auszuwerfen: das unbedingte Anerkennen dessen, was Gott uns in seinem Wort sagt. Er redet zu uns, und Er möchte, dass wir auf sein Wort hören, dass wir es lieben und auch befolgen. Nur so können wir geistliche Fortschritte machen, und nur so kann Er uns vor den vielfältigen Gefahren bewahren.
Der zweite Anker: das Gebet
«Betend im Heiligen Geist.» Der Glaube ist eine Gabe Gottes an uns. Durch sein Wort redet Er zu uns. Im Gebet ist es gerade umgekehrt. Gott gibt uns eine Möglichkeit, zu Ihm zu reden. Konkret geht es in unserem Vers um das Beten im Heiligen Geist, d.h. um Gebete, die nicht nur in der Kraft und unter der Leitung des Heiligen Geistes ausgesprochen werden, sondern um Gebete, die auch in Übereinstimmung mit Gott und seinem Willen sind.
Wie nötig haben wir es, diesen zweiten Anker auszuwerfen! Die Gedanken Gottes zu erkennen und auf diesem Fundament zu wachsen, ist eine Sache. Ein aktives Gebetsleben in Übereinstimmung mit Ihm zu führen, ist eine andere – aber nicht weniger wichtige – Sache. Im Gebet drücken wir unsere Abhängigkeit und unsere Hilfsbedürftigkeit aus. Wir anerkennen, dass wir allein nicht bewahrt werden können, sondern die Hilfe unseres Herrn benötigen. Darüber hinaus brauchen wir das Gebetsleben auch, um geistlicherweise wachsen zu können. Insofern können wir die ersten beiden Anker gar nicht voneinander trennen. Wenn wir meinen, uns nur auf unseren allerheiligsten Glauben erbauen zu können, ohne im Heiligen Geist zu beten, verfehlen wir das Ziel Gottes für unser Leben. Das Gleiche gilt, wenn wir das Gebet einseitig betonen und uns nicht oder nur wenig um das Wort Gottes kümmern. Beides gehört unbedingt zusammen.
Der dritte Anker: die Liebe Gottes
«Erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes.» Wenn wir den Text genau lesen, stellen wir fest, dass die ersten beiden Aufforderungen in die dritte einmünden. Nur wer sich selbst auf den allerheiligsten Glauben erbaut und im Heiligen Geist betet, kann sich auch in der Liebe Gottes erhalten.
In der Welt um uns her wird es immer kälter. Menschen sprechen zwar von Liebe, aber oft meinen sie etwas ganz anderes. Kinder Gottes aber kennen die wärmenden Strahlen der Liebe Gottes und dürfen sich daran freuen. Wir haben die Liebe Gottes kennen gelernt, als Er uns errettet hat. Wir erfahren die Liebe Gottes an jedem Tag unseres Lebens, wenn wir nur offene Augen dafür haben.
Und doch appelliert unser Vers auch hier an unsere Verantwortung. Wir sollen «uns selbst» in der Liebe Gottes erhalten. Es ist eine Sache, dass Gott uns liebt und dass seine Liebe uns immer zur Verfügung steht. Es ist eine andere Sache, diese Liebe Gottes auch tatsächlich täglich zu geniessen und darin unser Genüge zu finden. Doch genau darum geht es hier. Der Apostel Johannes ist uns dafür ein gutes Beispiel. Wir zweifeln nicht daran, dass der Herr alle seine Jünger mit der gleichen Liebe liebte, und doch hatte Johannes ein besonderes Empfinden für die Liebe seines Herrn. Dieses Empfinden kleidet er in Worte, wenn er von sich selbst als dem Jünger spricht, «den Jesus liebte».
Der vierte Anker: die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus
«Indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben.» Dieser Anker hat es mit einer Erwartungshaltung zu tun. Wir dürfen fest auf die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus rechnen. Diese hat es immer mit unseren elenden Umständen zu tun, in denen wir uns befinden mögen. Der Tag kommt, wo der Herr seine Barmherzigkeit an uns noch einmal gross machen und uns aus den Umständen dieser Erde herausnehmen wird, damit wir dann bei Ihm seien. Dann werden wir das ewige Leben, das wir jetzt schon als Erbteil besitzen (Tit 3,7), in seiner reichsten Form geniessen, d.h. uns ewig in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn freuen. Petrus verbindet den Gedanken an das Kommen des Herrn mit der Gnade (1. Pet 1,13), aber Judas – der besonders über die schwierigen Umstände der letzten Tage spricht – verbindet seine Aufforderung mit der Barmherzigkeit. Das Kommen des Herrn zur Entrückung ist nicht nur ein Akt der Gnade, sondern auch ein Akt der Barmherzigkeit, ein Beenden aller schwierigen Umstände, in denen wir sein mögen, indem Er uns aus allem herausnimmt.
Aber unsere Erwartungshaltung richtet sich nicht nur nach vorn. Der vierte Anker erinnert uns auch daran, dass wir täglich mit der Barmherzigkeit unseres Herrn rechnen dürfen. Er ist ja unser barmherziger und treuer Hoherpriester, der selbst auf dieser Erde gelebt hat und uns besser versteht als jeder andere Mensch.
Die Matrosen in Apostelgeschichte 27 warfen die Anker aus und wünschten, dass es Tag werden würde. Haben wir nicht den gleichen Wunsch im Herzen? Die Tatsache, dass wir den Herrn Jesus als den glänzenden Morgenstern erwarten, zeigt mehr als deutlich, dass wir – geistlich gesprochen – in der Nacht leben. Während der ganzen Zeitperiode der Verwerfung unseres Herrn herrscht hier geistliche Nacht und Dunkelheit. Doch in dieser Nacht sind wir nicht allein. Wir dürfen unsere Anker auswerfen und dabei gleichzeitig darauf warten, dass es endlich Tag wir. «Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe» (Röm 13,12). Darauf freuen wir uns.