Aufmerksamkeit und Respekt vor Gottes Wort

Nehemia 7,72; Nehemia 8,1-8

«Als der siebte Monat herankam und die Kinder Israel in ihren Städten waren, da versammelte sich das ganze Volk wie ein Mann auf dem Platz, der vor dem Wassertor liegt. Und sie sprachen zu Esra, dem Schriftgelehrten, dass er das Buch des Gesetzes Moses bringen sollte, das der HERR Israel geboten hatte. Und am ersten Tag des siebten Monats brachte Esra, der Priester, das Gesetz vor die Versammlung, sowohl vor Männer als Frauen und vor alle, die Verständnis hatten, um zuzuhören. Und er las darin vor dem Platz, der vor dem Wassertor liegt, vom lichten Morgen bis zum Mittag, in Gegenwart der Männer und der Frauen und derer, die Verständnis hatten; und die Ohren des ganzen Volkes waren auf das Buch des Gesetzes gerichtet. Und Esra, der Schriftgelehrte, stand auf einem Gerüst aus Holz, das man zu diesem Zweck gemacht hatte …

Und Esra öffnete das Buch vor den Augen des ganzen Volkes, denn er stand höher als das ganze Volk; und als er es öffnete, stand das ganze Volk auf. Und Esra pries den HERRN, den grossen Gott, und das ganze Volk antwortete: Amen, Amen!, wobei sie ihre Hände emporhoben, und sie verneigten sich und warfen sich vor dem HERRN nieder, mit dem Gesicht zur Erde. Und Jeschua und Bani und Scherebja, Jamin, Akkub, Schabbetai, Hodija, Maaseja, Kelita, Asarja, Josabad, Hanan, Pelaja und die Leviten belehrten das Volk über das Gesetz; und das Volk stand an seiner Stelle. Und sie lasen in dem Buch, in dem Gesetz Gottes, deutlich und gaben den Sinn an, so dass man das Gelesene verstand.»

Nehemia 7,72b – 8,8

Der geschichtliche Hintergrund und seine praktische Anwendung

Das Buch Nehemia führt uns in die Zeit zurück, als der aus Babylon zurückgekehrte Überrest der Juden die Mauern Jerusalems wieder aufgebaut hat. Doch es geht im Buch Nehemia nicht nur um Mauern und Tore, die von Absonderung sprechen. Auch der Wert und die Bedeutung des Wortes Gottes für sein Volk spielen eine zentrale Rolle.

Der Bericht in Nehemia 8 zeigt uns eine beeindruckende Zusammenkunft des ganzen Volkes, um das Wort Gottes zu hören. Vier Punkte fallen zunächst auf, die eine praktische Lektion für uns beinhalten, wenn wir zusammen sind, um Gottes Wort zu lesen und zu hören:

  1. Wie sie zusammenkamen: wie ein Mann. Das spricht von der Einmütigkeit der Anwesenden. Sie trafen sich nicht an verschiedenen Orten, sondern waren alle zusammen an einem Ort. Das spricht von dem einen Grundsatz, aufgrund dessen wir uns versammeln (vgl. 1. Kor 11,20; 14,23). Unser Zusammenkommen als Versammlung zur Wortverkündigung geschieht auf der Grundlage der Einheit des Leibes von Christus.
  2. Wo sie zusammenkamen: auf dem Platz, der vor dem Wassertor liegt. Das Wasser ist hier ein Hinweis auf das Wort Gottes und zwar einerseits in seiner erfrischenden und anderseits in seiner reinigenden Wirkung auf den, der es hört und liest. In einer Zusammenkunft zur Verkündigung des Wortes Gottes muss die Bibel im Mittelpunkt stehen.
  3. Wann sie zusammenkamen: als der siebte Monat herankam. Im jüdischen Kalender begann der siebte Monat mit dem Fest des Posaunenhalls (vgl. 3. Mo 23,24). Das spricht davon, dass sich das Volk durch das Wort Gottes aufwecken liess und dass sie die Bereitschaft mitbrachten, dem Wort zu gehorchen. Nur wenn Herz und Gewissen aufgeweckt sind, sind wir bereit, die Ohren zu öffnen und das Wort Gottes aufzunehmen, damit es wirken kann.
  4. Wer an dieser Zusammenkunft teilnahm: das ganze Volk, d.h. Männer und Frauen und alle, die verständig waren. Die jungen Leute und die Kinder – soweit möglich – waren ebenfalls anwesend. Wenn Gottes Wort öffentlich gelesen und verkündigt wird, ist es gut, wenn alle da sind und niemand unnötig fehlt.

Wir wollen uns der Frage stellen: Kennen wir in unserem Leben als Gläubige diese Momente, wo wir – durch Gottes Wort wachgerüttelt – einmütig vor dem Herrn sitzen, um zu hören, was Er uns zu sagen hat? Wir können das zunächst auf die Zusammenkünfte als Versammlung anwenden. Wir denken zweitens an andere Gelegenheiten, wo wir als Christen zusammen sind, um das Wort Gottes zu hören. Wir können es drittens – mit gewissen Einschränkungen – ebenso auf unsere Familien übertragen, wo wir gemeinsam Gottes Wort lesen und hören.

Die Aufmerksamkeit des Volkes

Neben den bereits erwähnten Tatsachen lernen wir, dass die «Ohren des ganzen Volkes» auf das «Buch des Gesetzes» gerichtet waren. Es war ihnen nicht egal, was gelesen wurde, sondern Ohren und Herzen waren offen, um das zu hören und zu verinnerlichen, was Gott ihnen zu sagen hatte. Darin liegt für uns eine wichtige Belehrung:

Wir leben in einer extrem schnelllebigen Zeit, in der viele Stimmen an unser Ohr dringen und uns in Beschlag nehmen wollen. Umso wichtiger ist es, Zeiten der Ruhe und Stille zu finden, wo wir uns auf das konzentrieren, was Gott uns sagen möchte. Was damals das «Buch des Gesetzes» war, ist für uns das Buch der Bücher – die Bibel. Boas forderte Ruth auf, ihre Augen auf das Feld zu richten, das gerade geschnitten wurde (Rt 2,9). Das Feld weist auf den Ort hin, wo durch das Lesen und Verkünden von Gottes Wort geistliche Nahrung ausgeteilt wird. Von Esra, der hier vorlas, lernen wir, dass er sein Herz darauf gerichtet hatte, das Gesetz des HERRN zu erforschen, zu tun und dann zu lehren (Esra 7,10). Das spricht von der persönlichen Konzentration auf das Wort Gottes.

In Nehemia 8 geht es mehr um den gemeinschaftlichen Aspekt. Wie leicht passiert es, dass wir in den Zusammenkünften zur Wortverkündigung oder bei anderen Anlässen unaufmerksam sind. In unseren Gedanken sind wir plötzlich mit etwas ganz Anderem beschäftigt als mit dem, was der Herr uns gerade zeigen möchte. Gleiches gilt für unsere Familienandachten. Der Feind versucht immer, uns mit unwesentlichen Dingen, mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Der Herr sagte zu Martha: «Eins aber ist nötig. Denn Maria hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird» (Lk 10,42). Maria sass zu den Füssen des Herrn Jesus und hörte Ihm zu. Sie liess alles andere für einen Moment ruhen und konzentrierte sich auf das, was Er ihr in diesem Zeitpunkt zu sagen hatte. Unser Herr ist es wert, dass wir Ihm die uneingeschränkte Aufmerksamkeit geben, wenn Er durch sein Wort zu uns reden will.

Die Ehrfurcht des Volkes

In dem Augenblick, als Esra das Buch öffnet, steht das ganze Volk auf. Sie haben offensichtlich das Empfinden, dass es angemessen ist, dem Wort Gottes nicht im Sitzen zuzuhören, sondern sich zu erheben. Darin erkennen wir die Ehrfurcht, die diese Juden vor dem Wort Gottes hatten. Für uns verbindet sich damit eine weitere Belehrung: Kennen wir noch etwas von der Ehrfurcht vor Gottes Wort, wenn wir es hören und lesen? Das gilt sowohl für die persönliche Lektüre als auch für unsere Zusammenkünfte. Die Bibel ist nicht irgendein gewöhnliches Buch. Es ist «das Buch», die Botschaft Gottes an uns Menschen. Es sind «heilige Schriften», die wir lesen und hören. Entsprechend sollten wir uns verhalten. Durch den Propheten Jesaja liess Gott seinem Volk sagen: «Auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort» (Jes 66,2). Wir leben nicht mehr in der Zeit des Gesetzes, sondern in der Zeit der Gnade, trotzdem soll uns immer Ehrfurcht vor Gottes Wort kennzeichnen.

Die Belehrung lautet nicht, dass wir immer aufstehen müssen, wenn das Wort Gottes gelesen wird. Es geht weniger um die äussere als vielmehr um die innere Haltung – obwohl sich die innere Einstellung oft in unserem Äusseren widerspiegelt. Es ist jedenfalls gut, wenn wir ein Bewusstsein dafür haben, dass wir es mit Gottes Wort zu tun haben. Unsere innere Haltung und unser äusseres Benehmen sollten damit übereinstimmen. Es geht nicht darum, dass wir bestimmte Regeln aufstellen, sondern dass uns bewusst bleibt, mit wessen Wort wir es zu tun haben. Es ist interessant zu beobachten, dass Christen, die jung im Glauben sind und noch wenig verstehen, häufig ein erstaunliches Empfinden dafür haben, wie man sich verhält, wenn Gottes Wort gelesen wird.

Der Lobpreis Gottes

Es ist den Juden tief bewusst, welches Vorrecht sie haben, das Wort Gottes zu hören. Deshalb preist Esra den HERRN als den grossen Gott und das ganze Volk bestätigt diesen Lobpreis durch das zweimalige «Amen, Amen». Als erneutes Zeichen der Ehrfurcht heben sie ihre Hände empor, verneigen sich vor dem HERRN und werfen sich vor Ihm nieder.

Schätzen wir es auch, dass wir immer wieder die Gelegenheit haben, der Verkündigung des Wortes Gottes zuzuhören? Danken wir dem Herrn, bevor wir die Bibel öffnen, für den Segen, den Er uns schenken möchte? Ein solcher Lobpreis – vielleicht durch einen oder mehrere Brüder ausgesprochen – wird von allen Anwesenden durch ein kräftiges «Amen» bestätigt. Unsere äussere Gebetshaltung mag von der der Juden abweichen, dennoch sind sie uns in ihrer Ehrfurcht vor Gott erneut ein richtungweisendes Beispiel.

Verständliches Reden

Aus Vers 8 entnehmen wir eine weitere Lektion, die in diesem Fall nicht die Zuhörenden, sondern die Redenden betrifft. «Sie (die Leviten) lasen in dem Buch, in dem Gesetz Gottes, deutlich und gaben den Sinn an, so dass man das Gelesene verstand.» In 1. Korinther 14 spricht Paulus über das Zusammenkommen als Versammlung zur Wortverkündigung. Die «Predigt», so wie wir sie heute in diesen Zusammenkünften kennen, gab es zur Zeit des Alten Testaments nicht. Dennoch lernen wir aus unserem Text deutlich, wie wichtig es ist, dass das, was geredet wird, verständlich sein muss. Genau das ist einer der Punkte, die Paulus in 1. Korinther 14 unterstreicht.1 Für alle Brüder, die sich in den Zusammenkünften vom Heiligen Geist gebrauchen lassen, ist das ein wichtiger Punkt. Wo immer Gottes Wort gelesen und gehört wird, soll es verständlich sein. Das betrifft den Inhalt ebenso wie die akustische Verständlichkeit. Wenn die Zuhörenden es nicht verstehen, ist es nicht zur Erbauung und sollte besser unterbleiben. Es gleicht einem Reden «in den Wind» (1. Kor 14,9). Für öffentlich gesprochene Gebete gilt das ebenso.

Der zitierte Vers enthält auch eine Ermunterung und Belehrung für Familienväter. Wir sollen dem treuen und klugen Verwalter gleichen, «den sein Herr über sein Gesinde setzen wird, ihnen zur rechten Zeit die zugemessene Nahrung zu geben» (Lk 12,42). Unsere Kinder brauchen geistliche Nahrung, und es ist notwendig, dass wir sie ihnen in einer Form vermitteln, die für sie verständlich und nützlich ist. Wenn wir bei Tisch die Bibel lesen – oder einen Kalenderzettel – sollten wir in der Lage sein, den gelesenen Text den Kindern – ihrem Alter angemessen – zu erklären. Ob die Kinder das Gelesene wirklich verstanden haben, kann man leicht durch einige geschickt gestellte Fragen herausbekommen. Wir sollten jede Chance nutzen, unseren Kindern verdauliche, d.h. erbauliche geistliche Speise zu geben.

Zusammenfassung

Der Text in Nehemia 8 stellt uns folgende Fragen:

  1. Kennen wir in unserem Leben als Gläubige Momente, wo wir – durch das Wort Gottes wachgerüttelt – einmütig vor unserem Herrn sitzen, um zu hören, was Er uns zu sagen hat?
  2. Erwählen wir wie Maria das gute Teil und sitzen konzentriert zu den Füssen unseres Herrn, um von Ihm zu lernen? Oder sind wir, während das Wort Gottes gelesen und erklärt wird, mit den Dingen des Alltags beschäftigt und lassen uns dadurch von dem ablenken, was der Herr uns sagen will?
  3. Haben wir Ehrfurcht vor dem Wort Gottes, wenn wir es hören oder lesen? Bedenken wir, dass es nicht um irgendein Buch, sondern um das Buch der Bücher, die «Heilige Schrift» geht?
  4. Erleben wir noch Momente des Zusammenseins, wo wir angesichts des gelesenen und verkündigten Wortes Gottes Ihn spontan loben und Ihn für das, was Er ist und was Er tut, preisen?
  5. Sind wir – als Brüder und Väter – in der Lage, das Wort Gottes so zu lesen und zu erklären, dass die Zuhörer verstehen, was gemeint ist? Passen wir uns in dem, was wir sagen, dem Fassungsvermögen der Zuhörer an?

Von unserem Herrn lesen wir: «In vielen solchen Gleichnissen redete er zu ihnen das Wort, wie sie es zu hören vermochten» (Mk 4,33). Seinem Beispiel wollen wir gerne folgen!

  • 1Der Ausgangspunkt ist zwar ein ganz anderer. In 1. Korinther 14 geht es darum, dass die Korinther die Gabe des Sprachenredens in den Zusammenkünften praktizierten. Paulus macht ihnen klar, dass das keinen Sinn hat, wenn niemand versteht, was geredet wird.