Lasst die Kinder zu mir kommen

Markus 10,14

Es gibt wohl kaum einen Bibelleser, der die Worte des Herrn Jesus nicht kennen würde, die Er an seine Jünger richtete, als diese – vielleicht in guter Absicht – meinten, jene wegschicken zu müssen, die ihre Kinder zu Ihm bringen wollten. In dieser bemerkenswerten Begebenheit, von der sowohl Matthäus als auch Markus und Lukas berichten, malt uns der Heilige Geist mit wenigen Federstrichen ein eindrucksvolles Bild vom Wert, den Kinder in den Augen des Heilands haben. Gleichzeitig tun wir einen Blick in unser eigenes Herz, wenn wir uns im Bild der Jünger sehen. «Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt ihnen nicht» (Mk 10,14), ist die Antwort des Meisters auf die Empfindungslosigkeit seiner Jünger.

Die gleichen Worte richtet der Herr auch an uns. Sie gelten zunächst allen, denen der Herr eigene Kinder und vielleicht Enkelkinder gegeben hat. Im weiteren Sinn beziehen sie sich aber auf Kinder ganz allgemein. Der Herr Jesus hat ein ganz besonderes Herz für sie. Das zeigen uns die Evangelien an mehreren Stellen. Er ist ja gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist und zu den Verlorenen zählen auch alle Kinder. Der Herr spricht von verschiedenen Beziehungen, in denen Er zu den Kindern steht.

Zum Herrn gebracht

Die erste Beziehung ist bereits angesprochen worden. Der Herr sagt: «Lasst die Kinder zu mir kommen.» Er möchte sie bei sich haben, möchte in persönlichen Kontakt zu ihnen treten. Gerade die Kinder sollen «seine Schafe» sein, und Er möchte, dass sie Ihn ganz persönlich «mein Hirte» nennen. Welch ein grossartiger Heiland! Es geht nicht zuerst darum, dass wir eine tiefe Erkenntnis vom Heil haben, das Er uns geben will (obwohl wir in der Erkenntnis dieses Heils nie genug wachsen können), sondern es geht zuerst darum, dass wir den Heiland haben. Und das können schon Kinder. Stehen wir als Erwachsene nicht oft staunend da, wenn wir sehen, in welcher Einfalt des Herzens Kinder den Herrn Jesus annehmen? Wie schwer fällt es im Gegensatz dazu einem Erwachsenen oft, sich Ihm zu übergeben!

Doch in den Worten des Herrn Jesus liegt auch eine Aufforderung. «Lasst die Kinder zu mir kommen.» Damals waren zuerst die Jünger und dann vielleicht auch die Mütter der Kinder gemeint. Heute sind wir angesprochen. Sehen wir eine Aufgabe darin, Kinder zum Herrn zu führen? Und vor allen Dingen: Sehen wir unsere erste Aufgabe darin, unsere eigenen Kinder zum Herrn zu führen? Gewiss, wir können sie nicht erretten, das kann nur der Herr tun. Wir können sie auch nicht bekehren, das müssen sie selbst tun. Aber wir können sehr wohl Wegweiser sein. Wir können und sollen unseren Kindern eine Hilfe sein, damit sie zum Herrn finden. Wir können aber auch – und das trifft uns sicher alle – ein Hindernis sein, dass sie den Heiland annehmen. In Matthäus 19,14 heisst es ausdrücklich: «Und wehrt ihnen nicht, zu mir zu kommen.»

Hilfe oder Hindernis, das ist die entscheidende Frage. Wie können wir das eine ohne das andere sein? Ich erinnere mich gut an meinen Grossvater, der aus seiner Lebenserfahrung heraus immer wieder mit grossem Nachdruck darauf hingewiesen hat, wie das Vorbild, das wir unseren Kindern sind und geben, so entscheidend ist. Kinder folgen dem Tun ihrer Eltern viel eher als ihren Worten. Worte haben ihre Bedeutung, und Unterweisung ist wichtig, aber wenn sie durch unser Verhalten Lügen gestraft werden, dann können wir sie uns ebenso gut sparen. Gerade Kinder überprüfen unsere Worte an unserem Verhalten und stellen sehr schnell fest, was dahinter steckt. Natürlich sind wir als Eltern nicht perfekt, aber Kinder spüren deutlich, ob wir es ernst meinen oder nicht. Zweifellos steht jedes Kind unter persönlicher Verantwortung, zum Herrn Jesus zu kommen, aber es ist doch eine sehr ernste Sache, wenn Erwachsene ihnen dabei ein Hindernis sind.

An der Seite des Herrn

Eine zweite Beziehung wird uns in Lukas 9,47 vorgestellt. Die Jünger hatten darüber nachgedacht, wer wohl der Grösste unter ihnen sei. Um ihnen beispielhaften Anschauungsunterricht zu geben, nimmt der Herr Jesus ein Kind und gibt ihnen dann wichtige Belehrungen. Achten wir genau auf die Worte des inspirierten Autors! Lukas schreibt: «Er nahm ein Kind und stellte es neben sich.» Stellen wir uns die Szene einmal vor! Zwölf erwachsene Männer unterhalten sich angeregt und tauschen ihre Meinungen aus. Da nimmt der Meister ein kleines Kind und stellt es neben sich. Was mögen die Jünger gedacht haben, als sie es plötzlich neben dem Heiland stehen sahen? Ob ihnen nicht unmittelbar klar wurde, was der Herr ihnen sagen wollte?

Welch eine grossartige Beziehung! Ein Kind neben dem Herrn! Nicht Petrus oder Johannes, nicht Jakobus oder Andreas, nicht einer von den anderen, sondern ein Kind steht neben Ihm. Unterstreicht diese vielsagende Handlung nicht den Wert der Kinder in den Augen des Heilands? Und ist dieser Platz an seiner Seite nicht gleichzeitig ein Platz der Ehre? Die Jünger suchten ihre eigene Ehre, und das konnte dem Herrn nicht gefallen. Stattdessen ehrte Er dieses Kind. Gleichen wir nicht oft den Jüngern? Wir sind mit uns selbst beschäftigt und kommen uns wichtig vor. Vielleicht sehen wir sogar geringschätzig auf die Kinder herab. Dann dürfen wir von unserem Meister lernen. Und noch mehr: Wir dürfen unseren Kindern den Platz an der Seite des Heilands lieb und gross machen. Auch das ist eine Aufgabe, der wir uns mit Freuden annehmen dürfen.

In den Armen des Herrn

Wir kehren noch einmal zur Begebenheit in Markus 10,13-16 zurück und finden eine dritte Beziehung.

Welch ein herzbewegendes Bild! Können wir uns vorstellen, was die Kinder empfunden haben, als die Jünger jene abwiesen, die sie zum Herrn bringen wollten? Wie enttäuscht mögen sie gewesen sein! Doch dann die Wende. Der Heiland lässt die Kinder zu sich kommen. Und mehr noch: Er nimmt sie in seine Arme. Bleiben wir in Gedanken ruhig einmal dabei stehen: Der Heiland in der Mitte, ein wenig abseits die beschämten Jünger, und die Kinder um den Mann in der Mitte herum. Alle hören voll Spannung auf die Worte des grossen Lehrers. Doch es bleibt nicht bei Worten. Der Herr nimmt die Kinder in seine Arme und segnet sie. Er lässt sie seine Nähe, seine Gegenwart, seine Zuneigung und Liebe spüren. Wären wir nicht alle gern eines dieser Kinder gewesen? Welch ein grossartiger Heiland!

Wie zeigt uns der Heilige Geist mit diesen wenigen Worten den Platz vollkommener Liebe und Gemeinschaft in den Armen des guten Hirten! Ist dieser Platz ein Privileg der Erwachsenen, ein Sonderrecht derer, die auf dem Glaubensweg Erfahrung gesammelt haben? Niemals! Die Geborgenheit in den starken Armen des Herrn ist ein Teil, das auch unsere Kinder kennen dürfen. Und wo wären sie besser aufgehoben? Dieser Platz ist zugleich ein Platz des Schutzes vor den vielen Gefahren, denen unsere Kinder ausgesetzt sind.

Erneut gilt die Herausforderung: Sind wir unseren Kindern eine Hilfe, diesen Platz zu suchen und zu finden? Sehen sie bei uns als Eltern oder als Erwachsene etwas davon, dass wir diesen Platz lieben und schätzen und dass es uns ein Anliegen ist, dass sie die segnenden und schützenden Arme des Heilands ebenfalls kennenlernen?

Ein Kind in der Mitte

Die Jünger hatten dem Herrn eine Frage gestellt. Wieder ging es darum, wer der Grösste sei. «Wer ist der Grösste im Reich der Himmel?», wollten sie wissen (Mt 18,1). Auch hier nimmt der Herr ein Kind, und es heisst: «Er stellte es in ihre Mitte.» Hier sehen wir das Kind nicht in Beziehung zum Herrn, sondern zu den Jüngern. Es steht in ihrer Mitte.

Lasst uns diesen Gedanken einmal praktisch auf uns anwenden! Welch einen Platz haben Kinder in unserer Mitte, in der Familie, im Leben der örtlichen Versammlung? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich meine nicht, dass die Kinder immer im Mittelpunkt stehen sollen und sich alles um sie drehen muss. Das wäre bestimmt nicht gut für sie. Es würde ihnen nur schaden.

Aber es kann auch nicht richtig sein, wenn Kinder nur am Rand stehen. Sollten wir als Eltern unser Familienleben nicht so gestalten, dass es unseren Kindern gerecht wird? Wir umgeben sie mit Liebe und Sorgfalt, um sie für den Herrn zu erziehen. Wir versuchen ihnen Geborgenheit und Schutz zu geben, damit die Angriffe Satans ihnen nicht schaden.

Das dürfen wir auch auf die Familie Gottes ausweiten. Ist es unser Bemühen, dass die Kinder sich unter den Geschwistern wohlfühlen? Beachten wir sie? Oder gehen wir achtlos, vielleicht sogar grusslos, an ihnen vorbei? Kinder sind in dieser Hinsicht sehr empfindsam. Der Herr möchte uns auch durch dieses Beispiel unterweisen: ein Kind in der Mitte der Jünger.

Der Herr liebt unsere Kinder. Sie haben einen hohen Wert in seinen Augen. Darüber freuen wir uns. Gleichzeitig wollen wir von Ihm lernen, unsere Kinder so zu sehen, wie Er es tut.