Frage: Ist jeder Christ ein Jünger, oder gilt diese Besonderheit nur für eine bestimmte Gruppe?
In der Christenheit gibt es keine «Bevorzugten». Es ist zwar wahr, dass, seitdem die Welt in das christliche Bekenntnis eingedrungen ist und es beherrscht, es überall Geistliche und Laien in unzähligen Abstufungen gibt, entsprechend der weltlichen Gesellschaftsordnung. Das Christentum der Bibel, das wohl geistliche Gaben und Ämter anerkennt, weiss nichts von diesen Dingen. Die ersten Christen waren Brüder, Gläubige, Heilige, Jünger, und zwar alle von ihnen (siehe Apg 1,15; 6,1; 9,38; 19,9). Der vornehmste der Apostel war genauso ein Gläubiger, ein Heiliger, ein Jünger wie die andern, obwohl er eine Gabe vom Himmel besass und eine Autorität, die unbestritten war.
Wir können deshalb sicher sein, dass es ein verhängnisvoller Fehler ist, wenn man denkt, dass Jüngerschaft nur für einige wenige bestimmt sei die Geistlichen – und dass wir, die zu dem gewöhnlichen Volk gehören, mit blosser Errettung zufrieden sein könnten. Wir würden ja bald in den Himmel aufgenommen und müssten uns um nichts anderes mehr kümmern. Aber wir müssten uns schämen, wenn wir, wie Bartimäus, sehend geworden sind und dann – anders als er – davon schlenderten, um uns mit neuem Augenlicht an Jericho zu vergnügen.
Trotzdem gibt es eine Tendenz in jene Richtung, und deshalb sagte der Herr zu gewissen Juden, die Ihm glaubten: «Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger» (Joh 8,31).
Jüngerschaft gehört wirklich allen Christen, aber leider gibt es viele Gläubige, die nicht «wahrhaft» seine Jünger sind.
Frage: Können Sie die Bedingungen für christliche Jüngerschaft zusammenfassen?
Lies sorgfältig Lukas 9,23-26; 46-50; 57-62 und Kapitel 14,25-33 noch einmal, wenn du einen Begriff davon erhalten möchtest.
Der Kern der Sache scheint in Kapitel 14,26 und 33 enthalten zu sein, wo wir die eine absolut unerlässliche Bedingung finden, dass Christus den ersten Platz haben und das Übrige – Verwandtschaft, Besitz und besonders die eigene Person – hintenanstehen muss.
Wir «hassen …» nicht in absolutem Sinn natürlich, sondern in einer vergleichenden Bedeutung. Unsere Liebe zu Christus sollte die natürliche Liebe, die wir zu unseren Verwandten haben, so weit übertreffen, dass die letztere im Vergleich zur ersteren als Zurücksetzung, als Hass erscheint. (Lukas 9,59.60 zeigt uns dies an einem Beispiel).
Wir «verlassen …», d.h. die Zuneigungen haben sich von unserem Besitz gelöst. Wir betrachten ihn nicht länger als uns gehörend, sondern unserem Meister, für den wir ihn verwalten. Das mag bedeuten, allen Besitz zu verteilen, wie es die ersten Christen taten, oder wie Levi mögen wir alles verlassen und es doch noch haben. Levis Haus war immer noch sein eigenes und sein Geld gebrauchte er, um ein grosses Mahl für Christus zu machen und dabei eine grosse Menge Zöllner und Sünder einzuladen (Lk 5,27-29). Ein sehr gutes Beispiel für uns!
Wenn aber Christus den ersten Platz haben soll, dann muss das Ich verschwinden. Deshalb finden wir, dass der Jünger sich selbst zu verleugnen und täglich sein Kreuz aufzunehmen hat.
«Sich selbst verleugnen» heisst, nein zu sich zu sagen. Anerkenne den Tod des natürlichen Menschen – verhalte dich wie ein Toter – soweit es um die Tätigkeit deines eigenen Willens geht. Das Ganze ist eine Angelegenheit des Herzens.
«Nimm täglich dein Kreuz auf» ist eine äusserliche Sache. Hier geht es um die Verwirklichung des Todes, der uns von der Welt und ihrer Herrlichkeit trennt. Sage nein zum Wunsch, bekannt und beliebt zu sein.
Das ist ein hartes Stück Arbeit und sehr bitter für das Fleisch. Sie wird aber versüsst durch die Liebe Christi. Das sind die Bedingungen für die Jüngerschaft.
Frage: Es ist leicht zu erkennen, was Jüngerschaft für die ersten Christen bedeutete. Wir leben aber in einer anderen Zeit. Was heisst es heute praktisch für uns?
Es bedeutet heute genau dasselbe wie damals. Der einzige Unterschied liegt in oberflächlichen Einzelheiten. Es heisst immer noch, nein zu unserem Eigenwillen zu sagen, wie damals. Es bedeutet das Kreuz – Ablehnung vonseiten der Welt – genauso wir früher. Die Welt wies jene ab durch Kreuz oder Schwert, durch wilde Tiere oder Feuer. Uns lehnt sie vielleicht ab durch stumme Verachtung, durch wohlgezielte schroffe Abfertigung, durch Ausschluss aus ihrer Gesellschaft. Die Sache bleibt die gleiche. Früher ging es um einen kurzen, schnellen, heftigen Angriff, und dann war alles vorüber. Heute ist die Sache nicht so ernsthaft, dafür aber ständig, schleichend und langandauernd.
Da gilt es, im Geist von Selbstgericht und getrennt von der Welt, auch von ihren religiösen Formen, voranzugehen. Es heisst, viele Dinge, die an sich nicht verkehrt sind, um seinetwillen aufzugeben. Es heisst, zu allen Zeiten und unter allen Umständen die eine Frage zu stellen, nicht «Was wünsche ich?», sondern «Was will Er?».
Frage: Es sieht also so aus, dass der wahre Jünger in dieser Welt sehr viel verliert. Was gewinnt er?
Er wird «vielfach empfangen in dieser Zeit und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben» (Lk 18,30). Der Gewinn ist nicht derart, dass er dem Weltmenschen zusagen würde, der diesen für sich hauptsächlich nach der Zunahme seines Bankkontos einschätzt. Er ist viel realer. Hier sind Worte, die seinen Charakter beschreiben: «Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren» (Joh 12,26).
Die Nähe und Gemeinschaft des Herrn Jesus und Ehre vonseiten des Vaters. Wer kann den Gewinn dieser beiden Dinge abschätzen? Ein flüchtiger Blick wurde den drei Jüngern gewährt, die, nachdem sie gehört hatten, was Jüngerschaft beinhalten würde, Zeugen der Verklärung des Herrn wurden (Lk 9), als sie «mit ihm auf dem heiligen Berg waren» (2. Pet 1,16-18).
Wen wundert es da, dass Paulus, der als Jünger in der vordersten Reihe stand und alles aufgab für Christus, sein Auge des Glaubens auf die ewigen Dinge richtete? Er sah über die Verlust-Seite des Jüngerschafts-Kontos hinweg und betrachtete diese Seite als «das schnell vorübergehende Leichte unserer Trübsal». Er freute sich über die Gewinn-Seite als «ein über jedes Mass hinausgehendes, ewiges Gewicht von Herrlichkeit» (2. Kor 4,17).
Frage: Besteht ein Unterschied zwischen einem Jünger und einem Apostel? Wenn ja, welcher?
Es besteht ein sehr deutlicher Unterschied. Wir lesen: «Er rief seine Jünger herzu und erwählte aus ihnen zwölf, die er auch Apostel nannte» (Lk 6,13). Das Wort Jünger bedeutet «Schüler» oder «Angelernter»; das Wort Apostel heisst «Gesandter». Jeder wahre Nachfolger des Herrn war ein Jünger; aber nur die Zwölf und später auch Paulus wurden von Ihm als Apostel ausgesandt. Sie nahmen einen besonderen Platz von Autorität und Dienst ein.
Zudem hatten die Apostel mit der Grundlage der Versammlung zu tun (Eph 2,20). Sie sind schon lange beim Herrn. Aber seit jener Zeit und bis heute kann man stets Jünger Christi auf der Erde finden.
Frage: Woher kommt die Kraft zur Jüngerschaft und wie kann sie aufrechterhalten werden?
Die nötige Kraft finden wir nicht in uns selbst. Sie kann auch nicht durch religiöse Übungen erarbeitet werden. Sie findet sich allein in Gott. Aber sie kommt auf ganz einfache Weise zu uns. Wir könnten von «einer treibenden Kraft, hervorgerufen durch eine neue Zuneigung» sprechen. Lass die hellen Strahlen der Liebe Gottes in ein Herz, mag es noch so dunkel sein, eindringen, so wird sofort eine neue treibende Kraft spürbar und die Jüngerschaft beginnt.
Das, was den Anfang der Jüngerschaft ausmacht, wird sie auch erhalten. Lies Johannes 14 – 16. Diese Kapitel sind das vollkommene Handbuch zur Jüngerschaft. Du wirst finden, dass die Liebe die Quelle von allem ist. Der Sachwalter oder Tröster, der Heilige Geist, ist die Kraft, und der Gehorsam, das Halten und Tun der Gebote Christi, ist der Weg, auf den die Füsse des Jüngers geführt werden.
Frage: Können Sie uns, die wir versuchen als Jünger des Herrn Jesus zu leben, irgendwelche Hinweise geben, die uns dabei helfen?
Ich möchte drei Dinge erwähnen:
- Du wirst Weisheit und Besonnenheit benötigen. Deshalb musst du dem Wort Gottes den gebührenden Platz geben. Der Wille unseres Herrn und Meisters kommt darin zum Ausdruck. Unsere Aufgabe als Jünger ist es, in Abhängigkeit und unter der Belehrung des Heiligen Geistes diesen Willen zu erkennen. Das muss uns zu einem sorgfältigen Studium der Heiligen Schrift führen.
- Du musst einen Geist der Abhängigkeit von Gott bewahren. Deshalb ist Gebet unerlässlich. Der Jünger muss unbedingt stets einen Geist des Gebets pflegen.
- Du musst immer auf den Weg des Gehorsams bedacht sein. Unsere grosse Aufgabe als Jünger ist, zu gehorchen, viel mehr als grosse Heldentaten zu vollbringen.
Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes ist unsere erste Pflicht. Lasst uns alles Hemmende ablegen und uns der Worte unseres grossen Meisters selbst erinnern: «Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut» (Joh 13,17).