Die persönliche Züchtigung
Es stellt sich eine Frage: Muss man die Züchtigung Gottes, sei es, um einem Fall vorzubeugen, sei es, wenn man gefehlt hat, untätig abwarten?
Das Wort zeigt uns an verschiedenen Stellen, wie notwendig es ist, in der Abhängigkeit vom Geist Gottes wachsam und nüchtern zu sein, um vor einem Fall bewahrt zu bleiben. Anderseits werden wir aufgerufen, uns selbst zu richten, unsere Fehler zu erkennen und zu bekennen, um vom Herrn nicht weiter gezüchtigt, sondern im Gegenteil zur Freude der Vergebung geführt zu werden (Ps 32).
1) Die freiwillige vorbeugende Zucht (1. Kor 9,24-27; 1. Thes 5,6-8)
Der Apostel erklärt vielleicht zum zehnten Mal in seinem Brief: «Wisst ihr nicht?» Er steht dieses Mal nicht im Begriff, eine Lehre vorzustellen, sondern eine ganz praktische Frage: diese vorbeugende Zucht, die im christlichen Wettlauf und Wettkampf nötig ist. Das ist kein gesetzlicher Gehorsam, sondern eine Herzenshaltung (Dan 1,8), das Resultat eines Werkes der Gnade in uns, die uns jedoch nicht dahin führt, zu meinen, wir seien besser als andere. Das Geheimnis ist, sich der Gnade anzuvertrauen, damit sie uns durch die Tätigkeit des Geistes Gottes gestalte, «um die Handlungen des Leibes zu töten» (Röm 8,13). Es gilt aber doch, eine persönliche Standhaftigkeit zu entfalten: «Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes» (2. Kor 7,1) – eine gewisse moralische Umhüllung, eine wirksame Bewahrung.
Laufen und kämpfen schliesst eine ausdauernde geistliche Energie ein. In Offenbarung 2 und 3 wiederholt der Apostel in jedem Sendschreiben: «Dem, der überwindet …». Das ist eine persönliche Ermahnung, an den einzelnen gerichtet, wobei nicht gewartet werden soll, bis andere sich verpflichten, den gleichen Weg zu gehen.
Der Sieg im Wettlauf oder Wettkampf gelingt nicht ohne Enthaltsamkeit; sie ist nötig, um eine Krone zu erlangen (1. Kor 9,25), oder um einem Fall vorzubeugen (Vers 27).
Worin besteht diese Enthaltsamkeit? Der Apostel hatte darin seine eigene Erfahrung gemacht. «Ich laufe daher …», sagt er. Er redet davon, seinen Leib zu zerschlagen, d.h. ihn zu unterwerfen, und ihn in Knechtschaft zu führen aus Furcht, selbst verwerflich zu werden, nachdem er andern gepredigt habe. Dieses Wort verwerflich1 könnte in diesem Abschnitt, da es sich um einen sportlichen Wettkampf handelt, mit «disqualifiziert» übersetzt werden. Wie könnte ein öffentlicher Dienst für den Herrn sich fruchtbringend für Ihn fortsetzen, wenn man in dem, was man andern verkündigt, schwerwiegend fehlt?
Enthaltsamkeit oder Zurückhaltung schliesst Nüchternheit, d.h. Selbstkontrolle mit ein. Wir sehen dies in 1. Thessalonicher 5, wo «die von dem Tag» denen, «die von der Nacht» sind, gegenübergestellt werden. Nach 2. Timotheus 4,5 ist Nüchternheit für den Evangelisten nötig. 1. Petrus 2,11 ermahnt uns, «uns der fleischlichen Begierden zu enthalten, die gegen die Seele streiten». Liegen nicht sehr oft fleischliche Begierden zugrunde, wenn ein Jugendlicher mit Wissen und Wollen vom Weg des Herrn abweicht und zur Entschuldigung intellektuelle Zweifel vorschiebt, um damit sein schlechtes Betragen zu verschleiern?
Die Selbstprüfung verpflichtet den Christen, sich nicht allem, was ihn umgibt, um ihn wirbt oder ihn interessiert, hinzugeben. Er wird ermahnt, seine «Lenden umgürtet» zu haben (1. Pet 1,13). Eine geistliche Praxis in der Enthaltsamkeit ist angebracht, besonders in einer Zeit, da so viele Dinge sich der Aufmerksamkeit aufzwingen wollen. Man kann nicht zur gleichen Zeit die Vergänglichkeiten der Welt und die Hand des Herrn festhalten.
Aus Liebe zu Ihm sein Joch tragen (Mt 11,29). Der Prophet betonte schon: «Es ist gut für einen Mann, dass er das Joch in seiner Jugend trage» (Klgl 3,27). Dieses Joch der Liebe besteht in einem Wandel auf dem gleichen Weg, den Er geht, im gleichen Schritt mit Ihm. Beim Aufstehen zehn Minuten für ein entsprechendes Frühturnen, das den Körper stärkt, zu reservieren, erfordert eine dauernde Anstrengung. Sollten wir nicht jeden Morgen die gleiche persönliche Selbstzucht ausüben, um dem Hören auf Gottes Wort und dem Gebet genügend Zeit zu widmen? Eine alte Schrift hatte zum Titel: «Eine von 96 Viertelstunden», eine Viertelstunde am Anfang des Tages, um mit dem Herrn zu sein. Werden wir Ihm nur ein Prozent unserer Zeit geben? Warum nicht zwei Prozente? Verwenden wir am Ende mehr Zeit, um das Radio als sein Wort zu hören? Solche Erwägungen werden uns vielleicht dazu führen, auf die zu langen Abende zu verzichten!
«Indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen», sagt der Apostel (Heb 10,25). Auch in diesem Bereich ist Energie nötig, und ein sich Einschränken, um sich diese Zeit freizuhalten.
Das Gleichnis spricht von «Dornen» (Mk 4,18.19): die Sorgen, der Reichtum, die Begierden, die «hineinkommen» und das Wort ersticken. – Es ist unmöglich, keine Besorgnisse zu haben. Aber man muss lernen, sie dem Herrn zu übergeben: «Indem ihr all eure Sorge auf ihn werft; denn er ist besorgt für euch» (1. Pet 5,7). – In einer «Wohlstandsgesellschaft» wie der unseren, nehmen die materiellen Möglichkeiten zu. Da tut Nüchternheit not, um sie in gottgemässer Weise auszunützen. Er gibt uns alle Dinge reichlich zum Genuss, aber um sie mit dem Herrn Jesus zu geniessen. – Im Blick auf die Begierden müssen wir auf der Hut sein, dass sie nicht in die Seele eindringen und gegen sie streiten. Durch alles, was wir lesen, hören und sehen, werden sie auf viele Weise angelockt und angefacht. Wir können nicht verhindern, dass wir viele Dinge sehen, aber wir werden wachsam sein aus Furcht, sie könnten unser Inneres erfüllen.
In Sprüche 24,33.34 wird uns gesagt: «Ein wenig Schlaf, ein wenig Schlummer, ein wenig Händefalten, um auszuruhen – und deine Armut kommt herangeschritten, und deine Not wie ein gewappneter Mann.» Welch eine Schlinge liegt in diesem «ein wenig»! Wir haben Nüchternheit und Enthaltsamkeit zu praktizieren. Aber der Apostel Petrus ermahnt uns, das Ausharren noch anzufügen (2. Pet 1,6), d.h. mit Ausdauer enthaltsam zu sein. Sich auch nicht «einmal» gegenüber der dargebotenen Versuchung gehenzulassen; sich nicht «ein wenig» dem geistlichen Schlaf, der uns auflauert, hinzugeben. Der Feind wüsste nur zu gut, davon zu profitieren, um in unser Leben einzudringen und es arm zu machen.
Welch ein Trost liegt in der Zusicherung des Apostels, wenn er vom Hausknecht des Meisters spricht: «Er wird aber aufrecht gehalten werde, denn der Herr vermag ihn aufrecht zu halten» (Röm 14,4).
2) Die Rekabiter (Jeremia 35,1-11.18.19)
Die Nachkommen Jonadabs, des Sohnes Rekabs, hatten von ihrem Vater das Gebot bekommen, keinen Wein zu trinken, keine Häuser zu bauen, keine Felder zu besäen und keine Weinberge zu pflanzen. Sie waren so als Pilger und Fremdlinge auf der Erde gekennzeichnet. Erinnern wir uns an das Wort des Dieners, der sagen konnte: «Es ist der Schatz, den ich in seiner Liebe fand, der aus mir einen Fremdling in dieser Welt gemacht hat.»
Die Umstände waren schwieriger geworden. Der Krieg hatte den kleinen Stamm in die Stadt Jerusalem getrieben. Jeremia empfängt von dem HERRN die Aufforderung, diese Männer in den Tempel kommen zu lassen und sie zu veranlassen, Wein zu trinken. Das war eine Erprobung. Aber die Rekabiter hielten stand. Es war an sich nichts Schlechtes, Wein zu trinken, aber sie wollten ihrem Vater gehorsam sein und enthielten sich freiwillig, wie ihr Vater es ihnen geboten hatte. Es wird mehrmals wiederholt, dass sie auf seine Stimme «hörten», während das Volk ihrem Beispiel keineswegs folgte und nicht achtgab auf das Wort des HERRN und so die Strenge seiner Züchtigung über sich brachte (Vers 17)
Es ist leicht, die Belehrung Jonadabs, des Sohnes Rekabs, geistlich anzuwenden. Der Wein nimmt das Unterscheidungsvermögen weg: wie viele Dinge sind geeignet, dieses geistliche Unterscheidungsvermögen von unseren Seelen wegzunehmen, wenn wir uns gehen lassen. Die Zelte, im Gegensatz zu den Häusern, zeigen, dass man sich nicht in der Welt niedergelassen hat, dass man hier weder sein Vaterland noch seine Befriedigung gefunden hat. Kein Feld zu besäen und keinen Weinberg zu pflanzen, heisst, keine geistliche Ernte von der Welt zu erwarten, sondern seine Freude in den unsichtbaren Dingen, die bleiben, zu finden.
Auch der Nasir, nachdem er sich für Gott abgesondert hatte, um nur für Ihn da zu sein (4. Mo 6), enthielt sich, entweder für eine begrenzte Zeit (Apg 18,18), oder für das ganze Leben (Richter 13,5) des Weines, d.h. der irdischen Freuden, – liess seine Haare wachsen, indem er so auf seine persönliche Würde und sein Ansehen verzichtete, – und trennte sich von jeder gestorbenen Person, enthielt sich von jedem Verderben. Dieses Verhalten wurde nicht von jedermann verlangt, aber einer, der sich aus Liebe zu seinem Gott von dem Bösen fernhalten wollte, beachtete diese Dinge.
3) Die persönliche Züchtigung, wenn man gefehlt hat
1. Korinther 11,31.32 stellt einen Grundsatz von grösster Wichtigkeit vor uns.
In Verbindung mit dem Abendmahl des Herrn wird uns gesagt; «Jeder aber prüfe sich selbst, und so esse er» (Vers 28). Was heisst denn nun, sich selbst prüfen? nur seine Fehler verurteilen? Der Apostel erklärt es ein wenig weiter unten, indem er uns drängt, uns selbst zu beurteilen, damit wir nicht gerichtet werden. Das Selbstgericht schliesst die Übereinstimmung mit Gott gegen uns selbst in sich, die Erkenntnis der verborgenen Gründe unserer Verfehlungen in seinem Licht. Zuallererst heisst es, sie nach 1. Johannes 1,9 zu bekennen, Gott klar das Böse zu nennen, das wir getan haben, wie auch gegenüber denen, die wir beleidigt haben. Dann gilt es, in seiner Gegenwart nach den Beweggründen oder verborgenen Anlässen für unseren Fehltritt zu forschen. Wir werden so die Züchtigung des Herrn vermeiden, die andernfalls nötig würde: «Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden.» Viel besser ist, wenn wir nach einem Selbstgericht mit David sagen können: «Glückselig der, dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde zugedeckt ist!» (Ps 32,1).
Eine solche Übung führt uns nicht zu einem düsteren Ermessen der Dinge. Im Gegenteil, sie verstärkt in uns das Bewusstsein der Gnade, die uns trotz allem erlaubt, am Abendmahl des Herrn teilzunehmen, seinen Tod zu verkündigen, durch den unsere Sünden ausgetilgt worden sind. Sagen wir nicht zu uns selbst: Diese Woche ist es ziemlich gut gegangen, ich kann schon zu dem heiligen Mahl kommen. Im Gegenteil: Prüfen wir uns selbst, beurteilen und richten wir uns und erfassen wir durch den Glauben wieder von neuem, dass diese Sünden, die sich allzu leicht auf unseren Wegen finden, durch den Herrn Jesus am Kreuz gesühnt worden sind. Er hat uns in seinem kostbaren Blut gewaschen; Er ist die Sühnung für unsere Sünden. Der Vergebung gewiss und im Bewusstsein des Preises, den Er bezahlt hat, um unsere Sünden zu sühnen, kommen wir dann zum Gedächtnismahl, in dem tiefen Bewusstsein der unendlichen Gnade, die uns zuteilgeworden ist.
- Du Herr Jesus, reich an Gnaden,
warst am Kreuz mit dem beladen,
was mich hat von Gott getrennt.
Meine ganze Schuld zu zahlen,
littest Du die grössten Qualen,
welche keine Sprache nennt.
Psalm 130,4 sagt uns: «Doch bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet werdest.» Das Bewusstsein der Gnade führt uns nicht dahin, unsere Fehltritte leichtsinnig zu wiederholen, sondern vielmehr dazu, uns zu fürchten, dem Herrn zu missfallen, indem wir von neuem fehlen. Sprüche 28,13 sagt klar: «Wer seine Übertretungen … bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen.» Verlangt dies nicht eine ernste, persönliche Zucht, in dem heiligen Wunsch, durch die Kraft, die Gott darreicht, nicht mehr zurückzufallen?
- 1Griechisch: dokimos (= bewährt, z.B. 2. Tim 2,15) mit der Vorsilbe a: adokimos = unbewährt, verworfen.