Unser Herr in Gethsemane

Lukas 22,39-46

Die Begebenheit im Garten Gethsemane, die wir ein wenig betrachten möchten, ist sehr ernst und feierlich. Hier sehen wir den vollkommenen Menschen im tiefsten Leid. Wir wissen, dass Er diesen Weg unseretwegen gehen musste. Zwar handelt es sich noch nicht um die sühnenden Leiden des Herrn für uns und unsere Sünden, doch sehen wir zu keiner anderen Zeit seines Erdenlebens so eindrücklich und herzbewegend, wie der Herr als Mensch zu leiden hatte, weil Er unter schwierigsten Umständen um jeden Preis den Willen Gottes tun wollte. «Der in den Tagen seines Fleisches, da er sowohl Bitten als Flehen dem, der ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Schreien und Tränen dargebracht hat (und wegen seiner Frömmigkeit erhört worden ist), obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte» (Heb 5,7.8).

Wenn wir auch in Vers 39 noch lesen, dass die Jünger dem Herrn folgten, so wissen wir doch, dass sie im entscheidenden Augenblick alle schliefen (im Lukas-Evangelium wird nicht unterschieden zwischen den drei Jüngern, die der Herr mit sich nahm, und den übrigen). So finden wir oft auch bei uns selbst eine geistliche Schläfrigkeit, wenn es darum geht, uns mit den Leiden des Herrn zu beschäftigen.

Doch der Heilige Geist teilt uns in den göttlich inspirierten Berichten der drei ersten Evangelien auch Dinge mit, die die Jünger verpasst hatten, weil sie eingeschlafen waren. Wir begreifen, dass es dem Vater unseres Herrn Jesus Christus sehr wichtig war, dass wir verstehen sollten, was in diesen Augenblicken zwischen Ihm und seinem geliebten Sohn vorgegangen ist. Das zeigt uns noch einmal deutlich den Unterschied zwischen dem Garten Gethsemane und den drei Stunden der Finsternis am Kreuz, wo wir nicht einzudringen vermögen.

In Vers 40 fordert der Herr seine Jünger zum Gebet auf, damit die nahende Stunde der Prüfung sie nicht überraschen möchte. Wie hat Er sogar in diesem für Ihn so schwierigen Augenblick nur an die Seinen gedacht! Wir wissen, dass die Jünger in diesem Stück versagt haben – und wir sind nicht besser als sie. Einerseits neigen wir dazu, uns unnötige Sorgen zu machen, wo wir einfach unser Vertrauen auf den Herrn setzen sollten: «Seid nicht besorgt für euer Leben, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, noch für euren Leib, was ihr anziehen sollt» (Mt 6,25). Auf der anderen Seite stehen wir in Gefahr, gedankenlos und oberflächlich zu sein, wo wir doch die Gefahren des Weges berücksichtigen und den Beistand des Herrn suchen sollten. So gingen hier die Jünger – im Gegensatz zu ihrem Herrn – unvorbereitet der nahenden Stunde der Versuchung entgegen.

Die Entfernung eines Steinwurfs, um die sich der Herr von den Jüngern zurückzog (V. 41), erinnert uns an den Steinwurf in 1. Samuel 17,49, mit dem David den Goliath besiegte. So trat hier Satan, von dem Goliath ein Vorbild war, dem wahren David noch einmal entgegen. In Lukas 4 war er Ihm schon einmal als der Versucher genaht, um, wie seinerzeit im Garten Eden, einen Sieg über den Menschen zu erringen. Hatte er aber beim ersten Adam einen vollständigen Erfolg für sich erzielen können, so erlitt er durch den letzten Adam dafür eine gänzliche Niederlage. Alles, was für den gefallenen Menschen in dieser Welt anziehend sein mag, vermochte den Herrn nicht von seiner völligen Abhängigkeit von seinem Gott abzubringen.

Jetzt aber war die «andere Zeit» (Lk 4,13 Fussnote) gekommen, bis zu der er damals von Ihm gewichen war. Es ist die Art des Feindes, die Treuen zuerst mit den Freuden und Begierden der Welt zu verführen. Wenn ihm das nicht gelingt, stellt er der Seele die Leiden um des Gehorsams willen vor, um sie dadurch einzuschüchtern. So tat er es auch beim Herrn. Der, der die Macht des Todes hatte (Heb 2,14), konnte nur durch den Tod unseres Erlösers besiegt werden. Daher stellte er hier dem Herrn vor, was es für Ihn sein würde, wenn Er unser Stellvertreter im Gericht Gottes über unsere Sünden und die Sünde im Fleisch werden wollte. Es bedeutete für unseren Herrn, dass Er mit unseren Sünden beladen, ja, selbst zur Sünde gemacht werden sollte, dass der heilige Gott, der Sünde nicht sehen kann, Ihn verlassen und richten und dass der Herr den Tod als Lohn der Sünde schmecken musste.

Was das für seine heilige, vollkommen sündlose Natur bedeutete, können wir nicht erfassen, aber wir ersehen es aus Vers 42, wo der Herr seine vollkommen wohlgefällige Bitte dem Vater vortrug. Doch der Kelch konnte Ihm nicht erspart werden, sollte Gott im Blick auf die Sünde verherrlicht und sollten Sünder errettet werden. Der scheinbare Widerspruch zwischen dem vollkommen wohlgefälligen Wunsch des Herrn und dem Willen des Vaters, durch den «wir geheiligt sind durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi» (Heb 10,10), fand seine harmonische Auflösung in der Unterordnung des Sohnes des Menschen unter den Willen seines Gottes und Vaters. So wird sich auch bei uns zweifellos jede Schwierigkeit lösen, die uns die Widersprüche des Lebens manchmal wie Berge vor uns auftürmen, wenn wir wirklich nichts anderes begehren, als unsere Gedanken völlig dem guten und wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes unterzuordnen (Röm 12,2). Doch manchmal wissen wir ganz bestimmt, was wir gern haben möchten, und suchen dann im Wort Gottes nur noch eine Bestätigung für unseren Eigenwillen zu finden.

Wo aber ein fester Wille zum Gehorchen da ist, lässt Gott es nicht an Bestätigung und Ermunterung fehlen. So wird der Herr in Vers 43 durch einen Engel gestärkt. Wir warten gelegentlich zuerst auf eine besondere Ermunterung, um uns zum Gehorsam bereit zu machen. Doch unser vollkommenes Vorbild zeigt uns den Segen, der auf einer beständigen und bedingungslosen Hingabe an Gott liegt. Ist es nicht ergreifend, den Schöpfer aller Dinge, auch der Engel, als wirklichen Menschen zu sehen, der hier Stärkung durch einen Engel empfängt – nicht um Ihm etwas von seinen Leiden zu ersparen, sondern um sie noch tiefer zu empfinden? Es ist Ihm wahrhaftig nichts erspart geblieben!

In dem Mass, wie sein Kampf und seine Not grösser werden, sehen wir den Herrn seine Zuflucht umso mehr im Gebet zu Gott nehmen (V. 44). Wie sind wir doch manchmal geneigt, so schnell entmutigt zu werden, wenn wir nicht sogleich eine Erhörung unseres Flehens erfahren! Alles Beten scheint uns zwecklos, und vielleicht suchen wir dann die benötigte Hilfe an anderer Stelle. Wollen wir nicht auch in diesem Punkt von dem Ausharren des Herrn Jesus lernen, der nicht aufgehört hat, seinem Gott zu vertrauen und bei Ihm allein Zuflucht und Hilfe zu suchen – Er, der doch selbst Gott, der Sohn, war und ist, aber eben zugleich wirklicher, ja, vollkommener Mensch! Oh, wie ist Er doch als abhängiger Mensch von Gott nicht enttäuscht worden! So haben auch unsere Prüfungen ihr von Gott bestimmtes Ende. Seine Hilfe kommt zur rechten Zeit, zu unserem Segen und zu seiner Verherrlichung. Und dann haben wir in jeder Not ein grosses Vorrecht gegenüber dem Herrn Jesus, der ganz allein zu kämpfen hatte; «denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden» (Heb 2,18). Was immer uns begegnen mag, wir sind nie allein. Mögen uns auch alle Menschen, auf die wir so gern vertrauen, enttäuscht haben, Er fühlt mit, Er trägt mit, Er kann alles verstehen, Er kann aus jeder Not helfen. Welcher Mensch hat jemals so gelitten wie Er, dessen Schweiss wie grosse Blutstropfen wurde, die auf die Erde herabfielen? Wie hat Er doch die tiefe Not seiner Seele körperlich gespürt! Wer könnte leiden wie Er! Und Er tat es für dich und für mich. Wer könnte dich und mich so lieben wie Er? Wollen wir Ihm nicht völlig vertrauen?

Und bedenken wir noch dieses: Obwohl es Satan war, der hier dem Herrn die kommenden Leiden vorstellte, so wird doch der Teufel in unserem Abschnitt gar nicht erwähnt. Der Herr kämpfte seinen Kampf in Gegenwart seines Gottes und Vaters und nahm den so bitteren Kelch nicht aus der Hand des Teufels, sondern aus der Hand des Vaters: «Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?» (Joh 18,11). So dürfen auch wir alles, was uns Mühe und Sorgen macht, aus der liebenden und allweisen Hand unseres Vaters nehmen, anstatt auf die Feindschaft und Bosheit unseres Widersachers blicken zu müssen. Haben wir nicht soeben gesehen, wie sehr unser Herr den Teufel besiegt hat?

Die Verse 45 und 46 zeigen uns, dass Er die, die Ihn in seinem Kampf allein gelassen haben, doch niemals sich selbst überlassen würde. Sie hatten geschlafen, als Er litt, aber sein Herz war mit ihnen beschäftigt. Warum waren sie eingeschlafen? Gewiss, es war vor Traurigkeit, aber war nicht auch etwas in ihrer Haltung nicht in Ordnung? «Steht auf», ruft ihnen der Herr zu. Sie hatten sich wohl niedergelegt und es sich etwas bequemer gemacht. Im Stehen wären sie wohl kaum eingeschlafen. So werden auch wir immer wieder durch das Wort des Herrn aufgefordert und ermuntert, zu stehen: «Steht fest im Herrn, Geliebte!» (Phil 4,1). – «Ihr steht durch den Glauben» (2. Kor 1,24). – «Steht nun» (Eph 6,14)!