Lilien

Hohelied 2,1-2.16; Hohelied 6,2-3; Matthäus 6,28-30

In der Bildersprache des Wortes Gottes wird die Lilie vor allem im Hohenlied erwähnt. In erster Linie denkt der Geist Gottes dabei an die gläubigen Juden des zukünftigen Überrestes. In diesem Sinn ist auch Hosea 14,6 zu verstehen: «Ich werde für Israel sein wie der Tau; blühen soll es wie die Lilie.» Die einzelnen Stellen enthalten aber auch für uns, die Gläubigen der Gnadenzeit, belehrende und ermunternde Hinweise.

«Ich bin … eine Lilie der Täler – Wie eine Lilie inmitten der Dornen, so ist meine Freundin inmitten der Töchter» (Hld 2,1.2).

Es ist keineswegs Anmassung, wenn der Gläubige sich mit einer Lilie vergleicht. Denn der Herr sagt gleichsam: Ja, das bist du für mich. Und doch sind es nicht unsere eigene Schönheit, unsere eigenen Vorzüge, die uns zu einer Lilie für den Herrn machen. Nein, nur aufgrund dessen, was Gott aus uns gemacht hat, sind wir eine Lilie für den Herrn. So lesen wir in Epheser 1, dass Gott uns auserwählt hat im Herrn Jesus und dass Er uns begnadigt oder angenehm gemacht hat in dem Geliebten (Eph 1,4.6). In diesem Sinn dürfen wir auch Psalm 16,3 verstehen: «Du hast zu den Heiligen gesagt, die auf der Erde sind, und zu den Herrlichen: An ihnen ist all mein Gefallen.»

Wo steht diese Blume, an der der Bräutigam im Hohenlied Gefallen findet? Wo befinden sich die Gläubigen, an denen der Herr sich freut? Im Tal, d.h. in der Welt. Der Herr, der den Charakter der Welt besser kennt als wir, beschreibt die Umgebung der Lilie noch krasser. Er sieht sie inmitten der Dornen. Die Dornen erinnern an den Fluch, den Gott nach dem Sündenfall über den Erdboden ausgesprochen hat (1. Mo 3,18). Ja, unsere Umgebung ist eine Welt, die von den Folgen der Sünde geprägt ist. Und so wie die Dornen uns verletzen können, so ist die Welt voller Gefahren für uns Gläubige. Nur zu leicht verletzen wir uns, wenn wir uns nicht klar von allen Institutionen der Welt getrennt halten, uns aber auch von ihren Ideen distanzieren. Und wie leicht können die Dornen, d.h. die Sorgen des Lebens, der Betrug des Reichtums und die Begierden nach den übrigen Dingen unser geistliches Leben behindern (Mk 4,18.19).

Betrachten wir die Pflanzen, dann erkennen wir einen grossen Unterschied zwischen den Dornen und einer Lilie! Hingegen stellt man, äusserlich gesehen, oft keinen grossen Unterschied zwischen den Umständen der Gläubigen und denen der Menschen fest, die zu dieser Welt gehören. Beide Gruppen von Menschen kennen wirtschaftliche und familiäre Sorgen, werden von Krankheiten und Tod heimgesucht. Der grosse Unterschied liegt in der Zukunft der beiden Klassen. Die Ungläubigen gehen dem Gericht entgegen, so wie Dornen für das Feuer bestimmt sind. Die Gläubigen aber sind unterwegs nach der Herrlichkeit bei dem Herrn Jesus, der heute in liebevoller Fürsorge jeden, der Ihm angehört, sieht und begleitet.

Für die Zeit, in der wir uns als Gläubige in dieser Welt befinden, ruft uns der Herr Jesus die Ermunterung zu: «Seid nicht besorgt für euer Leben!» Unter anderem lenkt Er unsere Blicke dabei auf die Lilien:

«Und warum seid ihr um Kleidung besorgt? Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie mühen sich nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch aber, dass selbst nicht Salomo in all seiner Herrlichkeit bekleidet war wie eine von diesen. Wenn Gott aber das Gras des Feldes, das heute da ist und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet: dann nicht viel mehr euch, ihr Kleingläubigen?» (Mt 6,28-30).

Die Lilien haben ihre Schönheit, die herrlicher ist als die Kleidung eines Salomo, nicht selbst erarbeitet. Gott, der Schöpfer, hat sie ihnen geschenkt. Genauso verhält es sich mit unserer Stellung, die wir vor Gott einnehmen dürfen. Alles ist uns aus Gnaden geschenkt worden. Und da sollen wir uns im Blick auf die irdischen Bedürfnisse mit Sorgen quälen? Nein, das wäre nicht recht. Wir wollen uns vielmehr im Vertrauen ganz auf unseren Gott stützen und dabei in unserem praktischen Leben die Belange seines Reiches an die erste Stelle setzen. Dann verheisst Er uns: «Und dies alles (d.h. alles, was wir auf dieser Erde nötig haben) wird euch hinzugefügt werden.»

«Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet» – «Ich bin meines Geliebten; und mein Geliebter ist mein, der unter den Lilien weidet» (Hld 2,16; 6,3).

Der Herr Jesus unter den Lilien, das spricht von Gemeinschaft mit den Seinen. Überall da, wo Herzen Ihm in Liebe entgegenschlagen, da möchte Er weilen, wie einst in Bethanien (Joh 12,1-3). Der Gedanke der Gemeinschaft erinnert uns zudem an seine kostbare Verheissung: «Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte» (Mt 18,20).

Wie sollen wir aber sein «Weiden» verstehen? In dieser Welt gibt es ausser seinen Erlösten nichts, woran sein Herz sich freuen könnte. Unter den Lilien zu weiden, bedeutet also, dass Er bei denen, die seine stete und unveränderliche Liebe erfahren, etwas sucht, das sein Herz erfreut, befriedigt und erquickt. Zu dieser Freude für sein Herz gehören jede Treue, die Er im Leben eines Gläubigen findet, jede Hingabe an Ihn, jede Entschiedenheit im Zeugnis für Ihn und jedes Vertrauen auf Ihn. Sind wir Ihm in unserem praktischen Leben in dieser Weise ein wenig zur Freude?

«Mein Geliebter ist in seinen Garten hinabgegangen, zu den Würzkrautbeeten, um in den Gärten zu weiden und Lilien zu pflücken» (Hld 6,2).

Der Tag kommt, und er steht nahe bevor, da der Herr Jesus «die Lilien pflücken», d.h. all die Seinen aus dieser Welt (mitten aus den Dornen) herausnehmen wird, um sie ganz für sich und auf ewig bei sich zu haben. – Im Sinn dieses «Pflückens der Lilien» sagt der Herr in Johannes 17 zu seinem Vater: «Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin. – Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin» (Joh 17,16.24). Welch eine glückselige Aussicht für alle, die wissen: «Ich bin eine Lilie der Täler.»