Das 11. Kapitel des Johannes-Evangeliums ist einer der bemerkenswertesten Abschnitte der Bibel. Es berichtet uns vom Leben, vom Tod und von der Auferstehung eines Kindes Gottes.
«Es war aber ein Gewisser krank, Lazarus von Bethanien» (Joh 11,1). Die Anwesenheit eines Kindes Gottes ist es, beachte es wohl, was einem Ort – nach der Einschätzung Gottes – Bedeutung gibt. Hätten nicht Kinder Gottes in Bethanien gelebt, so würde die Bibel diesen Ort nicht erwähnt haben.
«Lazarus von Bethanien» – Bethanien voll lieblicher und heiliger Erinnerungen «Dorf der Maria und ihrer Schwester Martha», zu jener Zeit das einzige Heim auf dieser Erde, in dem unser teurer Herr immer willkommen war. Wie oft fand Er Erfrischung und Ruhe in diesem Haus, das durch seine Gegenwart geheiligt wurde. Wir können uns wohl denken, dass es damals in der ganzen Welt keine geehrtere und glücklichere Familie gab, als diese Familie in Bethanien. Dieses «Bethanien»-Heim auf der Erde muss eine Miniatur des Himmels gewesen sein. Christus war darin der Mittelpunkt des Familienkreises, wo man mit Andacht und Anbetung den Worten zuhörte, die aus seinem Mund hervorkamen, Worte, über die Gnade ausgegossen war ohne Mass.
Aber ach! Hier ist alles vergänglich und dem Wechsel unterworfen. Das glückliche Heim in Bethanien wird unversehens mit Schmerz erfüllt. «Es war aber ein Gewisser krank, Lazarus von Bethanien.» Lazarus, der Freund Jesu, den Jesus liebte, ist krank und liegt im Sterben. Daraus können wir lernen, dass die, die Christus liebt – seine «Freunde» – so wenig wie andere von Krankheit verschont bleiben. Einer der Grössten unter den Kindern Gottes, der Apostel Paulus, war auch einer der Grössten unter den Leidenden. Auch Timotheus litt unter häufigem Unwohlsein. «Trophimus habe ich in Milet krank zurückgelassen», – «Epaphroditus, mein Bruder und Mitarbeiter und Mitstreiter … war krank, dem Tod nahe», schreibt Paulus. Aber lasst uns sehen, wie sich diese heilige Familie in Bethanien in der Stunde der Prüfung verhalten hat, musste es doch für die Schwestern ein sehr grosser Schmerz gewesen sein, ihren einzigen Bruder leiden und sterben zu sehen.
«Da sandten die Schwestern zu ihm», lesen wir im 3. Vers. ihr erster Gedanke war: Das wollen wir dem Herrn Jesus sagen. Ist das auch dein erster Gedanke, wenn Krankheit in dein Haus einzieht? Wie oft laufen wir zu anderen, oder rufen den Arzt, bevor wir es dem Herrn Jesus sagen. Welch ein Segen war es, dass Lazarus betende Schwestern hatte. Wie viel schulden wir den Freunden, die für uns beten! Beachte, sie bestürmten Jesus nicht mit Bitten, sondern teilten Ihm nur das mit, was sie beschwerte. Sie überliessen es Ihm, zu tun, was Er für gut fand: «Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank.» Gehen auch wir so zu Jesus für unsere Geschwister? «Herr, der, den du lieb hast, steht in grosser Gefahr.» – «Herr, der, den du lieb hast, kehrt zum alten Leben zurück.» – «Herr, der, den du lieb hast, wird lau.»
«Als aber Jesus es hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde.» Er wusste, das Ende der Krankheit war nicht der Tod, sondern die Auferstehung. Lazarus war einfach ein Jünger, nicht ein Apostel wie Paulus, den Gott in so hervorragender Weise in weltweitem Dienst gebraucht hat, auch kein Apollos, der «mächtig» war in den Schriften. Warum berief der Herr seinen Freund Lazarus nicht zu einem solch wichtigen Dienst? Wie könnte der Herr einen Menschen besser ehren als dadurch, dass Er ihn wie Lazarus, dazu beruft, Gott und den Sohn Gottes zu verherrlichen? «Diese Krankheit ist … um der Herrlichkeit Gottes willen.» Krankheit zur Verherrlichung Gottes! Hast du schon je daran gedacht: Gott wird verherrlicht und der Sohn Gottes wird verherrlicht dadurch, dass wir auf einem Schmerzenslager liegen?
Die Schwestern, beachte es, sprechen nur von der Erkrankung des Lazarus; Christus spricht nur von der Verherrlichung Gottes. Geschwister, der Zweck unseres Daseins ist die Verherrlichung Gottes.
Von dieser Seite betrachtet, war also die Krankheit für Lazarus ein Vorrecht, das ihm gegeben wurde, «um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde».
«Jesus aber liebte Martha und ihre Schwester und Lazarus» (Vers 5). Ich muss sicher sein, dass Jesus mich liebt, bevor ich Ihn in der Krankheit oder in irgendeiner anderen Prüfung verherrlichen kann. Von welcherlei Art der Schmerz auch sein mag, mein Herz muss ruhen im Vertrauen auf die Liebe Christi. «Als er nun hörte, dass er krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war.» Bevor uns der Evangelist vom geheimnisvollen Verhalten des Herrn erzählt, versichert er uns in Vers 5, dass Jesus «Martha und ihre Schwester und den Lazarus» liebte. So war es also nicht aus Mangel an Liebe für sie, dass Er «noch zwei Tage an dem Ort blieb, wo er war». Es mag sein, dass deine Gebete hinsichtlich gewisser Dinge noch nicht erhört worden sind. Ziehst du deshalb seine Liebe für dich in Zweifel? Er ändert sich nicht, – «Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.» Wenn Er dich «zwei Tage» oder zwei Wochen oder zwei Jahre auf Erhörung warten lässt, zweifle nie an seiner Liebe für dich.
«Danach spricht Er dann zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen.» Christus handelt hier, wie immer, in Übereinstimmung mit dem Plan Gottes für Ihn, keine Minute vor oder nach der bestimmten Zeit. «Die Jünger sagen zu ihm: Rabbi, eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wiederum gehst du dahin?» Unser Herr ist sich voll bewusst, dass Er, wenn Er nach Judäa geht, leiden und sterben muss. Seine Jünger wollten Ihn hindern, dorthin zu gehen, und wünschten auch selber nicht, dort zu sein. Manchmal sendet uns Gott an einen Ort, wo wir nicht hingehen möchten. Aber überlege, welcher Segen wäre den Jüngern entgangen, wenn sie sich geweigert hätten, mit Jesus nach Judäa zu gehen! Das Miterleben des grössten Wunders des Herrn hätten sie verpasst. Die Antwort von Christus an seine Jünger ist sehr lehrreich (Vers 9). – «Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag wandelt, stösst er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht.» Er braucht hier den «Tag» als ein Bild für das Leben eines Menschen. «Zwölf Stunden» gibt es in den Tagen meines und deines Lebens. Diese «zwölf Stunden» unseres Lebens sind uns von Gott gegeben, um die Werke zu tun, die Er für uns zuvor bereitet hat. «Zwölf Stunden» – wie schnell eilen sie vorbei, und bald werden wir über deren Verwendung Rechenschaft ablegen müssen. Christus verlor nie eine Minute der «zwölf Stunden» seines Tages hier auf der Erde. «Das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte», sagte Er zu seinem Vater, als Er sich dem Ende seines irdischen Lebens näherte.
In Vers 10 sagt Christus: «Wenn aber jemand in der Nacht wandelt, stösst er an, weil das Licht nicht in ihm ist.» Wenn ich ohne Licht von Gott wandle, strauchle ich. Wenn ich aber nach Licht für meinen Pfad verlange, so muss ich es von Gott her bekommen, durch das Lesen seines Wortes und durch Gebet.
«Dies sprach er, und danach sagt er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken.» Die Griechen nannten ihre Friedhöfe «Schlafstätten» und auch das englische Wort «Cemetery» lautet, wörtlich übersetzt, «Schlafplatz». Das Neue Testament braucht das Wort «Schlafen» nur in Verbindung mit dem Tod des Gläubigen. Vers 14: «Dann nun sagte ihnen Jesus geradeheraus: Lazarus ist gestorben; und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht dort war, damit ihr glaubt.» Lazarus stirbt, und Jesus ist froh, ja, aber nur um der Jünger willen, denn sie sollten in der Auferweckung des Lazarus die wundervollste Entfaltung der Göttlichkeit des Herrn Jesus schauen, was sich dann als grösste Hilfe für ihren Glauben erweisen würde. Vers 15: «Aber lasst uns zu ihm gehen! Da sprach Thomas, der Zwilling genannt wird, zu den Mitjüngern: Lasst auch uns gehen, dass wir mit ihm sterben!», d.h. mit Christus. Der gute Thomas wünschte hier auf der Erde nicht ohne Christus zu leben.
«Als nun Jesus kam, fand er ihn schon vier Tage in der Gruft liegen.» Der Sohn des Menschen sollte sich jetzt als Sohn Gottes erweisen durch die Auferweckung des Lazarus, der vier Tage lang in der Gruft gelegen hatte. «Martha nun, als sie hörte, dass Jesus komme, ging ihm entgegen. Maria aber sass im Haus… Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben … Sie ging hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sagte: Der Lehrer ist da und ruft dich. Als aber diese es hörte, stand sie schnell auf und ging zu ihm.» Die Juden alle, die von Jerusalem gekommen waren, um sie zu trösten, gelten Maria nichts mehr. «Ich habe Christus», schien sie zu sagen, «was brauche ich mehr.» Lerne in guten Tagen «zu seinen Füssen» sitzen, lieber Freund, dann wirst du, wenn der Tag der Trübsal kommt, dort eine tiefe Ruhe und einen wunderbaren Frieden finden. «Als nun die Juden, die bei ihr im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass Maria schnell aufstand und hinausging, folgten sie ihr, indem sie sagten: Sie geht zur Gruft, um dort zu weinen.» Maria fällt zu seinen Füssen nieder und spricht zu Ihm: «Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben.» Ach, wie wenig kannte sie das wunderbare Ziel, das Gott mit diesem allem verfolgte. «Als nun Jesus sie weinen sah und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, seufzte er tief im Geist und erschütterte sich und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen zu ihm: Herr, komm und sieh! Jesus vergoss Tränen.» Johannes macht keine Bemerkung dazu. Die Szene ist zu heilig, die Tränen sind zu kostbar, als dass menschliche Gedanken hier eindringen und menschliche Lippen eine Bemerkung darüber äussern dürften. «Jesus nun, wieder tief in sich selbst seufzend, kommt zur Gruft … rief mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, an Füssen und Händen mit Grabtüchern gebunden.»
Nirgendwo sonst zeigt sich unser Herr so deutlich als Gott und Mensch in einer gesegneten Person. Er ist Gott und auferweckt in seiner Macht einen Menschen aus dem Tod. Er ist aber auch Mensch und weint mit den Weinenden.
In Vers 43 lesen wir, dass Jesus den Verstorbenen mit lauter Stimme rief. Wir erwarten gemäss der Verheissung des Wortes Gottes den gebietenden Zuruf dieser selben Stimme an die Toten in Christus: «Der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf … vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten» (1. Thes 4,16-18).