«Lasst uns hinzutreten», sagt das Wort, in die heiligen Örter, in das Heiligtum des dreimal heiligen Gottes, dessen Herrlichkeit den Himmel und die Erde erfüllt.
Den Israeliten war geboten, sich Ihm nicht zu nahen, als Er in prachtvoller Herrlichkeit auf den Berg Sinai herabgestiegen war. Jedes lebendige Wesen musste voll Furcht von fern stehen. So furchterregend war sein Lichtglanz, dass Mose ganz erschreckt und voll Zittern war.
Gott hatte in seiner Langmut und Gnade eingewilligt, inmitten seines Volkes Israel anwesend zu sein, aber Er blieb im Allerheiligsten der Stiftshütte verborgen, abgesondert durch einen Vorhang, einer unüberschreitbaren Schranke, die niemand wegbewegen durfte, ohne den Tod zu finden.
Auf der einen Seite dieses Vorhangs war der erhabene Gott, der Schöpfer aller Dinge, der grosse, mächtige und furchtbare Gott – das Leben und das Licht. Auf der anderen Seite war der schuldige Mensch, der Sünder und Rebell, der Feind Gottes – die Finsternis und der Tod.
Gott konnte diesen Vorhang nicht hochheben oder zerreissen, ohne sein Gericht, das unerbittliche Urteil der göttlichen Gerechtigkeit auszuüben: «den Lohn der Sünde», «den Tod». Zwischen Gott und den Menschen war keine Gemeinschaft möglich. Gott konnte aber nicht zulassen, dass der Mensch als Kind des Zorns vor Ihm erschiene, denn Er wollte nicht den Tod des Sünders.
Gott ist Liebe. Er liebt den Sohn, und Er will die Menschen an dieser Liebe teilhaben lassen. Das war in seinen ewigen Ratschlüssen, das war der Wille des Herrn, den nur der Sohn erfüllen konnte. Er sagt zum Vater: «Ich komme, um deinen Willen zu tun.» Er steigt vom Himmel herab; Er macht sich zu nichts; Er wird Mensch in Armut und Leiden. Er entspricht in göttlicher Vollkommenheit und völligem Gehorsam allem, was die Gerechtigkeit Gottes vom Menschen verlangte. Er lässt sich als reines und heiliges Opfer ans Kreuz nageln. Er ist das Lamm Gottes, das sein Leben lässt, dessen Blut den Menschen von seinen Sünden reinigt und die Sünde der Welt wegnimmt.
Er ist es, der uns den Himmel öffnet und uns in das Heiligtum eintreten lässt. Gott selbst, dessen Gerechtigkeit und Liebe völlig befriedigt sind, zerreisst den Vorhang, der uns von Ihm trennte und uns sein Angesicht verhüllte, und Er lädt uns ein herzuzutreten.
Welches Vorrecht und welche Hilfsquelle! In voller Freiheit in das Heiligtum eintreten! Den Herrn mit aufgedecktem Angesicht betrachten und Ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt sehen!
Gott hat nicht nur eingewilligt, den Vorhang etwas zu öffnen, um uns zu erlauben, einen Blick ins Innere seines Heiligtums zu werfen. Er hat ihn von oben bis unten zerrissen, damit wir frei eintreten können. Jedoch hat Er ihn nicht zum Verschwinden gebracht, sondern hat ihn bestehenlassen.
Um in das Heiligtum einzutreten, müssen wir durch diesen Vorhang gehen, und jedes Mal, wenn wir es tun, gehen wir durch einen zerrissenen Vorhang hindurch, «das ist sein Fleisch», das Fleisch Jesu, mit der lebendigen und unauslöschlichen Erinnerung in unseren Herzen an sein für uns vergossenes Blut. Dieses Blut ging uns voraus und folgt uns nach ins Heiligtum, und es sagt immer wieder, weshalb wir dort mit voller Freimütigkeit eintreten können; es spricht vom Kreuz Jesu Christi. Wir sehen Ihn selbst durch Glauben mit seinen Nägelmalen und seiner durchbohrten Seite. Er zieht uns an und heisst uns hinzutreten.
Lasst uns hinzutreten! Sind es nicht inniges Vertrauen, Ruhe und Frieden, die uns mit dem Herrn verbinden? Jesus ist da, der anbetungswürdige Heiland und Freund unserer Herzen. Je näher wir zu Ihm treten, desto mehr verstehen wir die Ausdehnung seiner Liebe: ihre Breite, ihre Länge, ihre Tiefe, ihre Höhe. Diese Liebe besteht schon lange, schon vor Grundlegung der Welt. «Ja, mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dir fortdauern lassen meine Güte» (Jer 31,3) und nichts wird uns davon scheiden können (Röm 8,35).
Ohne Zweifel ist es nur durch Glauben – und wie schwach ist unser Glaube –, dass wir uns zum Heiligtum erheben können, zu einer solchen Höhe und in eine solche Nähe Gottes. Aber gesegnet und glücklich für unsere Herzen sind die Momente, in denen wir sie verwirklichen, wenn auch in äusserster Schwachheit. Sie sind ein Vorgeschmack des unaussprechlichen und ewigen Glücks, immer bei Jesus zu sein, im Himmel selbst, wo Er uns eine Stätte bereitet hat.
In Hebräer 4,16 werden wir ermahnt, zum Thron der Gnade im Heiligtum hinzuzutreten. Da finden wir unseren Hohenpriester, den Herrn Jesus, der durch die Himmel gegangen ist. Nur Er kann uns im Glauben aufrechterhalten und Mitleid haben mit unseren Schwachheiten, Er, der mehr als irgendein Mensch in seiner Menschheit leiden musste, mit einem Herzen, das unsere Leiden getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen hat. «Seine Erbarmungen sind nicht zu Ende; sie sind alle Morgen neu» (Klgl 3,23). Wir finden vor diesem Thron der Gnade göttliche Barmherzigkeit und die Hilfe, die wir jeden Augenblick nötig haben. Möchten wir doch nur da und nirgendwo sonst, auch nicht in uns selbst, Kraft und Stütze suchen.
Aber wenn wir uns mit Gebet und Flehen, im Vertrauen zu Gott wenden dürfen, so haben wir uns daran zu erinnern, dass wir abgesondert worden sind, um Anbeter zu sein. Wir kommen auch in sein Heiligtum, die Herzen erfüllt von Christus, um durch Ihn Opfer des Lobes darzubringen, mit Lippen, die seinen Namen bekennen! Welche Gunst und welches Vorrecht, in unserem Gottesdienst in der Gegenwart des Vaters etwas von den Vollkommenheiten seines Sohnes empfinden und ausdrücken zu können, etwas von seiner Hingabe, seinem Gehorsam. Da dürfen wir Ihn betrachten, indem wir uns vor dem Vater niederbeugen und Ihn anbeten, der uns den Sohn gegeben hat.
Treten wir also hinzu in voller Gewissheit des Glaubens, mit einem wahren Herzen ohne Heuchelei, um anzubeten. Aber achten wir auch auf die Heiligkeit unseres praktischen Wandels, denn es wird uns gesagt: «Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel!» (1. Pet 1,15). Und möchten wir in unseren Herzen den tiefen Wunsch haben, den David ausgedrückt hat: «Eins habe ich von dem HERRN erbeten, danach will ich trachten: zu wohnen im Haus des HERRN alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit des HERRN und nach ihm zu forschen in seinem Tempel» (Ps 27,4).