«Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus; und er ging hin an einen öden Ort und betete dort» (Mk 1,35).
Das Evangelium nach Markus, das uns Jesus Christus als Diener beschreibt, beginnt mit den Worten:
«Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes.» Der Leser soll bei allen Kapiteln nicht vergessen, woher dieser Diener gekommen ist. Er, der in Gestalt Gottes war, hat sich selbst zu nichts gemacht und nahm Knechtsgestalt an. Er, für den Unterwerfung etwas Neues war, wurde gehorsam. Er musste lernen, diese Stellung einzunehmen. Doch hat Er ihr von Anfang an vollkommen entsprochen. Das Bewusstsein, Gottes Sohn zu sein, hinderte Ihn keineswegs daran.
Wie der Heilige Geist, ist auch Er eine Person der Gottheit, doch als Mensch wurde Er vom Geist erfüllt und geleitet. Der Geist Gottes kam wie eine Taube auf Ihn herab, als Er im Jordan mit den Bußfertigen aus Israel getauft wurde. Doch «eine Stimme erging aus den Himmeln: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden». Das wollte der Vater von Anfang des Dienstes in Niedrigkeit, den sein Sohn jetzt begann, festhalten. Wenn Gott auf die ganze Laufbahn Jesu als Diener herabschaute, hat Er die Herrlichkeit nie vergessen, die Er bei Ihm hatte, «ehe die Welt war» (Joh 17,5). Für Gottes Herz war es überaus kostbar zu sehen, wie Er, sein «Genosse» von Ewigkeit, sich als Mensch verhielt, von Herzen demütig war und ununterbrochen gehorchte.
Im Wort Gottes werden oft kleine Szenen beschrieben, die uns in einfachen Worten die immerwährende Abhängigkeit dieses unvergleichlichen Dieners zeigen, so z.B. in Markus 1,35-38.
Wir wissen nicht, wo die Jünger die Nacht zubrachten und wo Er geschlafen hat, der als Mensch «nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege». Aber frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand Er auf. Er wollte beten. Aber nicht hier, wo die Menschen so nahe waren, sondern an einem öden Ort. Bevor seine täglichen Aufgaben begannen, wollte Er allem entfliehen, was Ihn hindern konnte, das Angesicht seines Gottes zu suchen.
Wenn wir am Morgen erwachen, überfällt uns so leicht der ganze Druck unserer täglichen Pflichten und Aufgaben. Wir sind dann versucht, uns sogleich dahinter zu machen und nach gewohntem Ablauf unsere eigenen Dispositionen zu treffen. – Dass doch das Beispiel des vollkommenen Dieners jeden Tag vor unseren Blicken wäre! Lasst auch uns vor allen Dingen den ungestörten Ort aufsuchen, wo wir in Ruhe die Stimme Gottes, des Vaters, hören. Da will Er uns den Weg weisen, den wir heute wandeln sollen, und da können wir seinem Gnadenthron nahen, um dafür Gnade zu finden zu rechtzeitiger Hilfe.
Der Herr Jesus hat sich nicht bei seinen Jüngern abgemeldet. Auch ihre Begleitung wäre Ihm jetzt ein Hindernis gewesen. Er war darauf bedacht, dass dieser morgendliche Kontakt mit seinem Vater ungeteilt blieb und seine Gedanken und Kräfte nicht schon von andern Personen oder Dingen beansprucht wurden.
Aber beim Erwachen des Tages kommen Simon und die andern. Als sie Ihn finden, melden sie: «Alle suchen dich.» Wird Er nun seinen Dienst wie gestern fortsetzen? Nein, Er hat jetzt eine andere Weisung und sagt zu den Jüngern: «Lasst uns woandershin gehen in die nächsten Ortschaften.» Er erfüllte seinen Dienst nicht gewohnheitsmässig. Er war bereit, jeden Tag da zu dienen, wo Gott es wollte.
Während des Tages nahmen Ihn die Menschen voll in Beschlag. Gottes Geist leitete Ihn dazu, den Menschen das Reich Gottes zu predigen und ihre Kranken zu heilen. Diese intensive Beschäftigung mit den Menschen war nicht nur eine äusserliche Inanspruchnahme seiner göttlichen Kraft; Er war dabei auch innerlich bewegt: «Doch er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen» (Jes 53,4).
Schon der Prophet hat im Blick auf diesen einzigartigen göttlichen Diener eine Weissagung bekommen, die uns weitere Einzelheiten über seine morgendliche Zwiesprache mit seinem Gott gibt:
«Der Herr, HERR, hat mir eine Zunge der Belehrten gegeben, damit ich wisse, den Müden durch ein Wort aufzurichten. Er weckt jeden Morgen, er weckt mir das Ohr, damit ich höre wie solche, die belehrt werden. Der Herr, HERR, hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen» (Jes 50,4.5).
Auch da wird vom ewigen Sohn Gottes als Mensch geredet. Als von Herzen demütig, stellt Er sich den andern gleich, die als Jünger belehrt werden müssen. Auch seine Zunge nennt Er «eine Zunge der Belehrten». Wie Gott seinen Dienst gebrauchen wollte, so führte Er ihn aus. Wie vorausgesagt, kam Er als Heiland (Jes 43,3) und in Gnade zu seinem Volk: «Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen» (Jes 42,3). Da, wo unter ihnen durch Glauben – wenn auch schwach – Leben vorhanden war, bemühte Er sich, es nach Gottes Willen anzufachen und «die Müden durch ein Wort aufzurichten». Später, bei der Aufrichtung seines Reiches wird seine Stimme «die Zedern des Libanon zerbrechen» (Ps 29,5), aber bei seinem ersten Kommen sandte Ihn Gott nicht «um zu richten, sondern um zu erretten» (Joh 3,17). Oh, welche Übereinstimmung zwischen Gott, dem Vater, und seinem Sohn, der Ihm in Knechtsgestalt auf der Erde diente! Für diese Aufgabe belehrte Er Ihn. Die meisten des Volkes verachteten einen solch demütigen Christus, aber Er selbst übte diesen vom Vater empfangenen Dienst zu dessen Verherrlichung und Wonne mit aller Hingabe aus.
So ist, nebenbei gesagt, der Dienst des Evangeliums, für den wir belehrt werden, in der Welt verachtet, aber lasst ihn uns zum Wohlgefallen unseres Herrn, der ihn uns aufgetragen hat, nach seinem Beispiel erfüllen! Dazu gehört auch, dass wir einander ermuntern (1. Thes 4,18; 5,11; Heb 3,13; 10,25).
Der Weg, den unser Herr als Diener Gottes zu gehen hatte, und wozu Ihm jeden Morgen das Ohr von oben geöffnet wurde, beanspruchte täglich alle seine körperlichen und inneren Kräfte. Jeden Tag musste Er «dem Widerspruch von den Sündern» begegnen (Heb 12,3), weil Er Gott in Gnade und Wahrheit offenbarte. Der treue Zeuge wurde wegen seiner Niedrigkeit und Armut verachtet und als «das Licht» gehasst (Joh 3,19). Aber ob Er geleitet wurde, den Tempel von den Ochsenverkäufern und Wechslern zu reinigen, oder ob Er geführt wurde, die Freunde in Bethanien zu besuchen, Er war gegenüber den Weisungen Gottes nie widerspenstig und wich nicht davor zurück.
Oh, Er hatte nicht nur am Morgen ein offenes Ohr. Er führte auch jeden Tag aus, was Er gehört hatte. Sein nie wankender Gehorsam trat besonders hervor, als die Stunden seiner völligen Verwerfung und seines Weges zum Kreuz anbrachen. «Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel» (Jes 50,6). Und Er stieg nicht vom Kreuz herab, als die Stunden des Gerichts nahten. Er harrte aus, bis das Werk vollbracht war.
Ja, Er war ohne Unterbruch gehorsam, bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Dabei wusste Er jedoch: «Aber der Herr, HERR, hilft mir; darum bin ich nicht zuschanden geworden, darum machte ich mein Angesicht wie einen Kieselstein und wusste, dass ich nicht würde beschämt werden» (Jes 50,7). Dabei hatte Er das tiefe, unerschütterliche Vertrauen: «Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir» (Joh 16,32).
Gepriesen sei sein herrlicher Name!
Frühmorgens! Wenn der Sohn Gottes, der Mensch geworden ist, in des Tages Frühe in die Öde ging, um zu beten und mit seinem Gott Zwiesprache zu halten, wie könnten dann wir ohne eine solche stille Zeit am Morgen auskommen? Es ist ein unschätzbares Vorrecht, durch den Geist die Stimme Gottes in seinem Wort zu hören und Ihm den vor uns liegenden Tag mit allen uns bewussten Aufgaben anbefehlen zu können. Er gebe uns aber auch, das was Er uns zeigt, in vollem Vertrauen auf seine Gnade und Kraft in Abhängigkeit und in treuem Gehorsam auszuführen.