Ein brennendes Herz

Lukas 24,32

«Sie sprachen zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg zu uns redete und als er uns die Schriften öffnete?» (Lk 24,32).

Die beiden Jünger, die so redeten, schauten auf einen ereignisreichen Tag zurück. Sie waren mit schweren Herzen und traurigen Gesichtern von Jerusalem weggegangen. Die Vororte um sie herum, durch die sie wanderten, zeigten die Schönheit und das frische Leben der beginnenden Erntezeit. In der Stadt hinter ihnen drängten sich viele Anbeter durch die Vorhöfe des Tempels mit ihren Opfergaben von den «Erstlingen aller Frucht des Erdbodens» (3. Mo 23,10; 5. Mo 26).

Aber die beiden Jünger hatten sich mit traurigem Herzen von all dem abgewandt. Sie konnten dem HERRN keinen Korb mit Erstlingsfrüchten darbringen. Sie waren mit dunkler Verzweiflung erfüllt. Sie fühlten sich wie ihr «Vater», der ein umherirrender und umkommender Aramäer war (5. Mo 26,5). Sie fanden nichts Gutes, worüber sie sich vor Gott freuen konnten.

Ihre Herzen waren mit der Asche toter Hoffnungen erfüllt. Sie hatten an Jesus von Nazareth geglaubt, aber nun war es schon der dritte Tag nach seiner Kreuzigung. Doch sie kannten Ihn nicht als den auferstandenen Christus, als die «Erstlingsgarbe», als den Erstgeborenen einer neuen Schöpfung.

Der Herr legt den Finger auf den wunden Punkt

In diesem Augenblick ihrer tiefen Verzweiflung hörten sie die Stimme eines Fremden, der sich ihnen näherte und scheinbar Jerusalem verlassen hatte wie sie. Sie waren so mit ihrem tiefen Kummer und ihren eigenen Gedanken beschäftigt, dass ihre Augen gehalten wurden und sie Ihn nicht erkannten. Sie hatten die Türen ihrer Herzen «aus Furcht vor den Juden» fest verschlossen. Doch bald fanden die guten Worte des Meisters Eingang bei ihnen, trotz ihrer Reserve und ihrem Misstrauen. Da erzählten Kleopas und sein Begleiter dem Unbekannten alle ihre Nöte, Ängste und Enttäuschungen.

Mit der vollkommenen Kenntnis des grossen Arztes fand Er die richtige Diagnose ihrer Krankheit. Schon mit dem ersten Wort stellte Er deren Ursache fest: «O ihr Unverständigen und trägen Herzens, an alles zu glauben, was die Propheten geredet haben!» Ihr Herz war träge zu glauben und den ganzen Inhalt der Schriften aufzunehmen.

Wie gnädig und geduldig bist du, Herr! Du hast an jenem Tag nur zu zwei Jüngern geredet, aber deine Worte berühren jetzt auch uns. Wie oft waren unsere Herzen in ihrer Trägheit voll Zweifel und Befürchtungen, weil wir nur einen Teil und nicht alles erfassten von dem, was Du geredet hast. Wie oft wurden wir nach einer Zeit tiefer Mutlosigkeit zurechtgewiesen, als wir beim Lesen deines Wortes - vielleicht nur in einem oder zwei Versen - den Schlüssel zu dem Rätsel fanden, das uns verwirrt hatte. Wie manche schmerzliche Erfahrung wäre uns erspart geblieben, wenn wir mit mehr Bereitschaft an jedes Wort Gottes und an alles, was in der Bibel steht, geglaubt hätten.

Der Herr bringt die Herzen zum Brennen

Dann ging der unbekannte Fremde dazu über, ihnen in allen Schriften das zu erklären, was den Christus Israels betraf. Er lehrte sie mit Vollmacht und Autorität, nicht wie die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Seine Worte waren nicht eine frostige Darlegung des Gesetzes, sondern herzerforschend. Wenn Er sprach, wurden Herz und Nieren geprüft. Er zeigte den beiden, wie Mose und alle Propheten vorausgesagt hatten, dass der Christus leiden und in seine Herrlichkeit eingehen würde. Nach seinen Leiden würde Er in Gerechtigkeit und Frieden herrschen. So brachte Er aus dem Schatzhaus der Wahrheit Altes und Neues für sie hervor – alte Weissagungen, die nun in Christus eine neue Erfüllung fanden.

Später an diesem Abend dachten die beiden Jünger über die Unterredung auf dem Weg nach. Die eindringlichen Worte, die sie gehört und zuerst nur schwach erfasst hatten, hatten in ihren Herzen Eingang gefunden. Nun sagten sie zueinander: «Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg zu uns redete und als er uns die Schriften öffnete?»

Das Feuer brannte schon eine Weile in ihnen, bevor sie das Angesicht ihres geliebten Meisters erkannten. Er kam zu ihnen, als ihre Augen verdunkelt, ihre Ohren verstopft und ihre Füsse wie Blei waren und von den anderen Jüngern weggingen. Aber durch den geheimnisvollen Hauch des Geistes des Lebens in Ihm war der glimmende Docht der Liebe und der Hingabe in ihren Herzen zu einer hellen Flamme entfacht worden. Nun wussten sie, wer zu ihnen gesprochen hatte, wer diese innere Wärme und einen schnelleren Puls hervorgerufen hatte. Ihr Herr war tatsächlich auferstanden!

Sie wussten nun, dass der Verurteilte und Gekreuzigte wirklich der Erlöser Israels war, wie sie es zuvor gehofft hatten. Obwohl sie drei Tage und Nächte gezweifelt hatten, waren sie jetzt durch die Auferstehung des Herrn Jesus aus den Toten «zu einer lebendigen Hoffnung» wiedergezeugt worden (1. Pet 1,3). Sie hatten sich vorher von den Aposteln und ihrem Glauben entfernt. Doch der auferstandene Messias hatte sie zu sich «gelockt» und zu ihren Herzen geredet. So hatte Er ihnen im Tal von Achor eine Tür der Hoffnung aufgetan (Hos 2,16.17).

Der Herr spricht heute noch die Herzen an

Was diese beiden Jünger von sich selbst bezeugten, ist auch heute oft bei denen wahr, die nur an einen gestorbenen Christus denken und dabei vergessen, dass Er jetzt lebt. Es gibt manche solcher Wanderer, die mutlos und mit erkalteten Herzen vom Weg abirren. Das Leben ist für sie eine Last geworden, obwohl sie auf dem Weg zum Himmel sind.

Wer Christus und die Kraft seiner Auferstehung zu wenig kennt, dem fehlt die Kraft und Freude der Jüngerschaft, was immer er sonst besitzen mag. Er mag sich beim Vorangehen auf alle Weise mit anderen aussprechen und dennoch traurig sein.

Er mag die äusseren Beweise kennen, die zeigen, dass der Meister wieder auferstanden ist. Ein «Gesicht von Engeln» hat es gesagt. Einige Jünger haben das leere Grab gesehen. Aber welche Kraft hatten diese Beweise für die zwei, «die ihn nicht erkannten»? Die leere Gruft appellierte an den Verstand, aber sie liess das Herz leer. Sie brauchten den Herrn, den sie verloren hatten.

«Oh, wenn ich Ihn doch fände!», rufen heute manche aus, die sich zwar im Glauben auf das Werk von Golgatha stützen, aber nicht mit dem auferstandenen Christus leben. Verzweifelt sagen sie wie einst Mose: «Wenn dein Angesicht nicht mitgeht, so führe uns nicht von hier hinauf.»

Das Heilmittel, das von geistlicher Trostlosigkeit befreit, ist heute das gleiche wie damals für die Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Lassen wir doch den unsichtbaren und verherrlichten Herrn und Heiland als unseren Begleiter zu uns reden! Seine Worte sollen in uns bleiben, bis wir ihre Wärme fühlen. Lasst uns darüber nachdenken, bis das Feuer die Kälte vertreibt. Zuerst müssen wir seine Worte kennen, die unsere Herzen zum Brennen bringen, bevor wir sein strahlendes Angesicht sehen und von dem Frieden und der Freude seines Sieges erfüllt sein können.

Ist in irgendeinem Herzen Lauheit? Nur das Wort des lebendigen Herrn kann im Innern die helle Flamme entzünden. Ist jemand weder kalt noch warm? Möge der Herr durch die Bibel zu einem solchen reden, dann wird sein laues Herz wieder zu brennen beginnen.

Wenn unsere Herzen für den Herrn brennen, haben wir mehr Freude im christlichen Leben! Dann sind wir alle «inbrünstig im Geist; dem Herrn dienend» (Röm 12,11). Kühler Lobpreis, mattes Gebet, liebloser Dienst kommen nicht aus Herzen, die durch das Wort des Herrn berührt worden sind. In jedem von uns will Er den glimmenden Docht anfachen und die Herzen zum Brennen bringen.