Wer durch Glauben ein Eigentum des Herrn Jesus wird, weiss, dass alle seine Sünden vergeben sind. Bei seiner Bekehrung hat er viele seiner Vergehungen, die ihm bewusst waren und sein Gewissen belastet hatten, vor Gott bekannt. Aber das war nur ein kleiner Teil der Verfehlungen seines bisherigen Lebens. Trotzdem wurde er von allen gereinigt, auch von denen, die er nie erkannt oder die er vergessen hatte. Was David in Psalm 19,13 ausspricht, muss jeder Mensch bekennen, der zum ersten Mal in Buße ins Licht Gottes tritt: «Verirrungen, wer sieht sie ein? Von verborgenen Sünden reinige mich!»
Was ist Sünde?
Das Gewissen des Menschen, der gewohnt ist, ohne Gott dahinzuleben, ist mehr oder weniger abgestumpft. Fragt man ihn: Was ist Sünde? so wird er hauptsächlich das nennen, was die Mitmenschen schädigt: Betrug, Dieberei, Raub, Mord, Ehebruch und ähnliche Dinge.
Wer sich aber von seinem alten Leben zu Gott bekehrt hat und sich nun bemüht, in seinem Licht zu wandeln, wird in seinem Sinn erneuert (Röm 12,2; Eph 4,23). In zunehmendem Mass wird er die früheren Lebensgewohnheiten revidieren und sich vom Einfluss dieses Zeitlaufs säubern und abgesondert halten. Nun prüft er, was für sein Leben der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.
Fragt man einen solchen Christen: Was ist Sünde? so wird er nicht bloss die obigen groben Dinge nennen, sondern sagen: Alles, was in irgendeiner Weise gegen den Willen Gottes, alles, was vor Ihm nicht recht ist. «Jede Ungerechtigkeit ist Sünde» (1. Joh 5,17).
Es gibt aber Sünden, die manchen Kindern Gottes nicht als solche vorkommen. Da seien nur zwei Dinge erwähnt: Nichtbeachten und Nichtbefragen des Wortes Gottes, indem man unabhängig von Ihm, im Eigenwillen vorangeht und die eigenen Gedanken tut. (Lies: 1. Sam 15,22.23; Jes 30,1.2). «Stolz der Augen und Überheblichkeit des Herzens … sind Sünde» (Spr 21,4).
Eine böse Entdeckung
Wer noch nicht lange auf dem Glaubenspfad vorangeht, kann nach der anfänglichen Freude über sein Heil in Jesus Christus leicht in eine Krise geraten. Er meinte, nun nichts mehr mit der Sünde zu tun zu haben, und nun muss er entdecken, «dass er fleischlich ist, unter die Sünde verkauft». Er stellt fest: «Das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde.» Alle seine Tatsünden, die sein Gewissen belasteten, wurden ihm um Christi willen vergeben, aber nun wird er gewahr, dass die Sünde als zweite Natur, als Quelle in ihm wohnt und gegen den Willen des erneuerten Menschen, der neuen Natur, immer wieder Böses hervorbringt. Das kann bei einem wahrhaft Gläubigen den Verzweiflungsschrei hervorrufen: «Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?» (lies Römer 7).
Frei gemacht von der Sünde
Dieser Schrei war nicht der letzte Ausruf jenes Christen in Römer 7; er durfte in seinem enormen Problem den göttlichen Ausweg sehen. Er ruft aus: «Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!» Christus ist am Kreuz nicht nur für unsere Sünden gestorben, die wir getan haben, sondern auch für uns selbst, die an Ihn Glaubenden, und wir sind mit Ihm gestorben. Römer 6 belehrt uns darüber. Wenn du eine echte Bekehrung erlebt und dich von Herzen Jesus Christus als deinem Heiland und Herrn im Glauben übergeben hast,
- ist dein alter Mensch mit Christus mitgekreuzigt worden (Vers 6);
- bist du mit Christus gestorben (Vers 8);
- bist du somit für immer der Sünde gestorben (Verse 2.10);
- bist du einsgemacht in der Gleichheit des Todes Christi (Vers 5);
- bist du, wenn du getauft bist, auf den Tod von Christus getauft und mit ihm begraben (Vers 4);
- bist du somit von der Sünde frei gemacht (Verse 7.18).
Ja, aber!
Da kommt aus manchen aufrichtigen Christenherzen mit tiefem Seufzen ein «Ja, aber!» hervor. Ja, aber ich fühle mich eben nicht tot für die Sünde. Sie plagt mich jeden Tag. Unter einem Toten verstehe ich einen Leichnam, der gar kein Leben mehr hat. Ich aber ertappe mich leider immer wieder, dass mich der eigene Wille und böse Begierden erfüllen und mich antreiben, Böses zu denken und zu tun. Das macht mich dann tief unglücklich.
«Haltet euch der Sünde für tot» (Römer 6,11)
Dass ich mit Christus gestorben bin, ist für Gott ebenso unumstösslich wie die Tatsache, dass Christus für mich Gläubigen gestorben ist. Sein Wort bezeugt es ausdrücklich.
Solange ich aber in meinem sterblichen Leib lebe, wird dieses Mitgestorbensein für mich nur durch Glauben zur praktischen Tatsache. Will ich diese auf den Tod Christi gegründete und im Wort Gottes verbürgte Wahrheit in den Gliedern meines Leibes sehen, geht es mir wie dem Gläubigen in Römer 7, der ob dem Bösen in seinem Fleisch schier verzweifelte. Der Glaube sieht nicht auf die eigene Unfähigkeit zum Siegen über die Sünde, er schaut allein auf den Erretter, der durch seinen Tod die Frage der Sünde in mir göttlich vollkommen gelöst hat.
Um aber fortwährend in dieser Befreiung von der Sünde leben zu können, ist es erforderlich, dass der Erlöste fortwährend den alten Grundsatz verwirklicht, der auch im Neuen Testament dreimal wiederholt wird: «Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben» (Habakuk 2,4). Nicht nur zeitweise, sondern ständig soll das die Lebensweise des «Gläubigen» sein. Die Apostel ermahnten die neubekehrten Jünger in Kleinasien, «im Glauben zu verharren» (Apg 14,22).
In Neuheit des Lebens wandeln
In dem Mass, wie für den Glaubenden sein Mitgestorbensein mit Christus zur Wirklichkeit geworden ist, wird es ihm nun möglich sein, «in Neuheit des Lebens zu wandeln» (Röm 6,4). Er hat ja durch Glauben an den Sohn Gottes schon bei seiner Bekehrung ewiges Leben empfangen. Aber solange das Fleisch in ihm noch wirken konnte, war es ein Hindernis, eine Bremse für das Leben aus Gott.
Die «Neuheit des Lebens» zeigt sich bei solchen Gläubigen darin, dass es gegenüber dem alten Leben eine neue Zielrichtung hat. Sie halten sich der Sünde für tot, aber «Gott lebend in Christus Jesus» (Vers 11). Sie leben nicht sich selbst, sondern stellen sich Gott dar als Lebende aus den Toten und geben ihre Glieder Gott hin zu Werkzeugen der Gerechtigkeit (Vers 13), um statt des eigenen, den Willen Gottes zu tun.
Wenn unsere Herzen in dieser Neuheit des Lebens zu wandeln wünschen, die uns in diesem Kapitel so deutlich beschrieben wird, so sind wir nicht mehr unter den Forderungen des Gesetzes, sondern unter der Gnade, die uns in ihrer göttlichen Fülle geschenkt ist (Vers 14).
Sollten wir sündigen?
Sind wir erstaunt, dass der Apostel in Römer 6 zweimal diese Frage stellt (Verse 1 und 15)? Es gibt doch wohl kaum echte Christen, die so etwas offen fragen. Aber bei uns Gläubigen kann es praktisch doch vorkommen, dass wir es – wenigstens zeitweise – mit der Sünde nicht so genau nehmen, indem wir z.B. dem eigenen Willen leben oder uns von dieser Welt beeinflussen lassen. Dabei könnte das Gefühl mitschwingen: Wir stehen ja in der Gnade!
Die erste Frage: «Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme?» verurteilt und beantwortet Paulus, wie wir gesehen haben, durch die Belehrung, dass wir mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus einsgemacht worden sind, und uns daher dem Bereich der Sünde entziehen können. Die Gnade duldet das Böse keineswegs, vielmehr unterweist sie uns in der Gottseligkeit.
Auf die zweite Frage: «Sollten wir sündigen, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind?», die von Leuten gestellt werden konnte, die vorher unter Gesetz standen, gibt der Apostel in den Versen 15-23 auch eine deutliche Erklärung: Ihr seid unweigerlich die Sklaven dessen, dem ihr gehorcht, entweder der Sünde zum Tod oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit.
Wir irren sehr, wenn wir meinen, vom Gesetz befreit sein und auf dem Boden der Gnade stehen heisse, in gewissem Mass vom Gehorsam gegen Gott befreit sein. Denn was machen wir dann? Wir gehorchen wieder dem Eigenwillen und werden so Sklaven der Sünde, statt Sklaven der Gerechtigkeit zu sein. Es gibt nur das eine oder das andere; da ist kein neutraler Mittelweg.
Gottes Sklaven
O nein, viel lieber wollen wir jetzt von ganzem Herzen Sklaven Gottes (Vers 22) sein, der sich uns in seinem eigenen Sohn im unendlichen Reichtum seiner Liebe, seines Erbarmens, seiner Gnade und seiner Heiligkeit offenbart hat! Die Glieder unseres Leibes und alle unsere Gaben seien Ihm geweiht. Statt der bösen und schädlichen Frucht eines von Gott unabhängigen Lebens, kann dann aus dem Dienst der Gerechtigkeit durch Gnade eine «Frucht der Heiligkeit» hervorgehen, die zur Ehre Gottes und zum Segen für andere ist.
Es genügt dem Erlösten nicht, die Lehre der Befreiung zu kennen. Sein Herz muss auch auf den gerichtet und von dem erfüllt sein, der uns zuruft: «Bleibt in mir … denn ausser mir könnt ihr nichts tun.» In seiner Nachfolge lernen wir, getrennt von der Sünde, Gott wohlgefällig zu dienen.