Das «Geheimnis des Christus», das die Bildung seiner Versammlung betrifft, war in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden (Eph 3,5). Es wurde erst «jetzt» seinen heiligen Aposteln und Propheten des Neuen Testaments offenbart, in erster Linie dem Apostel Paulus. Dass nicht nur Gläubige aus den Juden, sondern auch aus den Nationen zu dieser Versammlung, zum himmlischen Volk Gottes, gehörten, war eine grosse Neuigkeit. Wo immer diese Botschaft verkündigt wurde, rief sie unter den ungläubigen Juden schärfsten Widerstand hervor. Aber er vermochte die Ausbreitung der Versammlung nicht zu verhindern, weil ihr Bestehen nach dem Ratschluss Gottes ist.
Schon oft wurde aber darauf hingewiesen, dass in den Schriften des Alten Testaments Bilder zu finden sind, die in deutlicher Weise von Christus und seiner Versammlung reden. Damals waren diese Bilder noch verborgen. Erst der kann sie sehen und verstehen, der die Lehren des Neuen Testaments kennt.
Obwohl schon oft auf die sinnbildliche Bedeutung der nachfolgend angeführten Schriftstellen hingewiesen wurde, mag es nützlich sein, sie hier zusammenzustellen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es sich in diesen Erzählungen um fehlbare Menschen handelt. Nicht so sehr in ihrem moralischen Charakter, als vielmehr in ihren Erlebnissen und Umständen, vermögen sie auf den Vollkommenen und seine Versammlung, in ihrer herrlichen Stellung, hinzuweisen.
Adam und Eva
«Und Gott der HERR liess einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er entschlief. Und er nahm eine von seinen Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch; und Gott der HERR baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau, und er brachte sie zu dem Menschen. Und der Mensch sprach: Diese ist nun Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch; diese soll Männin heissen, denn vom Mann ist diese genommen» (1. Mo 2,21-23).
Adam ist hier mit Christus, der Mensch geworden ist, vergleichbar.
Adam war im fruchtbaren Garten Eden, umgeben von allen Tieren des Feldes und allen Vögeln des Himmels. Jedem Tier sollte er, entsprechend dem Eindruck, den es auf ihn machte, den passenden Namen geben. Aber da war keines, das ihm innerlich eine Hilfe sein konnte, die ihm entsprach und die er brauchte. Das wurde dabei deutlich.
Da sagte Gott: «Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei», – allein inmitten der vielen andersgearteten Lebewesen –, «ich will ihm eine Hilfe machen.» Er erschuf aber nicht einfach, unabhängig von ihm, einen zweiten Menschen, so wie Er den ersten gebildet hatte. Nach Gottes Gedanken war da ein Werk nötig, das in einem tiefen Sinn mit Adam zusammenhing. Dieser sollte beim Anblick seiner Frau sagen können: «Vom Mann ist diese genommen.»
Er liess einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und Adam entschlief. Dieser tiefe Schlaf war die Voraussetzung dafür, dass Eva entstehen konnte. Dabei entnahm Gott – ganz nahe dem Herzen Adams – eine seiner Rippen und baute daraus eine Frau, eine Lebensgefährtin für ihn. Als Gott sie zu dem Menschen brachte, war diesem besonders die Tatsache wichtig, dass sie Gebein von seinen Gebeinen und Fleisch von seinem Fleisch war. Das bewirkte, dass er sich mit Eva von Herzen verbunden fühlte und «seiner Frau anhing».
Wir tun dem Wort Gottes keineswegs Gewalt an, wenn wir sagen, Adam und seine Frau seien in dieser Szene ein Bild von Christus und seiner Versammlung. Denn die Schrift selbst verbindet in Epheser 5,22-33 ihre Entstehung mit der Erschaffung Evas. Die durch Glauben zu seiner Versammlung gehören, können sagen: «Denn wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen» (Vers 30). Und von Christus bezeugt das Wort hier: «Deswegen wird ein Mensch … seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist gross; ich sage es aber in Bezug auf Christus und auf die Versammlung» (Verse 31,32).
Die in Epheser 5 beschriebene Erfüllung geht weit über das Bild hinaus. Die Menschen, die die Versammlung bilden sollten, waren Sünder. Gott konnte sie nicht einfach dazu berufen. Ihre Sünden mussten gesühnt und sie selbst in Jesus Christus, «dem Geliebten», begnadigt und angenehm gemacht werden (Eph 1,6). War Er bereit dazu? Oh, Er hat «die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben» (5,25). Wohin? In die Erniedrigung, in die Leiden des Kreuzes, ins Gericht Gottes, in den Tod! Der Schöpfer stellte Eva in natürlicher Schönheit vor den passiven, aus dem Schlaf erwachten Adam hin. In der Versammlung hingegen sieht der auferstandene Christus auf ewig eine Schönheit, die sie nur durch Ihn und in Ihm besitzt. Wie einst zu Israel, seiner irdischen Braut, kann Er auch zu ihr sagen: «Ganz schön bist du, meine Freundin, und kein Makel ist an dir» (Hld 4,7). Er liebt sie mit einer ewigen Liebe.
Isaak und Rebekka
Wir kennen ihre Heiratsgeschichte (1. Mose 24). Der Heilige Geist berichtet sie uns so ausführlich, weil wir viel daraus lernen können. Auch diese Erzählung redet im Bild von Christus und seiner Versammlung, seiner Braut, und besonders davon, wie diese Herzensverbindung zustande kam. Im Zusammenhang damit werden uns vor allem vier Personen vorgestellt:
- Gott, der Vater,
- der Sohn,
- der Heilige Geist (im Knecht Abrahams) und
- die Braut.
Das Erlösungswerk des Sohnes und sein Tod für uns werden hier nicht vorgebildet. An diese Seite wurden wir durch den tiefen Schlaf Adams und dessen Folgen erinnert.
Für Rebekka ist Isaak beim Vater verborgen. Aber der Knecht beschreibt ihn und offenbart ihr dessen Herrlichkeit: Er bringt ihr goldene Ringe und zieht silbernes und goldenes Geschmeide hervor (Verse 22,53). Er redet vom grossen Reichtum des Vaters, und dass er alles, was er hatte, dem Sohn gegeben habe (Verse 35,36).
Der treue Knecht handelt in völliger Abhängigkeit von Abraham und Gott. Er will seinen Auftrag ohne Verzug erfüllen. Sobald Rebekka im Vertrauen auf sein Wort bereit ist, Isaaks Frau zu werden und zu ihm zu gehen, bricht die Karawane auf und zieht dahin, wo er wohnt.
Die Weise, wie Rebekka Isaak kennenlernte, ist eine schöne Illustration dafür, wie «das Evangelium Gottes … über seinen Sohn» (Röm 1,1.3) heute zu den Menschen kommt. Wenn Gott auch die Seinen zu dessen Verkündigung und Ausbreitung in der Welt benützt, so muss das lebendige Wort doch von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes begleitet werden, damit es Frucht bringt. Erreicht es durch Ihn Herz und Gewissen der Hörer, so kann Er in ihnen eine Neugeburt herbeiführen. Und diese Erlösten tut der Herr zu der Versammlung hinzu.
Ist das Werk des Geistes in diesen Jungbekehrten damit abgeschlossen? Nein, noch lange nicht! Als Rebekka in Erfüllung des Gebetes des Knechtes bewies, dass Gott ihr Herz aufgetan hatte, gab er ihr goldene Ringe aus dem mitgebrachten Schatz. Als aber feststand, dass sie die Frau des Sohnes sein würde, empfing sie erst recht silbernes und goldenes Geschmeide (Vers 53). Solange die Versammlung als Braut Christi noch hier auf der Erde ist und sich auf dem Weg zu Ihm befindet, wird der Heilige Geist, der in ihr wohnt (1. Kor 3,16) und sie begleitet, nicht müde, ihr die Person und die Herrlichkeit Christi, ihres Bräutigams, vorzustellen (vgl. Joh 16,14). Rebekka fragte den Knecht: «Wer ist der Mann, der uns da auf dem Feld entgegenkommt?» (Vers 65). Für die Geliebten des Herrn aber, die Ihm entgegengehen und dabei auf die Belehrungen des Geistes durch das Wort achten, indem sie von ganzem Herzen Ihn suchen, bleibt Er kein Fremder. Sie haben Ihn und seine Herrlichkeiten schon hier kennen und lieben gelernt.
Joseph und Asnat
Die Geschichte Josephs ist jedem gläubigen Bibelleser bekannt. Der Heilige Geist hat darin besonders das aufgezeichnet, was in vieler Hinsicht Jahrhunderte später mit der Geschichte des Herrn Jesus als Mensch auf der Erde übereinstimmen würde.
Als Erstes wird uns in 1. Mose 37, in der Zuneigung Jakobs zu Joseph, die vollkommene und ewige Gemeinschaft der Liebe Gottes, des Vaters, mit seinem Sohn vorgestellt. Vater und Sohn waren auch eins in ihrer Liebe zu Israel, dem Volk Gottes. So, wie Jakob seinen geliebten Sohn zu dessen bösen Brüdern sandte, um nach ihrem Wohlergehen zu sehen (Vers 14), so sandte Gott seinen Eingeborenen «zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel» und um «sein Heil zu sein bis an das Ende der Erde». Wie in einem schwachen Mass bei Joseph, so waren für den, der in Gestalt Gottes war (Phil 2,6), tiefste Erniedrigung, Leiden bis zur Unzahl, mit diesem Weg zu den «Brüdern» verbunden. Die dunkelsten Stunden erlebte unser wunderbarer Heiland aber nicht im Kerker, mit den Füssen im eisernen Stock (Ps 105,18), sondern am Kreuz, wo Er von Gott verlassen wurde und den Tod erlitt.
Die Verwerfung Josephs vonseiten seiner Brüder dauerte manche Jahre an. Das war für sein Herz ein grosser Schmerz. Was sie ihm angetan hatten, vermochte jedoch seine Liebe zu ihnen nicht auszulöschen. Ohne ihr Wissen war er vom Sklaven zum Herrscher über das ganze Land Ägypten emporgestiegen. Er war jetzt zum «Zaphnat-Pahneach» zum Retter der Welt geworden (1. Mo 41,45).
Sah der Pharao im Herzen Josephs das ungestillte Sehnen nach seiner Familie, nach den Seinen, das trotz aller Ehre, die ihm zuteilwurde, nicht befriedigt war? Aus solchen Erwägungen heraus mag er ihm Asnat, die Tochter des Priesters von On – eine Ägypterin – zur Frau gegeben haben. Sie schenkte ihm zwei Söhne; Manasse («der vergessen macht») und Ephraim («doppelte Fruchtbarkeit»). Bei ihrer Geburt sagte er: «Gott hat mich vergessen lassen all meine Mühsal und das ganze Haus meines Vaters.» Und: «Gott hat mich fruchtbar gemacht im Land meines Elends» (1. Mo 41,51.52).
Für uns, die wir nun «das Geheimnis des Christus» kennen dürfen, ist auch dieses Stück der Geschichte Josephs von bildhafter Bedeutung. Die Verwerfung Jesu Christi vonseiten seines irdischen Volkes ging nicht nur bis zum Kreuz, sondern hört bei den meisten von ihnen gar nicht auf. Selbst jetzt, wo Er zur Rechten des Thrones Gottes sitzt, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, ist Er für sie immer noch der Verworfene. Erst in der «Zeit der Drangsal für Jakob» wird einem Überrest aus den Juden die Augen geöffnet. In wahrer Buße und bitterer Wehklage werden sie Ihn erkennen und als ihren Messias annehmen (Sach 12,10-14 und andere Stellen). Auch aus ganz Israel werden sich ihnen solche anschliessen, die Ihn unter Weinen suchen (Jer 50,4.5). Diese Umkehr wird ja durch die Buße der Brüder Josephs in 1. Mose, Kapitel 42-46, prophetisch angedeutet.
Welche Freude ist es für unseren hoch erhobenen Herrn, dass Er, der Heiland der Welt, in der Zeit seiner Verwerfung durch Israel, eine Versammlung bekommen hat, sowohl aus den Nationen – wie Asnat für Joseph – als auch aus Juden, die Ihn heute im Glauben annehmen (vgl. Eph 2 und 3). Er sagt: «Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat» (Heb 2,13). In ihnen, die seit dem Herabkommen des Heiligen Geistes von neuem geboren sind und in Ihm, dem Sohn, Leben empfangen haben, sieht Er als Folge seines Werkes am Kreuz eine reiche Frucht der Mühsal seiner Seele (Jes 53,11). Und – dürfen wir es auf Ihn anwenden? – diese Braut oder diese Frau zu besitzen, tröstet Ihn für das, was Ihm im Haus «seiner Brüder» angetan wurde.