Die Kinder Israel erprobten die allgenügende Gnade des HERRN auf ihrer vierzig Jahre dauernden Wanderung durch die Wüste bis zum Ziel der ihnen verheissenen Ruhe im Land Kanaan. Manche Jahrhunderte später erinnerte der HERR durch den Propheten Jeremia das Volk an die ihm damals erwiesene Gnade: «So spricht der HERR: Das Volk der dem Schwert Entronnenen hat Gnade gefunden in der Wüste. Ich will gehen, um Israel zur Ruhe zu bringen» (Jer 31,2). Sie hatten es vergessen!
Als Gott das Volk von Ägypten wegen seiner grossen Sünden mit dem Schwert seiner Gerechtigkeit schlug und ihre Erstgeborenen tötete, waren die Kinder Israel vor diesem Gericht durch das Blut des Passahlammes geschützt, und ihre Familien wurden vom richtenden Engel verschont. Sie gingen durch das Rote Meer und gelangten zur Wüste Sinai als ein «Volk der dem Schwert Entronnenen». Während dieser Reise von drei Monaten zeigten das Manna vom Himmel, das Wasser aus dem geschlagenen Felsen und die entscheidende Niederlage Amaleks, dass das erlöste Volk von Anfang an «Gnade gefunden hatte in der Wüste».
Am Sinai gelobten die Kinder Israel Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes, brachen aber unmittelbar darauf dessen Gebote durch die Anbetung des goldenen Kalbes. Sie mussten daher mit völliger Vernichtung rechnen. Aber aufgrund der Fürsprache Moses wurden die Kinder Israel verschont und «entrannen wiederum dem Schwert.» Der HERR übte seine Oberherrschaft darin aus, dass Er sagte: «Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde» (2. Mo 33,19). Das schuldige Volk «fand Gnade in der Wüste».
Gott steckte also sein scharfes Schwert in die Scheide und führte sie weiter durch die pfadlose Wüste, am Tag in einer Wolkensäule und in der Nacht in einer Feuersäule. Er war ihr ständiger Führer und Beschützer während vierzig Jahren. Er nährte sie täglich mit dem Manna vom Himmel, und erfrischte sie mit dem Wasser vom geschlagenen Felsen. Ihre Kleider zerfielen nicht an ihnen und ihre Füsse wurden nicht geschwollen, diese ganze Zeit. Sie murrten, sie waren ungehorsam, aber der HERR war langmütig und treu; und schliesslich brachte Er sie über den Jordan ins verheissene Land. Die dem «Schwert Entronnenen hatten Gnade gefunden in der Wüste». Und in Kanaan «verschaffte ihnen der HERR Ruhe … Kein Wort fiel dahin von all den guten Worten, die der HERR zum Haus Israel geredet hatte; alles traf ein» (Jos 21,44.45).
Wie die Israeliten bei ihren täglichen Wanderungen durch die Wüste Gnade fanden, so brauchen auch wir, die wir in der gegenwärtigen Zeit auf dem Pfad des Glaubens durch feindliches Gebiet voranschreiten, den fortwährenden Zufluss göttlicher Gnade. Ohne eine solche Hilfe würden wir bestimmt völlig versagen und grössten Schaden leiden.
Aber im Hebräerbrief wird uns gezeigt, dass eine solche Hilfsquelle für uns geöffnet ist, während wir durch diese böse Welt schreiten. Die Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich besonders mit den Gefahren und Schwierigkeiten, die die Pilger bedrängen, die nach dem Eingang in jene kommende Ruhe Gottes streben, die vor uns liegt (Heb 4,1.11). Auf die ernsten Warnungen vor einem möglichen Verfehlen dieses unseres Zieles folgt unmittelbar die Erwähnung der dreifachen Vorsorge der Gnade Gottes, um jedes Bedürfnis zu stillen und solch ein Versagen zu verhüten.
Zu unserer Aufrechterhaltung auf dem Weg haben wir:
- Das lebendige Wort Gottes, um uns die absolute Wahrheit über uns selbst zu lehren (Heb 4,11-13);
- das Hohepriestertum Jesu, des Sohnes Gottes, der Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten (Heb 4,14.15), und
- der Thron der Gnade, zu dem wir freimütig hinzutreten dürfen, um Barmherzigkeit zu empfangen und Gnade zu finden zu rechtzeitiger Hilfe (Heb 4,16).
Besonders in diesen letzten Versen haben wir Verheissungen eines ausreichenden Beistandes für unsere ganze Pilgerreise. Die Hilfeleistungen der Gnade erhalten wir durch das Gebet. «Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe». Das ist nicht die Gnade Gottes, die Sündern gepredigt wird, wonach die, die glauben «umsonst gerechtfertigt werden durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist» (Röm 3,24; Tit 3,7). Es geht in Hebräer 4,16 um Gnade für den Gläubigen in der Wüste, umgeben von Prüfungen und Schwierigkeiten, Sorgen und Leiden, Schwachheiten und Feinden. Für solche ist der Thron der Gnade zu allen Zeiten zugänglich, und da kann Gnade gefunden werden «in der Wüste».
Der «Thron der Gnade» ist der Thron, wo Christus sitzt, um schwachen und bedürftigen Bittenden die Gaben der Gnade zuzumessen. Paulus wurde ein «Dorn im Fleisch» gegeben. In seiner Schwachheit flehte er dreimal zum Herrn, dass dieser weggenommen werden möge. Die Antwort des Herrn war: «Meine Gnade genügt dir; denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht» (2. Kor 12,7-9). Demzufolge rühmte sich Paulus seiner Schwachheiten, weil er in ihnen erfahren konnte, dass die Gnade Christi tatsächlich eine «rechtzeitige Hilfe» war. Durch diese Gnade kann der schwache Mensch «eine Mauer überspringen» (Ps 18,30).
In Christus ist ein unerschöpflicher Vorrat an Gnade für jene, die zu Ihm kommen. «Das Wort wurde Fleisch» und war «voller Gnade und Wahrheit». «Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen», und empfangen immer noch, «Gnade um Gnade» (Joh 1,14-16).
Die Gnade Gottes allein befähigt den Diener Christi, seine Arbeit angesichts der Feinde der Wahrheit fortzusetzen. Paulus schreibt: «Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war» (1. Kor 15,10). Paulus war damit zufrieden, ein geringer Bittender vor dem Thron der Gnade zu sein, als Sklave des Herrn. Er empfing daher ein überfliessendes Mass an Gnade, denn «Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade» (Jak 4,6).
Von Natur neigen junge Leute dazu, sich ihrer eigenen Kraft zu rühmen (Spr 20,29), aber der junge Timotheus wurde vom Apostel ermahnt: «Sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist» (2. Tim 2,1). Nur wenn wir seine Gnade haben, können wir «Gott wohlgefällig dienen mit Frömmigkeit und Furcht» (Heb 12,28). Aber wenn wir freimütig zum Thron der Gnade kommen, wird «das Herz durch Gnade befestigt werden» (Heb 13,9), und dort werden wir «die wahre Gnade Gottes finden, in der wir (ihr) stehen sollen» (1. Pet 5,12). So wird das inspirierte Gebet in so manchen Briefen beantwortet: «Gnade euch … von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.» Und so wird es von uns wahr, wie einst von Israel, dass wir während unseres Pilgerlaufes Tag für Tag «Gnade finden in der Wüste.»