Es ist klar, dass sich der Herr Jesus hier an die Jünger richtete, die Ihn umgaben. Aber was wir dabei an Ihm sehen, zieht die Seele zu Ihm hin. Was den Sünder anzieht, was ihm Vertrauen gibt, ist das, was der Heilige Geist von Ihm offenbart.
Lasst uns betrachten, was wir im ersten Vers finden: die Beharrlichkeit der Liebe Christi, eine Liebe, die durch nichts geschwächt oder ausgelöscht werden konnte. Wenn wir daran denken, was die Jünger, was die Welt, was die Feinde waren, dann erkennen wir, dass Jesus tausend Gründe hatte, seiner Liebe ein Ende zu setzen. Wir sehen um Ihn her drei Arten von Personen: die Jünger, die Gleichgültigen und die Widersacher. Die Letztgenannten sind ganz besonders Kinder des Teufels. Das waren jene, die, als sie sahen, dass der Herr im Begriff war, das Reich aufzurichten und über alles zu herrschen, voller Hass sagten: «Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche» (Lk 19,14). Da waren auch solche, die im Grund ihres Herzens die Gewissheit hatten, dass Jesus der Christus ist, und Ihn nicht haben wollten. Und seine Feinde zogen viele der Gleichgültigen hinter sich her. Alles in ihrem Lebensbereich war von einer Natur, die die Liebe Jesu hätte auslöschen müssen, wäre sie nicht vollkommen und unveränderlich gewesen. Nichts vermag die Liebe mehr zu verwunden als Gleichgültigkeit.
Die Natur des Menschen liebt die Sünde, und er möchte alles, was Gott ihm gegeben hat, dazu verwenden, seine Begierden zu befriedigen. Der Herr Jesus sah das alles. Er sah den ekelerregenden Zustand dieser Welt und sagte: «Wie lange soll ich euch ertragen?» Halten wir uns im Licht Gottes auf, werden auch wir die Sünde so beurteilen.
Welche Eltern wünschten nicht, dass ihre Kinder bewahrt blieben vor dem Verderben, das sie selber kennen? Weil der Herr Jesus den traurigen Zustand des Menschen kannte, führte Ihn die Gnade dazu, dass Er herabkam, um ihn aus diesem herauszunehmen. Gott sieht alles. In seinem Erbarmen nimmt Er Kenntnis von allem, um unseren Bedürfnissen zu begegnen. Aber was fand Er vor? Gleichgültigkeit des Herzens. Das Herz des natürlichen Menschen sieht in Jesus etwas Verächtliches. Er will seinen eigenen Zustand nicht anerkennen und nicht von Gott abhängig sein, um aus diesem herauszukommen. Er zieht es vor, gegenüber dem Gott, der ihn liebt, gleichgültig zu bleiben, und, lasst uns daran denken: nichts entmutigt die Liebe mehr als Gleichgültigkeit.
Jesus begegnete auch dem Hass. Alle, die das Licht mieden, weil ihre Taten böse waren, hassten Ihn. Stolz, fleischliches Selbstbewusstsein, Eigenwille – alles im Menschen wendet sich von Gott ab. Da war nichts in dieser Unreinheit, dieser Gleichgültigkeit und diesem Hass, das anziehend war für die Liebe des Herrn Jesus. Gab Er denn diese Liebe nicht auf, als Er sah, dass Judas Ihn verriet?
Wenn jemand im Begriff wäre, uns zu verraten, wären wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um an die zu denken, die uns nicht verraten würden. Das war beim Herrn Jesus nicht der Fall.
Obwohl das Böse überhand nahm, erwies Er weiterhin alle seine Liebe, auch dann, als alle seine Jünger Ihn verliessen. Die Ihn liebten, waren so selbstsüchtig und so sehr Sklaven der Menschenfurcht, dass es für Ihn unmöglich war, sich auf sie zu stützen. Solcherart ist das Herz des Menschen, dass, wenn es auch Jesus lieben mag, es ganz unbeständig ist. Der Herr aber liebte auch angesichts eines Hasses, der unversöhnlich war. Er liebte uns, als wir erfüllt waren von Unreinheit, von Gleichgültigkeit, von Hass gegenüber dem Licht, das wir tausendmal verleugneten. Wer sich selbst wirklich kennt, weiss am besten, wie wahr das ist. Wenn wir einen Freund so behandelten, wie wir Jesus behandelt haben, wäre es mit der Freundschaft bald zu Ende.
Welch ein Gegensatz bestand doch zwischen dem, was der Herr Jesus auf der Erde fand und dem, woran Er sich im Himmel erfreute! Dort fand Er die Liebe des Vaters, und in Gegenwart jener vollkommenen Liebe konnte die Reinheit seiner eigenen noch nicht zum Ausdruck kommen, weil sie dort kein Hindernis fand. Aber hier unten, im Bewusstsein dessen, was Er zurückgelassen hatte, liebte Er die Seinen, trotz ihrer Unreinheit. Sie erweckten sein Erbarmen. Der Gegenstand der Gnade ist der Gottlose, der Böse. Die Gleichgültigkeit der Seinen bewies dem Herrn Jesus das ganze Ausmass ihres Elends und dass sie Ihn so nötig hatten! Selbst der Hass des Menschen zeigte, dass er verloren war. Gott war gekommen, um den Menschen zu suchen, weil dieser nicht imstande war, Gott zu suchen. Wie viele Dinge hat Gott ertragen! Welche Gleichgültigkeit, welchen Verrat, welche Verleugnungen! Man würde sich schämen, gegen Satan so zu handeln, wie man gegenüber dem Herrn handelt. Trotzdem, nichts vermag Jesus aufzuhalten: Er liebt die Seinen bis ans Ende. Er handelte entsprechend dem, was in seinem Herzen war, und alle Bosheit des Menschen war für Ihn nur die Gelegenheit, seine Liebe kundzutun.
Der Herr hat all das getan, um die Seele in die Beziehung zu Gott zurückzuführen. Als wir Sünder waren, kam die Gnade, um uns zu suchen. Die Gerechtigkeit und das Gesetz fordern, dass das Böse und die Bösen weggetan werden. Johannes der Täufer predigte Buße; das war der Anfang der Gnade. Aber reine Gnade (nicht was Menschen darunter verstehen: Lass deinen Zustand und komm zu mir) kommt selber zum Menschen in seiner Sünde. Sie setzt sich in Verbindung mit ihm, so dass Gott viel mehr offenbart wird, als wenn keine Sünde bei ihm gewesen wäre.
Die Gnade wendet das, was in Gott ist, auf die Bedürfnisse an, die durch das Verderben, in dem wir waren, hervorgerufen wurden. Jesus liebt bis ans Ende.
Welch ein Trost, zu wissen, dass Jesus alles das ist, was wir nötig haben für all das, was wir sind! Das versetzt uns in das, was wahr ist und führt uns dazu, das Böse zu bekennen, das in uns ist und es nicht zu verbergen. Gnade allein bringt Aufrichtigkeit hervor (Ps 32,1.2). Ein Mensch, der nur ein christliches Bekenntnis hat, möchte stark scheinen, auch wenn er schwach ist. Gnade erzeugt Wahrhaftigkeit und bewirkt die Anerkennung der eigenen Schwachheit. Wären wir an der Stelle des Petrus gewesen, hätten auch wir getan, was er tat, wenn wir nicht bewahrt worden wären. Der Herr Jesus liebt die Seinen, die in der Welt sind, auf ihrer Pilgerschaft, in ihren Umständen, trotz ihres Elends, ihrer Selbstsucht und ihrer Schwachheit. Alles was Satan tun konnte, und alles was im Menschen ist, war ganz dazu angetan, Jesu Liebe zu ersticken. Und doch: «Er liebte sie bis ans Ende.»
Sind wir zur Erkenntnis dessen gekommen, was wir sind? Das ist unangenehm für das Fleisch und schmerzlich, wie der Dorn des Paulus. Er sagte ihm beständig: «Du bist schwach». Und gerade das war es, warum Gott erlaubte, dass er blieb. Halten wir das Fleisch in uns genügend im Tod, so dass wir zufrieden sind, wenn der Herr Jesus alles ist und wir nichts, ja, dass wir uns sogar unserer Schwachheit rühmen, weil sich dann die Kraft Gottes in uns offenbaren kann?
Der Herr Jesus hat keines unserer Bedürfnisse vergessen. Das Herz, das frei ist von Selbstsucht, denkt nur an das, was die Liebe tun wird. So war es mit Jesus am Kreuz; Er vergass seine Mutter nicht, sondern empfahl sie dem Jünger an, den Er liebte.