Wie gross und vielseitig sind die Herrlichkeiten der Person unseres Herrn Jesus! Die Heilige Schrift stellt Ihn vor unsere Augen in seiner persönlichen Herrlichkeit als Sohn Gottes, in seiner amtlichen Herrlichkeit als König und Prophet, in seiner moralischen Herrlichkeit als Mensch.
«Alles an ihm ist lieblich», sagt die Braut im Hohenlied von ihrem Geliebten. Von seinen moralischen Herrlichkeiten ist es besonders die Demut oder Niedriggesinntheit, die eine grosse Anziehungskraft auf unsere Herzen ausübt. Sie ist in der Welt nicht zu finden. Für den natürlichen Menschen ist wahre Demut etwas Fremdes. Er strebt nicht danach und vermag es auch nicht. Dazu braucht es eine neue Natur und die Kraft des Heiligen Geistes, was nur das Teil derer ist, die von neuem geboren sind. Aber selbst bei den Gläubigen ist die Demut praktisch nicht zu finden, wenn sie nicht ganz nahe beim Herrn bleiben und ihre alte Natur im Tod halten. Darum sagt der Herr: «Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig» (Mt 11,29). Das Joch, von dem der Herr spricht, ist ein Doppeljoch und deutet darauf hin, dass wir mit Ihm Schritt halten müssen.
In Philipper 2 stellt der Heilige Geist die Schönheit der Niedriggesinntheit des Herrn vor unsere Herzen und ermahnt uns: «Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war.» Wir kennen diese Stelle in Philipper 2 vielleicht auswendig, aber kommt sie auch praktisch bei uns zur Verwirklichung?
Beim natürlichen Menschen ist gerade das Gegenteil zu sehen. Er erhebt sich und begehrt in der Welt einen Platz einzunehmen, der ihn gross macht und ihm Ansehen verschafft. Wie ganz anders beim Herrn Jesus, der den untersten Platz einnahm und von dem in Jesaja 53,2 prophetisch gesagt wird: «Er hatte kein Aussehen, dass wir ihn begehrt hätten.»
Dieses Streben nach oben ist eine Folge des Sündenfalls. Dort im Garten Eden suchte die Schlange diesen Grundsatz in das Herz des ersten Menschen einzupflanzen, und es ist ihr gelungen. «Gott weiss, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses» (1. Mo 3,5).
Die Schlange, der Widersacher Gottes, sucht den Hochmut, der in seinem eigenen Herzen war, in den Menschen zu übertragen. Satan war, wie wir in Jesaja 14 und in Hesekiel 28 sehen, vor seinem Fall ein hoher Engelfürst. Er war ein schirmender, gesalbter Cherub. Er war das Bild der Vollendung, voll von Weisheit und vollkommen an Schönheit.
Aber dieses hohe Wesen war nicht zufrieden mit dem Platz, den Gott ihm gegeben hatte. Er wollte höher hinaus. Er sprach: «Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über die Sterne Gottes meinen Thron erheben … Ich will hinauffahren auf Wolkenhöhen, mich gleichmachen dem Höchsten» (Jes 14,13-14).
Die Mitteilungen in Jesaja 14 und Hesekiel 28 beziehen sich zwar zunächst auf die Könige von Babel und Tyrus, aber hinter ihnen steht Satan, der alles in Szene setzt und diese Könige als seine Werkzeuge gebraucht. In diesen Stellen ist also in erster Linie das Wesen Satans gemeint.
Diese satanische Überheblichkeit tritt in der höchsten Potenz beim Antichristen zu Tage. Am Ende der Tage wird er die Verkörperung Satans sein und seine Wesensart widerspiegeln.
Der Antichrist, der Mensch der Sünde, wird sich selbst über alles erhöhen, was Gott heisst oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei (2. Thes 2,3-4).
Wie ganz anders war die Gesinnung des Christus. Er, der Gott war von Ewigkeit her, machte sich zu nichts. Er achtete es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Er erniedrigte sich selbst und nahm den letzten Platz ein auf dieser Erde.
Der Antichrist, dargestellt im Bild des Tieres, das aus der Erde aufsteigt, wird wie ein Drache reden (Off 13,11). Er wird die Sprache Satans führen, von dem der Herr gesagt hatte: «Er ist ein Lügner und ihr Vater» (Joh 8,44). Vom Herrn Jesus hingegen hat Jesaja geweissagt: «Er wird nicht schreien und nicht rufen und seine Stimme nicht hören lassen auf der Strasse» (Jes 42,2).
Der Antichrist wird seine Macht gebrauchen, um alle, die Kleinen und die Grossen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Knechte, dahinzubringen, dass sie ein Malzeichen annehmen, so dass niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur die, welche das Malzeichen des Tieres haben (vergleiche Off 13,16-17).
Der Antichrist wird danach trachten, die Menschen in seine Gewalt zu bekommen und sie zu seinen Sklaven zu machen.
In jedem Menschen ist von Natur der satanische Grundsatz des Hochmuts zu finden. Dieser Hochmut ist bei vielen das Haupthindernis, den Herrn Jesus als ihren Erretter anzunehmen. Wir alle kennen jenes Gleichnis aus dem Mund des Herrn (Lukas 18,9-14) von den zwei Menschen, die zum Tempel hinaufgingen, um zu beten. Der Pharisäer betete: «O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die Übrigen der Menschen, … oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe.» Der Zöllner aber, von fern stehend, wollte sogar die Augen nicht aufheben, sondern schlug an seine Brust und sprach: «O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!»
Und was sagte der Herr dazu? «Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus vor jenem; denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.»
Der erste Schritt des Sünders zur Bekehrung ist Niedriggesinntheit. Im Licht Gottes erkennt er seinen verlorenen Zustand und nimmt Zuflucht zu seiner Gnade. Ohne diese Wirkung Gottes im Herzen des Sünders gibt es kein neues Leben.
Die Demut ist aber auch eine Voraussetzung zur Erhaltung der praktischen Gemeinschaft mit Gott. Ein gottesfürchtiger Bruder des 19. Jahrhunderts hat geschrieben: «Hochmut ist das grösste aller Übel, die uns bedrängen, und von all unseren Feinden ist er derjenige, der am langsamsten und schmerzhaftesten stirbt. Gott hasst den Hochmut über alles, weil er dem Menschen den Platz einräumt, der dem gehört, der droben ist, erhaben über alles. Der Hochmut lässt es zu keiner Gemeinschaft mit Gott kommen und zieht sich seine Züchtigung herab, denn «Gott widersteht den Hochmütigen» (J.N.D).
Ist dies nicht ein ernster Hinweis für uns alle? Die Versammlung in Philippi war eigentlich in einem guten Zustand, und doch fand es der Apostel Paulus für nötig, sie an die Gesinnung Christi in seiner Selbsterniedrigung zu erinnern. Da waren zwei Schwestern, Evodia und Syntyche, die er besonders im Auge hatte. Sie gehörten zur örtlichen Versammlung in Philippi und hatten mit dem Apostel im Evangelium gekämpft. Der Herr konnte sie in seinem Dienst gebrauchen, aber sie waren nicht einerlei gesinnt. Bestand die Schwierigkeit vielleicht darin, dass sie aufeinander eifersüchtig waren? Das Mittel, um solchen Schwierigkeiten in der Versammlung zu begegnen, ist einzig und allein, die Gesinnung Christi, indem wir lernen, den untersten Platz einzunehmen.
Zum Schluss wird es nützlich sein, darauf hinzuweisen, wie der Herr zwei bedeutende Arbeiter in seinem Werk persönlich gedemütigt hat, nämlich Petrus und Paulus.
Petrus wurde wegen seiner Überheblichkeit und seinem Selbstvertrauen tief gedemütigt. Er hatte einst gesagt: «Wenn alle an dir Anstoss nehmen werden, ich werde niemals Anstoss nehmen … Selbst wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen» (Mt 26,33.35).
Es kam ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Nicht nur hat er seinen Meister dreimal verleugnet, er kam auch in tiefe Seelennöte. Als dies geschah, im Hof des Hohenpriesters, blickte der Herr ihn an, und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich (Lk 22,62). Aber der Herr in seiner Gnade sorgte dafür, dass sein Jünger wieder vollständig hergestellt wurde. Die Demütigung durch Ihn erwies sich im Leben des Petrus zu seinem bleibenden Segen. Er hatte die Lektion seines Meisters gelernt, denn er konnte später die Heiligen ermahnen: «Alle aber seid gegeneinander mit Demut fest umhüllt; denn ‹Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.› So demütigt euch nun unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zur rechten Zeit» (1. Pet 5,5.6).
Bei Paulus war die Demütigung vorbeugender Natur. Er war bis in den dritten Himmel entrückt worden und hatte unaussprechliche Worte gehört, die der Mensch nicht sagen darf. Und damit er sich nicht durch das Übermass der Offenbarungen überhebe, wurde ihm ein Dorn für das Fleisch gegeben (2. Kor 12,7). Es wird hier nicht gesagt, dass er sich überhoben hatte, aber die Gefahr dazu war selbst bei diesem treuen Apostel vorhanden, und so hatte der Herr in sein Leben eingegriffen. Dieser Dorn im Fleisch machte Paulus offenbar grosse Mühe, denn er betete dreimal, dass er ihm genommen würde. Aber der Herr hielt es für gut, ihm den Dorn nicht wegzunehmen, und Er benützte ihn, damit sein treuer Diener vor Überheblichkeit bewahrt bleibe.
Oft schickt der Herr auch uns Heimsuchungen aller Art. Wir kennen nicht immer die Beweggründe Gottes zu solchem Handeln, aber ist es nicht oft so, dass Er uns durch derartige Prüfungen vor kommenden Gefahren, vor Hochmut bewahren will? Paulus unterwarf sich mit ganzem Herzen der Führung seines Herrn und konnte bekennen: «Daher will ich mich am allerliebsten viel mehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus über mir wohne» (2. Kor 12,9).
Diese treuen Männer Gottes sind uns ein schönes Beispiel, und viele von uns dürfen mit dem Psalmisten in Psalm 119 bekennen: «Bevor ich gedemütigt wurde, irrte ich, jetzt aber halte ich dein Wort» (Vers 67).
«Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Satzungen lernte» (Vers 71).
«Ich weiss, HERR, dass deine Gerichte Gerechtigkeit sind und dass du mich gedemütigt hast in Treue» (Vers 75).
In dieser Beziehung sei mir erlaubt, noch ein Wort des bereits zitierten Bruders anzuführen: «Wahre Demut besteht nicht so sehr darin, dass wir schlecht von uns denken, als vielmehr darin, dass wir gar nicht an uns denken. Ich bin zu schlecht, als dass ich wert wäre, über mich nachzudenken. Was ich nötig habe, ist, mich zu vergessen und auf Gott zu schauen, der aller meiner Gedanken wert ist.»
Dass wir doch alle diese Belehrungen uns zu Herzen nehmen möchten! Wir haben es nötig, besonders in einer Zeit, wo der antichristliche Geist mehr und mehr um sich greift, und der Mensch sich über alles erhebt, was Gott heisst.