Aus Lukas 16,19-31 geht hervor, dass die Seelen, die durch den Tod vom Leib getrennt sind, ein Wahrnehmungsvermögen besitzen, obwohl sie die gewohnten physischen Organe nicht mehr haben. Die Erzählung macht deutlich, dass die Seele des reichen Mannes im abgeschiedenen Zustand immer noch über die Fähigkeiten einer lebendigen Person mit vollem Bewusstsein verfügte. Zweifellos hatten die Sinne und Sinneseindrücke eine andere Form, entsprechend den Zuständen der unsichtbaren Welt. Aber gemäss den Worten des Herrn hatte der reiche Mann auch nach dem Tod noch Kräfte zum Sehen, Reden, Hören, Erinnern, Überlegen, wie auch zum Empfinden von Durst und Qual. Obwohl unser Herr in gewissem Ausmass in bildlicher Sprache redete, bringen seine Worte die Wirklichkeiten bewusster Existenz des Hingeschiedenen zwischen dem Tag seines Todes und dem der Auferstehung zum Ausdruck, sowohl für den Gerechten wie für den Ungläubigen.
Diese Bemerkungen zum ganzen Abschnitt sind auch auf die Verse 23 und 24 anzuwenden. Ob die Worte «Wasser» und «Flamme» wörtlich oder bildlich zu verstehen sind, so bezeugen sie jedenfalls, dass ein qualvoller Zustand im Hades besteht, das heisst, am Ort oder im Zustand der vom Leib getrennten Seele des reichen Mannes.
Lazarus war in Abrahams Schoss, ein Ausdruck, der vom besonderen Vorrecht und der Liebe redet, die er in der Verbindung mit dem fand, der «Freund Gottes» genannt wird (vgl. Joh 1,18; 13,23). Der reiche Mann hatte seine Selbstsucht und seine Vorurteile verloren; er beklagte sich nicht darüber, dass der Bettler nun «getröstet» und er selbst gequält wurde. Aber er bat um Gnade, und da er Jude war, wandte er sich an Abraham, den Vater seiner Nation, dem im Anfang durch Gott die Segnung der Welt angekündigt wurde. Doch fand er keine Gnade mehr. Diese Stelle stützt somit keineswegs die falsche Lehre vom «Fegefeuer». Der reiche Mann wird zum Gericht vor dem grossen, weissen Thron auferstehen (Off 20,11-14), danach wird er mit Geist, Seele und Leib für immer in den Feuersee geworfen.