Mit welch zu Herzen gehender Betonung sagte der Herr Jesus in seinen Abschiedsworten zu der kleinen Gruppe der elf Jünger, die sich in der Nacht seines Verrats um Ihn scharten: «Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Gleichnissen zu euch reden, sondern euch offen von dem Vater verkündigen werde» (Joh 16,25). Wie waren diese Worte dazu angetan, ihre betrübten Herzen mit dem Glauben und der nötigen Kraft zu füllen, um der kommenden Trennung zu begegnen!
Eine ähnliche Stelle haben wir in Kapitel 17,1: «Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche.» Die ersten Worte wurden zum Trost der Jünger auf der Erde gesprochen, die zweiten aber an den Vater gerichtet, in Gemeinschaft mit Ihm, als Er seine Augen zum Himmel emporhob. In beiden Fällen – wie aus Kapitel 16,26 hervorzugehen scheint – redete der Herr von dem Augenblick, in dem Er als Sohn des Menschen seinen Platz und seine Stellung in der Herrlichkeit einnehmen würde, und von der neuen Ordnung der Segnung für uns, für die seine Erhöhung sowohl die Einleitung als auch das Pfand ist.
Der damals noch zukünftige Zeitabschnitt, den der Herr «jenen Tag» nannte, ist jetzt da. Er ist der einmalige, einzigartige Tag, an dem Er damit beschäftigt ist, zur Freude seines eigenen Herzens den Vater zu verherrlichen, indem Er Ihn vor den Augen und Herzen unseres Verständnisses und unseres Glaubens deutlich kundmacht. Ist es da nicht angezeigt, dass wir uns immer wieder prüfen, in welchem Mass wir die Worte des Herrn bezüglich der Offenbarung des Vaters in unseren Seelen praktisch erfassen?
Jetzt ist es das gemeinsame Teil der Erlösten, Kinder Gottes zu sein, die den Geist der Sohnschaft empfangen haben. Wir dürfen Ihn in kindlicher Liebe anreden, und «Abba, Vater!» zu Ihm sagen, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus. Aber ist das alles? Ist die Erkenntnis des Vaters dasselbe wie das Bewusstsein, dass Er unser Vater ist? Bleiben nicht manche von uns bei dem zweiten stehen, während ihnen das erste unbekannt ist?
Lasst uns aber beachten, mit welch offensichtlicher Befriedigung der Herr vorwärtsblickte zu der Freimachung des Glaubens der Jünger hin. Wie deutlich ist auch, dass Er damals in seinen Belehrungen zurückgehalten wurde, wegen ihrer Unfähigkeit, die Offenbarung des Vaters zu erfassen, die für sein Herz das Teuerste war. So schaute Er voraus – und das war eines der Elemente der Freude, die vor Ihm lag – auf die nahende Zeit, in der Er ihnen offen von dem Vater verkündigen konnte. Nie mehr würde Er zu blosser gleichnishafter Belehrung zurückkehren müssen, als der einzigen Weise, in der Er lebendigen Eindruck auf ihre Seelen machen konnte. Die wichtigen Wahrheiten und die reichen Enthüllungen, von denen Er schon gesprochen hatte, würden an jenem noch nie dagewesenen Tag für sie voller Leben und Bedeutung und Kraft werden.
Er musste in dieser Abschiedsstunde erfahren, wie wenig sie noch von dem Vater wussten. Er hatte ihnen doch von der Liebe ihres Vaters berichtet und ihre Herzen dadurch direkt mit Ihm zu verbinden gesucht! Als Er ihnen sagte: «Ich bin von dem Vater ausgegangen und bin in die Welt gekommen; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater» (Joh 16,28), folgte ihre Antwort so prompt und bestimmt, dass es scheinen mochte, als ob sie endlich etwas gelernt hätten vom Vater. Aber ach, ihre abschliessenden Worte waren: «darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.» Das zeigt zu deutlich, dass die einfache Lektion von Vers 28 noch hinausgeschoben werden musste und es nötig war, dass Er sie ihnen aufs Neue von der Herrlichkeit, vom Haus des Vaters und vom Thron des Vaters lehrte.
Zeigt dies nicht auch, dass alle wahre Erkenntnis des Vaters erst auf die Gabe des Heiligen Geistes folgen konnte, durch den wir zum Bewusstsein der Kindesbeziehung zu Ihm gebracht sind? Aber diese wunderbare Zeit stand dort nahe bevor, in der auch das Wort erfüllt werden würde: «An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch» (Joh 14,20). Das war die Zeit, in der Er offen von dem Vater reden würde zu seinen neugeborenen Kindern.
Hierbei sind drei Dinge zu beachten: Diese kostbare Offenbarung des Vaters war durch die Zeit des Alten Testaments hindurch ein tiefes Geheimnis, selbst dem Glauben unergründlich. In den Evangelien, den Tagen des Dienstes des Herrn, war sie ein gleichnishafter Gegenstand, von dem Er gerne sprach. Aber seit Pfingsten haben wir sie in offener und völliger Darstellung.
Können wir nicht sagen, dass diese Offenbarung für das Herz des Herrn der höchste Gedanke war während seines irdischen Laufes? Wie früh schon rief Er aus: «Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?» (Lk 2,49). Ungewohnte Worte von den Lippen eines Knaben! Und in den Tagen seines Dienstes war die moralische und geistliche Notwendigkeit zu diesem Dienst durch seine weiteren Worte gekennzeichnet: «Noch erkennt jemand den Vater, als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn ihn offenbaren will» (Mt 11,27). Daraus ersehen wir, welches Anliegen des Vaters Ihn so sehr in Anspruch nahm: eben seine Offenbarung gegenüber den Kindern, die sie in die Gemeinschaft bringen würde «mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus».
Das führt uns zu unserem Leitsatz zurück, dass es der Wunsch des Herrn war, uns den Vater deutlich zu zeigen. Die ersehnte Zeit dazu kam, als der Heilige Geist, «die Verheissung des Vaters», durch Ihn gesandt wurde, herab vom neuen Platz seiner Aufnahme auf dem Thron des Vaters, die Er sich erworben hatte als Frucht und Lohn dafür, dass Er die Anliegen des Vaters hier auf der Erde erfüllte.
Ist es daher genug, wenn wir sagen können, dass wir den Heiligen Geist haben, den Geist der Sohnschaft, und sagen können: «Abba, Vater»? Im Gegenteil, der Besitz des Heiligen Geistes befähigt mich, die Erkenntnis des Vaters zu erwerben und sie zu geniessen. Sie ist unerlässlich für die Gemeinschaft mit Ihm. Zuerst weiss ich, dass Er mein Vater ist. Das ist es, was seine Gnade mir geschenkt hat in der Gabe des Heiligen Geistes. Durch Ihn trete ich dann in die wachsende Segnung bewusster Beziehung zu Ihm ein – die grösste Wohltat für meine neue Natur.
Die Tatsache meiner natürlichen Verwandtschaftsbeziehung zu einem Menschen kann mir sehr wohl bekannt sein, während er selbst mir fremd ist, so dass ich den Trost missen muss, den mir die Bekanntschaft mit ihm bringen könnte. So mag auch ein Kind Gottes die Wahrheit von der Beziehung zu Ihm festhalten, ohne ein entsprechendes Erkennen und Geniessen des Vaters unseres Herrn Jesus Christus zu haben, in der Kraft des Geistes, so wie Ihn der deutlich kundgemacht hat, der von Ewigkeit her in seinem Schoss war. Aber wie kann es ohne dies wirkliche Gemeinschaft geben mit dem Vater und mit dem Sohn seiner Liebe? Gemeinschaft zwischen solchen, die die Gegenstände und Interessen des anderen, die Freuden und Wonnen des anderen, die Gefühle und Empfindungen des anderen, die Ziele und Wege des anderen nicht kennen, ist nur ein Wort, aber keine Wirklichkeit. Und wie könnten wir wirklich wahre Gemeinschaft haben mit dem Vater, als nur durch seinen ewigen Sohn, der uns durch das Wort in die Geheimnisse des Vaterherzens einführt und uns zu dem Springquell seiner Liebe leitet? Er will, dass wir unter seiner eigenen zarten Belehrung ein wachsendes Mass an Erkenntnis des Vaters erreichen, das nur Er selbst in Unermesslichkeit besitzt.
Welch ein Gegenstand zum Studium und zum Lernen – der ewige Vater! Welch ein Meister, der uns lehrt – der ewige Sohn! Welch eine Salbung und Macht zum Erfassen – der ewige Geist! Glückliche Schüler, die sich in einer solchen Schule einschreiben, unter einem solchen Lehrer, und in einer solchen Erkenntnis Fortschritte machen dürfen!
Gewiss, nur dies kann den Worten des Herrn zu seinem Vater angemessen sein: «damit dein Sohn dich verherrliche». Zweifellos verherrlichte Er den Vater schon im Werk seiner Gnade, zu dem Er aus der Herrlichkeit auf diese Erde gesandt wurde, um der Heiland der Welt zu werden. Aber wie viel mehr geschieht dies jetzt, wenn Er in geduldigem Fleiss liebenden Dienstes die Herzen derer belehrt, die durch diese Gnade gewonnen wurden, um sie nun zu wachsender Erkenntnis dessen zu führen, der als Vater viele Söhne zur Herrlichkeit bringt!
Und schliesslich, welche Antwort geben wir auf die kostbare Gnade des Vaters, der uns in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesu Christi berufen hat? (1. Kor 1,9). Wie können wir mit dem Sohn Gemeinschaft haben, wenn wir nicht seine Gedanken über den Vater teilen? Und wir können diese Gedanken über den Vater nur haben, wenn wir seine bezüglichen Enthüllungen als ein begehrtes und gepflegtes Unterpfand in unsere Herzen aufnehmen. Aufgrund der Worte, die der «Sohn seiner Liebe» über den Vater geäussert hat, will Er uns durch den Heiligen Geist unablässig dienen.
Haben wir je und immer wieder unseren Platz zu seinen Füssen eingenommen, im Geist und in der Haltung wahrer Jünger, damit Er uns mitteilen kann, was wir bis dahin noch nicht erkannten, weitere kostbare Unterweisungen? Er sitzt ja am Brunnen, an jener tiefen göttlichen Quelle der Wonne, aus der Er selber von Ewigkeit her getrunken hat. Lasst uns nicht denken, dass, weil ja alles in den uns vertrauten Worten der Schrift enthalten sei, nichts mehr zu lehren und zu lernen übrigbleibe. So würden wir uns selber der höchsten Segnungen berauben, die uns offenstehen. Nichts vermag den Pfad der Erfahrungen des Herzens in solch himmlischer Weise zu erleuchten, wie die Strahlen des Lichts und der Liebe aus dem Herzen unseres Vaters, die uns der Heilige Geist übermittelt.
Dadurch wird auch unsere Zukunft mit himmlischem Licht erhellt, die für manchen Gläubigen noch eine matte, unbekannte Perspektive ist. Durch den Dienst Christi der Offenbarung des Vaters wird sie in einen herrlichen Ausblick verwandelt. Er bewirkt in unseren Herzen einen tiefen Eindruck vom wahren Charakter und der unendlichen Glückseligkeit der Gegenwart des Vaters im Haus des Vaters. Sollten wir uns daher nicht fragen, in welchem Mass der Vater ein leitender Faktor ist in der Geschichte unseres Herzens, die wir zu den Söhnen gehören, die Er zur Herrlichkeit bringt?