Wir haben in den Teilen 1 bis 3 dieser Ausführungen gesehen, wie der Heilige Geist uns anhand der Aussagen Jakobs über seine zwölf Söhne einen prophetischen Überblick über die Geschichte Israels zeigt. Alle Aussagen über Joseph weisen auf den Herrn Jesus, den Messias Israels, hin. Aus den Versen 22-24 haben wir bereits viele herrliche Hinweise auf Christus, den Sohn der Liebe des Vaters, gefunden. Nun folgen noch weitere schöne Seiten der einzigartigen Person unseres Herrn.
Der Hirte Israels
«Von dort ist der Hirte, der Stein Israels», fährt Jakob fort. Das erscheint auf den ersten Blick verwunderlich. War der Hirte Israels nicht aus dem Stamm Juda angekündigt? Die menschliche Herkunft oder Abstammung des Herrn Jesus kann hier offensichtlich nicht gemeint sein. Es geht vielmehr um seine typologische «Herkunft». So wie Joseph als der Gekrönte und Erhöhte sich seiner Familie annahm und so ihr Hirte wurde, der nach ihnen fragte und für sie sorgte, so wird es auch der Herr Jesus tun. Von dieser Wesensart ist der Hirte Israels. Das, was durch Joseph vorgebildet wird, kennzeichnet den wahren Hirten Israels, der auch nach seinen Schafen fragen und sich ihrer annehmen wird. Er wird die Glaubenden aus seinem irdischen Volk – die in alle Himmelsrichtungen zerstreut sind – sammeln und sie aus allen Orten erretten, wohin sie zerstreut wurden (Hes 34; Jer 31,10). Dann wird Er sie weiden wie ein Hirte (Jes 40,11). In diesem Bild kommen die Liebe und Fürsorge des Herrn Jesus für sein Volk zum Ausdruck.
Als Hirte ist der Herr Jesus auch der Hüter seiner Schafe, der ihnen Schutz bietet. In diesem Sinn heisst es in Psalm 121: «Der HERR ist dein Hüter, der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand. Nicht wird die Sonne dich stechen am Tag, noch der Mond bei Nacht. Der HERR wird dich behüten vor allem Bösen, er wird behüten deine Seele. Der HERR wird behüten deinen Ausgang und deinen Eingang, von nun an bis in Ewigkeit.»
Obwohl sich diese Aussagen in ihrer eigentlichen Bedeutung auf Israel beziehen, dürfen wir sie auch auf uns anwenden. Denn für sein himmlisches Volk zeigt der Herr Jesus dieselbe Liebe und Fürsorge wie für sein irdisches. Das Bild des Hirten wird im Neuen Testament ebenso gebraucht, um seine Liebe und Fürsorge hervorzuheben, mit der Er einerseits den Verlorenen nachgeht und sich anderseits um die Seinen kümmert. Wir kennen Ihn als den guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe gelassen hat (Joh 10,11), um ihnen einen viel grossartigeren Segen zu bringen, als Israel ihn je erfahren wird: ewiges Leben, Leben in Überfluss. Ausserdem wissen wir, dass wir in seiner Hand geborgen sind (Joh 10,28). Alle, die den Herrn Jesus so kennen, können daher voll Vertrauen mit David sagen: «Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln» (Ps 23,1).
Der Stein Israels
Während das Bild des Hirten vor allem die Fürsorge des Herrn Jesus für sein Volk hervorhebt, ist der Stein in der Bibel ein Symbol für Festigkeit, Schutz und Kostbarkeit. Wenn der Herr Jesus hier prophetisch der Stein Israels genannt wird, dann wird darin Gottes Absicht ausgedrückt, durch diesen Stein das Haus Israels zu bauen.
Schutz vor dem Feind
Als Stein oder Eckstein wird der Herr Jesus an verschiedenen Stellen im Alten Testament bezeichnet, fast immer in einem prophetischen Zusammenhang. Ein Beispiel finden wir in Jesaja 28. In diesem Kapitel spricht der Prophet vom Assyrer, den Gott als Zuchtrute für sein Volk benutzen wird und der wie eine überflutende Geissel in das Land einfallen wird. Vor diesem übermächtigen Feind werden sich die ungläubigen Juden zu schützen suchen, indem sie ein Bündnis mit dem «Tod» und dem «Scheol» schliessen werden. Das sind bildhafte Ausdrücke für den Antichristen und den Herrscher des Römischen Reichs (Jes 57,9.10; Dan 9,27). Sie werden jedoch erfahren, dass sie ihre Zuflucht zur Lüge genommen haben. Trotz ihres vermeintlich so sicheren Bundes werden sie keine Ruhe, keinen Schutz finden (Jes 28,17-20). Die überflutende Geissel wird kommen, der Assyrer wird das Land heimsuchen. Doch Gott ruft seinem Volk ein trostreiches Wort zu: «Siehe, ich gründe einen Stein in Zion, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, aufs Festeste gegründet.» Dieser bewährte und kostbare Stein ist Christus. In Ihm wird der jüdische Überrest seinen Rettungsanker, seine Ruhe und seine Sicherheit finden. Trotz der scheinbaren Niederlage durch den übermächtigen Feind wird dieser Eckstein der Garant für ihre Wiederherstellung und die Grundlage für das angekündigte Reich sein. Der Gott des Himmels wird es auf der Erde aufrichten, und es wird ewig Bestand haben (Dan 2,44).
Grundlage von Israels Wiederherstellung
Auch in Psalm 118 wird dieser Stein erwähnt. Dieser Psalm ist ein Jubellied, das der Überrest Israels bei der Wiederkunft Christi singen wird, wenn Er in Jerusalem einzieht. Darin besingen die gläubigen Israeliten im Tausendjährigen Reich die grosse Errettung, die sie bei der Erscheinung des Messias erfahren. Sie jubeln über die Befreiung von ihren Feinden, aber auch über ihre geistliche Wiederherstellung. Israel wird dann wieder einen Tempel besitzen. Die Herrlichkeit Gottes, die damals, als der HERR sein Volk beiseitesetzen musste, den Tempel verliess, wird dieses Haus wieder erfüllen (Hes 10,18-22; 11,22-25; 43,1-9). Gott selbst wird wieder inmitten seines Volkes wohnen (Sach 2,14.15). Weshalb ist diese Wiederherstellung möglich? Weshalb kann Gott sich in Zukunft seinem Volk wieder zuwenden und in seiner Mitte wohnen? Weil Er im Stein Israels eine Grundlage dafür gefunden hat. Es ist Christus – dieser Stein, den die Juden einst verworfen haben –, den Gott zum Eckstein gemacht hat, um alle seine Pläne mit Israel zu erfüllen. Jeder Segen, ja alles, was die Gläubigen aus Israel in der Zukunft besitzen werden, gründet sich nur auf Ihn. Ihm allein verdanken sie sowohl ihre Befreiung von den Feinden als auch ihre geistliche Wiederherstellung und Annahme als Volk Gottes. Dieses Bewusstsein und die Freude darüber bringt der Überrest in Psalm 118 prophetisch zum Ausdruck.
Der lebendige Stein
Auch Petrus kannte den Herrn Jesus als den lebendigen Stein. Er schreibt seinen ersten Brief an die gläubigen Juden in der Zerstreuung und bezeichnet sie als solche, die zum lebendigen Stein gekommen waren – im Gegensatz zu ihren ungläubigen Volksgenossen. Dadurch hatten sie neues, ewiges Leben empfangen und waren selbst zu lebendigen Steinen geworden (Joh 5,25; 1. Pet 2,5). So hatte Petrus es selbst erfahren. «Du wirst Kephas heissen (was übersetzt wird: Stein)», hatte ihm der Herr bei seiner ersten Begegnung erklärt (Joh 1,42). Als der Herr zum ersten Mal mit seinen Jüngern über die Versammlung Gottes sprach, wiederholte Er: Du bist Petrus, ein Stein an diesem Haus Gottes, das ich auf den Felsen bauen werde (Mt 16,16-18).
Diese gewaltige Tatsache überträgt Petrus in seinem Brief auf die Gläubigen aus den Juden. Er erklärt ihnen, dass sie zu Christus, dem Stein, gekommen waren, den die Bauleute verworfen hatten. Doch sie selbst waren dadurch in die grösste Segensstellung eingesetzt worden. Wenn Israel als Volk auch von Gott beiseitegesetzt wurde und die Verheissungen nicht in Besitz nehmen konnte, so mussten diese Christen aus dem Judentum doch nicht leer ausgehen. Im Gegenteil. Sie waren damals schon, d.h. in der jetzigen christlichen Zeitepoche, in die Beziehungen eines von Gott angenommenen Volkes gekommen, eines himmlischen Volkes mit himmlischen Beziehungen. Sie durften den angekündigten Segen in seiner christlichen Form und Fülle vorwegnehmen. Sie standen damals schon auf der Grundlage einer vollbrachten Erlösung, auf der Grundlage des Werks von Golgatha. Sie besassen Vorrechte, wie sie Israel als Volk in der Zukunft nie besitzen wird. Denn sie bildeten als lebendige Steine das Baumaterial, aus dem das geistliche Haus Gottes aufgebaut wird, das Er zu seinem Wohnort gemacht hat. Ausserdem besassen sie darin priesterliche Privilegien: Sie durften in die unmittelbare Nähe Gottes treten und Ihn anbeten. Was für ein gewaltiges Vorrecht, das auch wir in gleicher Weise besitzen!
Der Eckstein von Gottes Bauwerk
Worauf gründet sich dieses Bauwerk Gottes, das aus lebendigen Steinen aufgebaut wird? Es ist Christus, den Petrus als den auserwählten und kostbaren Eckstein bezeichnet. Christus selbst gibt als Eckstein dem ganzen Gebäude für die Länge, Breite und Höhe seine Ausrichtung. Aber Er ist auch der, der die Sicherheit dieses Hauses garantiert. Weil die Versammlung auf den Felsen gegründet ist, ist sie sicher vor allen Angriffen des Feindes. Die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. Ist die Tatsache, dass die Versammlung Gottes trotz aller Gefahren und Angriffe, die sie im Lauf der Jahrhunderte erlebt hat, heute noch existiert, nicht ein überwältigender Beweis dafür?
Deshalb sagt Petrus: Wer an Ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden. Auch wenn die Gläubigen aus den Juden Fremdlinge waren und manche Verfolgungen und Glaubensprüfungen erlebten, wenn sie den Anfeindungen ihrer ungläubigen Volksgenossen ausgesetzt waren, so durften sie sich doch sicher wissen, denn sie waren zum lebendigen Stein gekommen, zu einem unerschütterlichen Fundament.
Überragender Segen
In den Versen 25 und 26 spricht Jakob von Segnungen, die auf dem Haupt Josephs sein werden. Wenn wir an Segen denken, haben wir meistens Menschen vor Augen, die von Gott oder im Herrn Jesus gesegnet werden. Doch die Bibel spricht auch davon, dass Christus selbst gesegnet sein wird (Ps 45,3). Gott hat Ihn in Ewigkeit gesegnet. Er hat den Menschen Christus Jesus über alles erhöht und Ihn über die Werke seiner Hände gesetzt.
Mit der Erhöhung und öffentlichen Anerkennung des Herrn Jesus wird auch der Segen zu seinem irdischen Volk ausfliessen, so wie es damals bei Joseph war. Es wird ein Segen sein, der alles überragt, was dieses Volk je erlebt hat, der sich auch auf die Tier- und Pflanzenwelt erstrecken wird (Ps 72,16; Ps 147,14; Jes 30,23-26; Joel 2,23-27). Die anderen Völker der Erde werden in dem Nachkommen Abrahams ebenfalls gesegnet werden (1. Mo 22,18; Jes 25,6).
Noch weitaus grösser als der Segen, den Gott über die Erde und besonders über sein irdisches Volk ausgiessen wird, sind die Segnungen, die wir als himmlisches Volk im verherrlichten Christus empfangen haben. In Christus sind wir mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet. Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus hat uns vor Grundlegung der Welt auserwählt und uns zur Sohnschaft für sich selbst zuvor bestimmt. Er wollte uns als Kinder und Söhne vor sich haben, die in seinem Sohn das ewige Leben besitzen. Ausserdem hat Er uns seinen Geist gegeben, der in uns wohnt und uns zum Leib des Christus verbunden hat. Wir sind zu einer Behausung Gottes im Geist aufgebaut worden. Sind das nicht grossartige Vorrechte?
Auf dem Haupt Josephs
Am Ende von Vers 26 betont Jakob noch einmal, dass der Segen auf dem Haupt Josephs sein wird. Alle Segnungen, die Gott seinem Volk verheissen hatte, werden den Israeliten durch Christus zuteilwerden. Sie selbst können keine Ansprüche mehr geltend machen, sondern sie werden einmal wie Ruth vor Boas stehen, wie eine Fremde, die gar nichts besitzt und nur auf seine Gnade hoffen kann. Diese Gnade werden sie im vermögenden Mann finden, der für sie dann der Gekrönte unter seinen Brüdern sein wird. Dann wird der Traum Josephs in Erfüllung gehen und ihre Garben werden sich vor seiner Garbe verneigen.
Dasselbe ist auch in Bezug auf uns wahr: Wir konnten ebenso wenig Ansprüche geltend machen. Wir waren fern, ohne Gott und ohne Hoffnung. Aber in Christus sind wir in die höchste Segensstellung eingesetzt worden. Aller Segen gründet sich auf Ihn und sein Werk. Dabei wollen wir uns immer wieder bewusst machen, was dazu notwendig war: Der von Gott erhöhte und verherrlichte Christus ist derselbe wie der Erniedrigte, der in die unteren Teile der Erde hinabgestiegen ist, der sich selbst bis zum Tod am Kreuz erniedrigt hat. Dafür sei sein Name ewig gepriesen!