Grösser und vortrefflicher als alles, was nach dem Brief an die Hebräer den alten Bund charakterisierte, wird uns im zwölften Kapitel des Hebräerbriefs der Sohn als der Anfänger und Vollender des Glaubens vorgestellt. Er steht über den Propheten und Engeln, über Mose, über Aaron und dem Priesteramt, über den Opfern, die nur Schatten waren. Jesus ist auch der Erste im Bereich des Glaubenslebens und übertrifft alle Zeugen, deren unbegrenzte Liste uns im elften Kapitel gegeben ist.
Von dieser schönen Liste wollen wir einige Punkte hervorheben, auf die der Geist uns im Leben dieser Glaubensmänner aufmerksam macht. Wir werden sehen, dass diese Einzelheiten, so leuchtend sie auch sein mögen, nur dazu dienen, den herrlichen und königlichen Lauf dessen noch besser hervorzuheben, der in allen Dingen den ersten Platz einnimmt.
Abel
Abel hat Gott ein vorzüglicheres Opfer dargebracht als Kain, indem er von den Erstlingen seiner Herde brachte. Aber wie viel vortrefflicher ist doch das Opfer dessen, der sich selbst ohne Fehl Gott geopfert hat und dessen Blut besser redet als Abel.
Henoch
Henoch, der auf ihn folgt, ist wegen seines treuen Wandels nicht durch den Tod gegangen. Die Menschen müssen zwangsläufig durch den Tod gehen, weil er der unvermeidliche Lohn der Sünde ist, und selbst für den Gläubigen, nach seinem natürlichen Willen, ist er ein Ort, «wohin er nicht gehen will». Henoch, von Gott weggenommen, entrinnt persönlich dem Tod, ohne ihn aber besiegt zu haben. Christus dagegen, der gehorsam war bis zum Tod, ihn aber freiwillig erduldete, ist als Sieger daraus hervorgegangen. Henoch wurde nicht mehr gefunden, wie später Elia, der nach seiner Wegnahme während drei Tagen ohne Erfolg gesucht wurde. Aber als der Herr die Seinen verliess, hat Er sie nicht im Ungewissen gelassen. Er sagte: «Wo ich hingehe, wisst ihr, und den Weg wisst ihr» (Joh 14,4). Vor dem leeren Grab erinnert Er Maria daran: «Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater …» Wir wissen somit, dass der vortrefflichste Mann des Glaubens seinen Lauf jenseits des Scheols vollendet, zur Rechten des Thrones Gottes, wo sich «Fülle von Freuden auf immerdar» befinden (Ps 16,11). Aber mehr noch, Er will dort nicht allein bleiben, sondern wiederkommen, um die Seinen zu sich zu nehmen, damit wo Er ist, auch sie mit Ihm seien. Durch seine grosse Macht wird Er die von der Erde wegnehmen, für die Er die Macht des Todes zunichtegemacht hat.
Von Henoch wird noch gesagt, dass er vor seiner Entrückung, d.h. am Ende der dreihundert Jahre seines treuen Wandels, das Zeugnis erhielt, dass er Gott wohlgefallen habe. Aber der Sohn hat dieses Zeugnis schon am Jordan erhalten, vor seinem Dienst, wegen der Vortrefflichkeit seiner Person selbst, und nicht nur wegen seines Wandels. «An dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hat» (Jes 42,1; Mt 12,18).
Noah
Noah wurde von dem Gericht verschont. Christus hat das Gericht, das wir verdient hatten, auf sich genommen. Die Arche ist ein Bild des Kreuzes, das die, die Christus angehören, vor dem Gericht in Sicherheit bringt und die Welt verurteilt. Noah wurde «Erbe der Gerechtigkeit», indem er selbst in den Genuss dieser «einen Gerechtigkeit» kam, deren Folgen «allen Menschen zur Rechtfertigung des Lebens gereichten» (Röm 5,18).
Abraham
Abraham war gehorsam, als er «gerufen wurde». Christus hat aus eigenem Antrieb gehorcht, indem Er von allem Anfang an völlig eins war mit dem Gedanken des Vaters: «Siehe, ich komme … Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust» (Ps 40,8.9). Das ist mehr als Gehorsam. Das ist gewissermassen eine Liebe zum Gedanken des Vaters, die weder Zaum noch Zügel der Umstände nötig hat (Ps 32,9) – bei Abraham war es der Tod seines Vaters in Haran – noch gesetzliche Vorschriften, wohl aber eine Liebe ist, die den Willen Gottes selbst verwirklicht, weil die treue Seele keinen anderen hat. Das ist die Form des Gehorsams, die uns vorgeschlagen wird. «Wenn meine Worte in euch bleiben …»
Als Vorbild des Herrn ist Abraham ausgezogen an einen Ort, den er später zum Erbteil empfangen sollte und in dem er wie in einem fremden Land gewohnt hat. Aber Christus, bevor Er als Fremdling in Israel lebte, weil Er vom Volk verworfen wurde, ist gemäss Verheissung in das Seine gekommen, und die Seinen haben Ihn nicht angenommen. Abraham war ein geehrter Fremdling, ein Fürst Gottes inmitten der Kinder Heth (1. Mo 23,6). Jesus war inmitten seines Volkes ein verachteter Fremdling, einer, der aus Nazareth kam. Als Abraham auszog, wusste er nicht, wohin er kam; Jesus aber, als Er nach Jerusalem hinaufging, machte sein Angesicht wie einen Kieselstein, im vollen Bewusstsein der Taufe, mit der Er getauft werden musste.
Gott hatte Abraham eine Stadt bereitet, die dieser erwartete; Christus aber fuhr zu seinem Vater hinauf, und dieser Gedanke genügte Ihm. Er ging aus dieser Welt «zum Vater». «In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen»: das ist der Ort, wo Christus selbst sich nach vollbrachtem Werk befindet und wo Er eine Stätte für die Seinen bereitet hat. Aber was gibt diesem Haus den wirklichen Wert? Ist es nicht der Vater, der dort wohnt? Er ist der Baumeister und Schöpfer der himmlischen Stadt, aber Er teilt sein eigenes Haus mit Christus und den Seinen.
Gott schämt sich dieser Männer des Glaubens nicht, ihr Gott genannt zu werden, und Er hat ihnen eine Stadt bereitet. Aber was den Sohn betrifft, schämt sich Gott nicht nur seiner nicht, sondern Er ist vollkommen verherrlicht in Ihm, und wenn Gott verherrlicht ist in Ihm, so hat Er ihn auch in sich selbst verherrlicht, und hat Ihn sogleich verherrlicht (Joh 13,32). Er hat zu Ihm gesagt: «Setze dich zu meiner Rechten», eine Stellung der Auszeichnung, entsprechend dem Wohlgefallen, das Gott an dem vollkommenen Vollender des Glaubens gefunden hat.
Mose
«Durch den Glauben weigerte sich Mose …» Unser Brief hebt diesen bemerkenswerten Beweis göttlicher Energie bei diesem aussergewöhnlichen Diener hervor. Vermutlich verzichtete er auf ein Königtum. Christus lehnte auch alle Reiche der Welt ab, als Er vom Teufel auf einen sehr hohen Berg geführt wurde. Aber das ist nicht alles. Wenn der Herr eine totale Selbstverleugnung verlangt von dem, der Ihm nachfolgen will, so wissen wir, dass Er nichts fordert, was Er nicht zuerst selbst verwirklicht hätte. Er schreibt keinen Weg vor, auf dem Er nicht als Erster vorangeht. Wenn Er daher dem reichen jungen Mann in Matthäus 19,21 gebietet: «… verkaufe deine Habe … und du wirst einen Schatz im Himmel haben», so sagt Er es mit der ganzen Autorität dessen, der selber alles verkauft hat, was Er hatte, um einen Schatz auf der Erde zu kaufen (Mt 13,44), die Versammlung, die Er sich erworben hat. Diese Selbstverleugnung ist von solcher Tragweite, dass wir sie kaum erfassen können, bis zum Moment, wo wir den Himmel, von dem Er herabgestiegen ist, selbst kennen lernen, und der Brief an die Philipper hat keinen anderen Ausdruck, um davon zu sprechen, als diesen: «Er hat sich selbst erniedrigt.»
Mose hat auf den Genuss der Sünde verzichtet. Christus dagegen hat für einen Augenblick auf die Wonne der Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes verzichtet, indem Er «für uns zur Sünde gemacht wurde». Er drückt es in Psalm 22 in diesem Ausruf aus: «Doch du bist heilig …» Die Schmach, die Mose für grösseren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens, wurde schon viele Jahrhunderte vor der Geburt Christi nach seinem Namen benannt, weil diese Form der Schmach: die Leiden um der Gerechtigkeit willen, durch das Leben unseres Herrn Jesu Christi vollkommen dargestellt wurde.
Von Mose wird noch gesagt: «Er schaute auf die Belohnung.» Und der Herr? Hat Er umsonst gearbeitet? Hat Er tatsächlich «für nichts seine Kraft verzehrt»? Nein, nicht wahr? Es gibt einen Lohn, einen «herrlichen Preis», die Frucht der Mühsal seiner Seele, die sein Herz vollkommen zu befriedigen vermag. Diese Frucht ist: das vollbrachte Werk, die Verherrlichung des Vaters, die Versammlung, und bald die gereinigten Himmel und die versöhnte Erde, Gottes Ruhe in seiner Liebe (Zeph 3,17), das ewige Teil des Vaters, des Sohnes und der Auserwählten.
Der Glaube kann warten
Nach den ersten Worten unseres Kapitels 11 ist der Glaube eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht. Der Glaubenslauf hat diesen besonderen Charakter, für eine Zeitlang etwas aufzugeben, im Hinblick darauf, später einen vorzüglicheren Gegenstand zu besitzen. Der Wert, den man dem Gegenstand beimisst, den man noch nicht erhalten hat, ist es, der die Leiden der Selbstverleugnung ertragen lässt und Geduld zum Ausharren gibt. Je höher der Wert des Gegenstands für die Seele, umso mehr Energie und Geduld wird diese entfalten, in der Aussicht, ihn zu besitzen. Die Jahre, während denen Jakob um Rahel diente, waren in seinen Augen wie einzelne Tage, weil er sie liebte.
Die vor ihm liegende Freude
Was war denn nun der Gegenstand Jesu, des Anfängers und Vollenders des Glaubens? Ein einziges Wort fasst ihn zusammen: «die vor Ihm liegende Freude». Ihretwegen hat Er das Kreuz erduldet, die Schande nicht achtend. Welch einen unermesslichen Wert muss diese Freude doch für Ihn haben, dass Er einen Lauf, der mit solchen Leiden verbunden war, auf sich nahm! Diese Freude umfasste alles, was wir weiter oben betrachtet haben: das vollbrachte Werk und seine wunderbaren Folgen. Es ist die Freude dessen, der unter Weinen hinging und den Samen zur Aussaat trug, aber mit Jubel heimkommt und seine Garben trägt, die Freude dessen, der hinausging, die Dornenkrone tragend, und der bald erscheinen wird, gesalbt mit Freudenöl, mehr als seine Genossen. Diese Freude ist nicht mehr vor Ihm, sie gehört Ihm jetzt, weil sein glorreicher Lauf vollendet ist; er wurde beendet «zur Rechten des Thrones Gottes». Wir können seine Freude, besser als die Jünger, durch den Glauben betrachten und uns darüber freuen, dass Er sie jetzt geniesst, weil Er zum Vater gegangen ist. Mehr noch: wir machen einen Teil seiner Freude aus, indem wir sozusagen Elemente davon sind, Ähren dieser heimgetragenen Garben, wovon jede für Ihn den Wert hat, den Er bezahlen musste, um sie zu erwerben.
Ein Anführer ist uns gegeben, vor unsere Augen gestellt, damit wir Ihm folgen. Er geht uns voraus. Ihm auf dem Weg des Glaubens nachfolgen, heisst Ihm in der Selbstverleugnung und in der Schmach nachfolgen. Es ist der Mühe wert, denn Ihm auf dem Weg seiner Leiden und seiner Schmach nachfolgen heisst, Ihm in seiner Freude nachfolgen, in der persönlichen Freude des Herrn, in die Er seinen Knecht einführen wird, den Er als treu befunden hat. Ja mehr noch, es ist seine Person selbst, die unsere «Belohnung» ist, ein Gegenstand kostbar über alles, mächtig genug, um unsere Herzen und unsere Schritte auf diesem schwierigen Glaubenslauf mitzureissen. Möchte dieser gesegnete Gegenstand, indem er unsere Gedanken beschäftigt, unserem ganzen Leben den Stempel einer nie erlahmenden Energie aufdrücken, in einer Treue, die Ihn verherrlicht, bis zum Augenblick seiner Wiederkunft.