«Am Abend kehrt Weinen ein, und am Morgen ist Jubel da» (Ps 30,6).
Der Schöpfer hat es in seiner Weisheit so angeordnet, dass auf den Tag der Arbeit und der Anstrengung die Nacht folgt, in der seine Geschöpfe ausruhen und für den kommenden Morgen neue Kräfte sammeln können. Er setzte Sonne und Mond «an die Ausdehnung des Himmels, dass sie auf die Erde leuchten und dass sie am Tag und in der Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Und Gott sah, dass es gut war» (1. Mo 1,17.18).
Das sollte so bleiben. Alle Tage der Erde sollten «nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht» (1. Mo 8,22).
Doch seit dem Sündenfall haben die Begriffe «Tag» und «Nacht» eine symbolische Bedeutung bekommen. Durch die Sünde ist es in der Welt in sittlicher Hinsicht Nacht geworden. «Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völkerschaften» (Jes 60,2). Satan ist jetzt der Fürst der Welt, und jeder Mensch, der noch nicht erlöst ist, befindet sich «in der Gewalt der Finsternis» (Kol 1,13). Er «ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiss nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat» (1. Joh 2,11). Die Folgen davon sind Tod und Trauer, Geschrei und Schmerz (Off 21,4) in einer Welt, die voller Gewalttat ist.
Auch der Pfad des Erlösten führt durch diese Finsternis. Als ein «Kind des Lichts» empfindet er sie stark und leidet er in dieser Umgebung. Er hat Anteil an den Folgen der Sünde, die in die Welt gekommen ist. Solange der Herr die Seinen in der Welt lässt, kann auch er krank und gebrechlich werden; er wird alt und muss durch den Tod gehen. – Weil er im Licht wandelt, wird er in der Welt verachtet und gehasst, ja sogar verfolgt. – Auch ist er in der Schule Gottes. Asaph ist nicht der einzige, der sagen musste, dass er «geplagt wurde den ganzen Tag, und jeden Morgen seine Züchtigung da war» (Ps 73,14).
Doch immer wieder darf der Gläubige erfahren, dass wenn «am Abend Weinen einkehrt» – (der Abend dauert so lange, wie es Gott in seiner Weisheit und Liebe für gut findet) – «am Morgen Jubel da ist». Gott hört auf das Flehen und Schreien seiner Kinder. Er vermag wunderbar zu trösten und ihnen inmitten der Nacht der Welt Erleichterungen und Befreiungen aus der Bedrängnis zu geben. «Wir sind ins Feuer und ins Wasser gekommen, aber du hast uns herausgeführt zu überströmender Erquickung» (Ps 66,12). So können auch sie sagen. Statt uns vor dem Morgen zu fürchten, dürfen wir im Glauben festhalten, dass Gottes Erbarmungen jeden Morgen neu sind, und seine Treue gross ist (Klgl 3,23).
Wie ist inmitten der Finsternis dieser Welt aber auch «die vor uns liegende Hoffnung, die wir als einen sicheren und festen Anker der Seele haben» (Heb 6,19), ein Quell der Ermunterung, der uns ständig begleitet! Der Mann, der ohne Gott leben will, aber auf den Menschen vertraut, ist verflucht; er wird nicht sehen, dass Gutes kommt (Jer 17,5.6), weder jetzt noch nach seinem Tod. Der Gläubige hingegen ist in den wunderbaren Heilsplan Gottes einbezogen. Seine Erwartungen gründen sich auf den allmächtigen «Gott der Hoffnung», der alles wirkt nach dem Rat seines Willens (Eph 1,11). Darum kann der Erlöste, erfüllt «mit aller Freude und allem Frieden im Glauben» seinen Weg gehen (Röm 15,13).
Er besitzt:
- eine lebendige Hoffnung (1. Pet 1,3); denn sie ist konzentriert auf Jesus Christus (1. Tim 1,1), der aus den Toten auferstanden ist und in dem Gott seinen Ratschluss zur Ausführung bringt;
- eine gute Hoffnung (2. Thes 2,16); sie bezieht sich nur auf das Gute, das der Gott der Hoffnung durch Christus wirken wird, und nicht auf das Tun des Menschen, das böse ist;
- eine glückselige Hoffnung (Tit 2,13); denn ihre Erfüllung lässt keine Wünsche mehr offen: Für immer da zu sein, wo unser Herr Jesus ist, bei Ihm im Vaterhaus, bei Ihm, der uns geliebt und sich selbst für uns gegeben hat, ist vollkommene, unveränderliche Glückseligkeit;
- eine bessere Hoffnung als die Israels (Heb 7,19); denn wir erwarten ein unverwesliches und unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil, das in den Himmeln aufbewahrt ist für uns; unsere Hoffnung ist «die Herrlichkeit Gottes» selbst (Röm 5,2).
Der Gläubige weiss, dass Gott einen Plan hat mit seiner Versammlung, mit Israel und mit der Welt, einen Ratschluss, den Er auf die Weise und zu der Zeit erfüllen wird, wie Er will. Niemand kann Ihn hindern oder etwas daran ändern. Er hat uns diesen Plan in seinem Wort in allen Einzelheiten mitgeteilt, weil Er darin mit uns Gemeinschaft haben will. Wir sollen uns jetzt schon über unser herrliches Erbteil freuen, aber auch die Welt, die dem Gericht entgegengeht, so beurteilen, wie Er es tut. Das soll uns auch zu einem eifrigen Dienst des Evangeliums anspornen.
Nehmen wir uns also die Mühe, den Plan Gottes über die Ereignisse, die teilweise schon in naher Zukunft stattfinden werden, in allen seinen Einzelheiten kennenzulernen. Der Apostel Petrus sagt bezüglich dieses prophetischen Wortes: «Auf das zu achten ihr wohltut, als auf eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet» (2. Pet 1,19).
Welche Folgen hätte es, wenn wir die Flamme dieser Lampe in unseren Herzen herabschraubten, so dass der Docht nur noch ein wenig glimmte?
Nun, dann würde es auch für uns dunkel in der Welt. Wir raubten uns den starken Trost, die uns gegebene Hoffnung. Wir täten es der Welt gleich, die nur das Sichtbare, das Materielle, das Irdische sieht und sorgten uns um diese Dinge. Wir vergässen dann, dass «die Erde und die Werke auf ihr verbrannt werden» und dass «dies alles aufgelöst wird». Wir versäumten daher, uns eines heiligen Wandels in Gottseligkeit zu befleissigen (vgl. 2. Pet 3,10.11) und verfehlten die Aufgabe, zu der wir vom Herrn Jesus in diese Welt gesandt sind: treue Zeugen zu sein.
Nicht wahr, das wollen wir nicht! Viel lieber wollen wir das mitreissende Beispiel des Apostels Paulus nachahmen, der das Licht seiner Lampe auf «ganz hell» eingestellt hat. «Christus gewinnen» war sein Lebensmotto. Alles andere achtete er für Verlust, ja sogar für Dreck. Seine Briefe verraten es überall, dass er sein Auge auf Christus in der Herrlichkeit gerichtet hielt. Mit dem Christus auferweckt (wie auch wir es sind), suchte er was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sein Ihm hingegebenes Leben und sein überströmender Dienst für Ihn wickelte er im Licht des kommenden Tages des Herrn ab, an dem alles offenbar wird. Gewiss, auch er war von der Finsternis dieser Welt umgeben. Wie keiner von uns wurde er von allen Seiten angefeindet und verfolgt. Er war in unzähligen Nöten und Gefahren (2. Kor 11,23-33). Und doch blieb es in seinem Herzen hell. Er war ein glücklicher Mann; denn das Leben für ihn war Christus.
«Denn noch eine ganz kleine Zeit, und der Kommende wird kommen und nicht ausbleiben» (Heb 10,37). Aus der Finsternis dieser Welt wird Er die Seinen allesamt im verherrlichten Leib in die Wohnungen des Vaterhauses, in die strahlende, glückselige Helle des Himmels einführen, dahin wo Er, dahin wo unser Vater ist. Dann ist für uns der Morgen nie endenden Jubels da; Weinen, Kummer und Seufzen sind für immer entflohen. Nacht wird nicht mehr sein (Off 21,25; 22,5); denn die Lampe im neuen Jerusalem ist das Lamm.