Schwierigkeiten beim Bibellesen

Manche Rationalisten behaupten, sie könnten der Bibel nicht glauben, weil es darin so viele Schwierigkeiten gebe.

Im Gegenteil, sage ich, wir müssten uns eher wundern, wenn wir keine Schwierigkeiten darin fänden: Der Verfasser ist göttlich, ich aber bin menschlich; wie kann ich da erwarten, alles zu verstehen? «Gerade die sprachlichen und historischen Schwierigkeiten der Heiligen Schrift liefern überzeugende innere Beweise für die Echtheit und Glaubwürdigkeit der Bibel», sagt ein gläubiger Gelehrter. Wenn ich eine Bibelstelle nicht verstehe, so dass mir deren Bedeutung fraglich ist (nicht die Bedeutung an sich), dann warte ich auf Gott, damit Er mich belehrt, was sie sagen will.

Schwierigkeiten erproben unseren Glauben. Ist nicht auch das ein Zeugnis zu ihren Gunsten? Sind nicht alle göttlichen Fügungen zu unserer Erziehung? Was ist das Leben anders als ein Wandeln durch Glauben, im unerschütterlichen Vertrauen auf Ihn, den wir nicht völlig begreifen können. Sind wir nicht in Umständen, die ein solches Vertrauen erfordern?

Aber manche Schwierigkeiten schmelzen weg, wenn wir sie genau betrachten, und es wird von Nutzen sein, wenn wir die folgenden sechs Feststellungen beachten:

  1. Der Urtext kann durch das einstige Abschreiben und durch die Übersetzung etwas verstümmelt worden sein, aber nur in einem sehr begrenzten Ausmass.
  2. Die Meinung, dass die Inspiration nicht wörtlich sei, zerstört die unbedingte Autorität der Bibel. – «Es ist aber leichter, dass der Himmel und die Erde vergehen, als dass ein Strichlein des Gesetzes wegfalle» (Lk 16,17).
  3. Bei irgendwelchen Abweichungen zwischen zwei Berichten über dasselbe Ereignis könnten nur direkte Widersprüche – also Aussprüche, die einander aufheben – Beweise gegen die Inspiration liefern, und solche gibt es nicht (aber siehe Punkt 1).
  4. Stillschweigen ist kein Beweis von Unwissenheit. Siehe die Erklärung des Apostels Johannes: «Es sind aber auch viele andere Dinge, die Jesus getan hat, und wenn diese einzeln niedergeschrieben würden, so würde, denke ich, selbst die Welt die geschriebenen Bücher nicht fassen» (Joh 21,25).
  5. Die in den Evangelien erzählten Begebenheiten sind nicht nach ihrer chronologischen Reihenfolge geordnet.1
  6. Darstellungen, die offensichtlich widersprüchlich sind, mögen sich auf verschiedene Ereignisse beziehen, wie z.B. die Speisung der Fünftausend, im Gegensatz zur Speisung der Viertausend, die oft vermischt werden.

Lasst uns hier zwei Beispiele anführen: Matthäus 1,1-16 enthält eines der Geschlechtsregister unseres Herrn, und ein anderes findet sich in Lukas 3,23-38. Die beiden Verzeichnisse sind verschieden, weil das eine in Matthäus seine Abstammung durch Joseph in der königlichen Linie nachweist (als Sohn Davids), das in Lukas aber seine natürliche Abstammung durch Maria bis auf Adam zurückverfolgt (als Sohn des Menschen).

Sodann berichtet Johannes, dass Christus «um die sechste Stunde» vor dem Richterstuhl des Pilatus gewesen sei (Joh 19,14). Matthäus, Markus und Lukas aber erwähnen die Tatsache, dass Er «um die sechste Stunde» am Kreuz gewesen sei (Mt 27,45; Mk 15,33; Lk 23,44). Da liegt aber kein wirklicher Widerspruch vor, denn Johannes zählte die Stunden nach der römischen, die «Synoptiker» aber nach der jüdischen Methode. Die sechste Stunde war daher für Johannes 6 Uhr morgens, für die anderen die Mittagszeit.

Schliesslich möge niemand die Erklärung jeder Schwierigkeit versuchen oder erwarten. «Der letzte Schritt der Vernunft», sagt Pascal,2 «ist der, zu wissen, dass es eine Unendlichkeit von Dingen gibt, die sie übersteigen.» Nachdem alle Schwierigkeiten gelöst und alle Worte der Bibel erklärt wären, blieben noch die gewichtigsten Schwierigkeiten von allen übrig: Der Ursprung des Bösen, das Geheimnis der Vorkenntnis und der freien Wirksamkeit Gottes, wie auch manches im Plan der Erlösung würden immer noch unseren Glauben üben. So wie es jetzt unsere Weisheit ist, würden wir auch dann noch sagen: «O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unergründlich seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Mitberater gewesen?» (Röm 11,33.34).

Der Christ besitzt in seinem Herzen das Zeugnis für die Inspiration der Bibel. Das ist die natürliche Folge des Glaubens, und nichts was Mensch oder Teufel sagen, können ihn in seiner festen Überzeugung erschüttern. Wir glauben Gott, und Er hat zu uns gesprochen – sollten wir Ihm wegen der ungläubigen Überlegungen des Menschen nicht mehr glauben? Sind wir Christen über die Angriffe der Menschen auf die Schriften verwundert? Nein, denn der Apostel Paulus sagte es voraus. «Dies aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden; denn die Menschen werden … mehr das Vergnügen lieben als Gott, eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen; und von diesen wende dich weg … die allezeit lernen und niemals zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können. In der Weise aber, wie Jannes und Jambres Mose widerstanden, so widerstehen auch diese der Wahrheit, Menschen, verdorben in der Gesinnung, unbewährt hinsichtlich des Glaubens … Böse Menschen aber und Betrüger werden zu Schlimmerem fortschreiten, indem sie verführen und verführt werden» (2. Tim 3,1.2.4.5.7.8.13).

Was ist in einem solchen Fall die Hilfsquelle des Treuen? «Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist, da du weisst, von wem du gelernt hast, und weil du von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die imstande sind, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. Alle Schrift ist von Gott eingegeben» (2. Tim 3,14-16). Die Hilfsquelle in diesen letzten und bösen Tagen ist also Ehrfurcht gegenüber der Heiligen Schrift und Vertrauen in ihre göttliche Inspiration.

  • 1Anmerkung der Redaktion: Wohl mit Ausnahme des Markus-Evangeliums. W. Kelly schreibt darüber: «Ich bin überzeugt, dass es dem Heiligen Geist gefallen hat, uns in einem der Evangelien die historische Reihenfolge des Lebens Jesu zu geben, damit wir feststellen könnten, wenn sie in den anderen umgruppiert ist. So können wir die verschiedenen Absichten des Geistes Gottes erkennen, wenn Er uns in einem Evangelium die Tatsachen im Widerspruch zu ihrer Chronologie vorstellt. Nach meiner Meinung ist es Markus, der uns dieses Kontrollmittel gibt in Verbindung mit dem sittlichen Charakter seines Evangeliums.»
  • 2Blaise Pascal (1623-1662) war ein französischer Mathematiker, Physiker, Literat und christlicher Philosoph.