Im Gegensatz zu den vorangegangenen Versen, wo von Leiden und Schmach die Rede war, die der Gläubige um Christi willen zu ertragen hat, wird in 1. Petrus 4,15 von Leiden gesprochen, die der Gläubige sich durch sein eigenes Verhalten zufügt. Es ist nicht schwer zu begreifen, dass ein Gläubiger, «jemand von euch», der sich des Totschlags, des Diebstahls oder einer anderen Übeltat schuldig macht, dadurch Leid über sich bringt. Dass aber im selben Sinn auch das «sich in fremde Sachen mischen» als Ursache von Leiden für den Gläubigen genannt wird, ist nicht so leicht verständlich. In unserem täglichen Leben und besonders in unserem Umgang mit Mitgläubigen wird ohne Zweifel auf diese Sünde nicht genügend geachtet.
Hier geht es gewiss nicht um ein sich Bemühen um andere im Wunsch, ihnen behilflich zu sein, ihnen in Liebe zu dienen. Wir lesen in Galater 6,10: «Also nun, wie wir Gelegenheit haben, lasst uns das Gute wirken gegenüber allen, am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens.» Sich auf diese Weise mit anderen zu beschäftigen, hat keine Leiden zur Folge; im Gegenteil, wenn wir hierin nicht müde werden, werden wir zu seiner Zeit ernten. (Es wird hier nicht gesagt: wenn wir Gelegenheit haben, sondern wie oder weil wir Gelegenheit haben. Die Gelegenheiten sind da; an uns ist es, sie zu benutzen!)
Das «sich in fremde Sachen mischen» hat eine ganz andere Bedeutung. Das Wort «Einmischung» – das sich ohne Notwendigkeit mit dem Tun anderer beschäftigen – hat bestimmt keinen günstigen Klang, aber mir scheint, dass niemand diese Handlungsweise als eine Ursache von Leiden betrachten würde, wenn die Schrift uns dies nicht mitteilte. Wenn wir uns fragen, weshalb wir uns in das Tun von anderen einmischen, ist dann die eigentliche Veranlassung dazu nicht die, dass wir uns für befugt halten, andere zu richten, dass wir uns über andere stellen? Es liegt in unserer menschlichen Natur, dass wir, indem wir andere belehren wollen, wie sie handeln sollen, dadurch unsere eigene Einsicht zu demonstrieren und uns so im Grund über andere zu erheben suchen. Meint Jakobus nicht diese Gesinnung, wenn er in Jakobus 3,1 schreibt: «Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder, da ihr wisst, dass wir ein schwereres Urteil empfangen werden»?
Es gibt aber oft noch einen viel schlimmeren Grund dafür, dass wir uns in die Sachen anderer einmischen: Wenn wir selbst in dieser oder jener Weise gefehlt haben, geht der Teufel sogleich darauf aus, uns mit den Fehlern anderer zu beschäftigen. Auch darin findet er in unserer alten Natur einen guten Anknüpfungspunkt. Der Herr hat gesagt, dass wir leicht den Splitter im Auge unseres Bruders sehen, aber den Balken, der in unserem Auge ist, nicht bemerken. Wenn wir die verkehrten Dinge im eigenen Leben nicht richten, suchen wir unser Gewissen gerne dadurch zum Schweigen zu bringen, dass wir bei den wirklichen oder vorausgesetzten Fehlern der anderen stehen bleiben. Eine solche Gesinnung ist der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist, ganz entgegengesetzt. Ihre heillosen Folgen sind Entzweiung, Zank und Zwietracht.
Wie wachsam sollten wir in dieser Beziehung sein! Fragen wir uns doch jedes Mal, bevor wir uns in das Tun anderer einmischen, ob die Liebe unsere Triebfeder ist. Auch muss eine ernste Selbstprüfung vorausgehen. Wandeln wir selbst im Licht, werden wir nicht so leichtfertig das Tun anderer kritisieren. Wir werden dann in Bescheidenheit an uns selbst denken und in Demut den anderen höher achten als uns selbst.
Wer kann ermessen, wie viel Leid im Kreis der Geschwister entstanden ist und oft jahrelang andauert, weil gewisse Brüder oder Schwestern sich «in fremde Sachen mischen.» Wir müssen dabei nicht an erster Stelle an das Leid denken, das anderen angetan wird, sondern an das, was über den kommt, der sich dieser Sünde schuldig macht. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn andere ohne Notwendigkeit unser Tun kritisieren, dies unsere innere Ruhe nicht zu stören braucht. In 1. Korinther 4,3 schreibt der Apostel Paulus: «Mir aber ist es das Geringste, dass ich von euch oder von einem menschlichen Tag beurteilt werde.» Er konnte ruhig weitergehen, weil er sich selbst von nichts Verkehrtem bewusst war.
Lasst uns auch in dieser Hinsicht Paulus nachahmen! Und wenn sich andere ein Urteil über unsere Taten anmassen, sollte es unsere erste Reaktion sein, uns selbst im Licht Gottes zu untersuchen. Sind wir uns dann «selbst nichts bewusst», kann auch uns das Urteil anderer «das Geringste» sein, ohne wirkliche Bedeutung. Es besteht aber grosse Gefahr, dass, wenn andere uns richten, wir uns selber verteidigen und in dasselbe Böse fallen, indem wir auch unsererseits uns in die Sachen anderer einmischen. Dadurch bringen auch wir Leiden über uns und bahnen wir den Weg für Neid und Hass.