Das Vorwort des Petrus

1. Petrus 1,1-2

Die Briefe des Petrus nehmen in der Schrift einen wichtigen Platz ein. Die Gläubigen werden darin nicht als solche betrachtet, die in Christus Jesus in den himmlischen Örtern sitzen – wie im Epheser-Brief –, sondern als Fremdlinge und Pilger in der Welt, die dem für sie in den Himmeln aufbewahrten Erbteil entgegengehen und unterdessen den Regierungswegen Gottes unterstellt sind. Die Dinge von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten, ist für uns sehr wichtig. Es genügt nicht, von der Linie, die der Epheser-Brief verfolgt, in die Höhe gehoben zu werden; der Gesichtspunkt des Petrus von der Wahrheit hat gleichen Anspruch auf unsere Herzen.

Ich möchte jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Einleitung des Petrus zu seinem ersten Brief lenken, in der wir für unsere Seelen eine Anzahl wichtiger Wahrheiten finden.

Er schrieb an die «Fremdlinge von der Zerstreuung von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien». Das waren in diesen Gegenden wohnende Juden, wie wir in Johannes 7,35 lesen: «Die Zerstreuung der Griechen», das heisst «die unter den Griechen zerstreut wohnenden Juden». Jakobus schrieb in ähnlicher Weise, wandte sich dabei aber an die ganzen zwölf Stämme. Petrus schrieb nur an die Gläubigen unter ihnen. Diese waren, wie wir wissen, seiner Pflege anvertraut. Der auferstandene Herr hatte ihm den Auftrag gegeben: «Weide meine Schafe» (Joh 21), womit vermutlich die Gläubigen aus der Beschneidung gemeint sind. Auch andere Schafe sind herzugerufen worden, die den jüdischen Schafhof nie gekannt haben (Joh 10,16); diese aber wurden zu gegebener Zeit der Pflege des Apostels Paulus anvertraut. Der, der in dem einen für das Apostelamt der Beschneidung gewirkt hat, wirkte in dem anderen dieses Amt in Bezug auf die Nationen (Gal 2,8). Folglich wurden in den Briefen des Petrus in erster Linie die Gläubigen aus den Juden angesprochen, doch gilt alles, was darin geschrieben ist, selbstverständlich auch für die Gläubigen aus den Nationen.

Sie werden als «auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters» bezeichnet. Dies ist etwas viel Höheres als die nationale Auserwählung durch den HERRN.

Als Volk waren sie einst von Gott auserwählt worden, um die Verheissungen bezüglich des Landes zu erben. Sie sollten sein Volk sein, das in Absonderung von den sie umgebenden Nationen wandelte, indem sie seine Wahrheit inmitten des allgemeinen Götzendienstes aufrecht hielten. Wir wissen, wie sehr sie gefehlt haben; aber Gott wird dennoch seine Ratschlüsse wahr machen; denn seine Gnadengaben und seine Berufung sind unbereubar (Röm 11,29). Aber während ihrer Verwerfung spricht Gott von einer anderen Auserwählung. Die Gläubigen in Christus Jesus sind vor Grundlegung der Welt in Ihm auserwählt worden (Eph 1,4). Diese Auserwählung ist im Gegensatz zu der Israels persönlicher Art. Es wäre nicht richtig, von der Versammlung als von einer «Auserwählten» zu sprechen, wenn dies auch wahr ist von den einzelnen Gliedern, aus denen sie zusammengesetzt ist. In dieser Beziehung erkennen manche den Gedanken Gottes nicht. Sie lieben die Vorstellung, dass die Kirche als Ganzes auserwählt sei und betrachten es als eine offene Frage, ob der einzelne Gläubige, wenn er untreu ist, schliesslich doch verworfen wird. Aber die Schrift ist darin ganz entschieden und klar. Die Auserwählung ist eine Wahrheit Gottes, die einzelne Gläubige betrifft und nicht die Kirche als solche. Diese hier angeredeten jüdischen Brüder waren, wenn man so sagen kann, eine Auserwählung aus der Auserwählung. Sie hatten im alten jüdischen Kreis äusserlicher Vorrechte gestanden und waren nun herausgerufen, um Gottes ewigen Ratschluss zu geniessen – die Beziehung zu dem Vater als seine Kinder, durch Gnade.

Dann wird uns das Mittel gezeigt, durch das diese Auserwählung zustande gekommen ist: «durch Heiligung des Geistes». Auch das steht im Gegensatz zu dem, was Israel gekannt hat. Ihre Heiligung hatte einen äusserlichen Charakter und geschah mittels des Gesetzes der Gebote in Satzungen (Eph 2,15). Durch den Besitz dieses Gesetzes waren sie gegenüber den sie umgebenden Unbeschnittenen gekennzeichnet. Das Fleisch rühmte sich dessen und verachtete die anderen.

Die christliche Heiligung aber ist eine andere und viel tiefere Sache. Sie ist ein innerliches Werk – das Werk des Geistes Gottes. Durch sein gnadenvolles Wirken in der Seele wird der Mensch für Gott abgesondert, um für immer sein Eigentum zu sein. Es ist wichtig, die besondere Art der Heiligung zu beachten, die hier gemeint ist. Sie ist absolut, nicht progressiv. Hier eine fortschreitende Heiligung hineinzubringen, wie es oft getan wird, heisst, die Segnungen des Evangeliums gefährden. Der Apostel setzt sie vor die Blutbesprengung. Fortschreitende Heiligung aber könnte ihr nie vorangehen. Alle Anstrengungen dazu, bevor das Werk Christi gekannt ist, sind nichts anderes als Gesetzlichkeit. Der mönchische Grundsatz, nach dem Menschen, denen die Gnade Gottes und die Kraft des Blutes Christi völlig unbekannt sind, sich durch eigene Werke anstrengen, die Heiligung zu erlangen und sich so für Gott passend zu machen, ist durchaus falsch. Das ist nichtiges Bemühen und nicht das Evangelium Gottes. Heiligung, in fortschreitendem Sinn, folgt auf den Empfang des Heils und der Segnung; der Versuch, sie anderswohin zu setzen, ist eine Verdrehung der Wahrheit der Schrift. Petrus gibt hier also den absoluten Gesichtspunkt der Wahrheit. Heiligung in diesem Sinn ist wahr von jedem Gläubigen, vom ersten Wirken des Geistes in der Seele an. Diese Seite der Wahrheit haben viele aus den Augen verloren, zum Schaden der Seelen. Die Schrift sagt jedoch viel mehr über diesen absoluten Gesichtspunkt der Sache als über die fortschreitende praktische Heiligung. Unter anderem sollte der Leser die folgenden Stellen überprüfen: 1. Korinther 6,11; 2. Thessalonicher 2,13; 1. Korinther 1,30; Hebräer 10,10-14.

In der Einleitung des Petrus folgt noch mehr: «auserwählt … zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi». Dies steht offensichtlich im Gegensatz zur Stellung, die Israel in 2. Mose 24 einnahm. Dort wurden sie abgesondert zum Gehorsam des Gesetzes. Mose nahm «das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes; und sie sprachen: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen» (2. Mo 24,7). Feierlich ernste Verpflichtung! In völliger Unwissenheit über sich selbst und über Gott gelobten sie, all den Forderungen des Gesetzes entsprechen zu wollen. Das Ergebnis davon ist bekannt. Der Christ aber ist zu einem höheren Charakter des Gehorsams berufen. «Zum Gehorsam … Jesu Christi», um so zu gehorchen, wie Er gehorchte. Er, der freiwillig Knechtsgestalt angenommen hat, gehorchte nicht aus Furcht vor den Folgen; auch kam der Wille Gottes nicht zu ihm, um einem gegensätzlichen Willen in ihm selbst Einhalt zu gebieten. Für Ihn war Gehorsam ein «Gesetz der Freiheit», wie Jakobus sich ausdrückt. In all der Vollkommenheit der göttlichen Natur fand Er seine Wonne darin, den ganzen Willen Gottes auszuführen. Er ist uns ein Beispiel. Wir sind aus Gott geboren, Teilhaber der göttlichen Natur und haben seinen Geist. Es ist uns nun also gegeben, in allen Dingen einen prompten und glücklichen Gehorsam gegenüber dem offenbarten Willen Gottes auszuüben. Eine der ersten Fragen des Wiedergeborenen lautet: «Herr, was willst du, dass ich tun soll?» Er ist sich bewusst, dass die «vergangene Zeit genug ist, den Willen der Nationen vollbracht zu haben», und wünscht nun sehnlichst, Gott zu gefallen. Das haben wir uns Tag für Tag vor die Herzen zu stellen. So werden wir praktisch zu himmlischen Personen. Das Gesetz, wenn es gehalten wird, macht einen Menschen nie zu dem, was von einem Christen erwartet werden kann. Muss es uns wundern, dass die, die nicht höher hinaufblicken als auf das Gesetz, indem sie es als die eigentliche Lebensregel betrachten, auf einem tiefen Standpunkt stehen? Muss es uns überraschen, dass solche mit der Welt verwickelt werden, zum Schaden ihrer Seelen und zum Verlust ihres Zeugnisses?

Dann folgt: «die Blutbesprengung Jesu Christi». Wir sind also auch dazu geheiligt. Israel wurde am Sinai mit Blut besprengt. «Mose nahm das Blut und sprengte es auf das Volk und sprach: Siehe, das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte» (2. Mo 24,8). Da ging es nicht um Sühnung, denn er besprengte auch das Buch des Gesetzes damit (Heb 9,19). Die Sühnung konnte nicht beim Geben des Gesetzes stattfinden, sondern folgte in der Gnade Gottes nachdem es gebrochen wurde. Das Blut wurde hier als Zeichen des Todes gesprengt, der Israels Teil sein würde, wenn der Bund verletzt werden sollte. Wie ganz anders ist die Stimme des Blutes Christi! Nicht nur «redet es besser» als Abel, sondern auch von besseren Dingen als von denen des Sinai. Es redet von geschehener Sühnung, von erfolgter Erlösung. Gott sei Dank, es ist auf uns angewendet worden! Von Ihm besprengt zu sein, hat uns rein gemacht vor Gott und hat das Gewissen von jeder Sünde befreit. Kraft dessen dürfen wir ohne Vorhang Gott nahen und Ihn in seiner heiligen Gegenwart anbeten. Das ist der glückselige Platz des Christen. Möchten unsere Seelen sich doch völlig an ihm erfreuen!

Diese zerstreuten jüdischen Brüder waren in alles dieses eingeführt worden, ein herrlicher Fortschritt gegenüber dem, was sie unter dem Gesetz gekannt hatten! Doch ach! Wenn sie aus der Gebundenheit und der Distanz von Gott herausgeführt worden sind, um durch Glauben an diesen Segnungen in Christus teilzuhaben, so gehen diese den Menschen in der Christenheit immer mehr verloren. Möchten alle unsere Leser davor bewahrt bleiben! Wir sind nur dann vor den bösen Anläufen des Feindes gesichert, wenn unsere Herzen vom Genuss der Fülle der göttlichen Gnade in Christus Jesus erfüllt sind.