Wirklichkeit

Richter 7,1-8

Die Seele ist wahrhaftig erfrischt, wenn sie in dieser Welt der Wirklichkeit begegnet, wo sonst so viel Verwirrung ist und so viele gemischte Beweggründe im Spiel sind. Gott will Wirklichkeit; nur sie ist Ihm wohlgefällig und entspricht seinen Gedanken.

Im angeführten Schriftabschnitt finden sich in dieser Hinsicht sehr ernste Unterweisungen und wir tun gut, darauf zu achten. Der Heilige Geist möge in unseren Herzen Unterwürfigkeit unter Gottes Wort hervorbringen.

In Richter 6 sehen wir, wie sich der Herr für sein Werk ein Werkzeug zubereitet. Das ist ein wichtiger Grundsatz. Nicht nur muss Er selbst die Werkzeuge erwecken, sondern auch für das Werk zubereiten, das Er ihnen auftragen will.

Dafür finden wir im Wort mehrere Beispiele. Wir wollen nur ein einziges anführen. Gott war es, der Mose zum Befreier bestimmte, der das Volk Israel aus seiner grausamen Knechtschaft herausführen sollte. Wir lesen von diesem Mann: «Und Mose wurde unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter; er war aber mächtig in seinen Worten und Werken» (Apg 7,22). Da wird der natürliche Mensch sagen: Welch ausgezeichnete, einsatzbereite Waffe hat nun Gott in der Hand! Aber dieser Gedanke entspricht keineswegs seinen Gedanken; denn Er will das in Ägypten Erworbene weder anerkennen noch gebrauchen. Aber Er nimmt nun Mose sozusagen vierzig Jahre lang in seine Schule, damit er gebührend zubereitet und geeignet würde für das Werk, zu dem Er ihn bestimmt hat.

Oh, welche Wirklichkeit finden wir hierin! Wie ist doch die Tatsache so wirklich, dass die Werkzeuge Gottes in seiner Schule lernen müssen. In seiner Armee lassen sich keine Ausweise zum Dienst kaufen; um befördert zu werden, müssen alle als einfache Soldaten beginnen.

Die Geschichte Gideons zeigt uns denselben Grundsatz. Gott ist es, der ihn, den Sohn Joas, den Abieseriter erweckt, damit das Volk Israel durch ihn aus der Hand der Midianiter befreit werde. Seine Familie gehört zu dem ärmsten Tausend in Manasse, und er ist, wie später David, der Jüngste oder Geringste in dem Haus seines Vaters. Aber was hat dies alles zu sagen? Vor den Worten: «Habe ich dich nicht gesandt?» verblassen alle diese Einwürfe, weil eine lebendige Wirklichkeit vor die Seele gestellt ist.

Kennen wir diese Dinge? In unseren Tagen ist es leicht, sich vor anderen einen gewissen Schein zu geben. Aber haben wir es dabei mit dem lebendigen Gott zu tun? Ist dies für uns eine tiefe Wirklichkeit? Und beachte hier die Tatsache, dass Gideon, dem Gott antwortet: «Habe ich dich nicht gesandt?» und «Ich werde mit dir sein», mit der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk beschäftigt ist. «Wenn der HERR mit uns ist, warum hat denn dies alles uns betroffen?»

Beachten wir nun die Stufen oder Formen, die die Schule Gottes für Gideon, den tapferen Helden, jetzt annimmt.

Erstens muss zwischen ihm und Gott eine Beziehung des Friedens aufgerichtet werden. Er wird in die Gegenwart Gottes eingeführt und hört die kostbaren Worte: «Friede dir!» und «Fürchte dich nicht!»

Zweitens muss Gideon die Beziehung seiner Familie gegenüber Gott als seine eigene betrachten lernen und also zuerst bei sich selbst ans Werk gehen, bevor er ausgesandt wird. «Und es geschah in jener Nacht, da sprach der HERR zu ihm: Nimm den Stier deines Vaters, und zwar den zweiten, siebenjährigen Stier; und reisse den Altar des Baal nieder, der deinem Vater gehört, und die Aschera, die daneben ist, haue um; und baue dem HERRN, deinem Gott, einen Altar auf dem Gipfel dieser Bergfestung mit der Zurüstung; und nimm den zweiten Stier und opfere ein Brandopfer mit dem Holz der Aschera, die du umhauen wirst» (Ri 6,25.26).

Leser, welch eine Prüfung für das Gewissen! Die Waffen Gottes müssen zuerst gebraucht werden, um das Böse im Haus anzugreifen und wegzutun, bevor sie nach aussen wirken können. Das ist der Grundsatz von 2. Timotheus 2,21: «Wenn nun jemand sich von diesen reinigt – siehe Vers 20 – so wird er ein Gefäss zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet.» Das Gefäss des Herrn soll nur das enthalten, was dem Herrn wohlgefällt. Es ist wohl so, dass Gott, in seiner Erhabenheit, sich herablässt, um zur Erreichung seiner Absichten die verschiedensten Mittel zu gebrauchen. Aber das ist etwas anderes, als der Verantwortung zu entsprechen, ein Gefäss für Gott zu sein, geheiligt und nützlich für seinen Gebrauch.

Gott will Wirklichkeit bei seinen Knechten und bei seinem Volk. Jemand hat gesagt: «Gott hat keine leblosen Wegweiser nötig, die weder selber laufen noch jemand auf den Weg führen können, den sie anzeigen.» Nein, Gott verlangt nach solchen, die stark sind in der Gnade, die in Christus Jesus ist, die als gute Soldaten Jesu Christi Trübsal leiden können, solche, die Kriegsdienst tun, ohne sich in die Beschäftigungen des Lebens zu verwickeln, und die, wie Ackerbauern, zuerst arbeiten, bevor sie Früchte geniessen wollen.

Gott muss Wirklichkeit haben. Er fand sie in Gideon, als die Frucht des Werkes seiner Gnade gegenüber diesem Mann.

Beachten wir jetzt, wie Gott bei dem Volk, das Gideon nachfolgt, Wirklichkeit sucht. Er kann seine Herrlichkeit nicht den 32'000 anvertrauen; sie sind ihm zu zahlreich. Ach, wie steht dies im Gegensatz zu den gewohnten Gedanken des Menschenherzens! Gott will dieses Heer prüfen. Kann es sein, dass Ihm alle treu sind? Werden sich nicht mehrere zurückziehen? In der Tat, sobald man ihnen die Verordnung von 5. Mose 20,8 vorstellte, die jedem nahelegt, seine Kosten zu berechnen – sozusagen zum Voraus die Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen – da finden sich von den 32'000 nur 10'000 bereit, den Gefahren zu begegnen, koste es was es wolle!

Aber Gott genügt dies noch nicht. Er sagt: «Noch ist das Volk zu zahlreich.» Das sind ernste Worte. Gott will den Sieg so herbeiführen, dass sich niemand darüber täuschen kann, wessen Hand im Spiel war, und das Herz des Gläubigen ausruft «der Herr hat Grosses an uns getan!» Er kannte den hochmütigen Geist Israels, der sich den Sieg so leicht selber zuschreiben würde.

Beachte daher die Kraft der Worte, die der HERR ein zweites Mal an Gideon richtet: «Noch ist das Volk zu zahlreich; führe sie ans Wasser hinab, dass ich sie dir dort läutere; und es soll geschehen, von wem ich dir sagen werde: Dieser soll mit dir ziehen, der soll mit dir ziehen; und jeder, von dem ich dir sagen werde: Dieser soll nicht mit dir ziehen, der soll nicht ziehen. Und er führte das Volk ans Wasser hinab. Und der HERR sprach zu Gideon: Jeder, der mit seiner Zunge vom Wasser leckt, wie ein Hund leckt, den stelle besonders; und auch jeden, der sich auf seine Knie niederlässt, um zu trinken. Und die Zahl derer, die mit ihrer Hand zu ihrem Mund leckten, war dreihundert Mann; und das ganze übrige Volk hatte sich auf seine Knie niedergelassen, um Wasser zu trinken.»

Was hat dies alles zu bedeuten? Von den 10'000 Menschen, die die erste Prüfung überstanden, waren nur 300 fest genug, um diese zweite Prüfung zu bestehen. Leser, beachte, dass eine grosse Zahl derer, die fähig wären, den Schwierigkeiten und Gefahren die Stirn zu bieten, angesichts der Segnung versagen.

Was ich damit sagen will? – Es war nicht verkehrt, dass dieses durstige Volk Wasser trank, denn die 300 Mann, die sich Gott erwählte, tranken wie auch die übrigen 9700, die entlassen wurden. Der Unterschied bestand darin, dass die ersteren im Vorübergehen Wasser tranken. Das Wasser, das ihren Durst löschte und ihren Leib erfrischte, war nicht das Ziel, das ihre Gedanken beschäftigte. Sie wollten sich nicht aufhalten, ihre Herzen trieben sie vorwärts und ihr Handeln zeigte die Wirklichkeit, die in ihren Herzen war.

Das lässt sich heute auch auf uns anwenden. Wie viele Gläubige, die sich den Schwierigkeiten gegenüber gewachsen zeigen, straucheln angesichts des Wohlstandes oder der leichten und angenehmen Umstände. Ach, wie wenige von uns vermögen im Wohlergehen Treue zu bewahren, wenn das Leben für uns so sanft dahinfliesst! Als der HERR jene Männer prüfte, zeigten sich die, die sich zum Wassertrinken auf ihre Knie niederliessen, ebenso wenig brauchbar für seinen Dienst, wie die anderen, die wegen ihrer Furcht oder wegen ihres mangelnden Interesses zurückgeschickt wurden.

Das ist gerade die Prüfung unserer Tage. Gott will sich auch heute 300 absondern, die mit dem beschäftigt sind, was Ihn selbst beschäftigt. Das ist Wirklichkeit, die wir nötig haben. In unseren Tagen fehlt es uns nicht an Erkenntnis des Kopfes oder des Verstandes; sie lässt sich rasch und leicht erwerben. Dazu kommt noch, dass auch die menschliche Natur diese Erkenntnis lieben und sie zum Nutzen ihrer selbstsüchtigen Ziele anwenden kann. Wie traurig und ernst ist es, wenn man sehen muss, wie oft von der Wahrheit geredet und darüber diskutiert wird, während die Betreffenden selbst in lebendigem Widerspruch dazu stehen.

Wirklichkeit ist vonnöten! Das ist die grosse Not unserer Tage. Oh, einer der dreihundert Kämpfer Christi zu sein, während der Zeit seiner Verwerfung! In Ihm ist das wahre Geheimnis des Sieges zu haben, nicht nur inmitten der Schwierigkeiten und Gefahren, sondern auch im Wohlergehen, wenn es uns äusserlich gut geht. Wirklich für Christus da sein; nicht nur demütige Gedanken haben, sondern überhaupt nicht an sich denken, vielmehr alle Gedanken auf Ihn richten, auf die einzige Quelle, den einzigen Kanal jeder Segnung!

In der Geschichte eines jeden von uns, der sich zu Christus bekennt, kommt der Augenblick, da er zum Wasser hinabsteigen muss. Der Herr gebe uns in jenem Augenblick, dass wir in einem solchen Mass mit Ihm und seinen Gedanken beschäftigt sind, dass wir weit über die Prüfung hinausgehoben werden und so eine Wirklichkeit an den Tag legen, die allein seiner würdig ist.